[6] 3. Die Sonne, der Frosch und die Feuerhölzer

[6] Es war einmal ein alter Mann namens Nahakoboni (d.h. einer, der viel ißt), der hatte niemals eine Tochter gehabt. Nun dachte er voll Unruhe an seine alten Tage, denn er hatte natürlich keinen Schwiegersohn, der für ihn gesorgt hätte, wie alle die anderen alten Leute um ihn her. Daher schnitzte er sich eine Tochter aus einem Pflaumenbaum. Er war ein Zauberarzt, und er schnitt und schnitzte so geschickt an dem Holz herum, daß wirklich eine liebliche Frau entstanden war, als er seine Arbeit beendigt hatte. Ihr Name war Usi-diu, und ihre körperlichen Reize waren fast, aber nicht ganz vollkommen. Sie war so anziehend, daß alle Tiere, Vögel und Vierfüßler, von weit her kamen, um ihr den Hof zu machen, aber dem Alten gefiel keiner von ihnen, und als sie die Tochter von ihm zur Frau erbaten, wies er sie kurz ab. Er hatte eine sehr geringe Meinung von den Fähigkeiten dieser zukünftigen Schwiegersöhne. Da hielt Yar, die Sonne, selbst in seiner Reise inne, um den alten Mann zu besuchen. Es war klar, zu welchem Zweck Yar kam, und es dauerte nicht lange, da hatte er den Beweis, daß seine Werbung gern gesehen würde.

Nahakoboni wollte Yar auf die Probe stellen, um zu sehen, was er konnte. Er befahl ihm, ihn zu füttern, und ließ ihn all das gedörrte Fleisch herbeibringen, das er auf seiner Reise mitgebracht und am Rande des Waldes niedergelegt hatte. Er aß sehr herzhaft, wie es zu erwarten war bei seinem Namen, und ließ nur ein Viertel des Fleisches für seinen Besucher. Danach ließ er sich zu trinken bringen, und Yar leerte einen großen Krug in seine Kehle.

Sein nächster Befehl war, Yar solle ihm Wasser zum Baden bringen, und dazu gab er ihm ein Sieb. Aber als der arme Bursche das Sieb in das Wasserloch tauchte und es wieder[7] herauszog, lief das Wasser natürlich heraus. Er versuchte es viele Male, aber immer lief es heraus. Da hörte er ein raschelndes Geräusch vom Walde her und sah einen Hebu (Waldgeist) kommen. Als dieser hörte, um was es sich handelte, bot er seine Hilfe an und machte, daß das Wasser im Sieb blieb. Yar brachte es nun seinem zukünftigen Schwiegervater und badete ihn.

Der Alte befahl ihm darauf, für ihn Fische zu schießen. Ein Boot würde er im Fluß finden, die Bank dazu unter den Wurzeln eines bestimmten Baumes und einen Pfeil im Schatten eines anderen Baumes. Wirklich fand er das Boot. Es lag unter Wasser und war sehr schwer, aber es gelang dem jungen Manne endlich, es heraufzuziehen und auszuschöpfen. Als er sich dem bezeichneten Baume näherte und zwischen den Wurzeln suchte, war er überrascht und erschreckt, dort einen Alligator zu finden. Er ergriff ihn im Nacken, und der Alligator verwandelte sich in eine Bank, die in das Boot paßte. Im Schatten des anderen Baumes sah er zu seinem Schrecken eine große Schlange. Er packte sie jedoch im Nacken, und sie verwandelte sich in einen Fischpfeil.

Der Alte gesellte sich nun zu ihm. Sie stiegen in das Boot und ruderten den Strom hinab. »Ich möchte Kwabaihi-Fische haben,« sagte der alte Mann, »aber du mußt nicht in das Wasser sehen. Schieße in die Luft!« Sein Gefährte tat, wie er sagte, und so geschickt war er mit dem Bogen, daß der Pfeil den Fisch durchbohrte und tötete. Der Fisch war so groß, daß das Boot beinahe sank, als sie ihn heraufzogen. Sie brachten es jedoch fertig, damit nach Hause zu kommen.

Der Alte war nun hinreichend überzeugt von Yars Tüchtigkeit und gab ihm seine Tochter Usi-diu zur Frau. Am nächsten Morgen ging das junge Paar zum Jagen in den Wald. Als sie spät am Nachmittag zurückkamen, hatten Vater und Tochter eine lange und ernste Unterredung, in deren Verlauf der Alte erfuhr, daß das Meisterstück, das er mit so viel[8] Geduld, Geschick und Verständnis ausgeführt hatte, nicht ganz vollkommen war. Ihr Gatte hatte an ihr zu tadeln. Am folgenden Tage wurde die Jagd wiederholt. Wieder fand am späten Nachmittag eine Unterredung statt, aus der klar hervorging, daß der gerügte Fehler noch immer bestand. Der verwirrte Vater konnte seiner Tochter nur versichern, daß er nichts weiter tun könne, um sie ihrem Gatten angenehm zu machen. Als der letztere dies hörte, fragte er einen Bunia-Vogel um Rat und brachte ihn am nächsten Tage mit nach Hause. Während die junge Frau ihn auf ihrem Schoß streichelte und fütterte, machte der böse Vogel einen schlimmen Angriff auf ihre Unschuld und flog davon. Als diese Gewalttat dem Vater bekannt wurde, beschloß er, seine Tochter noch einer Prüfung zu unterziehen, und es gelang ihm, eine Schlange aus ihr herauszuziehen. Die Schwierigkeit war nun behoben, und die junge Frau ging noch einmal zu ihrem Gatten. Am folgenden Nachmittag trafen sich Vater und Tochter wieder zu heimlicher Zwiesprache. Nun war sie glücklich! Ihr Gatte war zufrieden gewesen und hatte nichts mehr an ihr auszusetzen.

Obgleich der Alte absichtlich keinen bösen Willen zeigte, war er doch sehr ungehalten über seinen Schwiegersohn, nicht nur, weil dieser unzufrieden gewesen war mit dem Schnitzwerk, als es zuerst in seinen Besitz kam, sondern auch, weil er dem Buniavogel erlaubt hatte, daran herumzupfuschen. Er wartete seine Zeit ab und schob seine Rache auf, bis der junge Mann die üblichen Heiratsaufgaben vollendet hätte, das Schlagen einer Pflanzung und das Baum eines Hauses für ihn. Es dauerte nicht lange, da fing Yar an, die Pflanzung zu schlagen. Er arbeitete früh und spät daran und sagte endlich seiner Frau, sie solle ihrem Vater mitteilen, daß er das Feld besichtigen könne. Der Alte ging hin, um es anzusehen, und sagte nach seiner Rückkehr der Tochter, daß er es tadeln müsse. Darauf ging das junge Paar selbst zur Pflanzung und war sehr erstaunt, alle Bäume und Sträucher wieder üppig wachsen zu sehen. Sie ahnten nicht,[9] daß Nahakoboni am vorhergehenden Abend durch seine Zaubermittel dieses rasche Wachstum hervorgebracht hatte.

Yar mußte darauf ein anderes größeres Feld schlagen, und wieder ereignete sich dieselbe Sache. Der Alte drückte sein tiefstes Mißfallen aus. »Wie geht das zu?« sagte Yar zu seiner Frau. »Nun habe ich zweimal ein Feld geschlagen, und doch ist der Alte noch nicht zufrieden.« Sie riet ihm darauf, ein drittes Feld zu schlagen und diesmal alle Baumstümpfe mit den Wurzeln auszureißen. Nachdem er das dritte Feld geschlagen hatte, fing er an, die Baumstümpfe herauszuziehen. Er versuchte es bei vielen, aber es gelang ihm nicht einen herauszureißen. Erschöpft fiel er nieder. Da erschien sein alter Freund, der Waldgeist, und bot sich an, die Arbeit für ihn zu tun. Er wies ihn an, sogleich nach Hause zu gehen und seiner Frau zu sagen, daß das Feld nun gründlich gereinigt sei. Nahakoboni ging am nächsten Morgen hin und bepflanzte das Feld mit Kassawa, Bananen und all den anderen nützlichen Pflanzen. Er kehrte am Abend zurück, aber er sprach kein Wort. Das machte Yar mißtrauisch. Er stand am anderen Morgen früh auf und war sehr überrascht, an Stelle eines leeren Feldes eine reiche Ernte an reifer Kassawa zu finden, ebenso Bananen und all die anderen guten Sachen, nach denen sich sein Magen sehnte.

Aber noch immer nagte der Ärger am Herzen des alten Mannes, und als sein Schwiegersohn seine andere Aufgabe, den Hausbau, in Angriff nahm und vollendete, fand er auch daran zu tadeln, riß das Haus zusammen und sagte, er wolle es stärker gebaut haben. Daraufhin baute Yar das Haus aus dem härtesten Holz, das er finden konnte. Endlich war Nahakoboni zufrieden, bezog das Haus und lebte dort.

Yar, die Sonne, war nun frei und konnte sich um seine eigenen häuslichen Angelegenheiten kümmern, und da er mit seiner Frau zufrieden war, lebten sie sehr glücklich miteinander. Eines Tages sagte er ihr, daß er eine Reise nach[10] Westen unternehmen wolle. Da sie jetzt schwanger sei, würde sie wohl nicht imstande sein, mit ihm Schritt zu halten; daher möge sie langsam nachreisen. Er wolle zuerst aufbrechen, und sie solle seinen Spuren folgen. Sie solle immer die rechte Spur verfolgen; er wolle Federn streuen auf die linke, damit sie sich nicht irren könne. Daher hatte sie am nächsten Morgen, als sie ihre Reise begann, keine Schwierigkeit, den Weg zu finden. Sie vermied die Federn, bis sie an eine Stelle kam, wo der Wind sie fortgeweht hatte. Da begann ihre Not. Was sollte sie nun tun, da sie den Weg verloren hatte? Ihre Mutterschaft wurde ihre Rettung, denn ihr ungeborenes Kind begann zu sprechen und sagte ihr, welchen Weg sie verfolgen müsse. Als sie weiter und weiter wanderte, bat ihr Kind sie, die hübschen Blumen zu pflücken, die hier und da am Wegrande blühten. Sie hatte einige rote und gelbe gepflückt, als eine Wespe sie auf den Leib stach. Sie wollte die Wespe töten, verfehlte sie und schlug sich selbst. Das ungeborene Kind verstand die Sache falsch und dachte, es wäre geschlagen worden. Es wurde böse und weigerte sich, seiner Mutter noch länger den Weg anzugeben. Die Folge davon war, daß die arme Frau sich hoffnungslos verirrte.

Mehr tot als lebendig kam sie endlich an ein sehr großes Haus, in dem Nanyobo (ein großer Frosch) wohnte, eine sehr alte, dicke Frau. Sie sagten einander »Guten Tag«, und die Besucherin wurde gefragt, woher sie käme. Sie suche ihren Gatten, die Sonne, antwortete sie, aber sie habe den Weg verloren und sei nun sehr müde. Nanyobo hieß darauf die Frau willkommen. Sie gab ihr zu essen und zu trinken, hieß sie sich setzen, hockte sich vor ihr auf die Erde und bat ihren Gast, sie zu lausen. »Aber sieh dich vor,« sagte die alte Frau, »stecke die Läuse nicht in den Mund, sonst werden sie dich vergiften!« Die Frau aber, überwältigt von Müdigkeit und Angst, vergaß die Warnung, faßte eine Laus und steckte sie zwischen die Zähne. Kaum hatte sie das getan, als sie tot hinfiel.[11]

Die alte Nanyobo schlitzte ihr den Leib auf und zog nicht nur ein Kind, sondern zwei hervor, ein Paar wunderschöner Knaben, Makunaima und Pia. Nanyobo erwies sich als gute, treue Pflegemutter und versorgte sie wohl. Als die Kinder größer wurden, fingen sie an, Vögel zu schießen. Als sie noch größer wurden, gingen sie an den Fluß hinunter und schossen Fische und Wild. Jedesmal, wenn sie Fische schossen, sagte die Alte: »Ihr müßt eure Fische an der Sonne trocknen und niemals über einem Feuer!« Aber es war sonderbar, daß die Alte sie jedesmal ausschickte, um Feuerholz zu holen, und wenn sie damit zurückkamen, waren die Fische schon schön gekocht und hergerichtet für sie. In der Tat spie die Alte Feuer aus ihrem Mund, kochte ihr Essen und leckte das Feuer wieder auf, bevor die Knaben zurückkamen. Sie ließ sie niemals ein Feuer brennen sehen. Da sich dies Tag für Tag wiederholte, wurden die Knaben mißtrauisch. Sie konnten sich nicht denken, wie die Alte ihr Feuer anzündete, und beschlossen daher, es herauszufinden. Bei der nächsten Gelegenheit, als sie wieder ausgeschickt wurden, um Feuerholz zu holen, verwandelte sich einer von ihnen in sicherer Entfernung vom Hause in eine Eidechse, lief zurück und schlüpfte in das Dach hinauf, von wo er alles sehen konnte, was vor sich ging. Was sah er nun? Er sah nicht nur, wie die alte Frau Feuer erbrach, es benutzte und wieder aufleckte, er beobachtete auch, wie sie sich im Nacken kratzte, worauf dort etwas wie Balata-Milch herausfloß, wovon sie Stärkemehl bereitete. Befriedigt von dem, was er gesehen hatte, kam er herunter und lief zu seinem Bruder. Sie besprachen die Sache gründlich und sagten: »Was die alte Frau tut, ist nicht gut. Töten wir die Alte!« Dies taten sie. Sie rodeten ein großes Feld und ließen gerade in der Mitte einen schönen Baum stehen, an den sie die alte Frau banden. Dann umgaben die Knaben sie von allen Seiten mit Holzspänen und zündeten diese an. Als die alte Frau allmählich vom Feuer verzehrt wurde, ging das Feuer, das in ihr war, in die sie umgebenden Reiser[12] über. Diese Reiser waren zufällig Hima-heru-Holz, und noch heute können wir Feuer bekommen, wenn wir zwei dieser Hölzer aneinander reiben.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 6-13.
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