[149] Wo es war und wo es nicht war, es war einmal ein Mann und dieser hatte einen Sohn. Dieser Mann schweifte den ganzen Tag hindurch im Walde herum, fing Vögel und verkaufte sie. Einmal starb der Vater und der Junge blieb allein. Er wusste nicht, was das Handwerk seines Vaters war und als er auf dem Boden unter den Gerätschaften herumkramte, geriet ihm eine Vogelfalle in die Hände. Er steckte sie zu sich, ging damit in den Wald und stellte sie dort auf einem Baume auf. Bald flog eine Krähe und geriet in die Falle. Der Junge kroch um sie hinauf und als er sie ergreifen wollte, flehte sie, er möge sie doch freilassen, sie würde ihm an ihrer Statt einen schöneren, wertvolleren Vogel geben. Sie flehte so lange, bis er sie endlich frei liess.
Er stellte seine Falle wieder auf den Baum und wie er nun am Fusse des Baumes sitzt, flog wieder ein Vogel heran und geriet sogleich in die Falle. Der Junge nahm ihn zu sich und war über die Schönheit desselben erstaunt, denn er hatte noch nie einen solchen Vogel gesehen. Er besah ihn von allen Seiten, liebkoste ihn und die Krähe flog wieder herbei und sprach zum Jungen: »Trage diesen Vogel zum Padischah; er wird ihn dir abkaufen!« Der Junge steckte also den Vogel in einen Käfig und trug ihn in den Palast. Als der Padischah das schöne kleine Tierchen erblickte,[150] freute er sich sehr und gab dem Jungen so viel Geld dafür, dass dieser gar nicht wusste, was damit anzufangen. Den Voge! sperrte man nun in einen goldenen Käfig ein und der Padischah hatte Tag und Nacht seine Freude daran.
Der Padischah hatte einen Lala, der den Jungen ob seines Glückes gar sehr beneidete und sich den Kopf darüber zerbrach, wie er ihn aus dem Wege schaffen könnte. Er ging also eines Tages zum Padischah und sprach zu ihm: »Wie schön wäre dieser Vogel, wenn er in einem elfenbeinernen Kiosk wohnen würde!« – »Aber Lala« versetzte der Padischah, »woher soll ich so viel Elfenbein nehmen?« – »Wer den Vogel gebracht hat,« antwortete der Wezir, »der kann auch das Elfenbein herbeischaffen.«
Der Padischah liess den kleinen Vogelsteller rufen und befahl ihm, woher immer so viel Elfenbein herbeizuschaffen, als zu einem Kiosk für den Vogel nötig sei. »Aber Padischah,« flehte der Junge, »woher soll ich so viel Elfenbein nehmen?« – »Das ist deine Sache,« antwortete der König, »vierzig Tage lang kannst du es suchen; wenn es bis zu dieser Zeit nicht hergeschafft ist, so kostet es deinen Kopf.«
Tieftraurig ging der Junge fort und wie er hin- und herdachte, erschien die Krähe und fragte den Vogelsteller, weshalb er so bekümmert sei. Der Junge erzählte ihr nun, welch' Unheil ihm jener kleine Vogel bereitet habe »Darüber gräme du dich nicht!« sagte die Krähe; »gehe zum Padischah und verlange von ihm vierzig Wagen voll Wein.« Der Junge ging in den Palast, erhielt den vielen Wein und als er mit dem Wagen einherfuhr, flog die Krähe herbei und sprach zu ihm: »Nahe am Waldesrande sind vierzig Trinkbecken aufgestellt. Alle Elefanten kommen hin zu trinken; gehe hin und giesse statt Wasser den Wein in die Trinkbecken. Wenn sie dann alle betrunken zu Boden[151] sinken, kannst du ihnen die Zähne ausschlagen und sie dem König hintragen.«
Der Junge tat also, wie es ihm die Krähe gesagt hatte und kehrte mit Elfenbein beladen in den Palast zurück. Der König freute sich über die vielen Elefantenzähne, liess den Kiosk erbauen und beschenkt schickte er den kleinen Vogelsteller heim.
