[729] Objektive, photographische, gehören in die Klasse der optischen Projektionssysteme, welche im allgemeinen dazu dienen, reelle Bilder zu entwerfen.
Die einfachste Form ist eine Sammellinse, sei es eine bikonvexe oder plankonvexe oder konkav-konvexe Linse. Eine solche Linse, welche man auch Monokel nennt, ist wohl mit vielen Linsenfehlern behaftet, jedoch kann man mit ihr Porträts und Landschaftsaufnahmen immerhin herstellen und eine gewisse, derartigen Bildern mehr oder minder anhaftende Unschärfe erscheint für manche Zwecke der künstlerischen Photographie mitunter erwünscht. Bei derartigen Monokeln macht sich insbesondere die sogenannte »Fokusdifferenz« bemerklich, indem sich die optisch-hellen orangeroten, gelben und grünen Strahlen in etwas größerer Fokaldistanz vereinigen als die stärker brechbaren blauen und violetten Strahlen, welche bei der gewöhnlichen photographischen Bilderzeugung eine ausschlaggebende Rolle spielen. Diese Fokusdifferenz beträgt bei Einstellung auf Unendlich, z.B. bei einfachem Flintglas, ungefähr ein Fünfzigstel des Fokus, ist jedoch mit dem Bildabstande variabel. Es wurden auch Doppelobjektive konstruiert, bei denen die Fokusdifferenz nicht behoben ist, z.B. das Steinheilsche Periskop (1865), welches frei von Verzeichnung ist, das analoge Rodenstocksche Bistigmat und in neuester Zeit das Hypergon-Doppelanastigmat von Goerz.
Die Fokusdifferenz (chromatische Aberration, Farbenabweichung) wird durch Anwendung von Glassorten mit verschiedenen Farbenzerstreuungs- und Brechungsvermögen, z.B. durch die Benutzung von Crown- und Flintgläsern, korrigiert. Für gewöhnlich erfolgt die Korrektur für den gelben Strahl der Fraunhoferschen Linie d (λ = 589) und der Linie G' im Blau (λ = 434). Für Dreifarbendruck genügt die gewöhnliche Achromasie photographischer Objektive nicht, weil drei Negative hinter Orange-, Grün- und Blauviolettfilter herzustellen sind. Man korrigiert solche Objektive für Orangerot bis Blau (Reproduktionsapochromate). Die einfachste Form der achromatischen Objektive ist die sogenannte Landschaftslinse, welche aus einer bikonvexen Crown- und bi- oder plankonkaven Flintglaslinse verkittet ist. Sie haben einen mäßigen Gesichtsfeldwinkel von ca. 50°, die Helligkeit ist nicht bedeutend, ungefähr f/15 d.i. der 15. Teil der Brennweite. Am Bildrande tritt eine Verzerrung der geraden Linien ein (Bildfeldkrümmung, Distorsion).
Die einfachen Linsen haben die Eigenschaft, daß die Randstrahlen eine andre Brennweite als die Zentralstrahlen haben (Kugelgestaltsfehler oder sphärische Aberration). Ein [729] System, bei welchem für die achsenparallelen Strahlen die Farben- und die Kugelabweichung gleichzeitig möglichst gehoben sind, nennt man ein achsenaplanatisches Objektiv.
Von Wichtigkeit sind die Aberrationen schiefer Strahlenbüschel, von welchen wir insbesondere den sogenannten Astigmatismus, das Coma, die Bildfeldwölbung nennen. Sie sind die größten Feinde der ausgedehnten Schärfe der Bilder photographischer Linsen.
Die Wahl guter Konstruktionen wird noch weiter beschränkt durch die notwendige Rücksichtnahme auf den Gang der an den polierten Flächen reflektierten Strahlen, welche u.a. falsches Licht (Reflexbilder) im photographischen Bilde geben können.
Bei der Wahl guter photographischer Objektive soll auf möglichste Beseitigung der oben kurz erwähnten wichtigsten Linsenfehler geachtet werden, ferner kommt die Helligkeit oder Lichtstärke eines Objektives in Betracht, für welche die relative Oeffnung des Objektives bezw. der größte Blendendurchmesser des Objektives maßgebend ist.
Unter relativer Oeffnung versteht man das Verhältnis des Durchmessers D zur äquivalenten Brennweite F (D : F). Die Helligkeiten zweier Objektive vom Durchmesser D und d und dazugehörigen Brennweiten F und f verhalten sich wie (D/F)2 : (d/f)2. Ferner kommt der Gesichtsfeldwinkel in Betracht. Man findet ihn, wenn man den Durchmesser des scharfen Bildfeldes aufträgt, auf der Mitte eine senkrechte Linie von der Länge der Brennweite zieht und nun die Endpunkte der Linie verbindet. Der Winkel dieser Verbindungslinien ist der Gesichtsfeld- oder Bildwinkel.
Das älteste, sehr lichtstarke Objektiv ist das Petzvalsche Porträtobjektiv (1840), welches mit der großen Oeffnung d = f/4 sehr helle Bilder und im Mittelfelde scharfe Bilder gibt und noch heute in Porträtateliers und mitunter in der Astrophotographie verwendet wird. Das Bildfeld ist aber klein, die Randschärfe ungenügend, und überdies treten am Bildrande Verzeichnungen auf. Neuere, besser korrigierte Linsen von großer Lichtstärke für Porträt-, Gruppen- und Momentaufnahmen sind: das Voigtländersche Heliar, relative Oeffnung 1 : 4,5, nach Berechnungen von Harting hergestellt; es ist ein unsymmetrisches Objektiv, die Vorder- und Hinterlinse sind aus je zwei Linsen verkittet, dazwischen steht eine einfache Linse. Bildwinkel 48°. Ferner das Zeißsche Tessar, es wird mit der Oeffnung f/3,5 bis f/4,5 hergestellt. Zu den sehr lichtstarken Objektiven gehört auch der Goerzsche Celor, Steinheils Unofocal u.a.
Sehr häufig benötigt man für Durchschnittszwecke der Photographie Objektive, bei welchen weniger auf hohe Lichtstärke als auf Ausdehnung der Schärfe gegen den Rand zu und Ebnung des Gesichtsfeldwinkels Bedacht genommen ist.
Der Aplanat, von Steinheil berechnet, hat große Verbreitung gefunden und wird unter den verschiedensten Bezeichnungen in verschiedenen Varianten erzeugt (Euryskop, Paraplanat, Rektilinear, Lynkeioskop u.s.w.); er ist symmetrisch, ist frei von Verzeichnung, besitzt gewöhnlich die Oeffnung d = f/6 bis f/8 mit dem Gesichtsfeldwinkel von 6080°; Weitwinkelaplanate mit einem Bildwinkel über 100° sind entsprechend lichtärmer. Gute Korrektur besitzt der unsymmetrische Rudolphsche Protar (ein verkittetes Linsenpaar vorne und rückwärts unter Benutzung stark brechender Baryum-Silikatgläser), welche in verschiedenen Serien (u.a. als sehr gute Weitwinkellinsen) erzeugt werden. Dreilinsige verkittete, symmetrische Objektive von universeller Verwendbarkeit sind die Doppelanastigmate (Goerz), Orthostigmate (Steinheil), Kollineare (Voigtländer), Neukombinar (Reichert); sie sind astigmatisch gut korrigiert, besitzen die Oeffnung von durchschnittlich f/6,8 bis f/10 und sind in ihren verschiedenen Serien vorzüglich für Moment-, Gruppenaufnahmen, Landschaften, Architekturen und Reproduktionen verwendbar. Ein geeignetes Spezialobjektiv dieses Typs ist das Reproduktionsorthostigmat von Steinheil, das Alethar von Goerz u.s.w. Die Einzelhälften, deren Brennweiten ungefähr das Doppelte der des Doppelobjektives besitzen, lassen sich als Einzellinsen verwenden und eignen sich gut zur Zusammenstellung von Sätzen, bei welchen die Hälften verschiedener Größen zu anastigmatischen Doppelobjektiven verschiedener Brennweite zusammengesetzt werden. Vierlinsige anastigmatische Objektive sind der Doppelprotar von Zeiß, Suters Doppelanastigmat, Goerz' Pantar, Rietzschels Linear, das Goerzsche Spezialobjektiv Alethar für Reproduktionen.
Eine andre Art von Doppelanastigmaten besteht aus vier einzelnstehenden symmetrisch angeordneten Linsen, z.B. das Omnar der Rathenower Optischen Industrieanstalt, Steinheils Unofocal, Goerz' Syntor u.s.w.
Unsymmetrische Anastigmate mit bemerkenswert scharfer Zeichnung über ein großes Bildfeld sind: Tessar von Zeiß (mit zwei einzelnstehenden und zwei verkitteten Linsen), welches sowohl für Handkameras, in andern Serien einerseits für Porträt- und Gruppenaufnahmen, anderseits für Reproduktionszwecke bestimmt ist, der Tripleanastigmat und das Dynar von Voigtländer, der vierlinsige Aristostigmat von Hugo Meyer, das Heligonal von Rodenstock u.a.
Objektive von normaler Brennweite nennt man gewohnheitsmäßig solche, deren Fokus mindestens der Länge der größten Plattenseite oder höchstens der Diagonale der entsprechenden Platte gleichkommen. Objektive mit kurzem Fokus und größerem Bildwinkel (Weitwinkel) wendet man z.B. an bei Architekturen, Interieuraufnahmen u.s.w., der Gesichtsfeldwinkel soll mindestens 90° betragen. Sie geben eine ungewohnte Perspektive.
Teleobjektive oder Fernobjektive dienen zu Aufnahmen sehr weit entfernter Gegenstände; sie stellen eine Art photographisches Fernrohr dar, bei welchen ein gewöhnliches photographisches Objektiv mit einer besonders konstruierten Zerstreuungslinse (Telenegativ) kombiniert ist. Durch die Aenderung des gegenseitigen Abstandes der beiden Linsen wird die Gesamtbrennweite und damit natürlich auch die Vergrößerung variiert. Der Kameraauszug bei den Teleobjektiven ist beträchtlich geringer als derjenige von gewöhnlichen Objektiven gleicher Brennweite. Solche Teleobjektive erzeugen Steinheil, Zeiß, Voigtländer, die Rathenower Optische Industrieanstalt u.s.w. Man verwendet die Teleobjektive für Aufnahmen im Hochgebirge, Architekturaufnahmen und mitunter auch für Handkameras.[730]
Alle Objektive sind mit Blenden versehen, an welchen meistens die Verhältniszahl: Durchmesser zu Fokus (d : f) ersichtlich ist; in der Regel sind die Blenden derartig abgestuft, daß sie einer einfach aufeinander folgenden Proposition der Belichtungszahlen entsprechen. Die Blende bewirkt Erhöhung und beste Verteilung der Bildschärfe sowohl am Bildrande als in der Bildtiefe.
Literatur: Rohr, Theorie und Geschichte des photograph. Objektives, Berlin 1899; Holm, Das Objektiv, ebend.; Miethe, Photogr. Optik, ebend. 1893; Eder, Handb. d. Photogr., Bd. 1, 2. Teil, Halle a. S.; Drude, Lehrbuch der Optik, Leipzig 1900; Gleichen, Vorlesungen über photograph. Optik, Leipzig 1905; Urban, Photograph. Objektivkunde, Leipzig 1906.
J.M. Eder.
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