13. Dalu Hamzà.1

[409] Drei Kaufleute aus Mesr2 beluden ein Schiff mit ihren Waren und segelten nach Stambol3. Hier angekommen fanden sie das Land von Hungersnot heimgesucht; sie begegneten einer armen Frau mit drei Kindern und kauften ihr den Säugling um 200 Goldstücke ab.4 Auf der Heimkehr trieb der Wind das Schiff in ein fremdes Land; hier regierte ein König, dessen neugeborener Sohn nie zu weinen aufhörte; wer ihn ohne Erfolg zu beruhigen versuchte, musste sein Leben lassen. Eine Frau erbot sich, dem Kinde zu helfen und nahm es auf die Königswiese mit, um die fremden Kaufleute, die sich hier gelagert hatten, vor der ihnen dafür drohenden Gefahr zu warnen. Kaum sah der Königssohn das andere Kind, so ward es sofort still. Als der König dies hörte, liess er die Kaufleute zu sich kommen, gab ihnen kostbare Geschenke und nahm dafür das Kind zu sich; dies ward Dalu Hamzà, sein Milchbruder aber Dalu Ahmed genannt. Als die Knaben herangewachsen waren, baten sie den Vater, ihnen zwei Stahlkeulen fertigen zu lassen, mit denen sie ihre Kraft und Gewandtheit auf dem Meidan erprobten. Aus ihren Keulen sprühte Feuer, so dass die Engel ihre Füsse wegziehen mussten, um diese nicht zu verbrennen. Vor dem Tode vermachte der König seine Söhne,[409] dass sie sich hüten sollten, hinter dem Schwarzen Berg spazieren zu gehen. Dalu Ahmet wurde König.

Einst gingen die Brüder auf den Schwarzen Berg jagen, erlegten dort eine Gazelle und brieten sie am Spiess. Plötzlich sahen sie ein Schiff sich dem Meeresufer nahen, liessen den Braten stehen und eilten hin; als sie in das Schiff gestiegen waren, trieb es ein Sturmwind weg und zerschmetterte es an den Felsen. Die Brüder klammerten sich an ein Brett, das bald entzweibrach und sie voneinander trennte. Beide taten das Gelübde, sollten sie ans Land kommen, ein härenes Kleid anzulegen und auf die Suche des Bruders zu gehen. Die Wellen schleuderten den König nach Osten und den Dalu Hamzà nach Westen. Dieser wurde von einem Fischer aus dem Wasser gezogen und tauschte sofort sein reiches Gewand gegen dessen härenes Kleid um.

Dalu Ahmet kam in eine Stadt, in der er keinen Menschen fand; die Königstochter, die allein am Leben geblieben war, erzählte ihm, ein Drache habe alle Einwohner der Stadt gefressen, jetzt sei die Reihe an ihr. Der Held tötete das Ungeheuer und gewann die Liebe der Jungfrau. Einst fand er in der Tasche der Königstochter, während sie badete, einen Schlüssel; er öffnete damit eine Tür und sah im Zimmer ein lichtstrahlendes Hemd, das er herausnahm; allein so fortriss es ihm ein Sinamvogel hinweg und trug es auf die Spitze eines Berges. Von dessen Strahlen erwachte bei Nacht ein Hirt, da er sie für das Sonnenlicht hielt; er trieb seine Herde aus und fand das Hemd, das er dem Dorfschulzen, und das dieser dem König brachte. Der König versprach reichen Lohn demjenigen, der die Besitzerin des Hemdes herbeischaffe. Eine Alte erbot sich, den Auftrag zu erfüllen; man solle ihr nur täglich ein Schaf zu essen geben. Nach einigen Tagen setzte sie sich auf ein Butterfass5, nahm eine Schlange in die Hand und fuhr windschnell übers Meer. In der bestimmten Stadt angelangt, versteckte sie das Fass und die Schlange und ging dem aus der Jagd heimkehrenden Dalu Ahmet entgegen, der Mitleid mit ihr hatte und sie mit nach Hause nahm, ohne auf die Warnungen der Königstochter zu achten, dass diese eine Hexe sei, die viel Unheil anrichten werde. Am nächsten Tage, als er auf die Jagd gegangen war, versetzte die Prinzessin der Alten einige Hiebe mit dem Spiess und trieb sie hinaus; allein der Held brachte sie wieder ins Haus. Einst fragte die Königstochter auf Anstiften der Alten den König, woher es. komme, dass er drei Tage in der Woche sterben und dann auferstehen könne. Der König löschte das Licht, damit die Alte nicht herbeikomme,[410] und flüsterte ihr ins Ohr, er müsse sterben, wenn jemand sein Schwert drei Spannen lang herausziehe. Die Alte hörte es, zog sofort sein Schwert drei Spannen breit heraus, schlug erst auf den Kopf und dann auf die Hand Dalu Ahmets und durchstach sie mit einer Nadel. Dann sperrte sie die Königstochter in das Butterfass ein, nahm die Schlange in die Hand und fuhr übers Meer heim. Die Prinzessin hatte noch eben Zeit gehabt, dem Helden einen Zettel in die Tasche zu stecken: nach seinem Erwachen werde er im Nebenzimmer zwei Derwische finden, die ihm mit Rat helfen würden; sie werde auf ihn 40 Tage warten, nach Ablauf dieser Frist aber gehöre sie nicht mehr ihm. Nach drei Tagen erwachte Dalu Ahmet, las den Zettel, fand die Derwische und bat sie flehend um Rat. Sie gaben ihm ein Haar, das er ins Meer tauchen sollte, worauf ein Feuerross emporsteigen und ihn nach dem Festlande bringen würde. In die Stadt des Königs von Westen angelangt, kehrte er bei einer alten Frau ein. Da die von der Königstochter angegebene Frist gerade abgelaufen war, feierte der König seine Hochzeit mit ihr. Dalu Ahmet sandte durch die Alte seinen Ring, in Rosinen versteckt, an die Prinzessin, die ihn sofort erkannte. Am nächsten Morgen bestieg er sein Ross, trat auf den Meidan und forderte den König auf, seine Braut herauszugeben oder ihm einen Gegner im Zweikampf zu stellen, sonst werde er die Stadt zerstören. Der König sandte den schwarzen Div zum Kampfe, den der Held niederschlug; dasselbe Schicksal traf auch den weissen und den roten Div. Von den ferner aufgeforderten Recken war nur Dalu Hamzà bereit, da er den fremden Pehlevanen nicht erkannte. Der erste Kampftag blieb ohne Entscheidung; aus den Keulen beider Helden sprühte Feuer, und die Engel im Himmel kauerten nieder, um ihre Füsse nicht zu verbrennen. An dem zweiten Tage warf Dalu Hamzà den Gegner zu Boden, drückte ihm das Knie auf die Brust und holte zum Todesstoss aus; da seufzte der liegende Held, dass er sterben solle, ohne seinen Bruder Dalu Hamzà gesehen zu haben! Bei diesen Worten umarmte ihn Dalu Hamzà, der ihn wieder erkannte, hieb dem Könige den Kopf ab und nahm seine Tochter zur Frau. Die beiden Brüder kehrten mit ihren Frauen zu dem Spiessbraten auf dem Schwarzen Berge zurück und setzten hier den Schmaus fort.

1

Eminsche Ethnograph. Sammlung 5, 96–111. Erzählt von Petros Vertoyan Xosrovian. Dalu heisst auf türkisch ›Toller‹. [Vgl. Macler, Contes arméniens 1905 Nr. 2: Zoulvisia.]

2

Ägypten.

3

Konstantinopel.

4

Vgl. die alttestamentliche Erzählung von Joseph, der an die fremden Kaufleute verkauft wird.

5

Ein solches 1–2 m langes und ungefähr 1/2 m breites Fass (armenisch Chnocì) hängt man an die Zimmerdecke und schaukelt es solange, bis die Milch darin sich in Butter verwandelt. Dass die Hexen in den orientalischen Märchen gewöhnlich ein Butterfass benutzen, um das Meer zu überfahren, erklärt sich freilich aus der Eigenschaft des schwimmenden Fasses.

Quelle:
Chalatianz, Bagrat: Kurdische Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 15-17 (1905-1907), S. 409-411.
Lizenz:
Kategorien: