[59] Hilfskassen, vorwiegend auf Gegenseitigkeit beruhende und hauptsächlich auf Benutzung durch die Angehörigen der minderbemittelten Kreise, namentlich der Arbeiter, berechnete Anstalten, die gegen Entrichtung von Beiträgen ihren Mitgliedern Unterstützung im Fall der Krankheit, der Invalidität, des Todes, der Arbeitslosigkeit u. dergl. gewähren. Im weiteren Sinne sind auch die mit gesetzlichem Versicherungszwang ausgestatteten deutschen Krankenkassen (s. Krankenversicherung) Hilfskassen; im engeren Sinne versteht man dagegen unter Hilfskassen nur auf freier Vereinbarung beruhende Kassen, und zwar im besonderen die freien (nicht unter die Krankenversicherungsgesetze fallenden) Krankenkassen. Die freien Hilfskassen treten ergänzend neben die Zwangskassen, insofern namentlich Personen sich bei ihnen versichern können, die dem Versicherungszwang nicht unterworfen sind oder die sich durch gleichzeitige Versicherung bei beiden Kassenarten eine höhere Unterstützung sichern wollen.
In Deutschland war schon in der früheren Gesetzgebung das Hilfskassenwesen dadurch gefördert worden, daß vielfach Gesellen und Lehrlinge bezw. Fabrikarbeiter oder auch Arbeitgeber gezwungen werden konnten, einer Hilfskasse beizutreten. Die Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 hob die durch Ortsstatut oder Anordnung der Verwaltungsbehörde begründete Verpflichtung der selbständigen Gewerbetreibenden, einer Kranken-, Hilfs- oder Sterbekasse beizutreten, auf (§ 140). Ebenso wurde die Verpflichtung, einer bestimmten Hilfskasse beizutreten, für diejenigen Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter aufgehoben, welche nachwiesen, daß sie einer andern derartigen Kasse angehören (§ 141). Im übrigen wurde an den bestehenden Verhältnissen nichts geändert. Das Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen vom 7. April 1876 (Reichs-Gesetzblatt S. 125) leitete eine einheitliche Regelung des Kranken- und Hilfskassenwesens für das Reich ein. Durch das Gesetz vom 8. April 1876, betr. die Abänderung des Titels VIII der Gewerbeordnung (Reichs-Gesetzblatt S. 134), wurde der § 141 der Gewerbeordnung aufgehoben. Die infolge dieses Gesetzes an die Stelle desselben getretenen §§ 141141 f der Gewerbeordnung, welche die Bildung von Hilfskassen nach Maßgabe des Gesetzes vom 7. April 1876 durch Ortsstatut mit Beitrittszwang und Beiziehung der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen zuließen, wurden ihrerseits wiederum durch § 87 des die Krankenversicherung der Arbeiter umfassend regelnden Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 (Reichs-Gesetzblatt S. 73, s.d.) aufgehoben. Letzteres Gesetz hatte auch eine Revision des Hilfskassengesetzes von 1876 zur Folge. Sie geschah durch das Gesetz vom 1. Juni 1884 (Reichs-Gesetzblatt S. 54). Auch die Krankenversicherungsnovelle vom 10. April 1892 (Reichs-Gesetzblatt[59] S. 379) brachte eine Abänderung (Aufhebung des § 4 Abs. 5). Das Hilfskassengesetz enthält allgemeine Normativbestimmungen für solche Hilfskassen, die sich dem Gesetz zwecks Erwerbung der juristischen Persönlichkeit unterwerfen und ihre Zulassung als »eingeschriebene Hilfskasse« erwirken. Es bezieht sich nur auf solche Kassen, die auf freier Uebereinkunft beruhen und die gegenseitige Unterstützung ihrer Mitglieder für den Fall der Krankheit (eventuell mit Begräbnisfürsorge) bezwecken. Es fallen aber unter das Gesetz nicht nur gewerbliche Hilfskassen, sondern auch sonstige auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhende Krankenkassen, ohne Unterschied in bezug auf die Kreise der Bevölkerung, in denen sie vorwiegend wirken können. Ob eine Kasse sich als eingeschriebene organisieren will, ist ihrem freien Willen überlassen. Die Arbeitgeber leisten keinerlei Beiträge zu diesen Kassen, haben dafür aber auch keine Vertretung im Vorstand oder in der Generalversammlung der Hilfskasse. Nicht berührt werden durch das Hilfskassengesetz die auf Grund landesrechtlicher Vorschriften errichteten, im allgemeinen den Bestimmungen über Vereins- und Versicherungswesen unterliegenden (nichteingeschriebenen) Hilfskassen, doch können dieselben nach dem Hilfskassengesetz durch die Landesregierungen zur Einsendung der vorgeschriebenen statistischen Uebersichten verpflichtet werden. Auf alle Krankenkassen mit Beitrittszwang findet das Krankenversicherungsgesetz (s.d.) Anwendung. Von der Verpflichtung, einer nach Maßgabe des letztgenannten Gesetzes errichteten Krankenkasse oder der Gemeindekrankenversicherung anzugehören, sind die Mitglieder der eingeschriebenen Hilfskassen oder solcher auf Grund landesrechtlicher Vorschriften errichteter Hilfskassen, deren Statut von einer Staatsbehörde genehmigt ist und über die Bildung eines Reservefonds bestimmte Vorschriften enthält, dann befreit, wenn die Hilfskasse im Krankheitsfall mindestens die gleichen Leitungen gewährt, welche die Gemeindekrankenversicherung zu gewähren hätte (§ 75 des Krankenversicherungsgesetzes). Auf Antrag wird diesen Kassen eine amtliche, auch für die Aufsichtsbehörden und Gerichte bindende Bescheinigung darüber ausgestellt, daß sie, vorbehaltlich der Höhe des Krankengeldes, den genannten Anforderungen genügen. Den freien Hilfskassen ist es übrigens freigestellt, ob sie die Mindestleistungen gewähren wollen oder nicht. Von der einheitlichen Regelung, die das private Versicherungswesen in Deutschland nach seiner öffentlich-rechtlichen Seite hin durch das Reichsgesetz vom 12. Mai 1901, betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen (Reichs-Gesetzblatt S. 139), erfahren hat, sind nach § 122 dieses Gesetzes unter anderm die auf Grund des Gesetzes über die eingeschriebenen Hilfskassen errichteten Kassen sowie die im § 75 Abs. 4 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten auf Grund landesrechtlicher Vorschriften errichteten Hilfskassen ausgenommen. Die auf dem Gebiet des Hilfskassenwesens gemachten Erfahrungen, insbesondere das Gebaren zahlreicher auf Spekulation berechneter sogenannter Schwindelkassen haben aber die Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs über die Hilfskassen an den Reichstag veranlaßt, der das bisherige System der Normativbestimmungen und der beschränkten materiellen Aufsicht verlassen und die eingeschriebenen Hilfskassen unter das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, und zwar insbesondere unter die Bestimmungen desselben über die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit stellen will. Das Schicksal dieses Gesetzentwurfs ist noch nicht entschieden.
Auch in den außerdeutschen Staaten findet sich eine mehr oder minder große Verbreitung und teilweise eine gesetzliche Regelung des Hilfskassenwesens. Besonders zahlreich sind diese Kassen in England, wo sich viele derselben nicht, wie dies in Deutschland die Regel ist, auf einzelne Zweige der Versicherung beschränken, sondern einen ausgedehnteren Wirkungskreis haben.
Literatur: Kehm (Elster), Artikel »Hilfskassen« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausg. von Elster, Jena 1898, Bd. 1, S. 1065 ff.; Ders., Artikel »Arbeiterversicherung«, ebend., S. 134 ff.; Honigmann, Artikel »Hilfskassen« im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, herausg. von Conrad, Elster, Lexis und Löning, 2. Aufl., Jena 1900, Bd. 4, S. 1201 ff. (mit weiterer Literatur); Popper, Gewerbliche Hilfskassen und Arbeiterversicherung, Leipzig 1880; Balck, Die eingeschriebenen (freien) Hilfskassen, systematisch dargestellt, Wismar 1886; Schicker, Das Krankenversicherungsgesetz und das Hilfskassengesetz, 2. Aufl., Bd. 1, Stuttgart 1893 (Kommentar); Hoffmann, Krankenversicherungsgesetz und Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen nebst Ausführungsbestimmungen, 5. Aufl., Berlin 1905 (ebenso); Zeitschrift »Die Arbeiterversorgung«, herausg. von Honigmann-Troschel, Berlin; Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, herausg. vom Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft, Berlin; Jenny, Das englische Hilfskassenwesen in neuester Zeit, eine Studie über die freiwillige Arbeiterversicherung, Bern 1905.
Köhler.
Lueger-1904: Hilfskassen [2]
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro