Kinematograph

[478] Kinematograph (Chronophotograph), von A. und L. Lumière in Lyon (1896) erfundener Apparat zur photographischen Aufnahme beziehungsweise zur Projektion von Serienbildern, welche bewegte Szenen darstellen (lebende Photographien). Ein Vorläufer war das von Edison (1895) erfundene Kinetoskop; auch das Elektrotachyskop (Schnellseher) von Anschütz (1890) ist zu erwähnen. Die ersten, welche photographische Serienaufnahmen zum Studium von Bewegungen u.s.w. durchführten, waren (1874) Janssen, Muybridge, dann Marey.

Der Kinematograph sowie dessen später aufgetauchte Varianten (Alethorama, Animatoskop, Biograph bezw. Bioskop, Cynnagraph, Kammatograph, Miragraph, Theatrograph, Vitagraph u.s.w.) beruhen in der Hauptsache darauf, daß in einer entsprechend konstruierten Kamera auf einem bis zu vielen Meter langen empfindlichen Filmstreifen, der intermittierend von einer Rolle auf eine zweite oder als endloses über Walzen gleitendes Band abläuft, in sehr kurzen Intervallen von bewegten Szenen photographische Aufnahmen (15–30 pro Sekunde) gemacht werden. Die Exposition erfolgt natürlich nur während des periodischen Stillstandes des Films. Der Transport erfolgt in der Regel mittels Kammrädern ähnlichen Scheiben, deren Stifte in die an den Rändern des nur wenige Zentimeter breiten Filmstreifens systematisch angebrachten Löcher eingreifen. Die Unterbrechung der Exposition besorgen eigenartige Verschlüsse. Der Filmstreifen wird sodann entwickelt und mittels besonderer Vorrichtungen oder im Aufnahmeapparate selbst auf einen zweiten kopiert. Dieser Diapositivfilm dient nun zur Projektion, wobei abermals der Streifen intermittierend abgewickelt und, nur während der Ruhepausen belichtet, projiziert wird (auch mittels stroboskopischer rotierender Scheiben). Im Auge des Beschauers wird jedoch, infolge der Trägheit des Auges, die Empfindung ausgelöst, er sehe eine sich kontinuierlich abwickelnde Handlung. Diese Empfindung wird jedoch sehr häufig durch das Zittern (Flimmern) der projizierten Bilder beeinträchtigt, eine Erscheinung, welche dadurch verursacht wird, daß die Position der aufeinander folgenden Einzelbilder im Moment der Projektion keine genau übereinstimmende ist. Ferner machen sich die durch die starke Abnutzung der Films leicht entgehenden Beschädigungen einzelner Teilbilder störend bemerkbar. Um das Flimmern unschädlich zu machen, wird empfohlen, der Beschauer solle vor seinem Auge einen aus schwarzem Stoff verfertigten, mit kleinen quadratischen Löchern versehenen Schirm pendelnd hin und her bewegen. Die außerordentlich kleinen Serienaufnahmen sind von solcher Schärfe, daß sie eine sehr bedeutende Vergrößerung vertragen. Dagegen muß durch die Anordnung von Kühlvorrichtungen der Zelluloidfilm gegen Brand geschützt werden. – Es gibt auch Serienbilderprojektionsapparate, bei welchen das Bildband kontinuierlich fortbewegt wird. Hier muß durch die Anwendung eines in den Strahlengang eingeschalteten rotierenden Prismas mit planparallelen Seitenflächen oder eines ununterbrochen rotierenden Kranzes von geeigneten Linsen oder endlich durch Spiegel die stete Wanderung des Bildbandes auf dem Projektionsschirm durch entsprechendes Verschieben der Teilbilder optisch aufgehoben werden. – Es existieren heute bereits zahlreiche Abarten des Kinematographen, auch solche zur Benutzung durch den Amateur (z.B. Kino von Ernemann), zur Vorführung von Stereoskopbildern (z.B. Lumières Stereokinematograph), zum Studium von (in mikroskopisch kleinen Organen vor sich gehenden) Lebensprozessen (Watkins Mikroautoskop), zur Projektion von lebensgroßen Bildern in natürlichen Farben mittels eines dreifachen kinematographischen Projektionsapparates, welcher, ähnlich dem Prinzip des Dreifarbendrucks (s.d.) drei in den Grundfarben Rot, Grün und Blauviolett gefärbte Films auf eine gemeinsame Fläche projiziert (Lumière, Miethe) u.s.w. – Auf einem ganz andern Prinzip beruhen die gleichfalls zur Vorführung von lebenden Bildern bestimmten Apparate nach Art des Mutoskops, wie Kinora, Kosmoskop, Stroboskop, Theoskop u.s.w. Bei diesen werden von den photographischen Serienaufnahmen Papiereinzelbilder (auf photographischem Wege oder auf dem eines Druckverfahrens, z.B. mittels Autotypie [s.d.], Lichtdruck [s.d.] u.s.w.) hergestellt, auf einer Trommel, Walze oder auf einem endlosen Bande mit der unteren Kante befestigt und in einem Apparate auf verschiedene Weise in rascher Aufeinanderfolge durch Abschnellen der Blättchen dem durch ein Okular blickenden Auge des Beschauers hintereinander freigegeben. Das Abschnellen selbst erfolgt so rasch, daß die zwischen dem Wandern der Blätter entstehenden Intervalle fast vollkommen zum Beschauen des Einzelbildes dienen können.


Literatur: Eder, Jahrbuch f. Photogr. u. Repr., Halle a. S. 1896 u. f.; Neuhauß, R., Anleitung zur Projektion, Halle a. S. 1901; Schmidt, Anleitung zur Projektion, Berlin 1901.

A.W. Unger.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 478.
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