Hilfskassen [2]

[371] Hilfskassen. Das Deutsche Reichsgesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen ist durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1911 (Reichsgesetzblatt S. 985), das seinem ganzen Umfang nach am 1. Juni 1912 in Kraft getreten ist, aufgehoben, gleichzeitig ist § 122 des Reichsgesetzes, betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen (Versicherungsaufsichtsgesetz) abgeändert worden (§§ 1, 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1911).

Die bisherigen eingeschriebenen Hilfskassen sind hierdurch unter das letztgenannte Gesetz und unter die durch dieses Gesetz vorgeschriebene Aufsicht gestellt. Sie verlieren die Bezeichnung »Hilfskassen« und gelten nunmehr als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die zum Betrieb der Versicherung ihrer Mitglieder gegen Krankheit befugt sind. Unter bestimmten Voraussetzungen (§ 6 des Gesetzes vom 20. Dezember 1911) sind sie als kleinere Vereine (§ 53 des Gesetzes, betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen) anzuerkennen, auf die im allgemeinen die für Vereine gegebenen Bestimmungen der §§ 24–53 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden. Versicherungsunternehmungen, die beim Inkrafttreten des Gesetzes, betreffend die Aufhebung des Hilfskassengesetzes, auf Grund des Hilfskassengesetzes zum Geschäftsbetrieb befugt sind, bedürfen zur Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebs in den bisherigen Grenzen keiner Erlaubnis nach dem Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen (§ 9 des Gesetzes vom 20. Dezember 1911). Wollen sie aber als Ersatzkassen, d.h. als Versicherungsvereine, durch deren Leistungen diejenigen der reichsgesetzlichen Krankenkassen ersetzt werden können, gelten, so bedürfen sie noch einer besonderen Zulassung nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung. Wie bei den bisherigen eingeschriebenen Hilfskassen, so sind auch bei den zum Betrieb der Krankenversicherung befugten Versicherungsvereinen zwei Arten zu unterscheiden, die Ersatzkassen und die Zuschußkassen. Letztere unterstehen nur dem Gesetz, betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen, während für die Ersatzkassen, die den bisherigen privilegierten, den Anforderungen des § 75 des Krankenversicherungsgesetzes genügenden Hilfskassen entsprechen, außerdem noch die Vorschriften der §§ 503 bis 525 der Reichsversicherungsordnung, und zwar über die Zulassung als Ersatzkasse und über das Verhältnis der Ersatzkassen zu den reichsgesetzlichen Krankenkassen maßgebend sind. Wie im bisherigen Krankenversicherungsgesetz, so sind auch in der Reichsversicherungsordnung besondere Bedingungen, namentlich die Gewährung der sogenannten Regelleistungen der Krankenkassen für die Zulassung als Ersatzkasse vorgesehen. Gegenüber dem bisherigen Recht sind die nachstehenden hauptsächlichen Aenderungen eingetreten: 1. Nur solche Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit bezw. bisherige eingeschriebene Hilfskassen können als Ersatzkassen zugelassen werden, denen vor dem 1. April 1909 eine Bescheinigung nach § 75a des Krankenversicherungsgesetzes erteilt worden ist, und auch diese nur für den nach ihrer Satzung an dem genannten Tage gültigen Bezirk und Mitgliederkreis. Ausnahmen von dem Stichtag kann der Bundesrat nach Art. 26 des Einführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, nach dem Außerkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes, also nach dem 1. Januar 1914, kann aber eine neue Privilegierung einer Hilfskasse bezw. eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit nicht mehr stattfinden. 2. Die Zulassung ist an eine Mindestzahl von eintausend Mitgliedern gebunden, die von der obersten Verwaltungsbehörde in einzelnen Fällen auf zweihundertfünfzig herabgesetzt werden kann. 3. Die Versicherungspflichtigen sind durch ihre Zugehörigkeit zu einer Ersatzkasse nicht mehr von der Mitgliedschaft bei der zuständigen Krankenkasse befreit, sondern es ruhen nur je auf ihren besonderen Antrag die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten mit der Maßgabe, daß sie selbst keine Leistungen an diese Krankenkasse zu machen noch von ihr zu empfangen haben und an der Verwaltung der Kasse nicht teilnehmen. Die Arbeitgeber sind infolge der Zugehörigkeit ihrer Arbeitnehmer zu einer Ersatzkasse nicht mehr von der Beitragspflicht befreit, sondern müssen ihren Beitragsanteil an die Krankenkasse einzahlen. 4. Die Zulassung als Ersatzkasse muß rechtzeitig besonders beantragt und von der höheren Verwaltungsbehörde bezw. dem Reichsversicherungsamt ausgesprochen werden. Wird dem Antrag, der nur aus bestimmten, im Gesetz selbst angegebenen Gründen abgelehnt werden kann, stattgegeben, so erhält der Verein darüber eine Bescheinigung und zu seinem Namen den Zusatz »Ersatzkasse«. – Die den bisherigen eingeschriebenen Hilfskassen nach § 75a des Krankenversicherungsgesetzes ausgestellten Bescheinigungen werden, soweit diesen Hilfskassen nicht bereits vorher als Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit eine Bescheinigung nach § 514 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung erteilt worden ist, nach Art. 7 der kaiserlichen Verordnung vom 5. Juli 1912, Reichsgesetzblatt S. 439, mit dem Ablauf des 30. Juni 1914 ungültig, Diese Kassen sind daher bis zu diesem Zeitpunkte Träger der Krankenversicherung, auch wenn sie nur die im 75 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Leistungen gewähren. – Wenn ein zugelassener Verein den Voraussetzungen der Zulassung nicht oder nicht mehr entspricht und dem Mangel nicht abhilft, so wird die Bescheinigung widerrufen. Dies findet auch statt, wenn die Satzung den Kreis der Versicherungspflichtigen erweitert, die dem Verein angehören können. Versicherungsvereine, die nicht als Ersatzkassen zugelassen sind, können sich nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes als Zuschußkassen einrichten, wie dies bisher die nicht privilegierten, den Anforderungen des § 75 des Krankenversicherungsgesetzes nicht genügenden Hilfskassen tun konnten. – Hinsichtlich der landesrechtlichen Hilfskassen gilt jetzt folgendes: Die beteiligten Landesregierungen können bestimmen, daß und von welchem Zeitpunkt ab diese Hilfskassen den Vorschriften des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen unterliegen und die erforderlichen Bestimmungen[371] zur Durchführung der Anordnung erlassen (§ 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1911). Bis dahin bleibt es bei den bisherigen Vorschriften. Versicherungsunternehmungen, die beim Inkrafttreten einer Bestimmung der vorerwähnten Art als auf Grund landesrechtlicher Vorschriften errichtete Hilfskassen zum Geschäftsbetrieb befugt sind, bedürfen zur Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebs in den bisher durch die Zulassung gestatteten Grenzen keiner Erlaubnis nach dem Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen (§ 9 a.a.O.). Von der Zulassung als Ersatzkassen sind die landesrechtlichen Hilfskassen künftig ausgeschlossen, wie sich aus § 503 der Reichsversicherungsordnung ergibt.


Literatur: Schäffer, Gesetz, betr. die Aufhebung des Hilfskassengesetzes, ferner Erläuterungen zum 10. Abschnitt »Ersatzkassen« des 2. Buches der Reichsversicherungsordnung in der Ausgabe dieses Gesetzes von v. Köhler, Biesenberger, Schäffer und Schall, Stuttgart 1912.

Köhler.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 371-372.
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