[396] Lüftung geschlossener Räume. Notwendigkeit der Lüftung und Luftbewegung nach neueren Gesichtspunkten. Die Störungen des Allgemeinbefindens, die sich bei längerem Aufenthalte in schlecht gelüfteten, von einer größeren Anzahl von Menschen benutzten Räumen durch Kopfschmerzen, Beklemmung und Uebelkeit äußern, hat man bisher auf Luftverschlechterung chemischer Art zurückzuführen versucht. Man hat geglaubt, daß Atemgifte (Anthropotoxin), Hautausscheidungen, wie Fettsäuren (Kapronsäure und Kaprylsäure), dem Leichengift ähnliche Zersetzungsprodukte (Ptomaine) die Luft derartig verschlechtern, daß sie der Atmung nachteilig seien und daher Störungen des Wohlbefindens hervorriefen. Die eingehendsten Beobachtungen und Versuche haben eine einwandfreie Bestätigung hierfür nicht erbracht. Dagegen sind von Flügge, Paul und Erkelentz [1] Versuche mit gefunden und spezifisch erkrankten Personen angestellt worden, welche die Frage zu klären imstande sein dürften.
Bei diesen Versuchen wurden Personen in einem Glaskasten ohne Zufuhr frischer Luft drei Stunden und länger gehalten, wobei der Kohlensäuregehalt auf 1,0 bis 1,6% flieg. Die Kastenluft mußte hiernach mit Ausatmungsprodukten stark angereichert sein. Solange die Temperatur und der Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Kasten ein gewisses Maß nicht überschritten, fühlten die Versuchspersonen kein Unbehagen. Jedoch stellten sich die bekannten Symptome, als Kopfschmerz, Ohnmacht und Neigung zum Erbrechen, ein, sobald Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt erhöht wurden, und zwar schon nach Verlauf von 10 bis 15 Minuten nach Aenderung des Luftzustandes im Kasten. Durch Messungen der Temperatur der Stirnhaut wurde beobachtet, daß die Störungen bei 32 bis 35°, je nach der Empfindlichkeit der Versuchsperson eintraten. Wurde die Kastenluft ohne Zuführung frischer Außenluft mittels eines Ventilators in Bewegung gesetzt, so verschwanden die Beklemmungen in ganz kurzer Zeit, dagegen änderte sich das Befinden nicht, wenn von außen die Kastenluft durch frische Luft, jedoch von gleicher Temperatur und gleichem Feuchtigkeitsgehalte, ersetzt wurde. Das Einatmen der Kastenluft verursachte bei Personen, die außerhalb des Kastens sich aufhielten, nach dem ihnen zur Vermeidung der Wahrnehmung des unangenehmen Geruches die Nase verstopft war, keine Störung des Befindens.
Zufolge dieser Versuche muß mit vielen bisherigen Anschauungen in der Lüftungstechnik gebrochen werden. Die Versuche zeigen einwandfrei, daß die Störungserscheinungen des Allgemeinbefindens beim Aufenthalte in einer durch Menschenansammlung verdorbenen Luft, wie in Theatern, Versammlungssälen u.a., nicht auf Einatmung schlechter Luft zurückzuführen sind, sondern auf eine verhinderte Wärmeableitung infolge zu hoher Temperatur und eines zu hohen Feuchtigkeitsgehaltes der Raumluft. Die hohe Temperatur der Luft verhindert den Wärmeübergang durch Leitung und der hohe Feuchtigkeitsgehalt verhindert die Wärmeabgabe durch Verdunstung an der Hautoberfläche. Flügge hat diesen Zustand als »Wärmestauung« bezeichnet. Damit sind der Lüftungstechnik Wege gewiesen, welche einen Anhalt für das Maß der zuzuführenden Luftmengen bieten. Es ist der Luftwechsel so zu gestalten, daß eine gewisse Temperatur und ein dieser entsprechender, bestimmter Feuchtigkeitsgehalt der Luft nicht überschritten wird. Beide Bedingungen können durch Zuführung kälterer Luft als im Räume, welche zumeist auch einen geringeren Feuchtigkeitsgehalt besitzt, erfüllt werden. Ist dies nicht möglich, so lehrt der Versuch, bei welchem die Kastenluft durch einen Ventilator bewegt wurde, daß dann für Bewegung der Luft zu sorgen ist. Durch diese Luftbewegung wird die Abkühlung[396] des Körpers infolge einer lebhafteren Verdunstung an der Hautoberfläche hervorgerufen. Man wird daher z.B. in Arbeitsräumen, die im Dachboden liegen, oder in Arbeitshallen, durch deren Oberlichte die Sonnenwärme eindringt, eine mäßige Luftbewegung zu schaffen haben. Hierzu eignet sich besonders die Dampfluftheizung, welcher im Winter die Erwärmung, im Sommer die Luftbewegung in einer Arbeitshalle zufällt (vgl. Heizung). Beachtenswert ist, daß dadurch im Sommer die Arbeitsleistung der Arbeiter erhöht wird.
Das nebenstehende Diagramm ist dem Handbuch für Hygiene (Bd. 4, II. Aufl.) entnommen. Dasselbe zeigt den Zusammenhang zwischen Lufttemperatur und Feuchtigkeit und die Grenzen, bis zu welchem Durchschnittspersonen den Lustzustand erträglich empfinden. Es müßte z.B. bei einem Feuchtigkeitsgehalte von 40% relativer Feuchtigkeit und 20° Raumtemperatur in einem Arbeitsraume, in dem körperliche Arbeit geleistet wird, schon eine Luftbewegung hervorgerufen werden, während ruhende Menschen (im Konzertsaal, Theater) den Lustzustand noch als angenehm auch in ruhender Luft empfinden würden. Die Grenze wird hier erst bei 50% relativer Feuchtigkeit überschritten.
Die stündliche Wärmeabgabe eines Menschen richtet sich nach dem Alter, seiner Betätigung und der Temperatur der Umgebung und beträgt bei 20° C für einen Säugling ungefähr 16 WE. für einen Erwachsenen in Ruhe 96, bei mittlerer Arbeit 118, bei schwerer Arbeit 140 WE. Die stündliche Abgabe an Feuchtigkeit hängt ebenfalls von der Raumtemperatur ab und beträgt beim Erwachsenen bei 20° etwa 50 bis 60 g in Form von Wasserdampf. Hiernach ist dann der Luftwechsel eines Raumes unter Einhaltung einer nicht zu überschreitenden Temperatur und eines höchsten Feuchtigkeitsgehaltes zu berechnen. Dabei sei bemerkt, daß z. B in Theatern bei ungenügender Lüftung die Temperatur sehr rasch ansteigt; es ist demnach, da eine Luftbewegung wegen der Empfindlichkeit der Zuschauer nicht durchführbar ist, kühlere Luft als im Räume sich befindet, einzuführen. Bei der Luftzuführung durch die Decke, oder allgemein gesagt, Lüftung von oben, haben sich Zugerscheinungen gezeigt, dagegen konnte um mehrere Grade kältere Luft von unten, durch Oeffnungen unter den Sitzplätzen ohne Störung eingeführt werden.
Die Luftmenge zur Beseitigung der von den Insassen abgegebenen Wärme W wird aus folgender Gleichung berechnet: L = W(1 + α ti)/0,306(ti ta) in cbm/Stde., worin W die abgegebene Wärme menge in WE./Stde., α = 0,00367, ti die Raumtemperatur, ta die Außentemperatur, L die Luftmenge von der Temperatur ti bedeuten. Die Luftmenge, welche zur Einhaltung eines nicht zu überschreitenden Feuchtigkeitsgehaltes in einen Raum eingeführt werden muß, ist
L = F/(f2 f1) in cbm/Stde.,
worin F die gesamte stündliche Wasserdampfabgabe der Insassen in kg, f2 den nicht zu überschreitenden absoluten Wassergehalt der Raumluft, f1 den absoluten Wassergehalt der eingeführten Außenluft bedeuten [2].
Literatur: [1] Zeitschr. für Hygiene und Infektion 1905, 45 u. 49. [2] Hüttig, Heizungs- und Lüftungsanlagen in Fabriken, Abschn. XIII u. XV, Leipzig 1915.
Hüttig.
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