79. Was tun?

[272] Eine Lahitscherin80 war einmal damit beschäftigt, Teig zu machen. Sie hatte ihren Trog an einen der Pfosten angelehnt, welche die Deckbalken stützen und ihren Mehlsack hinter denselben Pfosten gestellt. Sie knetete und knetete; plötzlich aber fand sie, daß der Teig nicht fest genug sei und daß sie noch Mehl beigeben müsse. Sie fuhr also mit beiden Händen in den Mehlsack. Aber, o weh! Nun hatte sie beide Hände voll Mehl und zwischen ihren Armen ragte der Pfosten in die Höhe. Sie drehte sich und wendete sich, ging um den Pfosten herum, aber der blieb stehen und rührte sich nicht von der Stelle. Nur das Mehl nicht fallen lassen! In ihrer Angst rief sie ihren Mann um Hilfe. Der kam, besah sich die Sache und ... fand auch keinen andern Ausweg, als gleichfalls um Hilfe zu rufen. Als nun auch die Kinder noch zu heulen anfingen, kamen die Nachbarn. Die waren auch nicht gescheiter; einer versuchte es, ob es nicht ginge, wenn er den Trog auf die andere Seite des Pfostens brächte, der andere schob den Mehlsack zur Seite, aber die Unglückliche stand immer noch da mit dem Mehl in beiden Händen und dem Pfosten zwischen ihren Armen. Schließlich beschlossen sie, den Aqsaqal81 holen zu lassen. Der kommt, besieht sich die Lage, denkt lange nach, befragt alle nach dem Wie, Warum und Wann und findet schließlich nur einen Ausweg: der Pfosten muß abgehauen werden. Man läuft nach Beilen, die Späne fliegen, alles wartet mit gespannter Aufmerksamkeit auf das Result der Aqsaqalschen Weisheit. Das läßt nicht lange auf sich warten: ein Krach, der Pfosten stürzt, und mit ihm bricht ein Teil des Daches durch und begräbt die Hälfte der Zuschauer.

80

Lahitsch ist ein Dorf im Schemachiner Bezirk. Die Bewohner sind tüchtige Kupferschmiede, genießen aber den Ruf großer Beschränktheit.

81

Aqsaqal-Weißbart; hier. Dorfvorsteher, Dorfältester.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 272-273.
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