Der schillernde Vogel befand sich also in seinem Palaste, hüpfte fröhlich herum, aber er sang nicht. »Wenn sein Herr hier wäre,« sagte der Lala, »so käme ihm die Lust zum Singen.« – »Wer weiss, wer sein Besitzer war und wo man denselben finden kann,« versetzte traurig der König. »Derjenige, welcher das Elfenbein gebracht hat, der wird auch den Besitzer herbeischaffen können,« sagte der Lala. Er liess also den Vogelsteller wieder holen und befahl ihm, den Besitzer des Vogels herbeizuschaffen. »Woher soll ich wissen, wer sein Besitzer ist,« sagte der Vogelsteller, »ich habe ihn ja im Walde gefangen.« – »Das ist deine Sache,« meinte der Padischah, »wenn du ihn nicht findest, so lasse ich dich töten. Vierzig Tage lang hast du Zeit, ihn zu suchen.«
Der Junge ging heim und weinte dort gar bitterlich, als die Krähe abermals erschien und ihn frug, warum er jammere. »Wie sollte ich nicht weinen,« sprach der arme Junge und erzählte sein Leid. »Wegen solcher Kleinigkeiten ist's nicht der Mühe wert, so viel zu weinen,« versetzte die Krähe. »Geh' schnell zum König und verlang von ihm ein grosses Schiff, es soll aber so gross und so schön sein, dass vierzig Mädchen darin Platz haben können; es soll auch einen Garten und ein Bad haben.« Der Junge ging zum Padischah und sagte ihm, was er zur Reise benötige. Das Schiff ward nun nach seinem Wunsche verfertigt, der Junge stieg hinein und als er eben nachdachte, ob er rechts oder links fahren solle,[152] da flog die Krähe herbei und sprach zu ihm: »Richte dein Schiff stets nach rechts und so lange bleibe nicht stehen, bis du nicht zu einem grossen Berge gelangst. Dort am Fusse des Berges wohnen vierzig Peris; wenn sie dein Schiff erblicken, so werden sie es alle besichtigen wollen. Du aber lass es nur ihre Königin betreten, denn sie ist die Besitzerin jenes kleinen Vogels; und während du ihr das Schiff zeigst, fahre weiter und bleibe bis zur Heimat nicht stehen.«
Der Junge fuhr mit dem Schiffe ab, hielt sich immer rechts und blieb so lange nicht stehen, bis er den Berg nicht erreichte. Dort am Meeresufer spazierten die vierzig Peris und als sie das Schiff erblickten, wollten sie es besichtigen. Die Königin bat nun den kleinen Vogelsteller, er möge sie auch das Innere des Schiffes besichtigen lassen, denn sie habe noch kein Schiff gesehen. Er nahm die Königin in einen Kahn auf und führte sie so zum Schiffe. Die Fee hatte ihre Freude am schönen Schiffe, spazierte mit den Dienerinnen des Schiffes im Garten herum und als sie das Bad erblickte, sprach sie: »Wenn ich nun einmal hier bin, so will ich auch baden.« Sie ging nun in's Bad und während sie dort weilte, fuhr das Schiff ab Sie waren schon weit draussen auf der See, als die Peris mit dem Bade fertig war. Die Fee eilte nun auf's Verdeck und als sie sah, dass das Schiff schon dahinfuhr, brach sie in Klage aus, was nun mit ihr geschehen, wohin und zu wem man sie bringen werde. Der Junge tröstete sie, dass er sie zu guten Menschen in einen königlichen Palast führe. Sie erreichten denn auch gar bald die Stadt, und der Padischah ward von der Ankunft des Schiffes benachrichtigt. Man führte die Fee in den Palast und als sie am Kiosk des Vogels vorüberschritt, begann dieser so herrlich zu singen, dass wer ihn hörte, davon ganz entzückt war. Die Fee tröstete sich nun ein wenig, aber noch mehr tröstete sie der Schah der[153] die schöne Peri so lieb gewann, dass er keinen Augenblick von ihrer Seite wich. Die Hochzeit wurde bald gefeiert und der glücklichste Mensch war nun der König. Nur der Lala war des Ärgers voll.
Da wurde einmal die Königin unwohl und lag krank darnieder. Sie hatte die Arznei für ihr Übel daheim in ihrem Feenpalast. Auf den Rat des Lala, wurde der Vogelsteller nach der Arznei abgesendet. Er stieg wieder zu Schiffe und als er zur Abfahrt bereit war, erschien die Krähe und frug ihn, wohin des Weges? Der Junge sagte ihr, dass die Königin krank sei und er zum Feenpalast um die Arznei fahre. »Geh also,« sprach die Krähe, »dort jenseits des Berges findest du den Palast. Zwei Löwen stehen vor dem Tore; nimm diese Feder; wenn du damit ihre Mäuler bestreichst, so fügen sie dir kein Leid zu.« Der Junge steckte die Feder zu sich, ankerte vor dem Berge und erblickte bald den Palast. Er ging zum Tore hin, wo die beiden Löwen standen. Nun nahm er die Feder hervor und als er damit ihre Mäuler bestrich, zogen sie sich zurück. Die Feen bemerkten auch den Jungen und ahnten sogleich, dass ihre Königin krank sei. Sie gaben ihm die Arznei, worauf der Junge zu Schiffe stieg und in den königlichen Palast zurückkehrte. Als er mit der Arznei in das Gemach der Peri eintrat, setzte sich die Krähe auf seine Schulter, und so traten sie denn vor das Lager der Kranken hin.
Die Königin war schon halbtot; als sie aber von der Arznei trank, kam gleichsam frisches Leben in sie. Sie öffnete die Augen, blickte auf den Vogelsteller und als sie auf seiner Schulter die Krähe bemerkte, sprach sie: »O du Hässlicher, hast du denn kein Mitleid mit diesem armen Jungen gehabt, dass er wegen dir hat so viel leiden müssen!«
Nun erzählte die Königin ihrem Gatten, dass diese Krähe ihre Feen-dienerin gewesen sei, die sie wegen einer Nachlässigkeit[154] zur Strafe in eine Krähe verwandelt habe. »Nun verzeihe ich dir,« sprach sie, »denn ich sehe, dass du mir zugetan bist!«
Die Krähe schüttelte ihr Gefieder und siehe da! ein so schönes Mädchen stand vor dem Vogelsteller, das wahrlich an Schönheit der Feenkönigin gar wenig nachstand. Auf Wunsch der Königin verheiratete der König den Jungen mit der Krähen-Peri, den falschen Lala aber vertrieb er und der Vogelsteller ward nun der Wezir. Ihr Glück dauerte bis zu ihrem Tode.
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro