[237] Galläpfel (Gallen, Cecidien), abnormale Veränderungen (Neubildungen) an Geweben vorwiegend pflanzlicher, sehr selten tierischer Organismen, die durch einen organisierten (lebenden) Parasiten verursacht werden. Letzterer, der Gallenerzeuger, kann ein Pilz (Spore, Mycelfaden) sein, und die von diesem erzeugten Gallen heißen Mykocecidien (Pilzgallen); weitaus häufiger sind aber die Zoocecidien, die von Tieren hervorgerufen werden [3][5], [7].
Das von einem weiblichen Tier an oder in einen (noch jugendlichen, in Entwicklung begriffenen) Pflanzenteil abgelegte Ei beginnt sich auf Kosten der Nährstoffe seines Wirtes zu entwickeln und übt dabei einen oft weithin sich erstreckenden Reiz auf das Pflanzenorgan (vielleicht mittels eines spezifischen Enzymes oder unmittelbar durch die lebende Substanz selbst) aus, der ein Hinzuströmen und eine Anhäufung plastischer Stoffe zur Folge hat. Die hierdurch energisch gesteigerte Zellentätigkeit äußert sich in verschiedener Weise, z.B. in der Vergrößerung und Verdickung des Pflanzenorgans, in abnormer Haarbildung, in Kräuselung und Faltung (an Blättern) oder in der Bildung eines deutlich differenzierten, mitunter recht kompliziert gebauten Körpers, der dann Galle im engeren Sinne oder Gallapfel heißt [7], [8]. Die technisch verwendeten Gallen werden nur von Gallwespen (Cynipiden [1], [2], [6], [9]) und Pflanzenläusen hervorgerufen; sie sind Gewebewucherungen mit innerlich lebenden Parasiten, an denen in vielen Fällen eine Außengalle (Parenchymschicht) und eine Innengalle mit äußerer Steinzellen- und innerer stärkereicher Nahrungsschicht unterschieden werden kann.
Abgesehen von den als Nahrungsmittel im Orient gebrauchten Gallen auf Salviaarten findet die Mehrzahl der Galläpfel wegen ihres hohen Gehaltes an Gallusgerbsäure (Galläpfelgerbsäure, Tannin, Acidum tannicum C14H10O9) in der Technik zum Gerben, Färben, zur Erzeugung von Tinte, in der Pharmazie zur Reindarstellung des Tannins als Adstringens, Desodorans u.s.w. Anwendung. Als Gerbmaterialien haben sie infolge der Einfuhr gerbstoffreicher exotischer Rinden und deren Extrakte sowie wegen der vielfach geänderten Gerbverfahren sehr an Bedeutung eingebüßt [27].
Eichengalläpfel, durch Gallwespen (Cynips) auf verschiedenen Eichenarten erzeugt [1], [5]. Hierzu gehören: 1. Asiatische, türkische, levantinische Galläpfel. Diese entstehen durch Cynips gallae tinctoriae Oliv. auf den jungen Zweigen der orientalischen Quercus infectoria Oliv. (aus dem Formenkreis der Quercus lusitanica Lam.), sind kugelig (im Durchmesser 12 cm), an dem Grunde in einen kurzen Stiel verschmälert, in der oberen Hälfte mit kurzen, kegelförmigen Stacheln, Höckern und Leistchen versehen, von grünschwarzer, braungelber bis selbst strohgelber Farbe, häufig mit dem kleinen Flugloch versehen, hart und so spröde, daß sie unter dem Hammer in scharfkantige Stücke zerspringen, am Bruche fast hornartig, mitunter körnig-locker. Am Querschnitt sind Außen- und Innengalle wohl zu unterscheiden; letztere umschließt eine Höhlung, in der (bei undurchbohrten Gallen) Reste des Insekts in verschiedenen Stadien der Ausbildung vorhanden sind. Die Außengalle, der hauptsächlichste Träger der Gerbsäure, setzt sich aus einem Parenchym ziemlich großer, dünnwandiger Zellen zusammen, deren Inhalt farblose, kantige, in Wasser zerfallende, in Alkohol fast vollständig lösliche, durch Eisensalzlösung schwarzblau gefärbte Masten bildet; außerdem sind verschiedene Zellen mit Sphärokristallen und Kristallen von Calciumoxalat erfüllt. Nach innen zu gehen diese Zellen allmählich in stark verdickte poröse Steinzellen über, die schließlich als eine zusammenhängende Schicht die zentrale Höhle abgrenzen; an der Innenseite dieser Sklerenchymschicht ist das ursprüngliche Nährgewebe nur mehr in Resten vorhanden, deren dünnwandige Zellen kugelige, bis 50 μ messende Stärkekörnchen, braunrote, kugelige, aus Gerbsäure bestehende Massen und merkwürdige, an Cystolithen erinnernde Wucherungen der Zellwände (Ligninkörper genannt, da sie Holzsubstanzreaktion zeigen) enthalten [10][12], [14], [23]. Die betten Sorten enthalten 6070% Gerbsäure, 3% Gallussäure, 3% Zucker, Gummi, Harz, 1,5% Asche [22]. Im allgemeinen gelten die dunkleren, schweren, undurchbohrten als die wertvollsten. Nach der Farbe unterscheidet man schwarze, grüne und weiße, nach der Provenienz [26] die geschätztesten: a) Aleppische Gallen von Aleppo (Gallae Halepenses), die wieder in die eigentlichen Aleppogallen (dunkelgrün bis schwarz, Durchmesser von 2,5 cm), Jerligallen (aus dem gleichnamigen Wilajet), in die Mardin-, Mosul- und Diarbekrgallen zerfallen, b) Die Smyrnaer Gallen bis 3 cm groß, mehr gelblich, weniger Hart. c) Die Tripolitaner Gallen, den vorigen nahestehend. Kleine,[237] bis 1 cm im Durchmesser haltende, sehr dunkle und harte, durch Auslesen gewonnene Gallen kommen als die besonders geschätzten Soriangallen in den Handel, d) Nicht sicher bekannt ist die Abstammung der Bassoragallen (Sodomsäpfel, Rove). Sie werden durch Cynips insana Westw. wahrscheinlich auf der kleinasiatischen und persischen Quercus tinctoria (Bart. Trav.) hervorgerufen und sind bedeutend größer (5 cm im Durchmesser), eirund bis kreiselförmig, am Scheitel kurzkegelig, am Grunde in einen kurzen Stiel verschmälert, rötlichbraun, glatt und glänzend, in der oberen Hälfte oder auch nur äquatorial mit kurzen, spitzen, hellen Höckern versehen, sehr leicht, weich, innen schwammig, dem Landgallus (s. unten) sehr ähnlich. Das gröblich zerkleinerte Pulver kommt als Rove seit 1878 auf den europäischen Markt [24]. 2. Europäische Galläpfel, auf allen Eichenarten durch Cynipsarten erzeugt, sind viel leichter als die asiatischen, an der Oberfläche meist glatt, hell gefärbt, innen weich, arm an Gerbsäure (nur die Istrianer sollen über 40% Gerbsäure enthalten). Die bekanntesten Sorten sind: a) Moreagallen von Quercus Cerris, oft unter Aleppogallen gemischt, klein, 1 cm lang, kreiselförmig, rotbraun und heller gefleckt, meist unregelmäßig, netzigrunzelig, um den Scheitel herum mit einem Kranze spitzer Höcker mit großem Flugloch; Gerbsäuregehalt 30%. b) Istrianer Gallen von Quercus Hex. Nach Vogl [10] sind sie klein, durchschnittlich 1,5 cm lang, kugelig, nach abwärts in einen kurzen dicken Stiel verschmälert, am Scheitel ohne oder mit kurzer stumpfer Spitze, an der Oberfläche mattrotbraun oder gelblichbraun, grob und unregelmäßig runzelig, ohne Höcker, höchstens mit Andeutung von stumpfen Leisten am Scheitel oder in der oberen Hälfte. Sie enthalten bis 41% Gerbstoff [22]. Im Handel scheinen auch andre Sorten unter diesem Namen vorzukommen, c) Abruzzo- oder italienische Gallen, den vorigen ziemlich ähnlich, wahrscheinlich von derselben Abstammung [25]. d) Kleine ungarische Gallen, auf Quercus pedunculata und Quercus sessiliflora durch Cynips lignicola Hart. erzeugt, bis 1,5 cm lang, kugelig, ungestielt, grobrunzelig, dunkelrotbraun, weißlich gefleckt, e) Große ungarische Gallen, der sogenannte Landgallus, von Cynips hungarica Hart. auf Quercus pedunculata erzeugt, den obenbeschriebenen Bassoragallen ähnlich, bis 4 cm lang, kugelig, oft nach abwärts verschmälert, meist schwach glänzend, aschgrau bis gelblichbraun, mit stumpfen, drei- bis vierkantigen Höckern besetzt, sehr leicht, die Außengalle innen korkigweich, lederbraun, einen unregelmäßigen Hohlraum einschließend, in diesem die sehr regelmäßig eirunde, 7 mm lange Innengalle mit kurzem Stiel befestigt. Die durch Cynips argentea Hart. auf jungen Aesten von Quercus pubescens, seltener von Quercus sessiliflora und pedunculata erzeugten Gallen sind den Bassoragallen noch mehr ähnlich, vom Landgallus durch die Farbe der Oberfläche und die Form der Höcker verschieden [17]. Der Landgallus wird auch zu Zigarrenpfeifchen verarbeitet, f) Deutsche, österreichische, böhmische Gallen, auf verschiedenen Quercusarten durch Cynips Collari Hart. erzeugt, bis 2,5 cm lang, kugelig, ungestielt, glänzend gelb- bis rötlichbraun, glatt, selten runzelig, sehr leicht, mit 2530% Gerbsäure. Technisch wertvoller als die angeführten europäischen Gallen sind die Knoppern (eigentliche, ungarische, slawonische Knoppern [12]), die aus der jungen Eichenfrucht durch Cynips quercus calycis Burgsdf. erzeugten Fruchtgallen. Sie sind gewissermaßen mißbildete Eichenfrüchte und stellen kantig geflügelte und unregelmäßig höckerige, braune, bräunlichschwarze Körper (Fruchtbecher) vor, an denen noch häufig die Eichel teilweise erhalten geblieben ist. Sie kommen von Ungarn, Slawonien und der Bukowina in den Handel, enthalten bis 35% Gerbsäure, lassen sich leicht pulvern und geben ein vortreffliches, insbesondere in Oesterreich viel gebrauchtes Gerbmaterial für leichtere seine Ledersorten. Eine ganz andre, nicht hierher gehörige Ware dagegen sind die orientalischen Knoppern, Ackerdoppen oder Valonen (s. Gerbstoffe).
Sumachgallen [10], [14], [18], [19]. Die auf den Zweigspitzen und Blattstielen eines ostasiatischen Sumachbaumes (Rhus semialata Murray in mehreren Formen) durch eine Blattlaus (Schlechtendahlia chinensis Lichtenst. = Aphis chinensis J. Bell) erzeugten blasigen Auswüchse werden in China und Japan im Sommer eingesammelt, mit kochendem Wasser übergossen (in China in Weidenkörben heißen Dämpfen ausgesetzt [10]), mehrere Tage an der Sonne getrocknet und als chinesische und japanische Gallen, edlere aus Kanton, letztere über Hiogo in den Handel gebracht [14], [18]. Sie sind blasenförmige, hohle, leichte, bis 8 cm lange, höchst mannigfaltig gestaltete, längliche, mit kürzeren und längeren, geraden oder gekrümmten hohlen Fortsätzen und Höckern versehene, mitunter an eine unregelmäßige Wassernuß erinnernde Gebilde, deren Oberfläche von einem kurzen, dichten grauen Filz überzogen ist. Die Wand der Blase ist gelblich- oder rötlichbraun, 12 mm dick, hornartig spröde, am Bruch glänzend, eben. In der weiten Höhlung liegen zahlreiche schwärzliche Blattläuse in einem weißlichen, aus zusammengeballten Fäden bestehenden Sekret. Der Filz besteht aus einzelligen, dickwandigen zugespitzten Haaren, die einer kleinzelligen Oberhaut entspringen. Das Hauptgewebe der Wand ist ein Parenchym aus dünnwandigen polyedrischen Zellen, zwischen denen unregelmäßige Milchsaftgänge im Gewebe zerstreut liegen. Auch die zahlreichen Gefäßbündel sind von je einem Milchsaftgang begleitet. Neben kleinkörniger oder verkleinerter Stärke findet sich als Inhalt der Parenchymzellen hauptsächlich formlose Gerbsäure. Die chinesischen Gallen gehören zu den gerbstoffreichsten Materialien und enthalten bis 77% Gerbsäure, daneben etwas Gallussäure, Harz, Fett und 2% Asche [20], [21]. Sie werden in Europa besonders zum Schwarzfärben und zur Erzeugung des Tannins verwendet. Hartwich [15] hat eine besondere, völlig kahle pflaumenähnliche Sorte als chinesische Birngallen beschrieben.
Pistaziengallen (Terpentingallen, Judenschoten, Carobe de Giudea, Ziegenhorn, Cornu caprae), die an den Blättern (bezw. an Stelle der Blätter) von Pistacia Terebinthus von der Blattlaus Pemphigus cornicularius erzeugten, bis 2 dem langen, hohlen, hülsenförmigen, zylindrischen oder zusammengedrückten, frisch klebrigen Auswüchse, kommen aus dem Orient über Triest und Marseille in den Handel. Ein Jahr alte sind schwarzbraun oder fast schwarz, sehr Hart. spröde, aufgesprungen. Sie enthalten bis 60% Gerbsäure und 15% Gallussäure. Auf[238] den Blättern und Blattstielen der genannten Pistazie sowie auch andrer Arten kommen kleine, knollige, an Kartoffeln in der Form erinnernde, erbsen- bis walnußgroße, braunrötliche Gallen vor, die als Busgundsch ein orientalischer Handelsgegenstand sind. Auch die echten Bokharagallen oder Gute-Pistah stammen von einer Pistazie (Pistacia vera), enthalten 32% Gerbstoff und gelangen von Persien auf den Markt von Bombay. Daselbst findet man auch die aus dem nördlichen Indien kommenden, (nach Dymock) von Pistacia integerrima Stew. stammenden Kakrasingheegallen (Kakdásinghi) von flacher, scheibenrunder, häufig lappiger Gestalt, deren Gerbstoffgehalt dem der chinesischen Gallen nahekommt [12]. Sie werden auch von Rhus Kakrasinghee Royle (durch Aphis hervorgerufen) abgeleitet, enthalten aber weder Harzgänge noch Milchsaftgefäße.
Tamariskengallen von Tamarix articulata Vahl werden unter der Bezeichnung Busgundsch, Bokhara- oder bucharische Gallen von Zentralasien und Indien, unter dem Namen Takout von Algier und Marokko in den Handel gebracht und gleich den Pistaziengallen verwendet. Sie sind sehr klein und besitzen keine Balsamgänge [16]. Alle diese Gallensorten werden gleich den Eichengallen verwendet.
Literatur: Ueber Abstammung und Entwicklung, gallenbildende Tiere: [1] Mayr, G., Die mitteleuropäischen Eichengallen in Wort und Bild, Wien 1871/72 (Jahresbericht), zugleich eine vorzügliche Morphologie mit trefflichen Figuren. [2] Idem, Die Cynipidengallen mit Ausschluß der auf Eichen lebenden, Wien 1876. [3] Rudow, F., Die Pflanzengallen Norddeutschlands und ihre Erzeuger, Archiv der Ver. der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg, Neubrandenburg 1875. [4] Thomas, F., Zeitschr. f. d. gesamten Naturwiss. 1874 (Milbengallen). [5] Sorauer, P., Handbuch der Pflanzenkrankheiten, 1. Teil, Berlin 1886, S. 751 ff. [6] Adler, Deutsche entomolog. Zeitschr., XXI, Generationswechsel der Cynipiden. [7] Frank, A.B., Die Krankheiten, der Pflanzen, III, Berlin 1896, Entwicklung der Eichengallen, allgemeiner Bau. [8] Prillieux, Études sur la formation et le développement de quelques galles, Annales de scienc. naturell., 6. série, Bot., Bd. 3, S. 113, Entwicklungsgeschichte der Eichengalle. [9] Forster, Ueber die Gallwespen, Zool.-bot. Abhandlungen, Wien 1869. Ueber Morphologie, Mikroskopie und Chemie: [10] Vogl, A., Kommentar zur 7. Ausgabe der österr. Pharmakopoe, Bd. 2, Wien 1892, S. 394 ff. [11] Flückiger, Pharmakognosie, Berlin 1892, S. 266. [12] Figdor in Wiesner, Rohstoffe des Pflanzenreiches, 2. Aufl., Leipzig 1900, S. 674 ff., und Die technisch verwendeten Pflanzenstoffe Indiens, in Fachmännische Berichte über die österr. Expedition nach Ostasien, Wien. [13] Hartwich, in Realencyklopädie der ges. Pharmacie, 2. Aufl., Bd. 5, Wien 1905. [14] Idem, Archiv d. Pharmacie, 1883, Bd. 221, S. 822, und Bd. 222, S. 904 (Japan. Gallen). [15] Idem, ebend., 1881, Bd. 219. [16] Vogl, A., in Lotos, naturwiss. Zeitschr., Prag 1875. [17] Idem, in Karmarsch und Heerens Technolog. Wörterbuch, Prag 1878, Bd. 3. [18] Schenk, Ueber die chinesischen Galläpfel, Buchners Repert., Bd. 3, V., S. 23. [19] Schlechtendahl, in Bot. Ztg. 1850, Nr. 1. [20] Stein, in Polytechn. Zentralbl. 1849, S. 237. [21] Buchner, in Polytechn. Zentralbl. 1851, S. 999. [22] Tod, W., Archiv d. Pharmacie, Bd. 84, S. 9. [23] Hartwich, in Ber. d. Deutschen Bot. Gesellsch., 1885, S. 146 ff. [24] Moeller, J., in Dinglers Polyt. Journ. 1881, S. 152 ff. [25] Massalongo, Le galle nella flora italica, Mem. dell' accad. d' agric. etc. di Verona, Verona 1893, Vol. 69, 3. Serie, 1. Heft (zitiert nach Figdor). Ueber Handel: [26] Zwiedinek v. Südenhorst, J., Syrien in seiner Bedeutung für den Welthandel, Wien 1873. [27] Hartwich, Ueber die Ein- und Ausfuhr von Gerbmaterialien in Deutschland, Beiheft zum »Tropenpflanzer« 1900, S. 13.
T.F. Hanausek.
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