Masakado.

[209] Die Wirrsale, welche die japanische Kaiserfamilie zerrütteten und ihr Ansehen untergruben, gaben Veranlassung, daß Ehrgeizige aus den übrigen hohen und mächtigen Familien sich erhoben und danach trachteten, die Macht und Herrschaft an sich zu reißen. Ganz besonders waren es zwei Familien, deren ungemessene Herrschsucht das Reich in große Gefahren stürzte, die der Taira und die der Minamoto, welche beide reich an hohen Heldengestalten sind. Der Zwist, in den sie geriethen, endete erst mit der gänzlichen Vernichtung des einen dieser Geschlechter, des erlauchten Hauses der Taira, durch seine Widersacher, die Minamoto. Beide Familien stammten von Kaisertöchtern ab; die der Taira war die ältere und daher anfänglich auch die angesehenere und mächtigere.

Etwa sechzehnhundert Jahre nach Jimmu Tenno, 932 Jahre nach Christi Geburt, unter einem Kaiser Namens Schujaku, hatte bereits ein Oberhaupt der Taira-Familie, der mit außerordentlicher Kraft und Klugheit begabte Masakado, eine große Macht an sich gerissen, an deren Spitze er sich offen gegen seinen rechtmäßigen Herrscher empörte. Die ganze Gegend im Osten des Reiches, da, wo später die Hauptstadt Yeddo oder Tokio entstand, gehorchte seinen Befehlen, und selbst von den Familien, welche sonst in allen Fährlichkeiten treu zum Kaiser zu halten pflegten, waren einzelne Häupter zu ihm übergetreten. Insbesondere[209] hatte sich ihm ein General angeschlossen, der einer dem Kaiserhause eng verknüpften alten Familie, den Fujiwara, angehörte: aus dieser Familie aber pflegten die Herrscher ihre ersten Minister zu wählen, und so bekleidete auch gerade zu jener Zeit einer der Fujiwara jenes wichtige Amt. Zum Glücke für das Reich ließ sich dieser Minister indessen nicht durch irgend welche Rücksicht auf seinen pflichtvergessenen Vetter in der treuen Erfüllung seiner Pflichten beirren; er sandte zwei starke Heerhaufen unter bewährten, getreuen Befehlshabern gegen die Rebellen ab, mit dem Befehle, mit äußerster Strenge gegen dieselben vorzugehen.

Dennoch währte es volle sieben Jahr, ehe der Aufstand unterdrückt ward, und dies war hauptsächlich das Werk Masakado's selber, der viel wunderbare Thaten verrichtete und stets die Absichten seiner Gegner zu vereiteln wußte. Endlich aber fiel er in einem Gefechte, und nun gelang es sehr bald, seine Anhänger zu besiegen.

Noch mehr aber, als zu Lebzeiten, bewies Masakado nach seinem Tode, welche hohe, göttliche Kraft ihm inne wohnte. Sein unversöhnter Geist quälte und plagte die ganze Einwohnerschaft der Gegend, die ihm ehedem unterthan gewesen, ohne Unterlaß; Pestilenz, schwere Unwetter und andere Drangsale gaben sein Grollen zu erkennen. In Folge davon errichtete man ihm mehrere Tempel und ordnete einen besonderen Gottesdienst für ihn an, indem man ihm den Götternamen Kandamiojin beilegte. Als dies geschehen, war sein Geist versöhnt; jene Drangsale, mit denen er das Volk heimgesucht, hörten auf. Die Verehrung des Kandamiojin aber gewann dadurch neue Kraft und dauert unverändert bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 209-210.
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