51. Sósryqo

[182] Sósryqo stammte aus dem Geschlechte der Bora, wurde aber nicht von Vater und Mutter erzeugt. Satána war ein gutes Weib und jeder der Engel55 sagte: »Wie gern würde ich aus Satána meine Geliebte machen.«

Eines Tages wusch Satána ihre Hosen und breitete sie auf einem Steine zum Trocknen aus. Da kam Uástyrdji und sagte: »Deine Hosen kommen mir nicht aus«, näherte sich und ließ seinen Samen auf sie ausströmen. Davon wurde der Stein, auf dem die Hosen lagen, schwanger. Satána erfuhr, was Uástyrdji getan hatte; sie zählte die Monate des Steines, und als seine Zeit gekommen war, schnitt sie ihn auf und daraus kam Sósryqo hervor; wie Eis sah er aus und gleich fing er an zu spielen. Einst spielte er mit den drei Söhnen Búräfärnaygs; zu Mittag hatte er gewonnen und schnitt jedem den rechten Arm ab. Am folgenden Tag kam er wieder und sagte zu den Burschen: »Wenn ihr heute gewinnt, dann schneidet mir den Schnurrbart ab, wenn ich aber gewinne, tue ich euch dasselbe.«

Gegen Mittag hatte er gewonnen; er schnitt ihnen die Schnurrbärte ab und trug sie nach Hause. Am folgenden[182] Morgen kam er wieder und sagte zu seinen Spielkameraden: »Heute geht es ums rechte Auge; wenn ich gewinne, schneide ich euch das rechte Auge aus; wenn ihr gewinnt, tut ihr mir dasselbe.« Als es Mittag geworden war, hatte Sósryqo gewonnen und schnitt jedem Burschen ein Auge aus. Da kam ihre Mutter und sagte zu Sósryqo: »Auf dem Chásma-Feld, hinterm Schwarzen Meer, lebt Eltághan, Sohn des Kutsyg; seine Kopfhaut ist aus Gold; wenn du stark bist, Sósryqo, so gehst du und erschlägst Eltághan, ziehst ihm die Kopfhaut ab und läßt dir daraus einen Kragen für deinen Pelz machen.«

Als Sósryqo das gehört hatte, wurde er traurig und sagte zu sich selbst: »Ich muß unbedingt zu Eltághan gehen.« Er machte sich auf den Weg und kam zum Hause Eltághans. Der schaute zum Fenster heraus und sagte: »Glückliche Reise, werter Gast, wo kommst du her?« »Ich habe von deinem Ruhm gehört und deshalb bin ich zu dir gekommen«, antwortete Sósryqo. Eltághan schlachtete einen gelben Hammel, bewirtete Sósryqo wie sich's ziemt und sagte: »Gast! Ist Sósryqo wirklich so stark, daß man ihn einen starken Mann nennen darf?« »Wieso sollte Sósryqo nicht stark sein? Wenn du zwei Kugeln in eine Flinte lädst und du zielst ihm auf die Brust, dann fallen die Kugeln wie Birnen vor ihm nieder.« »Lieber Gast,« sagte Eltághan, »du hast auch eine Flinte, die mir nicht schlecht zu sein scheint; lade sie doch mit zwei Kugeln und schieß mich in die Brust; ob die Kugeln wohl hineingehen, möchte ich sehen.« Sósryqo lud seine Flinte recht stark, schoß und die Kugeln fielen zur Erde, als wenn es Birnen gewesen wären. »Wie zeigt sich die Stärke Sósryqos sonst noch?« frug Eltághan. »Wenn du ein Schwert schärfst und es mit beiden Händen fassest und ihm damit auf den Kopf schlägst, kannst du ihm nicht einmal anderthalb Haare durchschneiden.« »Lieber Gast,« sagte Eltághan, »du hast auch ein Schwert, das mir aussieht, als ob es recht gut wäre, probier's mal an[183] mir!« Sósryqo stand auf, zog sein Schwert, schlug zu, konnte aber nicht einmal anderthalb Haare durchschneiden. Wieder frug Eltághan nach neuen Proben der Stärke Sósryqos. »Wenn du im Winter eine Grube gräbst«, sagte dieser, »und das Wasser des Terek hineinläßt, den Sósryqo auf eine Woche in die Grube tust und das Wasser gefriert, so bricht er doch mit dem Kopfe durch, so stark ist er.« »Nun«, sagte Eltághan, »grabt mir eine Grube, setzt mich hinein, laßt das Wasser des Terek in die Grube und laßt es frieren; wir wollen sehen, ob ich es nicht durchbreche.« So geschah es. Als das Wasser in der Grube tüchtig gefroren war, forderte Sósryqo Eltághan auf, durchzubrechen. Der tat einen Schub und brachte den Kopf durch; die Schultern aber blieben im Eise stecken. »Heb zu, heb zu,« ermutigte ihn Sósryqo, »es wird bald brechen.« »Nein, ich kann nicht,« antwortete Eltághan. »Nun, was glaubst du, wird dir mein Schwert den Kopf absäbeln? Sieh, ich bin selber der Sósryqo, glaub mirs nur!« Sprachs, zog das Schwert und wollte Eltághan den Kopf abhauen; es ging aber nicht. »Sei gnädig,« sagte dieser, »quäle mich nicht, hol das meine und hau mir damit den Kopf ab!« Sósryqo holte also das Schwert und sagte: »Kraft hast du schon, und wenn du ebensoviel Verstand hättest, würde dir niemand Herr werden, aber an Verstand bin ich dir über.« Dann hieb er ihm den Kopf ab; dieser aber faßte im Fallen mit den Zähnen den Griff von Sósryqos Schwert. Da lief dieser davon und der Kopf hinter ihm drein. Aber bald wurde der Kopf kalt und das Schwert entfiel ihm. Als Sósryqo dies sah, blieb er stehen und zog ihm den Skalp ab. Was er in Eltághans Hause fand, nahm er alles mit sich. Dann rief er aus dem Narten-Aul alle Mädchen und jungen Frauen zu sich und befahl ihnen, ihm aus dem Skalp und dem Schnurrbart einen Pelz zu nähen. Als sie diese Dinge sahen, sagte die eine: »Das ist die Kopfhaut meines Vaters«, die andere: »Das ist der Schnurrbart[184] meines Bruders«, die dritte: »Das ist die Kopfhaut meines Mannes.« Und dann versprachen sie alle, am nächsten Morgen zur Arbeit zu kommen.

Sie kamen und schnitten ihm den Pelz zu. Dann gingen sie zu einer Hexe und frugen diese um Rat: »Wir haben dem Sósryqo einen Pelz zugeschnitten aus den Kopfhäuten unserer Väter, aus den Schnurrbärten unserer Brüder und den Skalpen unserer Männer. Wir wollen ihn jetzt überlisten und bitten dich, uns zu sagen, was wir tun sollen.« »Laßt seinen Pelz ohne Kragen,« sagte diese, »und wenn ihr fertig seid, sagt ihm, sein Pelz sei sehr schön, aber es fehle noch der Kragen daran, er solle die Kopfhaut Mukkáras, des Sohnes des Táryk bringen, – sie soll golden sein – und dann würde sein Pelz fertig.« So taten sie denn auch.

Sósryqo machte sich auf den Weg. Als er zu Mukkára kam, rief er ihn an: »Mukkára, bist du zu Hause?« Als dieser rufen hörte, sagte er: »Das ist Sósryqos Stimme, geht und sagt ihm, ich sei nicht zu Hause!« »Nun, dann findet mir ihn um jeden Preis«, erwiderte Sósryqo, als man ihm diesen Bescheid brachte. Dann kam Mukkára selber und fragte Sósryqo, warum er ihn suche und was er von ihm wolle. »Wir wollen auf der Sakola-Straße würfeln,« antwortete Sósryqo, »wenn du gewinnst, schneidest du mir den Kopf ab, wenn ich, dann gehört dein Kopf mir.« Mukkára willigte ein; sie gingen hinaus auf die Sakola-Straße und Sósryqo sagte zu Mukkára, er solle zuerst würfeln. »Nein,« antwortete dieser, »du bist hierhergekommen und hast mich aufgefordert, wirf also du zuerst!« Das tat Sósryqo, und aus dem Würfel fiel Hirse, soviel als ein Mann in drei Tagen dreschen kann. »Die Hirse muß man aufsammeln«, sagte Sósryqo. Dann warf Mukkára seinen Würfel und Küken kamen daraus hervor, und ihrer waren so viel, daß nicht einmal ein Körnchen auf jedes traf.

»Jetzt würfle du zuerst«, sagte Sósryqo. Wieder fiel ein Würfel und ein Eber kam heraus und lief ins[185] Steppengras. Dann würfelte Sósryqo und drei Windspiele sprangen aus dem Würfel, jagten dem Eber nach und brachten ihn in Stücke gerissen zu Mukkára. »Jetzt ist an dir wieder die Reihe«, sagte dieser; Sósryqo warf seinen Würfel weg und die Häuser der Narten fingen an zu brennen. »Nun mußt du ihnen helfen«, sagte Sósryqo. Aber Mukkára mußte gestehen, daß er nichts für sie tun könne, »tu mit mir, was du willst'« fügte er hinzu. »Schau her«, sagte Sósryqo, würfelte und ein Regen setzte ein und löschte das Feuer. »Schneid' mir den Kopf ab, Sósryqo, du hast gewonnen«, sagte Mukkára. »Nein, würfle noch einmal, ich erlaube es dir.« Das tat Mukkára, und drei Tauben flogen aus seinem Würfel. »Fang sie!« sagte er zu Sósryqo. Der zog seinen Würfel aus der Tasche und drei Sperber flogen den Tauben nach, fingen sie, brachten sie zu Mukkára und töteten sie. »Schneid' mir den Kopf ab, du hast gewonnen«, wiederholte Mukkára. Aber das wollte Sósryqo nicht: »Du bist ein tapferer Mann, ich mag dir den Kopf nicht abhauen«, sagte er, zog ihm den Skalp ab und legte ihm ein heilendes Kraut auf. Da wuchs ihm eine neue Haut und er wurde wieder gesund. Sósryqo aber trug Mukkáras Skalp nach Hause und die jungen Frauen und die Mädchen machten ihm daraus einen Kragen für seinen Pelz.

55

Engel (ossetisch zäd) im Sinne »Helfer, Bote Gottes«.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 182-186.
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