|
[47] Es war und es war nicht – etwas Gütigeres als Gott gibt es nicht – es war einmal ein Bauer. Er war schon alt und schwach geworden und hatte keine Kinder. Er und seine Frau beweinten oft ihre Kinderlosigkeit und beklagten sich vor Gott darüber, denn sie waren sich keiner Sünde vor Gott und den Menschen bewußt. Viel Leid und Kummer standen sie[47] deshalb aus. Schließlich aber beschlossen sie, sich auf die Suche nach einem Mittel gegen das Übel, das sie quälte, zu machen. Der Bauer zog sich ganz in Eisen an, setzte einen eisernen Hut auf, tat eiserne Schuhe an seine Füße, nahm einen eisernen Stock in die Hand und ging zu einem Wahrsager. Der wußte zwar kein Mittel gegen Kinderlosigkeit, aber er sagte ihm, hinter dem neunten Berge wohne ein Schwarzer Div, der sei sein guter Bekannter, und an den solle er sich um ein Mittel wenden. Der Bauer machte sieh also wieder auf den Weg. Viel ging er, wenig ging er, überstieg die neun Berge und kam ins Land des Schwarzen Div. Als dieser einen Menschen in seinem Lande sah, schrie er ihn drohend an: »Kein Vogel wagt es, in der Luft mein Gebiet zu überfliegen, keine Ameise im Staub hier zu kriechen; was bist du denn für ein Geschöpf, daß du es wagst, hierherzukommen?« »Ich bin ein armer Bauer und habe keine feindlichen Absichten, bloß ein Geschäft will ich mit dir abmachen; der Wahrsager Soundso hat mich zu dir geschickt, und deshalb bin ich gekommen.« So sagte der Bauer. »Wenn's so ist,« antwortete der Div, »dann mußt du ein Erkennungszeichen haben.« Das hatte er wirklich und zeigte es dem Div; es war nämlich ein Ring, und der Wahrsager hatte ihm gesagt, er brauche diesen nur dem Div vorzuzeigen und er werde sicher gut aufgenommen werden. So war es auch; der Div wurde gleich freundlicher, gab ihm zu essen und zu trinken; sagte ihm aber auch, daß er die erbetene Arznei nicht besitze, daß aber hinter dem neunten Berg ein Roter Div wohne, der kenne das Mittel gegen Kinderlosigkeit. »Ich geb' dir ein Erkennungszeichen mit«, fügte er hinzu. Wieder machte sich der Bauer auf den Weg. Lange ging er, überstieg wieder neun Berge und kam ins Gebiet des Roten Div. Der fing noch wilder zu wüten an, als er einen Menschen sah: »Was bist du für ein Wesen, du? Kein Vogel wagt die Luft über mir zu durchfliegen, keine Ameise auf meiner Erde dahinzukriechen. Und du kommst hierher!« »Mich hat der[48] Schwarze Div zu dir geschickt; ich habe keine bösen Absichten,« sagte der Bauer, »ich bin ein armer Mensch, habe keine Kinder und bin nicht ohne Erkennungszeichen zu dir gekommen. Du sollst mich ein Mittel lehren, damit ich Kinder bekomme.« Als der Rote Div das Zeichen des Schwarzen sah, wurde er freundlicher; aber auch er kannte das Mittel nicht und schickte den Bauern zum Weißen Div. Der wohnte wieder hinter dem neunten Berg. Der Bauer nahm also auch vom Roten Div ein Zeichen mit und machte sich auf den Weg. Er überstieg zum drittenmal neun Berge und kam ins Reich des Weißen Div. Der tat noch schlimmer als der Schwarze und der Rote Div und bedrohte ihn ganz fürchterlich. Aber als er des Roten Div Zeichen sah, wurde er freundlicher und sagte: »Ja, das Mittel kenn' ich und geb' dir's. Aber die Hälfte von allem, was du bekommst, muß mir gehören.« Der Bauer dachte nach und sagte zu sich selbst: »Ein halbes Gespann8 Ochsen ist besser als gar keiner; ein Kind besser als gar keins.« Und fügte laut hinzu: »Gut, ich bin einverstanden.« Der Div gab ihm zwei Äpfel und sagte: »Einen sollst du und deine Frau zusammen essen, den andern gib deiner Stute und deiner Hündin. Zwei Söhne wird deine Frau gebären; zwei Füllen deine Stute und zwei Welpe deine Hündin werfen. Und zu der und der Zeit kommst du und bringst mir einen Sohn, ein Füllen und einen Welp.« Der Bauer nahm die Äpfel mit Freuden an und machte sich auf den Heimweg.
Als er zu Hause angekommen war, zerschnitt er einen Apfel, gab die eine Hälfte seiner Frau und die andere aß er selbst. Dann zerschnitt er den zweiten und gab die eine Hälfte seiner Stute, die andere seiner Hündin. Als die Zeit herangekommen war, gebar seine Frau zwei goldhaarige Knaben. Die Stute warf zwei Füllen, solche mit goldenen Mähnen und feurigen Hufen. Die Hündin aber warf zwei Pantherjunge; auch die hatten goldene Mähnen[49] und feurige Zähne. Von den beiden Knaben nannten sie den einen Sasxwatho9, den andern Thawisi. Wenn andere mit den Jahren wachsen, so wuchsen die beiden mit den Tagen. Die Zeit verging, und alle wuchsen sie, die Knaben, die Füllen und die Pantherjungen. Allmählich kam der Tag heran, an dem der Div kommen sollte, um das Versprochene abzuholen. Da wurde dem Alten das Herz recht schwer; er weinte häufig und zog Trauerkleider an. Als Sasxwatho davon hörte, ging er zu seiner Mutter und sagte: »Mutter, schon lang ist's her, daß du mich nicht mehr an die Brust gelegt und ich nicht mehr gesogen habe; jetzt möchte ich's.« »Komm, Sohn,« sagte die Mutter, »wie sollt' ich's dir verweigern.« Sasxwatho faßte die Brust mit den Zähnen und sagte: »Jetzt sag' mir die Wahrheit, warum ist unser Vater immer so traurig und weint beständig? Wenn du mir's nicht sagst, beiß ich dich.« »Mein Kind,« antwortete die Mutter, »er hat Grund zur Trauer.« Aber Sasxwatho ließ nicht los, bis ihm seine Mutter alles bekannt hatte. Sasxwatho lachte laut auf, ging zu seinem Vater und sagte: »Vater, was sitzt du da und grämst dich; wir leben ja noch, und es ist kein Grund da, uns zu beweinen. Wir laufen hin und laufen her; traurig ist ja bloß der Stubenhocker. Schau, wir werden's mit dem Div so drechseln, als ob gar nichts los wäre; sei nicht bange, ich geh' und besorge das Nötige,« So sehr trösteten diese Worte den Vater, daß er den Winkel verließ, in dem er alle die Zeit über gesessen hatte, die Trauerkleider auszog und wieder fröhlich wurde.
Dann kam der Div. »So, jetzt wollen wir teilen«, sagte er. »Teilen wir!« antwortete der Alte. Der Div nahm sich Sasxwatho, ein Füllen und ein Pantherjunges und zog ab. Lange wanderten sie, wenig wanderten sie, schließlich kamen sie ins Land des Div. Durch Dörfer wanderten sie, durch Städte kamen sie, überall standen die Leute und guckten Sasxwatho an. Als sie in den Ort kamen, wo der[50] Div wohnte, zeigte dieser Sasxwatho sein Haus; »geh voraus,« sagte er, »ich habe noch in der Nachbarschaft zu tun; ich komm' bald nach.« Auf dem Wege traf Sasxwatho eine Alte, die weinte, weinte, daß sie sich fast die Augen aus dem Kopfe weinte. »Was weinst du, Alte?« frug Sasxwatho. »Weh dir und deiner Mutter,« antwortete die Alte, »warum ist deine Mutter nicht vor dir gestorben? Der Div, der holt Leute seines Glaubens, Priester seines Glaubens, die werden dich, das Füllen und das Panther junge umbringen und auf essen! Mach' dich davon, ehe er kommt, vielleicht kannst du dich retten.« Sasxwatho setzte sich auf sein Pferd mit den Feuerhufen, nahm auch seinen Panther zu sich und flog auf. In einem Nu war er hinter dem neunten Berg und wieder hinter neun Bergen. Als der Div nach Hause kam, frug er seine Frau: »Nun, hast du den Jungen zum Abendessen hergerichtet?« »Den Jungen? Welchen Jungen? Hierher ist niemand gekommen«, bekam er zur Antwort. »Aha, vielleicht ist er davon,« dachte der Div, »was ich da eben hinter dem neunten Berge gesehen habe, so groß wie ein Korb, das wird er wohl sein.« Sogleich setzte er sich auf sein Pferd, hieb ihm eins über und ritt davon. Sasxwatho aber war weiter geeilt und über Berge und wieder Berge ans Meer gekommen. Da ging er nun das Ufer auf und ab und weinte, denn nirgends war eine Rettung: vor ihm das Meer und hinter ihm der Div. Plötzlich aber sagte sein Pferd: »Warum weinst du, Herr? Warum bist du traurig? Fass' mich am Sattelgurt, hau' mir fest eins über, und dann sind wir sie alle los.« Sasxwatho sprang vom Pferd, hielt sich am Sattelgurt, aber in dem Augenblick kam der Div nach und brüllte: »So, da bist du ja, du Wurm! Du kommst mir nicht davon. Ein Bissen bist du für mich.« Sasxwatho hieb seinem Roß eins über, daß das Tier sich bäumte; dann sprang es ins Meer und schwamm hinüber. Sasxwatho aber schickte ein Dankgebet zu Gott, als er sich gerettet sah, und als er sich nach dem Div umsah, stand[51] dieser am andern Ufer, riß den Rachen auf, fletschte die Zähne und bedrohte ihn. Sasxwatho ließ ruhig sein Pferd los, führte es auf die Weide, ruhte sich aus und saß dann wieder auf, um seinen Weg fortzusetzen.
