Der Wechselbalg.

[428] Vor nunmehr zweihundert Jahren lebte in der Provinz Tschoschiu ein Zimmermann, der seines Lebens nicht froh werden konnte, weil sein Neffe, ein überaus boshafter Mensch, ihn täglich quälte und durch seine schlechten Streiche aufbrachte. Derselbe zerstörte muthwillig, was sein Oheim durch schwere Mühe sich erworben, mißhandelte seine Vettern und Basen und brachte endlich seine Verwandten auf den Gedanken, daß er ein unheimliches Wesen sei, welches nur durch Zauber oder sonst auf übernatürliche Weise in die Familie eingeschwärzt sei. Bestärkt wurden sie in dieser Vermuthung dadurch, das der Unhold ein abscheulich wildes Aussehen hatte, und daß namentlich seine Zähne sehr häßlich und ganz ungleich waren und ungewöhnlich schief standen. So kam es, daß der Zimmermann, als sein Neffe ihn durch besonders grausame Mißhandlungen Wehrloser abermals erzürnt hatte, den Entschluß faßte, sich des ungerathenen Neffen zu entledigen. Als sie einst zusammen in einem Kahne über das Meer fuhren, band er ihn mit Stricken und warf ihn seines Geschreies unerachtet ins Wasser.

Allerdings fühlte er nachmals darüber oft Gewissensbisse, und er bedachte wohl, daß eine schwere Schuld auf ihm laste, falls seine Vermuthung, daß in jenem Neffen ein böser Geist gesteckt, unrichtig gewesen sein sollte. Indessen zeigte der spätere Verlauf der Dinge, daß es sich wirklich um einen Spuk handelte; das nächste Kind, das ihm geboren ward, war nichts anderes als eine Wiedergeburt des Unholdes, von ganz demselben Aussehen und namentlich mit denselben sonderbaren Zähnen. Voll Angst und Entsetzen entschloß sich der Zimmermann, den Wechselbalg abermals zu tödten. Den Leichnam that er in eine Kiste und war im Begriff, diese zu verscharren, als der Deckel derselben sich nochmals hob und er die Worte vernahm: »Wehe mir, daß ich dem Hasse gegen dich, der mich verzehrt, seit du mich ins Meer senktest,[429] nun nicht gehörig fröhnen kann, wie ich es doch hoffte, da es mir gelang, als dein Kind wiedergeboren zu werden! Aber wahre dich vor Feuer!« Der Zimmermann war seitdem unablässig wachsam gegen Feuerschaden und war auch so glücklich, sein Haus davor zu schützen; zu einer Zeit jedoch, wo er es am wenigsten vermuthen konnte, verbrannten bald nachher alle seine Fischnetze, die er am Strande zum Trocknen aufgehängt hatte, und zwar die seinigen ganz allein, während keiner seiner Nachbarn, die ihre Netze an der nämlichen Stelle aufbewahrten, einen solchen Verlust erlitt.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 428-430.
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