Fünfzehnte Geschichte

[11] geschah noch an einem Goj (Heiden), der ging hinter dem Bethhamidrasch (Lehrhaus) un hört wie die Kinder lernen den Posuk (Schriftstelle): »Das sin die Kleider, die der Kohen godel (Hohepriester) soll antun, wenn er im Bethhamikdosch (Tempel) dient vor Gott: ›Ein Paar Spangen un ein Gurt un sonst[11] mehr was dazu gehört, das ein Hohepriester bedarf.‹« Da ging der Goj in das Bethhamidrasch un fragt den Rabbi: »Sag mir, wer soll die Kleider anhaben, die du hast gelernt mit den Jungens.« Da sprach der Rabbi wider: »Das meint den großen Priester, der unter Jisroel is, wenn er vor Gott dem Allmächtigen dient in unserem Tempel.« Da gedacht sich der Goj: »Ich will auch ein Jud werden, derwartend, daß ich auch im Tempel dienen soll, un sollt auch so köstliche Kleider antun, wie der Priester unter den Juden.« Un er ging zum Schamai un sagt wider ihn: »Bekehre mich, auf daß ich auch ein Kohen godel soll werden, un soll auch antun die köstlichen Kleider als 'wie der Kohen godel.« Da stieß ihn Schamai hinweg, mit dem Maßstab, den er in seiner Hand hat. Da ging der Goj von Schamai hinweg und ging zu Hillel un sagt auch zu Hillel, wie er zu Schamai geredet hat. Da hat Hillel ihn auf die Rede bekehrt un sprach: »Mein Sohn, du hast ja nit gesehen, daß man einen zu einem König macht, oder er muß zuvor wissen, wie er sich in der Königschaft verhalten soll, so auch du, willst ein Kohen godel werden. Wie kann ich dich zu einem Kohen godel machen? Denn du mußt zuvor wissen, wie du dich in der Priesterschaft sollst halten. Geh hin un lern es, wie sich ein Kohen halten soll. Danach komm wieder zu mir, da will ich dich zum Kohen godel machen.« Da ging er hin un lernt das Recht vom Hohenpriester. Un wie er nun an den Posuk kam: »Un der Fremde, der da genähert dem Bethhamikdosch soll getötet werden«, da sprach er wieder zu seinem Rabbi: »Auf wen redet der Posuk?« Da sprach sein Rabbi: »Der Posuk redet un meint auf alle, die nit Kohanim (Priester) sind geboren vom Geschlecht Ahron, dem Kohen (Priester). Wenn sie sich nähern dem Bethhamikdosch, er soll werden getötet. Un wenn es schon wär gewesen Dowid hamelech (der König) er ruhe in Frieden, hätt' man ihn getötet, wenn er wär in Bethhamikdosch genähert.« Wie der Ger (Fremde, Bekehrte) das hört, da gedacht er sich: »Jisroel ist ein heilig Volk geheißen, un Gott heißt sie Jisroel meine ersten Kinder'. Noch danach meint der Posuk Jisroel auch damit. Mikolscheken (um wieviel mehr) ein schlechter Goj, der daher kommt mit seinem Watsack un mit seinem Bettelstab, mikolscheken, daß der selbige nit kann ein Kohen werden.« Un ging wieder zu Schamai un sagt wieder zu ihm: »Warum hast du mir den Posuk nit vorgesagt, daß ich kein Kohen kann werden? Da hätt ich wol selbert gewußt, daß ich es nit begehrt sollt haben.« Danach ging der Ger (Fremde, Bekehrte) wieder zu Hillel un sprach: »Du demütiger Hillel, die Broches (Segen) von Gott, die sollen ruhen auf deinem Haupt, daß du mich bekehrt hast un hast mich machen genehm unter die Flügel der Schechinah (göttliche Herrlichkeit).« Nit lang darnach kommen die drei Gerim (bekehrte Heiden) zueinander un sagten: »Der Zorn von Schamai hat uns wollen machen verlieren[12] Aulom habo (Jenseits) un die Demütigkeit von Hillel hat uns machen gewinnen Jene Welt.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 11-13.
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