Ob er weit geritten oder nicht, wer weiß es? Schließlich kam er in ein Reich. Auf dem Wege traf er einen Schweinehirten, den frug er aus, was es in dem Lande Neues gäbe. Der sagte ihm, die Hauptstadt sei ganz nahe, der König sei reich und mächtig und habe drei wunderschöne Töchter. Nun hatte Sasxwatho zwei goldene Kleider bei sich, und darum sagte er zum Schweinehirten: »Hör' mal, ich geb' dir dieses goldene Gewand, gib mir dafür das deine und einen Schweinsdarm.« Der Hirte freute sich über den guten Tausch, gab ihm sein Gewand, schlachtete ein Schwein, gab Sasxwatho davon zu essen, zog einen Darm heraus, reinigte und wusch ihn und händigte ihn Sasxwatho ein. Dieser nahm Abschied vom Schweinehirten, zog die Fetzen an, die ihm dieser gegeben hatte, tat sich den Darm auf den Kopf und wickelte seinen goldenen Schopf darein. Das andere goldene Gewand aber, seine Rüstung, seinen Schmuck hing er an sein Pferd und ließ dieses sowie seinen Panther los. Sein Pferd riß sich ein Schweifhaar aus, gab es seinem Herrn und sagte: »Wenn du uns brauchst, nimm dieses Haar, ruf mich beim Namen, und gleich komme ich mit dem Panther.« Sasxwatho nahm das Haar, verabschiedete sich von den beiden Tieren und ging nach der Stadt zu. Als er dort angekommen war, erkundigte ersieh, ob niemand einen Gänsehirten brauchen könne. Man sagte ihm, der König könne ihn sicher beschäftigen. Wer wußte denn, was Sasxwatho für ein feiner Bursche war! Alle glaubten, er sei bloß ein kahlköpfiger Tölpel. Der König stellte ihn auch wirklich als Gänsehirten ein. Sasxwatho trieb also die Gänse auf den Fluß, zog seine Flöte heraus und spielte ihnen eins vor, als sie ins Wasser gingen, um zu schwimmen. Eines Tages nun fingen die Gänse im Wasser an zu tanzen, zu tauchen und[52] zu spielen, und da kam Sasxwatho die Lust an, sich zu baden. Er stand auf, sah sich vorsichtig um, ob niemand in der Nähe wäre, zog sich aus, nahm den Schweinsdarm von seinem Schopf und sprang ins Wasser. Nun fügte es sich, daß des Königs Jüngste gerade am Fenster saß und hinausschaute. Da sah sie etwas Helles, Glänzendes, und wie sie genauer hinschaute, waren es die goldenen Haare Sasxwathos, die wie Wellen im Flusse wogten. Da wurde es ihr schwer ums Herz, und sie verfiel in einen Zustand großer Traurigkeit. Alle forschten sie aus, was sie denn habe, aber sie war stumm und sprach kein Wörtchen. So sehr hatte sie sich in den Schweinehirten verliebt, daß sie vor Liebe fast starb. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und sagte zu ihren Schwestern: »Hört, wie lange ist es schon her, daß wir unserem Vater nichts mehr geschenkt haben, jetzt ist es wieder Zeit dazu.« »Gut,« sagten die Schwestern, »das tun wir!« Und jede brachte ihrem Vater ein Geschenk dar; die älteren Schwestern reiche Gewänder, Waffen, die Jüngste aber pflückte drei Gurken, eine verfaulte, eine überreife und eine frische, und gab sie ihrem Vater. Der König war höchlichst erstaunt: »Jetzt bin ich schon so lange König,« dachte er, »aber ein solches Geschenk hat mir noch niemand gemacht. Was hat sie sich nur bei den Gurken gedacht? Ich will sie doch selber fragen.« Er rief also seine Jüngste und frug sie, was diese Gurken denn bedeuten sollten. »Es ist ja eine Schande,« antwortete sie, »aber ich muß dir's doch sagen: diese verfaulte Gurke ist meine älteste Schwester – ihre Zeit ist schon um –; diese überreife ist meine mittlere Schwester, und diese junge – die bin ich. Heiraten wollen wir, Männer wollen wir haben.« »Ja, Kinder, wenn ihr heiraten wollt, warum denn nicht?« sagte der König, »außer euch hab' ich ja niemand; wozu brauch' ich das Königreich und all meine Reichtümer!« Und schickte Leute im ganzen Reich umher und ließ verkünden, sie sollten alle kommen, er habe drei Töchter und suche Schwiegersöhne.[53]
Und sie kamen alle; die ganze Stadt wurde voll. Der König stellte seine Töchter aus, und es wurde ausgemacht, daß sie sich dem auf den Schoß setzen sollten, der ihnen gefiel. Zuerst ging die älteste Tochter die Reihen auf und ab und setzte sich dem Vezier auf den Schoß; die mittlere dem Haushofmeister. Nun kam die jüngste daran, lief hin und her, suchte und suchte, fand den aber nicht, den sie wollte. »Er ist nicht da«, erklärte sie ihrem Vater. »Ja, wer fehlt dir denn?« frug dieser, »es waren doch alle da außer dem kahlköpfigen Gänsehirten.« Den brauche man auch gar nicht zu holen, meinten einige Leute aus der Menge, denn die Königstochter werde ihn ja doch nicht heiraten. Der König aber war damit nicht einverstanden und ließ ihn holen. Unterwegs fing Sasxwatho einen Hasen und steckte ihn in seinen Brustbausch. Als er nun angekommen war, ging die Jüngste wieder die Reihen entlang, und als sie vor ihm stand, wollte sie sich ihm auf die Knie setzen, Sasxwatho aber ließ die Hasenohren aus seiner Brust hervorspitzen, und das Mädchen erschrak und lief weg, lief zu ihrem Vater und sagte, ihrem Auserwählten sitze etwas an der Brust, wovor sie sich fürchte, darum habe sie sich nicht getraut, sich ihm auf die Knie zu setzen. »Kind,« sagte der König, »mach' die Augen zu und setz' dich!« Das tat sie denn auch; sie kehrte zu Sasxwatho zurück, schloß die Augen und saß auch gleich auf seinen Knien. Dem König paßte die Sache zwar gar nicht, aber was konnte er denn tun? Das Volk wunderte sich und war stumm vor Erstaunen. Dem Vezier nebst seiner Frau und dem Haushofmeister mit Frau gab der König Geld und Gut die Menge und richtete sie in prächtigen Häusern ein. Die Jüngste mit ihrem Ganshirten aber bekam nur einen Hühnerstall. Und da lebten sie nun und hielten es aus, und die andern Schwiegersöhne des Königs lachten sie aus. Mit der Zeit aber kamen der Jüngsten Zweifel, ob ihr goldschopfiger Mann nicht vielleicht doch ein Kahlkopf wäre. Und wenn sie so an diesen Zweifeln litt, weinte sie viel.[54] Der kahlköpfige Gänsehirt kümmerte sich weder darum, noch um das Gerede der Leute.
