Sechzehnte Geschichte

[13] geschah: Eis saß Rabbi Jehude un Rabbi Jojsse un Rabbi Schimen, ben Jochai beieinander un saß einer bei ihnen, hieß Jehude ben Gerim. Da hub der Rabbi Jehude an un sagt: »Wie gar hübsch sind die Werk von die Gojim (Heiden). Sie machen viel Märkte, daß man drauf feil kann haben; sie machen Brücken über das Wasser, daß man darüber kann gehn; sie machen Badhäuser, daß man sich drinnen kann baden un waschen.« Rabbi Jojsse, der schwieg still. Da antwortet Rabbi Schimen ben Jochai drauf un sagt: »Alles was die Gojim machen, das machen sie als zu ihrem Nutzen un zu ihrem Leib. Sie machen Märkte un Gassen, daß sie die Huren können darin setzen; sie machen Brücken über das Wasser, daß sie möchten Zoll darvon aufheben; sie machen Badstuben, daß sie ihren Leib mit können sänftigen.« Der Jehude ben Gerim, der ging heim un sagt die Schmues (das Gehörte) an seinen Vater un an seine Mutter, daß die Reden so gar weit kommen, daß sie vor den König kommen. Da sprach der König: »Ich hör wol, Jehude hat unser Werk gelobt, der soll auch werden gelobt un soll werden derhöht. Rabbi Jojssi, der hat still darzu geschwiegen, der soll werden vertrieben. Rabbi Schimen ben Jochai, der unser Werk verachtet hat, der soll werden getötet.« Wie das Rabbi Schimen ben Jochai gewahr ward, da nahm er seinen Sohn mit un verbarg sich in dem Bethhamidrasch (Lehrhaus) un alle Tag kam Rabbi Schimen sein Weib un bracht ihm im Sod (Geheimen) zu essen Brod, un Wasser zu trinken. Wie sie hören, daß man hart nach ihnen frägt un hätt sie gern gehabt, da sagt Rabbi Schimen zu seinem Sohn: »Die Weiber haben eine geringe Deoh (Verstand), das meint sie haben geringen Sinn, daß sie sind leichtlich zu überreden. Vielleicht, möcht man ihnen einen großen Wehtag antun, bis sie mußten sagen, wo wir sind verborgen.« Un gingen hin mit einander un verbargen sich auf dem Feld in ein Höhl, daß kein Mensch hat können wissen, wo sie sind hinkommen. Da geschah ihnen ein Neß (Wunder), daß ihnen der Heilige, gesegnet sei er, in der Höhl einen Buchshornbaum läßt wachsen. Un beschert ihnen auch einen Quellbrunnen in der Höhl, daß sie zu essen un zu trinken hatten. Da täten sie alle Tag ihre Kleider aus un setzten sich nackt bis an den Hals in den Sand un lernten einen ganzen Tag Thauroh. Un wenn es Zeit war, daß man oren (beten) sollt, da täten sie sich wieder an un orten. Un wenn sie gegessen hatten, da täten sie sich wieder aus, un setzten sich wieder in den Sand bis an den Hals un lernten wieder Thauroh, derwartend, daß ihnen nit sollten verfaulen die[13] Kleider. Un blieben also zwölf Jahr in der Höhlen sitzen. Wie nun die zwölf Jahr aus waren, da kam Elijohu hanowi (der Prophet Elijohu) un stellt sich auf die Tür von der Höhl un ruft in die Höhl: »Rabbi Schimen, Sohn Jochai un sein Sohn, seid wissend, daß der König is gestorben un die Gesere (Unglück) is botel (abgewendet) worden.« Wie sie das hörten, gingen sie heraus von der Höhlen un sahen wie die Leut ackern un säen. Da sagt Rabbi Schimen zu seinem Sohn: »Sieh, die Leut, die verlassen die ewige Welt un verlieren Aulom habo (das Jenseits) un gehen mit der vergänglichen Welt um.« Un wo sie einen Menschen ansahen, da verbrennt er gleich, der selbige Mensch. Da ging ein Baskol (Stimme vom Himmel) un sagt zu ihnen: »Seid ihr desthalb aus der Höhl gegangen, daß ihr die Leut wollt verbrennen, um meine Welt wüst zu machen? So möcht ihr wol in euerer Höhl geblieben sein.« Wie sie nun das hörten, da gingen sie wieder in ihr Höhl un blieben noch zwölf Chadoschim (Monate) drinnen un sagten: »Das Gericht von den Reschoim (Sündern) is zwölf Chadoschim in Gehinnem (Hölle). Dargegen wollen wir zwölf Monate in der Höhl wieder sein.« Wie nun die zwölf Monate aus waren, da kam wieder ein Stimm vom Himmel un sagt: »Geht wieder heraus aus der Höhl.« Da sie nun das hörten, da gingen sie wieder heraus. Un wo der Rabbi Elieser die Leut schädigt, da.heilt sie sein Vater Rabbi Schimen wieder. Da sprach der Rabbi Schimen wider seinen Sohn: »Wenn schon niemand mehr wär in der Welt, der die Thauroh lernt als wir zwei allein, da wär es doch genug.« Un es war eben Erew Schabbes (Freitag). Wie sie aus der Höhl kommen, da sahen sie einen alten Mann, der ging un trug zwei Gebund Hadassim (Myrthen) in seiner Hand. Das is ein Kraut, das wolriecht, ein Geschmack aus dem Gan Eden (Paradies). Da fragt Rabbi Schimen den alten Mann, was er mit den Hadassim tun wollt. Da sprach der alte Mann wider: »Ich will sie haben lekowed Schabbes (dem Sabbat zu Ehren) dieweil sie wol schmecken.« Da sagt er wider ihm: »Du hast auch wol mit einem genug, was sollen dir zwei Gebund?« Da sagt der alte Mann wider: »Ich muß sie alle beide haben, eins zum Hüten des Schabbes un das andere zum Gedenken des Schabbes.« Da sagt Rabbi Schimen wider seinen Sohn: »Sieh, mein lieber Sohn, wie gar lieb haben Jisroel die Mizwes (Gebote) von dem Heiligen, gelobt sei er.« Da war der Sohn zufrieden in seiner Deoh. Da hört es Rabbi Pinches ben Joir, der war Rabbi Schimen ben Jochai sein Eidam, wie sein Schwäher heim kommt un war in dreizehn Jahr nit daheim gewesen, un jeder meint, sie wären chaß wescholaum (bewahre), verloren gewesen. Da ging er ihm entgegen. Da sah er wie seines Schwähers Haupt voll Schrunden war, von wegen daß er so war im Sand gesessen. Da gingen sie mit einander in das Bad. Da er ihn nackt sah, da hub Rabbi Pinches an zu weinen un seine[14] Augen, die gaben Wasser un sprach: »Weh zu mir, daß ich dich soll so sehr.« Da sprach Rabbi Schimen wieder zu ihm: »Wol zu dir, daß du mich so siehst. Denn wenn du mich nit sollst so sehn, so solltest du nit an mir finden, was du jetzunder an mir findest.« Das meint, wenn er nit wär in der Höhl gesessen, so hätt' er nit so viel Thauroh gelernt. Denn eh' er war hinweg gezogen, un Rabbi Schimen hat ein Kasche (Frage) gefrägt, so hätt ihm Rabbi Pinches zwölf Teruzim (Auslegungen) darauf gegeben. Aber jetzunder war es gleich umgekehrt so, wenn Rabbi Pinches frägt eine Kasche, gab Rabbi Schimen zwölf Auslegungen darauf. Das hat er als gelernt, dieweil er in der Höhl war gewesen. Auch findet man den Rabbi Schimen ben Jochai in der Gemore, was er für ein Brije (Geschöpf) is gewesen un er hat das mächtig Sefer (Buch) gemacht, das man heißt den Sohar.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 13-15.
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