Aoÿama.

[427] Aoyama bekleidete vor etwa zweihundert Jahren in Yedo den Posten eines Polizeiobersten, zu dem er sich indessen durchaus nicht eignete, denn er war ein sehr jähzorniger, zur Grausamkeit geneigter Mann. Eine seiner Dienerinnen, Kiku, hatte einmal das Unglück, ein kostbares Geschirr zu zerbrechen, welches Herrn Aoyama sehr werth war, und hierüber ward er so aufgebracht, daß er sie festbinden und ihr die Finger abschneiden ließ, durch welche der Unfall herbeigeführt war. Dies verursachte ihr furchtbare Schmerzen; sie bat flehentlich, daß man ihr die Wunden gehörig verbinden und behandeln lassen möge, aber vergebens, ihr Herr hielt sie in Banden fest und ging daran, sie noch ferner zu peinigen. Da riß sie sich mit der Kraft der Verzweiflung los, lief hinaus und stürzte sich in den Brunnen neben dem Hause, wo sie den Tod fand.

Seit diesem Tage nun erschien allabendlich der Geist dieses Mädchens und zählte alles Geschirr im Hause, kam dann zu Herrn Aoyamas Lager, um ihn zu ängstigen, und schreckte auch sämmtliche Hausgenossen auf alle erdenkliche Weise. Es ward daher im Hause so unheimlich, daß die Diener ohne Ausnahme das Weite suchten. Herr Aoyama, gänzlich verlassen, war in der übelsten Lage; nicht im Stande, den Obliegenheiten seines Amtes nachzukommen, erhielt er seine Entlassung und gerieth in große Noth.

Ein Priester, dem Aoyama sein Leid klagte, erbarmte sich endlich seiner, nachdem er Reue und Besserung gelobt; derselbe versöhnte den zürnenden Geist des armen Mädchens, und als dieser dem Aoyama verzieh und der Spuk im Hause ein Ende nahm, ging es demselben auch wieder besser, und er bekam aufs neue ein Amt, das er von nun an mit mehr Milde und Mäßigung handhabte als ehedem.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 427-428.
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