So verging die Zeit. Der König aber gab sich Gedanken hin. »Jetzt hab' ich meine Töchter verheiratet,« sagte er zu sich selber, »ich selber aber werde alt und hab' keinen Sohn. Ich will jetzt doch einmal prüfen, welchem von meinen Schwiegersöhnen ich mein Reich vermachen soll.« Und dann rief er den Vezier und den Hausverwalter zu sich und sagte zu ihnen: »Ich werde bald sterben; jetzt sollt ihr mir aber einmal zeigen, was ihr könnt. Schafft mir eine Arznei!« »Was fehlt dir denn, was sollen wir dir denn bringen?« frugen sie. »Ihr sollt an den und den Ort gehen, dort eine lebendige Hirschkuh fangen, ihr das Kälbchen aus dem Leib nehmen und diesem die Leber herausschneiden und mir sie bringen, denn diese Leber wird mir helfen. Ein anderes Mittel gibt es nicht.« Der Vezier und der Hausverwalter machten große Vorbereitungen, stiegen auf ihre Pferde und machten sich auf den Weg. Der Gänsehirt aber holte sich einen hinkenden Gaul, setzte sich darauf und humpelte weg. Die andern lachten ihn aus und riefen ihm spöttisch nach, mit dieser Mähre werde er das Verlangte sicher herbeischaffen können.
Der Kahlköpfige aber ritt ruhig aus der Stadt hinaus, zog sein Pferdehaar hervor, und gleich kam sein gutes Roß. Seine Lumpen zog er aus und hüllte sich in sein goldenes Gewand. Dann ritt er weiter und erreichte den vom König bezeichneten Ort. Das Roß trug ihn zu einer Hirschherde, Sasxwatho fing eine trächtige Hirschkuh, fesselte sie und setzte sich neben sie. Danach kamen auch der Vezier und der Hausverwalter, grüßten und fingen an sehr ehrerbietig mit ihm zu sprechen. »Wozu habt ihr euch denn geplagt,« sagte Sasxwatho, »was wollt ihr denn hier?« »Unser König ist krank,« antworteten die beiden, »und da sollen wir jetzt einer lebendigen Hirschkuh das Junge aus dem Leibe schneiden und ihm dessen Leber bringen. Was du verlangst, geben wir dir, wenn du uns die verschaffst.« »Ich[55] will von euch weiter nichts als die Spitzen eurer kleinen Finger.« Und was taten die beiden? Sie schnitten sich wirklich die Fingerspitzen ab, gaben sie Sasxwatho, dankten ihm, nahmen Abschied und ritten ihrer Wege. Als sie weg waren, setzte er sich auch auf sein Roß und ritt weg. Als er in die Nähe der Stadt kam, stieg er ab, zog sein goldenes Gewand aus, zog seine alten Lumpen wieder an, stülpte sich den Schweinsdarm auf den Kopf, ließ sein Roß laufen, bestieg wieder seinen hinkenden Gaul, und als seine beiden Schwäger in die Stadt einzogen, ritt er als kahlköpfiger Gänsehirt hinter ihnen drein. Die beiden lachten ihn wieder herzhaft aus: »Du hast ganz gewiß die Leber und wir kommen mit leeren Händen.« Lachten ihn also aus und brachten dem König, was sie hatten. Der aß es, aber es wurde ihm nicht besser davon. Des Kahlköpfigen Frau saß da und weinte.
