19. Sartanki

[96] Es war einmal, es war einmal, es war einmal ein König, der hatte einen Sohn. Nun, dieser Königssohn ging eines Tages mit seinen Dienern auf die Jagd. Als ihnen ein Hirsch in die Quere kam, jagte der Prinz ihm nach so schnell ihn sein Pferd trug; die Diener aber blieben einer nach dem andern zurück. Plötzlich verschwand der Hirsch in einer Höhle. Da es inzwischen dunkel geworden war, legte sich der Prinz schlafen. Während er schlief, stahl sich der Hirsch aus der Höhle und legte dem Prinzen Zucker und Stroh in den Rand des Hutes. Am Morgen stand der Prinz auf, stieg auf sein Pferd und machte sich auf den Rückweg. Einen nach dem andern traf er seine Diener; sie ritten nach Hause, wo der Prinz sich gleich legen mußte, weil er plötzlich erkrankt war.

So schwer krank, daß es nach einiger Zeit den Anschein hatte, daß er sterben müsse. Umsonst schickte sein Vater überall hin nach Ärzten, niemand konnte ihn heilen. Als der Prinz sein Ende herannahen fühlte, bat er seinen Vater, er möchte ihn auf den Bazar tragen lassen. Man legte ihn also auf sein Bett, deckte ihn mit einer Decke aus Schemachaseide zu und trug ihn ans Ufer des kleinen Sees neben dem Bazar19. Als er da so lag, kam ein Kahlkopf vorbei, sah den Prinzen an und sagte: »Da seht mal, da ist er ja, der sich so in die Sartanki verliebt hat!«

Die Begleiter des Prinzen aber fragten den Kahlkopf, ob er nicht den Prinzen heilen könne. »Freilich kann ich das, warum sollte ich es denn nicht können?« antwortete der Kahlkopf. Gleich liefen sie zum König und brachten ihm die freudige Nachricht. Der ließ den Kahlen zu sich[97] rufen und frug ihn, wie er es anstellen wolle, um den Prinzen zu heilen. »Zuerst,« sagte der Kahlkopf, »seht euch den Zucker und das Stroh an, das sich im Hute des Prinzen befindet!« Man suchte also nach und war nicht wenig erstaunt, als man die erwähnten Sachen fand. Wieder frug der König den Kahlkopf, was nun weiter zu tun wäre. »Wenn ihr ihn mit Sartanki verheiratet, wird er gesund«, war die Antwort, »wenn nicht, so stirbt er. Gebt mir die Sachen, die ich von euch verlange und laßt den Prinzen mit mir gehen; ich führe ihn zu der, die er liebt.« Der König ließ ihm die verlangten Sachen ausliefern. Der Kahlkopf nahm sie und verschwand. Nach einer Woche kam er mit zwei Pferden wieder; auf das eine setzte er sich selbst, auf das andere den Prinzen und ritt mit diesem davon. So ritten sie bis zum Ufer eines gewissen Meeres. »Was tun?« sprach der Prinz, »wie kommen wir da hinüber?« »Mach' dir keine Sorge«, antwortete der Kahlkopf, zog ein Netz hervor und gab es dem Prinzen. »Tu dir das auf deine Augen, Prinz! Wir reiten jetzt durch sieben Meere. Auf dem Grunde dieser Meere wirst du wunderbare Sachen schauen, Perlen, Diamanten, Korallen, Gold und Silber. Aber, rühr' nichts an! Laß alles liegen und stehn, wie es ist!«

So durchschritten sie das erste Meer, und das zweite und das dritte, das vierte, fünfte, sechste und das siebente, letzte. Dann nahm der Kahlkopf das Netz vom Auge des Prinzen und steckte es in die Tasche. Weiter gingen sie, immer weiter, bis sie in eine Stadt kamen, wo sie bei einer alten Frau einkehrten.

»Willst du, Alte, von Gott gesandte Gäste bei dir aufnehmen?« frug der Kahlkopf.

»Wenn ihr von Gott gesandt seid, so möge ich euch zum Opfer dienen,« sagte die Alte, »warum sollte ich euch denn nicht aufnehmen? Aber zu essen und zu trinken habe ich nichts; alles, was ich euch geben kann, ist ein leeres Zimmer. Wenn's euch paßt, so kommt herein!«[98]

Der Kahlkopf aber griff in die Tasche, holte eine Hand voll Gold heraus und gab es der Alten. Hei! wie die sich freute und im Zimmer herumsprang! Und gleich führte sie ihre Gäste in ein anderes Zimmer, das schön ausgestattet war und tischte ihnen einen Haufen Pilaw auf, daß die beiden gar nicht darüber hinwegsehen konnten. Nach dem Essen aber holte sie der Kahlkopf aus: »Nun, Alte, wie geht's zu in eurer Stadt? Gibt es Recht hier und Gericht?«

»Beides gibt es,« antwortete die Alte, »aber eines gibt's, und das ist nicht gut. Unser König hat eine Tochter, Sartanki heißt sie, die kann sich in alles verwandeln, was ihr nur paßt, aber heiraten will sie nicht.«

»Kannst du uns zu ihr führen?« frug der Kahlkopf.

»Warum nicht?« antwortete die Alte, »ich gehe ja jeden Tag zu ihr, um sie zu kämmen und zu frisieren.«

Wieder holte der Kahlkopf eine Hand voll Gold aus der Tasche und gab es der Alten, die auch gleich Rat wußte wie die Sache anzufangen wäre. »Morgen,« sagte sie zum Königssohn, »morgen gehe ich zu der Prinzessin. Du aber nimm einen goldenen Samowar auf die Schulter und folge mir. Und wenn du vors Schloß kommst, ruf den Samowar aus, als wärst du ein Händler.«

So geschah es denn auch. Die Alte ging ins Schloß und kämmte und frisierte die Prinzessin, der Königssohn aber nahm einen goldenen Samowar und bot ihn vor dem Schlosse zum Kauf aus. Als die Alte seine Stimme unten hörte, schaute sie zum Fenster hinunter und rief die Prinzessin zu sich: »Sieh mal, Sartanki, sieh mal den Jungen da unten an, wie schön er ist! Wie schad, wenn du ihn nicht bekämst, wenn ihn eine andere nähme!« Da befahl die Prinzessin, den Jungen heraufzurufen und kaum hatte sie ihn vor sich, als sie in ihm auch gleich jenen Jäger erkannte, der sie damals, als sie sich in einen Hirsch verwandelt hatte, in die Höhle trieb. Die Alte aber verschwand sofort aus dem Zimmer.[99]

»Höre,« sagte der Königssohn zu der an seiner Brust liegenden Prinzessin, »dein Vater gibt dich mir ja doch gutwillig nicht zur Frau. Am besten wird es sein, wir fliehen.« Das Mädchen willigte ein und erbat sich nach einiger Zeit von ihrem Vater die Erlaubnis, drei Tage auf die Jagd gehen zu dürfen. Der Vater hatte nichts dagegen, und so traf sie sich denn auch im Walde, wo sie jagen zu wollen vorgab, mit ihrem Geliebten und dem Kahlkopf und gleich ritten alle drei auf ihren guten Pferden der Heimat des Königssohnes zu.

Als aber die drei Tage um waren und die Prinzessin nicht nach Hause kam, schöpfte ihr Vater Verdacht. Zuerst suchte er sie in ihrem Zimmer auf; das war jedoch verschlossen und als man es aufgebrochen hatte, fand man es leer. »Da steckt sicher die Alte dahinter!« sagte der König, ließ sie auf der Stelle rufen und frug sie aus, ob sie wisse, wo seine Tochter sei. Die Alte wollte von nichts wissen, und erst als der König sie mit seiner Reitpeitsche braun und blau schlug, rückte sie mit der Wahrheit heraus. Schrecklich zornig ward da der König und beschloß, keinen Stein mehr auf dem andern zu lassen in der Stadt des Entführers. Er versammelte sein Heer und zog aus, seine Tochter zurückzuholen und den Königssohn, sowie dessen ganzes Haus zu züchtigen.

Inzwischen war der Königssohn mit seiner Braut und dem Kahlkopf in die Nähe seiner Vaterstadt gekommen. Da traf er auf dem Wege einen Mann, der auf und ab ging und bald weinte, bald lachte. »Was soll das?« frug der Königssohn, »was läufst du da hin und her und lachst und weinst?«

»Herr, unser Königssohn ist in der Fremde gestorben und heute ist Gedenkfeier. Darum weine ich, weil unsers Königs Sohn gestorben ist und darum lache ich, weil ich an die Geschenke denke, die man austeilen wird.«

»So, so? Nun, der. Königssohn, der totgesagte, der bin ich selber. Jetzt lauf hin ins Schloß und sag' meinem Vater,[100] daß ich lebe und komme. Lauf schnell, er wird dir eine gute Belohnung geben.«

Der ließ sich's nicht zweimal sagen und lief, was er konnte, um die Botschaft zu überbringen. Der König zog seinem Sohne mit allen seinen Vezieren und Ministern entgegen und richtete eine herrliche Hochzeit aus für seinen Sohn und Sartanki. Als aber nach einiger Zeit der Vater der Braut mit seinem Heere ankam, ließ ihm der König sagen, es sei gar nicht nötig, Krieg zu führen, er habe Sartanki nach den Vorschriften des Islam mit seinem Sohne verheiratet und wenn er wolle, möge er als Gast kommen. Das geschah denn auch; drei Tage blieb er im Hause seiner Tochter und nahm versöhnt und fröhlich von ihr Abschied.

19

In Kumuch, wo mir das Stuck erzählt wurde, ist tatsächlich in der Nahe des Bazars ein sehr großer Teich.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 96-101.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon