[607] Konstruktionsmaterial der eisernen Brücken ist nahezu ausschließlich das schmiedbare Eisen in Form von Blechen und Walzeisen. Gegossene Stücke finden, von den Geländern und sonstigen dekorativen Nebenteilen abgesehen, jetzt in der Regel nur bei den Auflagern der Brückenträger Anwendung und werden solche wichtigere Teile aus Stahlguß hergestellt. Eine ausnahmsweise Verwendung des Stahlgusses zeigt die Alexander-Brücke in Paris, deren Bogenträger aus gegossenen Tiegelgußstahlsegmenten bestehen. Von den zwei nach der Erzeugungsweise unterschiedenen Arten des schmiedbaren Eisens, dem Schweißeisen und Flußeisen, ist das erstere ursprünglich das ausschließlich und bis vor wenigen Jahrzehnten noch das häufiger angewendete Material für Brückenkonstruktionen gewesen; gegenwärtig hat sich aber durch die geänderte Produktionsweise dieses Verhältnis umgekehrt, und es ist jetzt das Flußeisen das nahezu ausschließliche Konstruktionsmaterial für die eisernen Brücken geworden.
Das neue Material hat aber seinen Sieg nicht einspruchslos errungen. Die ersten vergleichenden Bruchversuche, welche 1875 und 1876 im Auftrage der holländischen Regierung in Duisburg und Dortmund mit genieteten Trägern aus Flußeisen (Bessemereisen) und Schweißeisen ausgeführt worden sind [1], haben für das Flußeisen kein günstiges Resultat ergeben und waren Ursache, daß für längere Zeit die Verwendung dieses Materials im Brückenbau keine Fortschritte machte. Man hat hier anfänglich wohl auch den Fehler begangen, ein zu hartes Flußeisenmaterial (von großer Festigkeit, aber geringer Dehnbarkeit) in Verwendung zu nehmen, und die Behandlung desselben und Bearbeitung der Konstruktion ohne die für solches Material gebotenen Vorsichten durchgeführt. Die zunehmende Erkenntnis dieser Tatsache sowie auch die Fortschritte in der Erzeugungsweise des Flußeisens haben seither auch die Resultate mit Flußeisenkonstruktionen wesentlich günstiger gestaltet. In dieser Hinsicht sind als bedeutungsvoll hervorzuheben die vom Oesterreichischen Ingenieur- und Architektenverein 1891 ausgeführten Versuche mit Gitterträgern aus Schweißeisen, ferner aus Thomaseisen und aus basischem Martinflußeisen[607] [2], nach welchen sich das letztere Material den andern überlegen erwies und die dazu Anlaß gegeben haben, daß in Oesterreich anfänglich (1892) von den Flußeisensorten nur das weiche basische Martinflußeisen (mit 35004500 kg/qcm Zerreißfestigkeit bei 2822% Längendehnung) für Brückenkonstruktionen als zulässig erklärt wurde. In Deutschland führten eingehende vergleichende Versuche mit Martin- und Thomasflußeisen [3] zu einer günstigeren Beurteilung des Thomasflußeisens, und es findet dieses Material seit dem Baue der Weichselbrücke bei Fordon (189193) bei den Brückenbauten in Deutschland ausgedehnte Verwendung. Auch in Oesterreich ist auf Grund neuerlicher Versuche [4] seit 1904 das Thomasflußeisen als Konstruktionsmaterial für Brücken zugelassen, doch ist die Festigkeitsgrenze etwas niedriger gesetzt (4,2 t/qcm) als für Martineisen (4,5 t/qcm) und wird verlangt, daß die Arbeitsziffer, d.i. das Produkt aus Zerreißfestigkeit (in Tonnenquadratzentimetern) und Bruchdehnung (in Perzenten) mindestens die Zahl 100 erreicht. Aehnliche Bestimmungen gelten auch für andre Länder. Die preußische Ministerialverordnung von 1892 fordert für das für Brücken zu verwendende Flußeisen eine Festigkeit von 3,74,2 t/qcm und eine Bruchdehnung von 20%; die Schweizer Verordnung setzt 3,64,5 t/qcm und eine Arbeitsziffer von 90 fest. Wichtig ist bei der Verwendung des Flußeisens, daß die Anarbeitung sorgfältig ausgeführt wird und daß dabei alle das Material schädigenden Einwirkungen vermieden werden. Eine gewaltsame kalte Behandlung mit dem Hammer oder durch Scherenschnitt ist zu vermeiden, die Nietlöcher sind zu bohren oder gestanzte Löcher wenigstens nachzubohren, die Nietung soll tunlichst mit Maschinen erfolgen.
Für Brücken von großen Spannweiten, bei welchen die mobile Belastung und deren dynamische Einwirkung gegenüber der bleibenden Belastung zurücktreten, hat auch die Wahl eines Materials von höherer Festigkeit (Cernawodabrücke, basisches Martineisen 4,24,8 t/qcm Festigkeit), selbst von eigentlichem Flußstahl (Forthbrücke für die Zugglieder 4,75,2 t/qcm Festigkeit bei 20% Dehnung, Druckglieder 5,45,8 t/qcm Festigkeit bei 17% Dehnung) seine Berechtigung. Auch in Amerika, woselbst die Verwendung des Stahls zu Brücken, allerdings zuerst nur in vereinzelten Ausführungen (1873 Mississippibrücke zu St. Louis), eigentlich seinen Ausgang genommen hat, ist man von der einige Zeit versuchten Anwendung härteren Materials (4,95,6 t/qcm Festigkeit) wieder abgekommen und verwendet gegenwärtig in ausgedehntem Maße weichen Stahl (soft steel), der unserm Flußeisen in der Hauptsache gleichkommt (3,84,3 t/qcm Festigkeit bei 25% Dehnung). Nur bei sehr großen Brücken und für die Druckglieder mancher kleineren Brücken wird auch ein fetterer Baustoff (von 4,34,8 t/qcm Festigkeit) angewendet. Die Qualität des Konstruktionsmaterials wird allerorts durch Lieferungsbedingnisse (s. die deutschen Normalbestimmungen [5], ferner [4]) vorgeschrieben und durch die darin verlangten mechanischen (Zerreiß-) und technologischen Proben konstatiert. Die wichtigsten Walzeisensorten, welche zu den Brückenkonstruktionen verwendet werden, sind: Bleche von 720 mm Stärke und bis zu 1,5 m Breite, Flacheisen von 840 mm Dicke, 40500 mm Breite, Winkeleisen von 60150 mm Schenkelbreite, -Träger von 80500 mm Höhe, dann weniger häufig ⊥-Eisen und -Eisen, ferner die verschiedenen Belageisen, endlich Nieteneisen.
Literatur: [1] Tijdschrift van het koninklijk institut van ingenieurs 1883/84. [2] Zeitschr. d. Oesterr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1891. [3] »Stahl und Eisen« 1891. [4] Zeitschr. d. Oesterr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1899. [5] Normalbedingnisse für die Lieferung von Eisenkonstruktion, aufgestellt vom Verbände deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, vom Verein deutscher Ingenieure und vom Verein deutscher Hüttenleute 1893. [6] Grundsätzliche Bestimmungen für die Lieferung und Aufstellung eiserner Brücken des k. k. österr. Handelsministeriums, Zeitschr. d. Oesterr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1893, S. 139. [7] Handbuch der Ingenieurwissensch., Bd. 2, Brückenbau, 2. Abt., Kap. 7, und 5. Abt., Kap. 16; daselbst auch weitere Literaturangaben. [8] Considère, Ueber die Anwendung von Stahl und Eisen in Bauwerken, Annales des ponts et chaussées 1885, I. [9] Tetmajer, Der Wert des Thomasflußeisens und des Schmiedeeisens als Baustoff, Zürich 1885. [10] Mehrtens, Eisen und Eisenkonstruktionen, Berlin 1887. [11] Ders., Zur Frage d. Verwendung des Flußeisens s. Baukonstruktionen, Zentralbl. d. Bauverw. 1888.
Melan.