Wieder schickte der König die Schwiegersöhne nach einer Arznei aus. »Wenn ihr wollt, daß ich gesund werden soll, so wisset, daß an dem und dem Orte Panther hausen; da sollt ihr ein Weibchen davon melken und mir die Milch bringen. Das ist das einzige, was mir noch helfen kann.« Die beiden machten sich alsbald auf den Weg; der kahlköpfige Gänsehirt sattelte wieder einen lahmen Gaul und humpelte davon. Wie er aus der Stadt draußen war, holte er wieder sein Pferdehaar hervor, und gleich war auch sein Roß da. »Der König ist krank«, sagte er zu ihm, »und hat den Vezier und den Hausverwalter nach Panthermilch geschickt. Jetzt weißt du, was du zu tun hast.« »Mach' dir keine Sorgen,« entgegnete das Pferd, »und laß das meine Sache sein. Sitz' auf!« Den Panther mit den feurigen Zähnen aber nahmen sie mit und begaben sich an den Ort, wo es Panther gab. Als sie dort ankamen, sprangen von allen Seiten welche hervor und verlegten ihnen den Weg. Der mit den Feuerzähnen aber wählte ein Pantherweibchen aus und brachte es Sasxwatho. Der fesselte es und setzte sich daneben. Bald darauf kamen auch seine beiden[56] Schwäger, erblickten denselben Mann im goldenen Gewände, worüber sie sich nicht wenig wunderten, und glaubten es mit dem König der Tiere10 zu tun zu haben. Sie näherten sich ihm deshalb äußerst ehrerbietig, grüßten ihn durch Hutabnehmen und Verneigen und sagten: »Du warst schon damals so gütig zu uns, als wir die Leber holten, hilf uns auch jetzt! Verlang' von uns, was du willst.« »Gut,« antwortete Sasxwatho, »wenn ihr mir eure Ohrläppchen gebt, geb' ich euch, was ihr braucht.« Was sollten die beiden auch tun, wenn sie die Panthermilch haben wollten? Sie schnitten sich also ihre Ohrläppchen ab und gaben sie ihm; Sasxwatho molk das Pantherweibchen und gab ihnen die Milch, mit der sie sich gleich auf den Heimweg machten. Sasxwatho aber ließ das Tier los, setzte sich auf sein Pferd und machte sich auf den Weg zur Stadt. Als er in deren Nähe gekommen war, ließ er sein Roß wieder laufen, vertauschte sein Goldgewand gegen seine alten Lumpen und wurde wieder zum Gänsehirten, der, mit einem zerbrochenen Bogen und zerbrochenen Pfeilen in der Hand, auf einer hinkenden Mähre saß und so in die Stadt hineinritt. Wer seinen Weg kreuzte, lachte ihn aus. Als ihn die Schwestern seiner Frau erblickten, sagten sie zueinander: »Da kommt er wieder mit leeren Händen, aber unsere Männer haben die Arznei gebracht.« Sie lachten ihn auch weidlich aus. Der Vezier und der Hausverwalter brachten dem Könige die Panthermilch, und ihr Ruhm wurde im ganzen Land bekannt. Ihre Frauen aber wurden hochmütig ihrer jüngsten Schwester gegenüber; sogar der König lachte sie und ihren Mann aus und ließ sie gar nicht zu sich. Der Gänsehirt aber blieb stumm und sagte niemandem etwas; seine Frau ertrug alles mit Geduld und wartete immer noch auf etwas. Nun rief der König seine Schwiegersöhne zum drittenmal[57] mal zu sich und sagte: »Zweimal habt ihr tapfere Jungen mir schon eine Arznei gebracht, aber geholfen hat's mir nichts. Ihr müßt es ein drittes Mal versuchen und mir das Lebenswasser bringen.« Wieder machten sich die beiden auf den Weg. Hinter ihnen auch der Gänsehirt. Er bestieg wiederum seinen lahmen Gaul und stolperte durch die Straßen der Stadt. Draußen aber holte er sein Pferdehaar hervor. Gleich war sein Roß da und frug ihn, was er wolle. Er erzählte es ihm. »Das kenn' ich schon,« sagte das Roß, »mach' an deinen Eimer einen langen Stiel, denn das Lebenswasser quillt zwischen zwei Felsen hervor; die öffnen und schließen sich, und wenn sie aufeinanderschlagen, sprüht Feuer heraus. Wie wenn du eine Hand auf die andere schlägst, so gehen sie zusammen. Ich werde dazwischenspringen, von einer Seite zur andern, und dabei holst du mit dem Eimer das Wasser heraus.« Gut; Sasxwatho stieg auf und machte sich auf den Weg. Ob's weit war oder nicht, wer weiß es? Endlich kam er an den Ort, wo das Lebenswasser hervorquoll. Da war ein ungeheurer Felsen; sein Gipfel verlor sich im Himmel und er war in zwei Hälften geteilt; in einem Augenblick gingen die auseinander und schlössen sich wieder. Kein lebendes Wesen konnte zwischen sie hinein. »Pack' mich fest am Gurte und hau' mir eins über!« sagte das Pferd zu Sasxwatho. Das tat er; das Roß sprang zwischen die beiden Felswände, Sasxwatho füllte seinen Eimer, aber beim Herausspringen erwischten die Felsen das Roß beim Schweifende und schnitten es ab. Sasxwatho stieg ab, ließ sein Tier ausruhen und setzte sich selbst daneben. Kaum saß er, da kamen seine beiden Schwäger und sahen, daß wieder derselbe Mann das Lebenswasser schon hatte. Sie baten ihn also darum und boten ihm einen hohen Preis. Sasxwatho aber sagte, er wolle nichts dafür, nur sollten sie sich von seinem Pferde einen Hufschlag geben lassen. Das mußten sie wohl oder übel über sich ergehen lassen, aber dafür bekamen sie auch das Lebenswasser. Mit dem ritten sie nun nach Hause und[58] gaben es dem Könige, der auch wirklich genas. Der Vezier und der Hausverwalter hüteten sich natürlich, ihrem Schwiegervater die Wahrheit zu sagen; der aber freute sich mächtig, daß er so heldenhafte Schwiegersöhne habe. Die Frau des Gänsehirten aber war jetzt überzeugt davon, daß ihr Mann ein nichtsnutziger Kahlkopf sei, daß sie sich getäuscht habe und sich jetzt fürchterlich schämen müsse.
Da der König so prächtige Schwiegersöhne zu haben glaubte, schickte er einen Boten an den Herrscher des Nachbarreiches und ließ ihm sagen, er beabsichtige mit ihm Krieg zu führen, und wer siege, solle Herrscher beider Reiche werden. Zugleich rief er sein Heer zusammen, und alle kamen, groß und klein. Der Vezier und der Hausverwalter stellten sich in prächtiger Rüstung an die Spitze des Heeres. Der Gänsehirt aber holte wieder sein Pferdehaar hervor und gleich waren Roß und Panther zur Stelle. Dann zog er sein goldenes Gewand an, tat seine Waffen um und zog gleichfalls in den Krieg. Er griff das feindliche Heer an, durchraste seine Reihen, säbelte Köpfe ab und warf die Leichen zur Seite. Und doppelt soviel Feinde, als von seiner Hand fielen, töteten sein Roß und der Panther.
Als der Tag zur Neige ging, endete auch die Schlacht. Alle wunderten sich über den fremden Helden, aber niemand wußte, wer und wo er war. Umsonst suchten sie ihn überall, denn er hatte schon wieder seine alten Lumpen angezogen und war zu seiner Frau gegangen, die ihm von den Heldentaten des fremden Ritters erzählte. Als der nächste Morgen anbrach, fing auch die Schlacht wieder an. Der Kahlkopf zog wieder sein goldenes Gewand an und zog in die Schlacht; an diesem Tage wurde er am Arme verwundet. Der König bemerkte, daß der fremde Ritter blutete; er rief ihn zu sich und verband ihm die Wunde mit einem seidenen Tuch. Sasxwatho aber stahl sich weg, vertauschte sein goldenes Gewand gegen seine Lumpen und ging nach Hause. Der König veranstaltete ein großes Fest; er ließ[59] viel Vieh schlachten und Wein an das Heer verteilen; dabei gab er aber den Befehl, auf alle die zu achten, die am Arm eine mit einem seidenen Tuch verbundene Wunde hätten, und sie ihm zu melden.
Als der Wein verteilt wurde, war aber niemand dabei, der am Arm verwundet gewesen wäre. Man meldete dies dem Könige, es habe jeder Mann seinen Arm ausgestreckt, und keiner habe gefehlt. »Gut, dann verteilt Wein und Äpfel zugleich!« sagte der König; da mußte nämlich jeder beide Hände zugleich herweisen. Als die Reihe an Sasxwatho kam, streckte er nur eine Hand aus, die andere verbarg er. »Man befahl ihm, auch die andere Hand zu zeigen, damit man ihm Äpfel hineinlegen könne; er aber sagte, er möge keine Äpfel, sie sollten ihm bloß tüchtig Wein einschenken. Aber das ließen sie nicht so hingehen, und auf diese Weise entdeckten sie seinen verwundeten Arm mit dem seidenen Verband.«
Ganz anders wurde der König jetzt. Er umarmte Sasxwatho, küßte ihn und bat ihn um Verzeihung wegen der früheren schlechten Behandlung. »Ich bitte dich,« fügte er hinzu, »zieh morgen wieder in den Kampf und zeige dich mir und dem Volk.« Am nächsten Tag setzte sich Sasxwatho seinen Schweinsdarm auf den Kopf, zog seine alten Fetzen an, bestieg sein gutes Roß, bewaffnete sich und zog in den Kampf. Er griff an und vernichtete das feindliche Heer. Der Rest floh. Der feindliche König schickte einen Boten mit der Bitte, doch nicht sein ganzes Volk zu vernichten, er sei besiegt und trete sein Reich ab. So ging der Krieg zu Ende, und alles kehrte nach Hause zurück. Jetzt lobten und priesen alle Sasxwatho; vom Vezier und dem Hausverwalter war keine Rede mehr. Und Frau Sasxwatho saß da und konnte sich nicht sattsehen an ihrem siegreichen Gatten; ihre Schwestern aber weinten Essig vor Neid. Auch der König kehrte heim und schenkte Sasxwatho und dessen Frau den besten Palast, den er hatte. »Es kommt doch alles auf,« sagte Sasxwatho eines Tages[60] zu seinem Schwiegervater, »ruf doch mal den Vezier und den Hausverwalter und frag' sie, wo sie die Leber herbekommen haben. Nämlich ich hab's ihnen gegeben, und den Beweis davon hab' ich auch.« Sprach's und zeigte dem König die Fingerspitzen. Der König ließ die beiden rufen, und es erwies sich in der Tat, daß an ihren kleinen Fingern etwas fehlte. »Und die Panthermilch haben sie auch von mir,« sagte Sasxwatho, »und hab' sie mir mit ihren Ohrläppchen bezahlen lassen. Das Lebenswasser hab' ich geholt, und mein Roß hat mir geholfen. Umsonst hab' ich's ihnen aber nicht gegeben, seht nur auf ihrem Sitzfleisch nach, was für einen Preis sie dafür bezahlt haben. Wenn ihr's nicht glaubt, untersucht sie.« Das tat man auch; wirklich fehlten ihnen die Ohrläppchen, und die Spuren der Hufschläge fand man auch auf ihren Körpern, als man sie ausgezogen hatte. Beschämt schlichen sich die beiden nach Hause, und ihre Frauen wußten nicht wohin vor Schande. Bald aber wurde Sasxwatho das Stubenhocken langweilig. Er erklärte, er werde auf die Jagd gehen. »Recht so,« sagte der König, »nur bitte ich dich, die Grenzen unseres Landes nicht zu überschreiten. Da drüben lebt ein Weib, die bringt dich unbedingt um, wenn sie dich erwischt.« »Das wollen wir schon sehen«, meinte Sasxwatho, rief sein Roß und seinen Panther, zog seine Rüstung an, tat sein Schwert um und machte sich auf den Weg. Im Lande seines Schwiegervaters aber fand er kein Wild. »Was auch kommen mag,« sagte er zu sich selber, »ich gehe doch hinüber in das Land, wo jenes Weib ist; entweder ich sterb' oder ich bleib' am Leben.« Er überschritt also die Grenze und fand viel Wild und jagte so recht nach Herzenslust. Als er müde geworden war und genug gejagt hatte, entspannte er seinen Bogen und ruhte aus. In der Ferne stand ein hoher Turm. Als er den erblickte, spannte er seinen Bogen von neuem und ritt darauf los. Nachdem er den Turm erreicht hatte, trat er ein und setzte sich auf eine goldene Bank, um auszuruhen. In dem Schlosse fand[61] er auch eine goldene Laute und einen goldenen Widder. Er nahm die Laute und spielte, und siehe da, der Widder fing an zu tanzen und zu springen. Nach einiger Zeit kam auch ein Weib. »Wer bist du?« frug sie ihn, »und wie wagst du es, in meinem Turm dem Widder zum Tanz aufzuspielen?« »Ich bin Sasxwatho,« entgegnete er, »bitte, komm nur herein.« »Du wirst mich umbringen,« rief das Weib mit hölzerner Stimme, »ich gehe nicht hinein.« »Ich werde mich hüten, dich umzubringen«, versetzte Sasxwatho. »Nun, wenn du nicht die Absicht dazu hast, dann leg' das Holzstück da auf dein Pferd!« Sasxwatho nahm das Stück Holz, das sie ihm gezeigt hatte, und legte es auf sein Roß. »Jetzt kannst du hereinkommen«, fügte er hinzu. »Jetzt leg' es auf deinen Panther!« Auch das tat er. »Jetzt auf dein Schwert!« Sasxwatho erfüllte auch diese Bitte. Das Weib schrie auf und fesselte Sasxwatho. Der rief sein Roß, aber das rührte sich nicht; mit neunfacher Kette war es gefesselt. Er rief den Panther, aber auch der konnte sich nicht rühren. Er rief sein Schwert, aber auch dieses gehorchte nicht, denn es war gleichfalls gebunden und gefesselt. Und dann verschlang das Weib Sasxwatho, das Pferd und den Panther.
Damals nun, als Thavisi und Sasxwatho sich trennten, hatten sie ihre Schwerter gezogen und miteinander ausgemacht, daß, wenn auf einem der Schwerter ein Tropfen Blut sich zeige, dann sollte dies ein Zeichen sein, daß der eine den andern brauche. Thavisi zog das seine sehr oft aus der Scheide und prüfte es. Und gerade in dem Augenblicke, wo Sasxwatho verschlungen wurde, besah er es wieder; über und über hingen blutige Tränen daran. »Mein Bruder ist in Not,« sagte er sich, »er braucht mich und meine Hilfe.« Stand auf, zog sein goldenes Gewand an, tat Waffen um, nahm Bogen und Pfeil, bestieg sein gutes Pferd; nahm Abschied von Vater und Mutter, rief seinen Panther und machte sich auf den Weg. Lange, lange wanderte er umher, die ganze Welt umwanderte er, tausend Reiche[62] sah er, überall frug er nach seinem Bruder, aber umsonst. Endlich kam er in das Land, wo Sasxwatho gelebt hatte.
Wie die zwei Hälften eines auseinandergeschnittenen Apfels einander gleichen, so glich Thavisi seinem Bruder.
Nun war Sasxwatho schon seit langem verschollen. Der König befahl, allgemeine Trauer anzulegen. Als Thavisi ins Land kam, dachten alle, es sei Sasxwatho selbst, und freuten sich ungemein. Der König erlaubte allen, die Trauerkleider abzulegen, und begrüßte Thavisi mit Umarmungen und Küssen. »Gott sei Lob und Dank, mein Sohn,« sagte er, »daß du uns zurückgekehrt bist. Wie kommt es nur, daß du jenem Weib entronnen bist? War's Gottes Hilfe, war's eine Fügung des Schicksals?« Wir haben nun schon gesagt, daß Thavisi so sehr Sasxwatho glich. »Ja,« dachte sich jener, »Sasxwatho muß wohl irgendwo hingegangen und verschollen sein. Er kommt wahrscheinlich nicht mehr; darum trauern sie jetzt um ihn und freuen sich darüber, daß ich gekommen bin, den sie für Sasxwatho halten. Ich will also so tun, als ob ich wirklich Sasxwatho wäre.« Und laut fügte er hinzu: »Ich war noch nicht bei jenem Weib; ich will erst morgen hingehen.« Man führte ihn in Sasxwathos Haus, wo ihm Frau Sasxwatho um den Hals fiel und ihn heiß küßte. Thavisi ließ sie in diesem Glauben, als sie sich aber zur Ruhe legten, zog er sein Schwert und legte es zwischen sich und sie und sagte: »Wenn du über dieses Schwert hinüberlangst, haue ich dich damit in Stücke; ich bin todmüde und mein Sinn steht nicht nach Liebkosungen und Küssen.« Frau Sasxwatho dachte, ihr Mann hätte sich in eine andere verliebt und sein Herz von ihr abgewandt, und darum fing sie an bitterlich zu weinen. Lange weinte sie, aber schließlich wurde sie müde und schlief ein.
Am nächsten Morgen begab sich Thavisi zuerst zum König und frug ihn, wo denn jenes schreckliche Weib wohne. Der König sagte es ihm und bat ihn, nicht hinzu-, gehen, denn er wurde sicher ums Leben kommen. Thavisi[63] bestieg sein Pferd, schnallte sein Schwert um, rief seinen Panther und ritt weg. Das Wild, das er auf dem Wege traf, sah er nicht einmal an, sondern ritt geradeswegs ins Land jenes schrecklichen Weibes, erblickte den Turm, betrat ihn, nahm die goldene Laute vom Nagel und fing an zu spielen. Da kam auch schon das Weib und schrie ihn an: »Wer bist du und was willst du hier in meinem Turm? Wie wagst du's, meine Laute zu spielen und meinen Widder zum Tanzen zu bringen? Wenn ich den Turm betrete, ist es um dein Leben geschehen.« »Ich bin Thavisi,« antwortete er, »wenn du willst, komm nur herein!« »Nein, ich fürchte mich, du wirst mich umbringen«, rief das Weib mit einer Stimme, als ob sie wirklich Furcht hätte. »Aha,« dachte Thavisi, »damit hat sie meinen Bruder betrogen; jetzt will ich nur sehen, was sie weiter macht.« Und dann sagte er: »Komm nur, ich tu' dir nichts, ich werde doch meine Waffen nicht gegen ein Weib gebrauchen.« »Nun, wenn du die Wahrheit sagst, so nimm dies Holzstück und leg' es auf dein Pferd.« Thavisi tat, als ob er ihren Wunsch erfülle. »So, und jetzt berühre deinen Panther mit dem Holz!« »Auch das will ich gern tun, komm jetzt nur herein«, sagte Thavisi. »Nein, du mußt es noch auf dein Schwert legen!« »Gut! Aber jetzt komm endlich herein!« Als sie drin war, hieb ihr Thavisi den Kopf ab. Aber sie hatte drei Köpfe! Und sie war furchtbar wütend! Nun fingen Thavisi und sein Pferd und sein Panther, alle dreie, an mit dem Weib zu kämpfen. Den zweiten Kopf schnitt ihr Thavisi ab. »Sag' mir, Hexe, wo ist mein Bruder! Was hast du mit ihm angefangen?« »Wenn du mich nicht umbringst, sag' ich's dir,« antwortete das Weib, »in meinem Kopf ist ein Koffer, und drin sitzt dein Bruder mit Pferd und Panther.« Thavisi schnitt ihr diesen Kopf ab, spaltete ihn und holte sich seinen Bruder heraus. Beide umarmten und küßten sich. »Ach, wie lange ich geschlafen habe!« rief Sasxwatho aus. »Ja, und wärst nicht mehr aufgewacht, wenn ich nicht gekommen wäre«, sagte Thavisi und erzählte[64] ihm alles. Dann bestiegen sie ihre Pferde und ritten heimwärts. Ein Mann, der die beiden unterwegs traf, begab sich zum König und meldete ihm: »Dein Schwiegersohn ist heimgekehrt; aber zu zweit; aus einem Menschen sind zwei geworden.« »Was redest du da?« entgegnete der König, »hat man je so etwas gehört, daß aus einem zwei werden.« Und sich zu seinen Hofleuten wendend und auf den Bringer der Nachricht deutend, befahl er: »Köpft mir den da!« Aber in demselben Augenblick kam wieder einer und meldete, daß des Königs Schwiegersohn in doppelter Gestalt im Anzug sei. Auch dem ließ der König den Kopf abschneiden. Als ein dritter Bote mit derselben Nachricht kam, sagte der König zur Königin: »Geh du und schau nach, was Wahres dahintersteckt.« Die Königin ging und sah nach: in der Tat kommen da zwei und sehen einander so ähnlich, daß man sie nicht unterscheiden kann.
Als die beiden, Sasxwatho und Thavisi, zum Könige kamen, wußte dieser nicht, wer Sasxwatho und wer Thavisi sei. Auch Sasxwathos Frau war im Zweifel. Thavisi aber erzählte alles, und der König wunderte und freute sich ungemein. Dann veranstaltete er ein großes Fest und machte Sasxwatho zum König. Und dann lud Sasxwatho alle zu sich ein und bewirtete sie königlich. Danach gingen sie zu Thavisi, der in seinem Lande auch König geworden war, und setzten dort das Fest fort. Und als sie mit dem Fest fertig waren, kehrte Sasxwatho in sein Reich zurück, und Thavisi blieb in dem seinigen.
Leid dort, Freude hier,
Kleie dort und Mehl hier.
Einen Wagen hab' ich auf den Berg geschleppt,
Ist geworden wie ein Berg,
Rufet mich aus diesem Leben
'nüber in das Ewige.
Elasa, Melasa.
Ein Glas hing mir am Hals,
Der Hörer und der Erzähler
Mögen sich verheiraten.
Buchempfehlung
»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.
530 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro