[123] Die Zeit verging unbemerkt und als neun Monate, neun Tage und neun Stunden um waren, schenkte ihnen Gott einen Sohn.
David sagte zu Chandud-Chanum: »Wenn dieser Junge von mir ist, muss er ein Kennzeichen haben: er wird grosse Kraft besitzen.«
Sie legten den Jungen in Windeln, aber anstatt der Windelbänder umwickelten sie ihn mit einer Pflugkette. Als er zu weinen anfing[123] und sich in der Wiege rührte, zersprangt die Kette in lauter Stücke.
Sie schickten da David die folgende Nachricht: »Der Junge ist ein Mordskerl! Er hat die Kette zerrissen. Nur eine seiner Hände ist so schadenbringend; er hält sie zusammengeballt und niemand kann sie aufmachen.«
David kam, setzte sich hin, beschaute die Hand des Jungen und öffnete sie. Er sieht, in der Hand hält er ein Klümpchen geronnenen Blutes. Er sagte: »Ei, ei! Die ganze Welt wird er in einen Tropfen Blut verwandeln und in seiner Hand halten! Wenn er am Leben bleibt, wird er wunderliche Thaten vollbringen!«
Sie tauften den Jungen und gaben ihm den Namen Mcher.
Es verging einige Zeit. Der Knabe wuchs heran.
David liess ihn in Kachiswan bei den Grosseltern, nahm Chandud-Chanum und zog nach Sassun.
Die Chlater41 erfuhren die Ankunft Davids.[124] Sie sammelten ein Heer, führten einen Wall auf, errichteten eine Wagenburg und begannen den Kampf.
Als Chandud-Chanum mit ihrem Lanzenstiel auf den Wall schlug, zerstörte sie ihn und die Wagen flogen zwei Stunden weit. David ging vorwärts und trieb die Krieger auseinander. Er sprach zu ihnen: »Ihr Chlater, was seit ihr für ein schamloses Volk! Ihr führt mit einem Weibe Krieg. Lasst mich mein Weib nach Sassun zurückbringen und dann will ich kommen und wir werden uns schlagen.«
Jene glaubten es nicht.
»Schwöre uns aufs heilige Kreuz, das du in der Achselhöhle hast und wir werden es glauben,« sagten sie.
David schlug mit der Hand an den Kamm; er dachte, er schwöre auf den Kamm, aber seine Hand hatte das Kreuz berührt und dieses hatte die Kraft, dass man nicht darauf schwören konnte.
David nahm Chandud-Chanum und brachte sie ins Sassuner Schloss. Erst hier steckte er die Hand in die Achselhöhle, denn er dachte dort den Kamm zu finden, aber er sieht, dass dort das Kreuz liegt und dass er darauf geschworen habe.[125]
Er sagte: »Jetzt steht es schlimm um mich, ob ich hinziehe oder nicht, so bleibt es schlimm, und hinziehen muss ich doch.«
Er zog also hin in den Kampf. Die Chlater bedrängten ihn sehr. Sein Pferd blieb in den Schilfsümpfen von Tschechur42 stecken. Mit Not kroch er aus dem Sumpfe heraus und gelangte zu den Wassern von Lochur.43
Noch zu seinen Lebzeiten, als Abamelik in Ibrahim-Agas44 Hause weilte, war er gewaltsam in das Schlafzimmer dessen Gemahlin, eingedrungen.
Sie hiess Schemschin-Chanum. Von Abamelik gebar sie eine Tochter und diese war als Mahomedanerin sehr begabt. Diese Jungfrau nahm Bogen und Pfeil und ging und verbarg sich am abschüssigen Flussufer.
Als sich David in den Gewässern von Lochur badete, schoss ihm die Jungfrau meuchlerisch einen Pfeil in den Rücken. David stand auf und schrie; seine Stimme hallte bis[126] nach Sassun hin. Zönow-Owan, Chor-Hussan, Onkel Toross, Tschöntschchapokrik und Zöranwegi kamen zusammen. Zönow-Owan rief aus Sassun: »David, wir kommen!«
Und sie zogen David zu Hilfe. David hörte noch im Wasser die Stimme seines Bruders. Sie kamen an den Fluss und fanden David. David sagte: »Zönow-Owan, sie scheint von unserem Rufe erschrocken zu sein. Gehet und suchet sie!«
Sie suchten und fanden die blauäugige Jungfrau. David packte sie an einem Fusse, trat auf den andern, zerriss sie in zwei Teile und warf sie in ein Dorf am Fusse des Berges und dieses Dorf nannte er »Tschiwtis-Tschapkis«.45 Dieses Dorf liegt an der Mündung des Tschechur und heisst bis heute Tschapkis.
Die Brüder nahmen David mit sich und zogen nach Sassun. Nach vier Tagen starb David und die Brüder trauerten um ihn. Sie gingen zu Chandud um sie zu trösten und wünschten ihr lange Gesundheit. Aber Chandud sagte: »Ach, ach, nach Davids Tode bin ich nur der Gegenstand ihres Spottes!«
Tschöntschchapokrik sagte: »Chandud-Chanum,[127] weine nicht, weine nicht! David ist tot, aber mein Kopf ist noch ganz!«
Chandud-Chanum stieg auf den Turm und stürzte sich von dort herunter. Und sie schlug mit dem Kopfe auf einen Stein und ihr Kopf schlug in den Stein ein Loch.
In dieses Loch schütten die Sassuner Hirse und stampfen ihn wie im Mörser. Noch heute sieht man dort die Spuren ihrer sieben Zöpfe und jener Mörser steht noch jetzt dort vor dem Schlosse.
41 | Die Stadt Chlat (türkisch Achlat) liegt nordwestlich vom Wanschen See. Im Altertume war sie durch ihre Pracht, ihre hohen Mauern und ihre Festung berühmt. Ihre Einwohner waren von Davids Vater beleidigt worden, weshalb sie sich jetzt am Sohne rächen wollen. |
42 | Ein Sumpf am Ausflusse des Kara-su, eines Nebenflusses des Euphrat. |
43 | Ein kleiner Fluss, der unweit der Stadt Chlat in dem See von Wan mündet. |
44 | Wer Ibrahim-Aga war, vermag ich nicht anzugeben. Dieser türkische Name deutet übrigens auf eine spätere Einfügung und Umänderung der Sage. |
45 | Bedeutet wörtlich: »Werde zerrissen und auseinander gestreut!« |