[252] Einst herrschte in Japan ein Kaiser, der Takakura hieß und nach altem Brauche seine Residenz in Kioto hatte. Dieser Kaiser hatte außer seiner Gemahlin, der Kaiserin, noch eine Anzahl schöner Nebenfrauen, von denen eine die besondere Zuneigung ihres Herrn und Gebieters besaß. Kogo hieß die Bevorzugte, und sie war in der That ebenso schön als liebenswürdig und zugleich so klug und geistreich, daß es Niemand dem hohen Herrscher verargen mochte, wenn er sie über alles liebte. Namentlich aber freuete es den Kaiser, wenn Kogo mit ihm musicirte; sie sang so schön und spielte die verschiedenen Saiteninstrumente so meisterhaft, daß der Kaiser ihr mit Entzücken lauschte und sie nicht genug rühmen konnte. Und vornemlich war es eine überaus liebliche Melodie, welche Kogo mit besonderer Meisterschaft vortrug, und welche von den Höflingen, die alles aufboten, dem Kaiser und der Kogo zu gefallen, nicht nur mit größtem Beifall aufgenommen, sondern oft auch nachgesungen wurde. Das Glück des Kaisers, über welches er alle Sorgen und alle das Leid vergaß, das auch ihm zu Zeiten nicht erspart blieb, sollte indessen nicht von Bestand sein und ward eines Tages jäh zerrissen. Die Kaiserin fürchtete nämlich durch Kogo in der Liebe ihres hohen Gemahls allzuviel einzubüßen, und, von Eifersucht gequält, klagte sie ihr Leid ihrem Vater, der erster Minister des Reiches und kein anderer als derselbe Kiomori war, der lange Zeit die Geschicke des ganzen Landes mit eiserner Hand leitete. Tyrannisch und eigenwillig, wie er stets war, und in Besorgniß um das Glück seiner Tochter, faßte er einen raschen Entschluß und ließ die arme Kogo entführen, weit, weit fort, Niemand konnte sagen, wohin.
Der Kaiser war sehr bestürzt, als man ihm die Meldung brachte, daß Kogo verschwunden sei. Er ließ seinen Liebling tagelang suchen, und als man sie nicht fand, war er untröstlich.[253] Sehnsucht und Trauer beherrschten ihn ganz und zehrten so an ihm, daß er erkrankte und sein Lager nicht verlassen konnte. Seine Getreuen grämten sich gar sehr über den Kummer ihres Kaisers, sie boten alles auf, um denselben zu mildern, aber vergebens. Trat einer von ihnen bei seinem Gebieter ein, so blickte dieser voll Spannung empor, denn er glaubte jedesmal Nachricht von Kogo zu erhalten, und wenn dies nicht der Fall war, dann fiel er enttäuscht in tiefe Schwermuth zurück.
Dieser unglückliche Zustand des Kaisers rührte besonders einen Mann aus seiner Umgebung. Es war einer der Gelehrten vom Hofe, die man Kuge nennt, und er hatte sich stets der besonderen Gunst sowohl des Herrschers als der Kogo erfreut. Dieser Ritter, Nakakuni geheißen, konnte den Gram und Kummer Takakura's nicht länger ansehen und beschloß deshalb, sein Heil zu versuchen und alles aufzubieten, um Kogo wieder aufzufinden. Er nahm Abschied von seinem hohen Herrn und machte sich auf den Weg. Theils zu Pferde, theils zu Fuße durchzog er das Land kreuz und quer, ohne zu ermüden, und sobald er an bewohnte Orte kam, zog er eine Flöte aus dem Busen und stimmte in rührender Weise jene Melodie an, welche Kogo so sehr geliebt hatte. Seine Flöte lockte zwar stets die Einwohner aus den Häusern, aber keine Kogo war unter ihnen, und so zog der treue Nakakuni weiter und weiter, bis endlich sein Bemühen durch das Auffinden der Langgesuchten belohnt ward.
Es war zur Nachtzeit, als er an einem einsam gelegenen Hause vorbeizog; seiner Gewohnheit gemäß machte er Halt und nahm seine Flöte zur Hand. Schöner als je zuvor spielte er die altgewohnte Melodie, und kaum war er damit zu Ende, da erklang ein Koto1 und wiederholte die Töne. Da schlug sein Herz rascher in froher Erwartung, und bald sah er auch eine Dienerin leise aus dem Hause hervortreten. Sie winkte dem nächtlichen Flötenspieler und war beauftragt, ihn zu ihrer[254] Herrin zu führen. Nakakuni folgte ihr sofort, und als er bei der Herrin eintrat, stand er Kogo gegenüber.
Nun erfuhr er, daß der grausame Minister Kiomori sie mit Gewalt entführt habe und hier in weiter Ferne, an dem einsamsten Orte gefangen halte. Er vernahm, wie entzückt Kogo gewesen, als sie eben zu nächtlicher Stunde die geliebten Klänge der alten Melodie gehört habe, und war hoch beglückt, als sie bereit war, alle Gefahren einer langwierigen Reise mit ihm zu theilen und sofort mit ihm aufzubrechen.
So zog Nakakuni noch in der nämlichen Nacht mit der glücklich wiedergefundenen Geliebten seines Kaisers von dannen und hatte die Genugthuung, sie bald dem Takakura, seinem hohen Herren, wieder zuzuführen. Das Volk aber, das von der Begebenheit hörte, ward nicht müde, den braven Nakakuni zu preisen, und noch heute feiert man sein Andenken durch allerhand Abbildungen seiner ritterlichen Fahrt, die man tagtäglich auf den Kunstwerken der Japaner sehen kann.
1 | Nationales Saiteninstrument; s. S. 56. |