Schiffsvermessung [2]

[563] Schiffsvermessung. – Die Schiffsvermessung, welche für die Handelsschiffe die Grundlage für die Entrichtung von Hafen- und Kanalabgaben sowie von Lotsengebühren bildet, ist zwar schon seit Jahrzehnten durch besondere Vermessungsvorschriften geregelt und unter Anschließung an die englischen Bestimmungen in fast allen Kulturstaaten zu einer gewissen Uebereinstimmung gebracht, trotzdem weist sie Mängel und Ungerechtigkeiten für einzelne Schiffstypen auf, so daß der Streit über die zweckmäßigsten Grundlagen für die Bewertung der verschiedenen Schiffstypen und Schiffsgrößen bei der Heranziehung der Abgaben nicht zur Ruhe kommt. Die Vorschläge, die Abgaben nach dem jeweiligen Wert von Schiff und Ladung oder nach der Ladefähigkeit bezw. der Wasserverdrängung des Schiffes zu regeln, führten nicht zum Ziel, da diese Größen, wie z.B. Eigentumswert und Ladefähigkeit, ständigen Schwankungen unterworfen sind oder wie das Deplacement bei verschiedenen Schiffstypen, wie Passagier- und Frachtdampfer, mit verschieden großen Maschinenanlagen nicht als gerechte Balls für die Bemessung der Abgaben dienen kann. Als Ausweg aus diesem Dilemma hat man daher an der reinen Raumvermessung festgehalten. Der Innenraum des Schiffes unter Deck und der der verschließbaren Räume in den Aufbauten bildet dann zusammen den Bruttoraumgehalt. Für die Festsetzung des Nettoraumgehalts, der für die Bemessung der Abgaben maßgebend ist, werden dann alle diejenigen Räume ausgesondert und abgezogen, die keinen Betriebsgewinn bringen, in denen also keine Ladung gefahren wird; das sind Maschinen- und Kesselräume, Bunker, Wasserballasträume, Räume zur Unterbringung der Besatzung, des Proviants, der Segel sowie für navigatorische Zwecke. Obwohl diese beiden Zahlen nicht für alle Fälle ein klares Bild über Größe und Nutzwert des Schiffes geben, so könnte man sich schließlich mit diesen Berechnungen abfinden, wenn die Abzüge vom Bruttoraumgehalt grundsätzlich nach den Ergebnissen der Aufmaße der genannten Räume erfolgen würden. Tatsächlich geschtekt aber der Abzug der Maschinen-, Kessel- und Bunkerräume nach einer 1854 aufgestellten Prozentregel. Beträgt der gesamte Maschinenrauminhalt bei Schraubendampfern weniger als 13 oder mehr als 20%, bei Raddampfern weniger als 20 oder mehr als 30%, so ist der Abzug bei Schraubendampfern das 1,75fache, bei Raddampfern das 1,5fache des wirklich gemessenen Raumes, wobei der Zuschlag von 0,75 bezw. 0,5 als Kohlenbunkerinhalt angenommen wird. Liegt dagegen der Maschinenrauminhalt innerhalb jener Grenzen, so werden insgesamt bei Schraubendampfern 32%, bei Raddampfern 37% des Bruttoraumgehaltes für Maschinenräume und Kohlenbunker abgezogen. Da mit einem solchen prozentualen Abzüge auf den Bunkerbedarf des Schiffes keine Rücksicht genommen wird, ebensowenig auf die bedeutende Raumersparnis z.B. bei Verwendung von Dieselmaschinen für den Schiffsantrieb, so gestaltet sich der Nettoraumgehalt der Schiffe um so ungünstiger, je langsamer sie fahren, er steht daher im umgekehrten Verhältnis mit dem Wert an Anlage und Betrieb. Neben diesen Ungerechtigkeiten haben sich im Laufe der Zeit in den Vermessungsordnungen Prinzipienlosigkeiten eingeschlichen, insofern auch Räume in Abzug gebracht werden können, die tatsächlich zur Verfrachtung von Ladung benutzt werden können unter der eigenartigen Klausel, daß diese Ladung auch durch sogenannte Tonnageöffnungen oder Tonnagewasserpforten und durch eine genügende Zahl von Tonnagespeigatten Seeschäden erleiden kann. Während anfänglich diese abzugsfähigen Räume sich auf solche in Aufbauten auf dem Oberdeck beschränkten, dann aber auch auf die Räume unter dem Schutzdeck übergingen, falls auf diesem Deck eine besondere, nicht verschalkbare Vermessungsluke vorgesehen war, ist neuerdings letztere Vergünstigung auch den Volldeckern zuteil geworden, so daß die gesamten Zwischendecksräume unter dem Oberdeck abzugsfähig sind, sobald auf dem Oberdeck eine Vermessungsluke vorgesehen ist und die Querschotte im Zwischendeck auf jeder Seite eine Durchgangsöffnung als Tonnageöffnung, d.h. keine wasserdicht verschließbare Oeffnung erhalten. Von einer gerechten, alle Schiffstypen möglichst in gleichem Maße treffenden Bewertung der Schiffsvermessung kann daher noch immer nicht die Rede sein, im Gegenteil reizen die Lücken und Mängel der Vermessungsordnung geradezu den Konstrukteur von Handelsschiffen, selbst die Sicherheitsfaktoren eines Schiffes der steigenden Rentabilität derselben unterzuordnen. Klar und bündig sind hiergegen die jüngsten Vorschläge für Verbesserung der Schiffsvermessungen von Judaschke bei Gelegenheit des Wiederaufbaus der Handelsflotten. Hiernach soll der Raumgehalt grundsätzlich nur nach der Aufmessung der Schiffsräume auf Innenkantewegerung und Oberkantedecksbalken nach der Zeichnung erfolgen, wobei eine Gliederung der Schiffsräume in drei Gruppen erfolgt. Gruppe I umfaßt alle Räume für nützliche Ladung und für Passagiere;[563] ihr Raumgehalt betrage x cbm, Gruppe II enthält die Räume für die Antriebsmittel zur Fortbewegung, d.h. für Antriebsmaschine, Kessel, Bunker sowie die Segellast, Rauminhalt gleich y cbm. Gruppe III gibt die Räume für die Schiffsführung und den Schiffsbetrieb sowie für Ballast an, ihr Raumgehalt beträgt z cbm. Alsdann ist der Bruttoraumgehalt = (x + y + z)/2,83 cbm und der Nettoraumgehalt = x + 3/4 y + 1/2 z/2,83 cbm.


Literatur: [1] Krieger-Johow, Hilfsbuch für den Schiffbau, Berlin 1912. – [2] Steinhaus, Die Schiffsvermessungen, Hamburg 1899. – [3] Reichsamt des Innern, Vermessungen der Seeschiffe, Berlin 1895. – [4] Isakson, Die Schiffsvermessungsgesetze der verschiedenen Staaten, Jahrbuch der Schiffbautechn. Ges., Berlin 1901. – [5] Herner, Die Neugestaltung der Hafenabgaben und die Schiffsvermessung, ebend. 1913. – [6] Ders., Hafenabgaben und Schiffsvermessung, Jena 1912. – [7] Ders., Schiffsvermessung und ihre wirtschaftliche Bedeutung, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1910, S. 237. – [8] Judaschke, Der Aufbau der Handelsflotte und die Schiffsvermessungsfrage, Schiffbau, Jahrg. XIX, S. 301. – [9] Albrecht, Der Maschinenraumabzug in der britischen Schiffsvermessung, Jahrb. d. Schiffbautechn. Ges., Berlin 1920.

T. Schwarz.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 563-564.
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