[61] 18. Woher die Aimara-Fische so schöne, große Augen haben

[61] Eines Nachmittags kehrte ein Jäger aus dem Walde heim. Da sah er einen Waldgeist, der einen Korb flocht. Er erkannte ihn nicht eigentlich als Waldgeist, aber er sah, daß die unheimliche Erscheinung am ganzen Leib, im Gesicht und an den Gliedern mit dichten Haaren bedeckt war. Er fragte das Gespenst, was es da tue, aber er erhielt nur das Wort »bako« (»Augenhöhle«) zur Antwort. Auf jeden Fall erzählte er zu Hause seiner Familie und seinen Freunden, was er gesehen hatte und riet ihnen dringend, sich in der Nacht nicht schlafen zu legen, denn »Es«, was es auch immer sei, könnte ihnen bei Anbruch der Nacht einen unerwarteten Besuch abstatten. Alles, was er sagen konnte, war, daß »es« mit Haaren bedeckt war und an einem »Augenhöhlenkorb« flocht. Aber sie lachten ihn alle aus, legten sich wie gewöhnlich in ihre Hängematten, erzählten einander Geschichten und schliefen bald ein.

Der Mann, der sie gewarnt hatte, blieb allein wach. Da hörte er ein leises Pfeifen in der Entfernung. Er versuchte, seine Freunde zu wecken, indem er ihre Hängematten schüttelte, aber es war alles vergebens. Er hatte gerade noch Zeit, unter das Dach zu klettern, als »es«, was er jetzt als Waldgeist erkannte, ins Haus trat. Nun konnte der Jäger genau beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Er sah, wie sich das Gespenst heimlich jeder Hängematte näherte und den Schlafenden beide Augen herausnahm, ohne sie zu wecken. Die Augen legte es sorgfältig in den frischgeflochtenen Korb, und dann verließ es das Haus.

Am nächsten Morgen, als die Leute erwachten, merkten sie, daß sie nichts sehen konnten. Sie wußten nicht, was mit ihnen geschehen war, aber der sie vorher gewarnt hatte, erzählte ihnen alles. Sie sagten, daß sie nun nicht mehr auf[62] dem Lande leben könnten, und daß er sie an irgendein Wasser führen müsse. Daraufhin band er einen an den anderen, und als sie den Fluß erreicht hatten, band er den Letzten an einen Baum. Nun konnten sie den Weg nicht verlieren und wußten, wo sie waren. Er verließ sie danach, wie er meinte, in völliger Sicherheit und versprach, sie bald zu besuchen.


18. Woher die Aimara-Fische so schöne, große Augen haben

Nach einiger Zeit hielt er sein Wort, aber er fand sie alle in Fische verwandelt, bis auf denjenigen, den er an den Baum gebunden hatte. Der hatte nur mit dem halben Körper ins Wasser reichen können und war nur zur Hälfte in einen Fisch verwandelt. Da ging der Mann fort und versprach wiederzukommen.

Er blieb lange Zeit fort, so lange, daß der Waldgeist Mitleid bekam, den letzten Mann ganz in einen Fisch verwandelte und ihm seine zwei Augen wiedergab, die nun besonders groß und schön sind. Als ihr Freund zurückkam, schnitt er das Seil von dem Baum, und seitdem spielen der Aimara und die anderen Fische frei im Wasser umher. – Sie wurden gestraft für ihren Unglauben.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 61-63.
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