XII.

[39] Es war einmal ein Molla, der traf einen Grindkopf und fragte ihn: »Willst du nicht mit mir gehen?« »Wohin?« »Wir wollen Rosinen aus den Weinbergen sammeln«. »Freilich«, antwortete der Grindkopf. Als sie weiter gingen, trafen sie einen Jeſîdi und riefen ihn an: »Jeſîdi!« »Ja!« »Willst du nicht mit uns kommen?« »Wohin?« »Zum Rosinensammeln in die Weinberge«. »Freilich«, erwiderte dieser. So gingen nun die drei nebst einem Esel und forderten Rosinen von den Besitzern der Weinberge. Als sie ihren Sack voll hatten, begaben sie sich in's Dorf. Der Molla trat in ein Haus und bat: »Beherbergt uns«. »Recht gern«, war die Antwort, »kommt und setzt euch«. Der Grindkopf aber sagte: »Hier setze ich mich nicht«. »Wesshalb nicht?« fragte der Molla. »Desshalb! hier gibt's keine schönen Weiber«. Sprach's und ging zu einer Frau an die Thüre, welche gerade das ass und Garn auf den Haspel drehte; an ihren Augen hatte sie Schminke, es war eine Schöne. Der Grindkopf sagte: »Wir wollen bei dir schlafen« »Nein«, entgegnete sie. Der Grindkopf aber sagte: »Freilich!« und lud gegen ihren Willen die Last in die Halle ab. Die Frau sagte ihm: »Freundchen, unser Haus wird in der Nacht voll Wasser«. Da rief der Molla: »Grindkopf, willst du mich ersäufen?« »Nein, nein, habe nur keine Angst, wir lassen dich in der Fensternische schlafen«. Sie liessen sich nun drinnen nieder. Als es Abend wurde, setzte sich die Frau an's Feuer, wärend sie sich neben der Ladung Rosinen schlafen legten. Der Grindkopf aber sass mit offenen Augen da und beobachtete die Frau. Jetzt dachte sie, sie schliefen, holte darauf einen schwarzen Faden, tat ihn um ihren Finger und band ihn an die Thüre, für den Fall, dass ihr Liebhaber käme. Dann legte sie sich auch schlafen. Der Grindkopf stand auf, ganz langsam, zog der Frau den Faden von der Hand und tat ihn an die seinige. Als nun der Liebhaber der Frau kam, den Faden fasste und daran zog, stand der Grindkopf auf, stellte sich, als, ob er die Frau wäre, und fragte: »Was wünschest du?« »Ich will bei dir schlafen«, erwiderte jener. »Wir haben Gäste, den Grindkopf, den Molla und den Jeſîdi«. »Wie sollen wir's denn nun anlegen?« fragte der Liebhaber. »Stecke dein Glied zwischen den Thürbrettern durch«, entgegnete der Grindkopf. Da sagte der Liebhaber: »Nimm dir dieses gekochte Huhn«, gab es dem Grindkopf und steckte dann sein Glied zwischen den Brettern durch, aber der Grindkopf packte es von innen und schnitt es mit[40] einem Messer ab. Dann trat er zu seinem Gefährten, dem Jeſîdi, indem er von dem Huhn ass. »Was issest du?« fragte dieser. »Ich esse einen Knorpel«. »Liebster, gib ihn mir«. Er gab ihm das Glied, und der Jeſîdi biss darauf, aber er konnte nichts Essbares abbeissen. »Lege ihn an's Feuer«, riet ihm der Grindkopf. – Darauf tat dieser den Faden wieder an den Finger der Frau, welche noch schlief. Der Liebhaber aber stand vor der Thüre mit abgeschnittenem Gliede. Er zündete ein Feuer an und legte einen Bratspiess in dasselbe. Darauf riss er an dem Faden von der Thüre aus; die Frau kam und fragte: »Was wünschest du? Makke«. »Ich will bei dir schlafen«. »Wir haben Gäste«. »So lege deinen Rücken an die Bretter, ich stecke mein Glied durch«. »Schön!« sagte sie und legte ihren Rücken an die Bretter. Er aber machte das Eisen heiss und steckte es zwischen den Brettern durch. Es war heiss; als es in die Frau drang, schrie sie: »Uff! ich bin verbrannt!« Jetzt dachte der Jeſîdi, der Grindkopf habe das Fleisch vom Feuer genommen. Er streckte nun auch seine Hand nach dem Feuer aus, um das Fleisch heraus zu nehmen, da stiess aber seine Hand an die Wasserkanne, sie fiel um, und das Wasser tröpfelte auf dieselbe heraus. Da schrie der Molla: »Das Haus ist voll Wasser«, sprang vom Fenster hinab, fiel und zerbrach seine Zähne. Die Frau starb und auch der Liebhaber starb. Der Grindkopf, der Molla und der Jeſîdi luden ihre Rosinen auf und gingen nach Hause.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 39-41.
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