9. Panch-Phul-Ranee.
9. Panch-Phul-Ranee

[174] Ein gewisser Rajah hatte zwei Frauen, von denen er die zweite der ersten vorzog. Die erste Ranee hatte einen Sohn; aber weil derselbe nicht das Kind der zweiten Ranee war, konnte ihn sein Vater nicht leiden und behandelte ihn so unfreundlich, daß sich der arme Knabe ganz unglücklich fühlte.

Deßhalb sprach er eines Tages zu seiner Mutter: »Mutter, mein Vater kümmert sich nicht um mich, und meine Gegenwart gereicht ihm nur zum Aerger. Ich würde mich anderswo glücklicher fühlen, wie hier. Laß mich deßhalb fortziehen und mein Glück in anderen Ländern suchen.«

Da fragte die Ranee ihren Gemahl, ob er ihrem Sohne die Erlaubniß zur Reise geben wolle. Er sagte: »Es steht dem Knaben frei zu gehen, doch habe ich keine Ahnung, wovon er an irgend einem Orte der Welt leben will, – er ist zu dumm, um sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben und Geld zum Verschleudern oder zu sinnlosen Vergnügungen gebe ich ihm nicht.« Da erzählte die Ranee ihrem Sohne, daß ihm sein Vater die Erlaubniß zu reisen ertheile, und dann fügte sie hinzu: »Du ziehst nun in die Welt hinaus, um Dein Glück zu versuchen, nimm dieses Essen und dieses Zeug, das ich Dir für deine Reise zusammen suchte.« Und sie gab ihm ein Bündel voll Zeug und einige kleine Brodsemmeln. Und in jede Semmel steckte sie einen Goldmohur, so daß er beim Durchbrechen[175] derselben nicht allein Nahrung, sondern auch Gold fand. Und so begab er sich auf die Reise.

Als der junge Rajah ein gutes Stück Weges gereist war, und seines Vaters Königreich weit hinter ihm lag, kam er eines Tages in die Vorstadt einer großen Residenz, woselbst er anstatt die seinem Range angemessene Stellung einzunehmen und den Rajah von seiner Ankunft zu benachrichtigen, zu dem Hause eines armen Holzschuhmachers ging und denselben um ein Nachtlager bat. Der Holzschuhmacher, der gerade eifrig beschäftigt in seiner Hausflur saß und Holzschuhe machte, erhob den Kopf und nickte, indem er sagte: »Junger Mann, sei mir willkommen! Der Beistand, den Du als ein Fremder bedarfst, soll Dir, wenn wir es können, gewährt werden. Bedarfst Du Speise, so findest Du meine Frau und meine Tochter zu Haus, – sie werden sich glücklich schätzen für Dich zu kochen.« Der Rajah ging hinein und sprach zur Tochter des Holzschuhmachers: »Ich bin ein Fremder und bin weit gereist. Ich bin sehr müde und hungrig. Koche mir so schnell wie möglich etwas zu essen und, ich will Dir Deine Mühe bezahlen.« Sie entgegnete: »Ich würde Dir gern gleich etwas zu essen bereiten, doch habe ich kein Holz, um Feuer anzumachen und der Dschungel liegt ziemlich entfernt.« »Das schadet nichts«, sagte der Rajah, »dies ist zum Feuer anmachen passend, ich will Deinem Vater seinen Schaden schon wieder ersetzen.« Mit diesen Worten nahm er ein Paar neue Holzschuhe, die der Holzschuhmacher soeben fertig gemacht hatte, brach sie entzwei und machte mit ihnen das Feuer an.

Am folgenden Morgen ging er in den Dschungel, schnitt Holz, und nachdem er ein Paar neue Holzschuhe, die besser als die waren, womit er am vergangenen Abend das Feuer angemacht, verfertigt hatte, legte er sie zu den übrigen, zu verkaufenden Waaren in des Holzschuhmachers Laden. – Bald darauf kam einer der[176] Hoflakeien des Rajah, um für seinen Herrn ein paar Holzschuhe zu kaufen, und als er diese neuen sah, sprach er zum Holzschuhmacher: »Ei, guter Mann, diese Pantoffeln sind besser als alle anderen zusammen, das sind die einzigsten, die für den Rajah passen. Ich möchte wohl, daß Ihr immer solche schöne Holzschuhe machtet.« Und damit warf er ihm zehn Goldmohurs vor die Füße, nahm die Schuhe und entfernte sich.

Der Holzschuhmacher war über dies ganze Geschäft sehr erstaunt. Im besten Falle erhielt er für jedes Paar Holzschuhe nur zwei oder drei Rupeen,1 außerdem wußte er, daß gerade die, die sich der Diener des Rajah auswählte und zehn Goldmohurs werth hielt, nicht von ihm gemacht waren, doch wie sie dahingekommen waren, konnte er nicht begreifen. War er doch seiner Sache ganz gewiß, daß sie gestern Abend noch nicht bei den übrigen Holzschuhen gestanden hatten. Er sann und sann, aber jemehr er darüber nachdachte, um so unbegreiflicher wurde es ihm, und deßhalb ging er zu seiner Frau und seiner Tochter, und besprach sich mit ihnen. – Da sagte seine Tochter: »Das sind sicher die Holzschuhe gewesen, die der Fremde gemacht hat.« Und dann erzählte sie ihrem Vater, daß er mit zweien, der für den Verkauf bestimmten Holzschuhe Feuer angemacht, sich dann hinterher Holz aus dem Dschungel geholt und ein paar neue an ihre Stelle gesetzt habe. –

Hierüber wunderte sich der Holzschuhmacher noch mehr, und er dachte in seinem Sinne »da dieser Fremde ein solch ruhiger, friedlicher Mann zu sein scheint und so gute Holzschuhe machen kann, wäre es schade, wenn er diesen Ort verließe.« Er würde einen passenden Mann für meine Tochter abgeben, und dann hielt er den jungen Mann auf und legte ihm seinen Plan[177] vor. (Doch hatte er die ganze Zeit über nicht die leiseste Ahnung davon, daß sein Gast ein Rajah war.)

Nun war die Tochter des Holzschuhmachers ein niedliches Mädchen. Sie war so hübsch, als es nur immer eine Ranee sein kann. – Außerdem war sie gutmüthig, klug und verstand sich außerordentlich gut aufs Kochen. Als demnach der Holzschuhmacher den Rajah aufforderte sein Schwiegersohn zu werden, sah er sich erst den Vater, dann die Mutter und dann das Mädchen an und dachte, mancher bessere Mann habe ein traurigeres Geschick gehabt, und deßhalb sagte er: »Ja, ich will Eure Tochter heirathen und hier bleiben und Holzschuhe machen.« Nun heirathete der Rajah die Tochter des Holzschuhmachers.

Der Rajah aber war sehr geschickt im Holzausschneiden. Sobald er alle Holzschuhe, die er am nächsten Tage zu verkaufen wünschte, fertig hatte, amüsirte es ihn, allerhand Spielzeug auszuschneiden, – und so machte er auch unter anderem tausend Papageien von Holz. Sie sahen fast ebenso, wie wirkliche Papageien, aus. Jeder von ihnen hatte zwei Flügel, zwei Beine, zwei Augen und einen scharfen Schnabel. Als der Rajah sie alle fertig hatte, malte und lakirte er sie und stellte sie eines Nachmittags zum Trocknen vor das Haus.

Die Nacht kam, und mit ihr kamen Parbuttee und Mahadeo2 und durchflogen die Welt, um sich die verschiedenen Menschengeschlechter zu betrachten. Unter den vielen Orten, die sie besuchten, war auch die Stadt, in welcher der Holzschuhmacher wohnte. Daher sahen sie auch die tausend hölzernen Papageien, die der Rajah geschnitzt, gemalt, lakirt und in dem Vorgarten zum Trocknen ausgestellt hatte. – Da wandte sich[178] Parbuttee zu Mahadeo und sprach: »Diese Papageien sind sehr gut gemacht, ihnen fehlt nur das Leben. Warum wollen wir ihnen kein Leben geben?« Mahadeo entgegnete: »Was würde das nützen? Das würde wirklich ein seltsamer Einfall sein.« »O«, sagte Parbuttee, »ich meine, nur Du würdest es Spaßes halber thun. Wie lächerlich würde es sich ausnehmen, wenn diese hölzernen Papageien herumflögen! Doch thue es nicht, wenn Du keine Lust dazu hast.« »Möchtest Du es denn gern?« fragte Mahadeo. »Gut, dann will ich es thun.« Und er hauchte den tausend Papageien Leben ein. –

Dann flogen Parbuttee und Mahadeo fort.

Am nächsten Morgen stand der Rajah frühzeitig auf, um zu sehen, ob der Lack, den er auf die Papageien gestrichen, trocken sei; aber kaum hatte er die Thür geöffnet, als o Wunder über Wunder, – die tausend hölzernen Papageien alle in das Haus spazierten, mit den Flügeln schlugen und einander zunickten.

Als sie dies Geräusch hörten, kamen der Holzschuhmacher, seine Frau und seine Tochter herbei gelaufen, um zu sehen, was da passirt sei. Sie waren kaum weniger erstaunt, als der Rajah selbst, über das Wunder, das sich begeben hatte, dann aber wandte sich die Holzschuhmachersfrau zu ihrem Schwiegersohn und sagte: »Es ist ja ganz gut, daß Du all diese hölzernen Papageien gemacht hast, doch weiß ich nicht, woher wir Futter für sie nehmen sollen. Auf jeden solcher großen kräftigen Papageien kann man mindestens ein Pfund Reis täglich rechnen. Dein Schwiegervater und ich können uns nicht anheischig machen Dir in unsrem armen Hause so viel zu verschaffen. Wenn Du sie zu behalten wünschest, so mußt Du anderswo wohnen. Wir können nicht für Euch alle sorgen.«

»Nun wohl«, sagte der Rajah, »Ihr sollt nicht sagen dürfen,[179] ich hätte Euch ruinirt, denn von nun an will ich mein eigenes Haus haben.« In Folge dessen wohnte er mit seiner Frau in einem andern Hause. – Sie nahmen die tausend Papageien mit sich und seine Schwiegermutter gab ihrer Tochter etwas Korn, Reis und Geld, um den Haushalt anzufangen. Der Rajah merkte bald, daß die Papageien keine Ausgabe, sondern ein Mittel zur Vergrößerung seines Vermögens waren, denn sie flogen frühzeitig jeden Morgen aus, um Futter zu holen, blieben den ganzen Tag über auf dem Felde und allabendlich, wenn sie heimkehrten, trug jeder Papagei irgend etwas Gutes zu essen im Schnabel, entweder Korn, Reis, oder was er sonstge funden hatte. Auf diese Weise versorgten sie ihren Herrn hinreichend mit Nahrung. Er verkaufte das, was er nicht verzehrte und arbeitete für sein Geschäft, so daß er bald ein reicher Holzschuhmacher ward. Nachdem sie so eine Zeitlang sehr glücklich gelebt hatten, hatte der Rajah eines Nachts, da er schlief, folgenden wunderbaren Traum:

Ihm däuchte, sehr, sehr weit entfernt, hinter dem rothen Meere, liege ein herrliches, von sieben anderen Seen umgebenes Königreich, und das gehöre einem Rajah und einer Ranee, die nur eine einzige, liebliche Tochter, Namens Panch-Phul-Ranee (die Fünfblumenkönigin) hätten. Nach derselben heiße das ganze Königreich Panch-Phul-Raneeland, und diese Prinzessin wohne in der Mitte ihres väterlichen Reiches, in einem kleinen, von sieben breiten Gräben und sieben großen aus Lanzen gemachten Hecken umgebenen Hause, und man nenne sie Panch-Phul-Ranee, weil sie nur so leicht und zart sei, daß sie nur so viel wie fünf weiße Lotusblumen wöge. Dann träumte er noch, daß die Prinzessin geschworen habe, nur den zu heirathen, der die sieben Seen durchkreuzen und über die sieben Gräben und die sieben aus Lanzen gebildeten Hecken hinwegspringen oder klettern könne.[180]

Als der Traum verschwand, erwachte der junge Rajah, und da er sich betäubt fühlte, stand er auf, stützte seinen Kopf auf die Hand, um sich die Sache noch einmal zu überlegen und zu versuchen, ob er wohl schon jemals etwas diesem Traume Aehnliches gehört habe, doch konnte er nichts ausfindig machen.

Als er hierüber nachgrübelte, erwachte seine Frau und fragte ihn, was ihm fehle. Er theilte es ihr mit, und sie sagte: »Das ist ein seltsamer Traum. Wenn ich an Deiner Stelle wäre, so fragte ich den alten Papageien deßhalb, das ist ein kluger Vogel, der weiß vielleicht Bescheid.« Der Papagei aber, von dem sie sprach, war der klügste von all den tausend hölzernen Papageien. Der Rajah befolgte den Rath seiner Frau, und als an jenem Abende all die Papageien nach Hause kamen, rief er den alten Papagei, erzählte ihm seinen Traum und sprach »Kann derselbe wahr sein?« Hierauf erwiderte der Papagei: »Allerdings ist er wahr. Das Panch-Phul-Raneeland liegt hinter dem rothen Meere; es ist von sieben Seen umgeben. Die Prinzessin aber wohnt in einem Hause, das in der Mitte ihres väterlichen Reiches steht. Ihr Haus ist von sieben Gräben und sieben breiten aus Lanzen gebildeten Hecken umgeben. Auch schwor sie nur den Mann, der über diese sieben Gräben und sieben Hecken gelangen könne, zu heirathen und da sie sehr schön ist, so haben manche vornehme und hohe Persönlichkeiten ihr Heil versucht, doch vergebens.

Der Rajah und die Ranee, ihre Eltern, lieben sie zärtlich und sind stolz auf sie. Sie besuchen sie jeden Tag in ihrem Palaste, und dann wiegen sie sie in einer Wagschale. Sie thun sie in die eine Schale und fünf Lotusblumen in die andere, und sie ist so zart und duftig, daß sie nicht schwerer wiegt, als die fünf kleinen Blumen, deßhalb nennen sie sie Panch-Phul-Ranee. Darüber sind ihre Eltern sehr froh.« »Ich[181] möchte wohl in jenes Land reisen, um die Panch-Phul-Ranee zu sehen«, sagte der Rajah »aber ich weiß nicht über die sieben Seen zu kommen.« »Ich will Dir zeigen, wie Du das machen mußt«, erwiderte der alte Vogel. »Ich und ein anderer Papagei wollen dicht neben einander fliegen, ich kreuze dann meinen linken Flügel über seinen rechten, so daß wir uns fortbewegen, als ob wir ein Vogel wären. Wir benutzen dann nur die beiden anderen Flügel zum Fliegen. Du aber sollst Dich auf den Platz setzen, den wir Dir durch unsre kreuzweis verschlungenen Flügel bereitet haben, und so werden wir Dich sicher über die sieben Seen tragen. Unterwegs lassen wir uns allabendlich auf einem hohen Baum nieder, übernachten auf demselben, und jeden Morgen geht die Reise weiter!« »Das scheint mir ein guter Plan zu sein. Ich habe große Lust ihn zu versuchen«, sagte der Rajah. »Frau, was meinst Du, soll ich in das Panch-Phul-Raneeland reisen? Soll ich versuchen, ob ich über die sieben Gräben und die sieben Lanzenhecken klettern kann? Ist es Dir recht, wenn ich mein Heil probire?«

»Ja«, antwortete sie. »Wenn Du Lust hast die Prinzessin zu heirathen, dann reise, – nur nimm Dich in Acht, damit Du nicht umkommst, auch vergiß nicht wiederzukehren.« Sie besorgte ihm nun Reisevorrath, nahm ihre goldenen und silbernen Ohrgehänge ab und that sie zwischen ein Paket warmer Kleidungsstücke, damit er auf der Reise weder Mangel an Geld noch Kleidern habe. Er aber beauftragte die neunhundertachtundneunzig Papageien, die er zurückließ, ihr täglich hinreichend Korn und Reis zu bringen, damit sie während seiner Abwesenheit keinen Hunger leide, dann führte er sie in das Haus ihres Vaters zurück, der, so lange er fort war, für sie Sorge tragen sollte, und sagte ihr Adieu, indem er sprach: »Fürchte Dich nicht. Ich kehre zu Dir zurück. Selbst, wenn ich die Panch-Phul-Ranee[182] gewinne, bleibst Du doch, obgleich Du die Tochter eines Holzschuhmachers bist, meine erste Frau.«

Darauf breiteten der alte Papagei und der andere ihre Flügel aus. Der Rajah saß auf denselben, wie auf einem Stuhle. Dann erhoben sie sich in die Luft und verschwanden bald den Augen. –

Weit, weit weg flogen sie, so schnell wie Papageien zu fliegen vermögen, über Hügel, über Wälder, über Flüsse und Thäler, immer weiter und weiter. Stunde auf Stunde, Tag auf Tag, Woche auf Woche verging, und nur des Abends, wenn es zu dunkel war, um den Weg zu sehen, ruhten sie sich aus. Endlich erreichten sie die sieben Seen, welche das Panch-Phul-Raneeland umgaben. Sobald sie einmal angefangen hatten, über den See zu schweben, konnten sie sich nicht mehr ausruhen, denn in demselben befanden sich weder Felsen noch Inseln, auf die sie sich hätten herablassen können. So sahen sie sich genöthigt, Tag und Nacht zu fliegen, bis sie das jenseitige Ufer erreichten.

Aus diesem Grunde waren die Papageien zu erschöpft, um nach ihrer Ankunft noch in die Stadt gelangen zu können, wo der Rajah, Panch-Phul-Ranees Vater, wohnte, sondern sie flogen, um auszuruhen, auf einen wunderschönen Bananenbaum, der nicht weit von der See bei einem kleinen Dorfe stand. Der Rajah beschloß in das Dorf zu gehen, um daselbst Nahrung und Obdach zu suchen. Er bat die Papageien bis zu seiner Rückkehr im Bananenbaume zu bleiben; dann ging er, nachdem er sein Zeugbündel und das Meiste von seinem Gelde ihrer Obhut anvertraut hatte, zu Fuß zum nächsten Hause.

Nach einer kleinen Zeit erreichte er eine Maleehütte, gab der Maleefrau einen Goldmohurs, und bat sie, ihn für die Nacht mit Speise und Obdach zu versorgen.

Am nächsten Morgen erhob er sich früh und sagte zu[183] seiner Wirthin: »Ich bin hier fremd und kenne den Ort nicht. Wie heißt Euer Land?« »Dies ist«, erwiderte die Frau »das Panch-Phul-Raneeland.«

»Und was für Neuigkeiten giebt es in Eurem Orte?« fragte er weiter. »Sehr schlechte Neuigkeiten, in der That«, erwiderte sie. »Ihr müßt wissen, daß unser Rajah nur eine einzige Tochter hat, eine ganz wunderschöne Prinzessin. – Die heißt Panch-Phul-Ranee, denn sie ist so leicht und zart, und wiegt nicht schwerer als fünf Lotusblumen. Nach ihr ist dies ganze Reich Panch-Phul-Raneeland genannt. Sie wohnt in einem kleinen Bungalow3 in der Mitte der Stadt, die Ihr dort seht. Doch hat sie unglücklicher Weise geschworen nur den Mann zu heirathen, der zu Fuß über die sieben Lanzenhecken und die sieben Gräben, die ihr Haus umgeben, klettern und springen kann. Und das ist eine reine Unmöglichkeit! Babamah!4 Ich kann es nicht begreifen, daß viele hunderttausend Rajahs es versuchten und bei diesem Unternehmen umkamen. Und doch will die Prinzessin ihren Eid nicht brechen. Die Nachrichten aus der Stadt lauten schlimmer und schlimmer. Immer aufs neue sterben Leute bei dem Versuch über die sieben Hecken und sieben Gräben zu kommen und ich sehe nicht, wie all das Unglück, das hieraus entsteht, noch enden wird.

Die Welt verliert nicht allein so viel tapfere Männer, sondern am Ende verheirathet sich die Prinzessin überhaupt nicht, da sie nur einen nehmen will, dem das Wagstück gelang, und wer wird sie denn, nach dem Tode unseres Rajahs beschützen und ihr die Thronfolge sichern? Alle Edelleute werden des Rays wegen zum Schwert greifen und das ganze Königreich wird auf den Kopf gestellt werden.«[184]

»Gute Frau«, sagte der Rajah, »stehen die Sachen so, dann will ich die Prinzessin zu gewinnen suchen. Ich springe ganz vorzüglich gut.«

»Baba,«5 entgegnete die Maleefrau, »seid Ihr toll? Schlagt Euch alle derartigen Ideen aus dem Sinn! Ich sage Euch, hunderttausend Männer sagten vor Euch dasselbe und büßten ihre Tollkühnheit mit dem Tode. Glaubt Ihr etwa, daß Ihr etwas könnt, was all' Eure Vorgänger nicht vermochten? Laßt jeden Gedanken daran fallen. – Ein solcher ist doch eitel Thorheit.«

»Nein, das thue ich nicht«, erwiderte der Rajah, »wenigstens muß ich erst meine Freunde um Rath fragen.«

Nun verließ er die Maleehütte und begab sich zum Bananenbaume, um diese Angelegenheit mit den Papageien zu überlegen. Seine Hoffnung war, daß diese ihn auf ihren Flügeln über die sieben Gräben und die sieben Lanzenhecken tragen würden. Als er den Baum erreichte, empfing ihn der alte Papagei mit den Worten: »Wir haben Dich zwei Tage lang nicht gesehen. – Was giebt es Neues in der Stadt?« Der Rajah antwortete: »Die Panch-Phul-Ranee wohnt noch immer in dem von den sieben Gräben und sieben Lanzenhecken umgebenen Hause. Da sie geschworen hat, keinen Mann zu heirathen, der nicht über die Gräben und Hecken springen kann, so frage ich Euch, Ihr Papageien, die Ihr mich doch den ganzen Weg her und über die sieben Seen getragen habt, ob Ihr mich nicht auf Euren Flügeln über diese großen Hindernisse bringen wollt?«

»Du thörichter Mann«, entgegnete der alte Papagei, »wir könnten das allerdings wohl, aber was würde Dir das nützen?[185] Tragen wir Dich hinüber, so bist Du darum doch noch nicht hinüber gesprungen. – Die Prinzessin könnte Dich dann ja ebensowenig heirathen, wie jetzt. Hat sie doch geschworen, nur den zu heirathen, der mit seinen Füßen hinüber spränge. Willst Du das Wagstück unternehmen, so verlaß Dich auf Deine eigene Kraft und schwatze keinen Unsinn. Hast Du den Springunterricht ganz vergessen, den Dir, wie Du ein kleiner Knabe warst, Beschwörer und Gaukler gaben?« Der Papagei kannte nämlich die ganze Lebensgeschichte des Rajah. »Nun ist es an der Zeit, zu zeigen, daß Du etwas gelernt hast. Kannst Du über die sieben Gräben und Lanzenhecken springen, so hast Du allerdings ein gutes Stück Arbeit hinter Dir und bist im Stande, die Panch-Phul-Ranee zu heirathen. Helfen aber können wir Dir bei dieser Angelegenheit nicht.«

»Du hast Recht«, erwiderte der Rajah, »ich will mich bemühen, das, was ich als ein Knabe lernte, jetzt in Anwendung zu bringen. Wartet hier auf meine Rückkehr.«

Mit diesen Worten ging er fort und in die Stadt, die er beim Anbruch der Nacht erreichte. Früh am folgenden Morgen ging er an den Ort, wo das Bungalow der Prinzessin stand und versuchte über die vierzehn großen Hindernisse zu gelangen. Stark und behende wie er war, sprang er über die sieben breiten Gräben und über sechs Lanzenhecken hinweg; Beim Springen über die siebente Hecke aber verletzte er seinen Fuß, stolperte, fiel auf die Lanzen und starb durchbohrt von den grausamen Eisenspitzen.

Als Panch-Phul-Ranee's Eltern an jenem Morgen ihrer Gewohnheit gemäß zu ihrer Tochter Bungalow hinübersahen, sahen sie etwas an der siebten Lanzenhecke hängen. Was es war, konnten sie freilich nicht erkennen, denn es blendete ihnen die Augen. Da rief der Rajah seinen Wuzeer und sprach zu[186] demselben: »Seit einigen Tagen machte Niemand den Versuch über die sieben Hecken und die sieben Gräben zu springen, die Panch-Phul-Ranee's Bungalow umgeben. Nun sehe ich wieder etwas auf der siebten Hecke. Was mag das sein?« Der Wuzeer antwortete: »Das ist ein Rajahssohn, den dasselbe Schicksal getroffen hat, wie seine Vorgänger.« »Wie kommt es«, sagte der Rajah, »daß er uns die Augen so blendet?«

»Das kommt«, entgegnete der Wuzeer, »von seiner großen Schönheit. Zweifelsohne ist dieser Jüngling der hübscheste, die der Panch-Phul-Ranee wegen starben.« »Ach«, rief der Rajah, »wie viele tapfere Männer hat meine Tochter getödtet! Wir wollen sie mit sammt jenem todten Manne in den Dschungel schicken.«

Darauf ließ er durch seine Diener den Leichnam des jungen Rajah holen. Wie war er so still und so schön! Ein glänzender Schimmer umgab ihn, den Strahlen gleich, die den klaren leuchtenden Mond umscheinen. Das Leben aber war entflohen.

Der Rajah schaute ihn an und sprach: »O welch' ein Jammer, welch' ein Jammer, daß ein so schöner und tapferer, junger Mann dieses Mädchens wegen sein Leben lassen mußte! Und doch ist er einer von den tausend und aber tausenden, die also zwecklos in den Tod gingen. Reißt die Lanzen aus der Erde und werft sie in die sieben Gräben. Sie sollen nicht länger Unheil stiften.« Dann ließ er einige Sänftenträger kommen und sprach zu ihnen: »Sorgt dafür, daß dies Mädchen mit dem jungen Rajah vermählt werde. Bringt sie dann beide tief in den Dschungel, ich will sie nie mehr sehen und Ruhe soll wieder im Lande herrschen.«

Die Königin, die Mutter der Panch-Phul-Ranee weinte bitterlich. Liebte sie doch ihre Tochter auf das zärtlichste. Inständig[187] bat sie ihren Gemahl, sie doch nicht so grausamer Weise fortbringen zu lassen, sie, die Lebende mit dem Todten! Der Rajah aber war unerbittlich. »Der arme junge Mann starb«, sagte er, »meine Tochter mag ebenfalls sterben. Es soll ihretwegen kein Wurm mehr sein Leben verlieren.«

Die beiden Sänften wurden hergetragen. Er brachte seine Tochter in die eine, legte ihren todten Mann in die andere und sagte dann zu den Trägern: »Hebt die Sänften auf und geht tief hinein in den Dschungel und setzt Eure Last an einem Orte nieder, der so öde und wild ist, daß sich nicht einmal ein Sperling dort aufhalten mag. Daselbst überlaßt die Beiden ihrem Schicksale.«

Und so geschah es. Tief unten im Dschungel, wo kein glänzender Sonnenstrahl in die Dunkelheit dringt, keine menschliche Stimme gehört wird, weit entfernt von jeder menschlichen Wohnung, ohne Lebensmittel, am Rande eines ungesunden feuchten Sumpfes, der von allen lebenden Geschöpfen, nur nicht von umherstreifenden Raubthieren und widrigem Gewürm gemieden wurde, setzten die Träger die Sänfte nieder und verließen – den todten Mann und seine lebende Frau! Einsam, verlassen, erwartete sie die Schrecknisse der hereinbrechenden Nacht, So allein! Und nirgend zeigte sich ein Rettungsstrahl!

Panch-Phul-Ranee hörte die immer schwächer werdenden Fußtritte der Sänftenträger. Sie lauschte auf ihre mehr und mehr verhallenden Stimmen und fühlte, daß sie auf nichts mehr zu hoffen habe, nur auf den Tod.

Die Nacht senkte sich herab, obgleich die Sonne noch nicht untergegangen sein konnte. Es war so finster im Dschungel, daß nur ein Dämmerlicht dort herrschte. Sie aber dachte, »ich will meinen todten Mann nur noch einmal ansehen, ihn, den mein Schwur getödtet hat! Dann will ich mich still zu ihm[188] setzen und warten, bis der Hungertod mich ihm gleich macht, oder bis irgend ein wildes Thier meinen Leiden ein schnelleres Ende bereitet.«

Sie verließ ihre Sänfte und ging zu ihm. Da lag er mit geschlossenen Augen und aufeinander gepreßten Lippen! Die unter dem Turban hervorquellenden Locken verbargen eine tödtliche Wunde an der Schläfe. Kein schmerzlicher Zug entstellte sein Gesicht. Die langen dunklen Augenwimpern verliehen demselben einen sanften milden Ausdruck. Sie konnte sich kaum denken, daß er todt sei.

Er war wirklich sehr schön. Sie schaute ihn an und sprach bei sich: »Ach, welch ein edler Mann ging der Welt in ihm verloren. Welch' eine Wonne des Menschengeschlechtes ist dahin! Bin ich deßhalb so kalt, so stolz und spröde gewesen, um mein eigenes Glück zu vernichten und Dir den Tod zu bringen? Erfährst Du nun nimmer, daß Du Dir Deine Frau errungen hast? Kannst Du nie mehr hören, wie reumüthig sie Dich des Geschehenen wegen um Vergebung anfleht und weißt nicht, wie grausam man sie bestraft? Ach! lebtest Du noch, wie würde ich Dich lieben! O mein Gemahl, o mein Gemahl! Und sie sank nieder auf die Erde, vergrub ihr Gesicht in ihre Hände und weinte bitterlich.«

Während sie so dasaß, brach die Nacht vollends herein und mit ihr kamen wilde Thiere, die jetzt, da die Tageshitze vorüber war, aus ihren Höhlen krochen und brüllend und beutesuchend umherwanderten. Tiger, Löwen, Elephanten und Büffelochsen, alle drangen der Reihe nach durch das niedere Gebüsch, welches den Platz umgab, auf dem die Sänfte stand, doch fügten sie der Panch-Phul-Ranee kein Leid zu. Sie war so schön, daß selbst die grausamen Bewohner des Waldes sie nicht anzurühren wagten. Endlich gegen Morgen, ungefähr um vier[189] Uhr verschwanden die wilden Thiere. Nur ein paar kleine Schakale, die sich eifrig an die übrig gebliebenen Bissen gemacht und an ein paar Knochen schnupperten, welche die Tiger zurückgelassen hatten, waren noch da. Vom vielen Umherlaufen müde ruhten sie sich neben der Sänfte aus. Da sagte der eine kleine Schakal zum andern, das sein Männchen war: »Erzähle mir eine kleine Geschichte.« »Mein Himmel«, erwiderte das Männchen, »wie begierig hascht ihr Frauenzimmer nach Geschichten! Nun, – sieh Dir mal die beiden da vorne an, siehst Du die?« »Ja«, entgegnete das Schakalweibchen. »Was ist mit ihnen?« »Die Frau, die Du auf der Erde sitzen siehst«, sagte der andere Schakal, »ist die Panch-Phul-Ranee.« – »Und wessen Sohn ist der Prinz dort in der Sänfte?« »Der«, erwiderte der andere »war ein sehr unglücklicher Mensch. Sein Vater behandelte ihn schlecht. Er verließ deßhalb seine Heimath und lebte in einem fernen Lande. Ein Traum, in dem er die Panch-Phul-Ranee sah, veranlaßte ihn in unser Reich zu kommen und um sie zu werben. Beim Springen über die siebte Hecke verlor er sein Leben, – und so war ihm nur vergönnt ihretwegen in den Tod zu gehen.«

»Wie traurig«, sagte der erste kleine Schakal. »Ist es denn unmöglich, daß man ihn wieder ins Leben ruft?« »Ja«, antwortete der andere, »wenn einer nur die rechten Heilmittel kennt, dann kann er es wohl thun.« »Wie heißen die Heilmittel und wie müssen sie angewendt werden?« fragte Frau Schakal. Die Panch-Phul-Ranee aber hatte die ganze Unterhaltung vernommen, und jetzt als diese Frage gestellt wurde, horchte sie mit gespannter Erwartung auf die Antwort.

»Siehst Du jenen Baum?« fuhr das Schakalmännchen fort. Nun wohl, wenn man ein paar von seinen Blättern stößt und zerreibt und dann den Saft derselben in beide Ohren und in[190] die Wunden des Rajah träufelt und auch seine Oberlippe und die beiden Schläfe damit einreibt, kommt er wieder ins Leben und ist wohl und gesund, wie in früheren Zeiten.

In diesem Augenblicke brach der Tag an und die beiden kleinen Schakale liefen auf und davon. Panch-Phul-Ranee aber gedachte ihrer Worte. Sie, die als Prinzessin geboren und nie ihren Fuß auf die nackte Erde gesetzt hatte, und die so weich und sorgfältig erzogen war, wandelte über die rauhen Felsblöcke und scharfen Steine bis an den Platz, wo der, von dem Schakal angegebene Baum stand. Sie pflückte eine Anzahl Blätter, und mit ihren Händen und Füßen, mit denen sie nie zuvor eine solch' rauhe Arbeit gethan hatte, zerstampfte und zerdrückte sie dieselben. Da sie sehr steif und dick waren, brauchte sie eine lange Zeit dazu. Nachdem sie die Blätter endlich mit vieler Mühe zerrissen und zertreten hatte, rieb sie dieselben zwischen zwei Steinen und zerbiß die härtesten Stellen.

Da sie ihr nun hinreichend zerquetscht schienen, wickelte sie dieselben in ein Stück ihres Sarees und drückte den Saft durch dasselbe über den Schläfen Ihres Mannes aus. Ein wenig that sie auch davon auf seine Oberlippe, in seine Ohren und auf seine Wunden. Und wie sie das gethan, schlug er die Augen auf, als habe er nur geschlafen, richtete sich empor und wußte nicht, wo er war. Vor ihm stand Panch-Phul-Ranee, gleich einem strahlenden Sterne, und rings umgab sie der dunkle Dschungel.

Es läßt sich schwer angeben, wer mehr überrascht war, – der Rajah oder die Prinzessin. Sie, fast erschreckt von dem plötzlichen Erfolg ihres Heilmittels traute ihren Augen kaum, als sich ihr Mann erhob. War er schön im Tode, so erschien er ihr jetzt noch schöner, – so voll Leben, Geist und Kraft, – ein Bild der Gesundheit und Stärke. – Er seinerseits war in den Anblick ihres außerordentlichen Liebreizes versunken.[191]

Wer war diese Dame, die er nie zuvor, denn in einem Traum gesehen hatte? Konnte das wirklich die weltberühmte Panch-Phul-Ranee sein? Träumte er nicht? Er fürchtete sich zu bewegen, wußte er doch nicht, ob denn nicht das Zauberbild verschwinden werde. Doch wie er sie so verwundert anstarrte, that sie den Mund auf und sprach: »Du staunst und weißt nicht, was sich ereignet hat. Kennst Du mich nicht? – Ich bin Panch-Phul-Ranee, Deine Frau.«

Da sagte er: »Ach Prinzessin, bist Du es wirklich? Du hast mich sehr schlecht behandelt.« »Ich weiß es, ich weiß es«, entgegnete sie. »Ich war die Ursache Deines Todes, doch gab ich Dir jetzt das Leben wieder. Das Vergangene sei vergessen, komm mit mir in meine Heimath. Meine Eltern werden Dich als Sohn begrüßen.«

Er erwiderte: »Ich möchte erst in meine Heimath zurückkehren. Willst Du mit mir gehen? Ich verließ sie vor einer langen Zeit. Später wollen wir dann Deines Vaters Reich aufsuchen.«

Panch-Phul-Ranee war es zufrieden. Sie brauchten indessen eine lange Zeit, ehe sie den Weg aus dem Dschungel fanden. Endlich gelang es ihnen, denn kein wildes Thier wagte sich an sie, so schön und fürstlich sahen sie beide aus.

Sie erreichten den Bananenbaum, auf dem der Rajah die zwei Papageien gelassen hatte. – Der ältere von beiden rief ihm entgegen: »Ei, kommst Du endlich wieder. Wir glaubten Dich schon verloren, weil Du so lange ausbliebst. Es ist eine hübsche Geschichte, daß Du uns hier die ganze Zeit hindurch sitzen ließest, – Und nichts zu Wege gebracht hast, nur Deinen Tod. Warum befolgtest Du nicht unseren Rath und sprangst hinüber, wie es sich gehört?«

»Gewiß«, sagte der Rajah, »ich sehe es ein, daß Ihr Euch[192] in einer fatalen Lage befandet. Es thut mir wirklich leid, Euch so lange aufgehalten zu haben. Hoffentlich tragt Ihr mich und meine Frau jetzt nach Hause.«

»Das wollen wir thun«, entgegnete der Papagei. »Stärkt Euch aber vorher durch ein ordentliches Mittagsmahl. Die Reise über die sieben Seen ist langwierig.«

Der Rajah ging in ein nahgelegenes Dorf und kaufte für sich und Panch-Phul-Ranee etwas zu essen. Nachdem er das gethan, sagte er zu ihr: »Die lange Reise, die wir beabsichtigen, flößt mir Sorge ein. Wäre es nicht besser, wenn Du hier bliebest und ich mich allein auf den Weg machte und dann bald wieder zu Dir zurückkehrte?« Sie aber antwortete: »Was soll ich arme, schwache Frau hier allein anfangen? In mein älterliches Haus gehe ich nicht wieder, es sei denn mit Dir. Sei der Weg auch noch so weit, ich will bei Dir bleiben. Du aber versprich mir, mich nie zu verlassen.« Er gab das Versprechen und sie setzten sich mitsammen auf die Papageien. Die trugen sie hoch in die Luft und über die sieben Seen, über das rothe Meer, immer weiter. Die Reise währte ein volles Jahr, dann erreichten sie sein väterliches Reich und ließen sich am Eingang des Schloßgartens nieder. Der Rajah erkannte indessen die Gegend nicht wieder. Es war Alles anders geworden, seit seiner Knabenzeit.

Der Rajah und die Panch-Phul-Ranee bekamen hier einen kleinen Sohn. – Ein schönes Kind! Der Vater aber war tiefbetrübt, weil er dort an dem kalten Orte keinen Schutz für Mutter und Kind fand. Deßhalb sagte er zu seiner Frau: »Ich will uns Nahrung und Feuer besorgen, – auch erfragen, in welchem Lande wir uns befinden und Obdach für Dich suchen. Fürchte Dich nicht. Ich komme bald wieder! –«

Er sah nun in weiter Entfernung Rauch aufsteigen. Der[193] kam aus den Zelten einer Gaukler- und Tänzergesellschaft. Der Rajah richtete seine Schritte dahin, in der Hoffnung von diesen Leuten Feuer und Nahrung zu bekommen. Er fand den Platz und sah, daß derselbe das Ansehen eines ordentlichen kleinen Dorfes hatte, – und größer war, als er erwartete, – dazu ganz von Tänzern und Gauklern bewohnt. In jedem Hause ward getanzt und gesungen. An verschiedenen Stellen führten Beschwörer ihre Künste aus oder übten sich im Trommelschlagen. Ueberall schien Frohsinn und Freude zu herrschen.

Sein Aussehen fiel den Beschwörern auf. War er doch ausnehmend hübsch. Sie beschlossen deßhalb, ihn womöglich bei sich zu behalten und in ihre Bande aufzunehmen. Sie sprachen untereinander: »Er würde einen vorzüglichen Trommelschläger abgeben. Solch einen können wir bei unsern Tänzen gebrauchen. Hätten wir einen so schönen Trommelschläger, bekämen wir sicher großen Zulauf.«

Der Rajah, der nichts von ihren Absichten ahnte, ging in die größeste Hütte, die er sah, und sagte zu einer Frau, welche mit Kornmahlen beschäftigt war: »Bai, gieb mir ein wenig Reis und etwas Feuer von Deinem Herde.« Sie sagte sofort »ja« und stand auf, um ihm einige Feuerbrände zu holen. Doch ehe sie ihm dieselben gab, streuten sie und ihre Gefährtin ein gewisses Zauberpulver darauf, und kaum hatte der Rajah die Späne hingenommen, so vergaß er auch seiner Frau, seines Kindes, seiner Reise, seiner ganzen Vergangenheit. So mächtig war das Pulver! Als dann die Gaukler zu ihm sprachen: »Warum eilst Du fort? Bleibe doch bei uns und werde einer von uns«, war er es gern zufrieden.

Panch-Phul-Ranee wartete und wartete die ganze Zeit hindurch auf ihren Mann, aber er kam nicht. Die Nacht brach herein, und er brachte ihr keine Nahrung, und keine Nachricht[194] von irgend einem Obdach, das er für sie und das Kleine gefunden habe. Schließlich ward sie vor Schwäche und Müdigkeit ohnmächtig.

Nun verlor zufälliger Weise an eben demselben Tage die Ranee, die Mutter von Panch-Phul-Ranee's Manne, ihr jüngstes ebengebornes Kind, – einen kleinen hübschen Knaben. Und die Diener trugen seinen Leichnam an das Ende des Gartens, um ihn dort zu begraben. Im Begriff das zu thun, hörten sie ein leises Wimmern. Sie blickten sich um. Da lag auf der Erde nicht weit von ihnen eine schöne Frau. Die war allem Anschein nach todt und neben ihr saß ein kleiner, niedlicher Knabe. Sofort kam ihnen der Gedanke den todten Knaben neben die todte Frau zu legen. Dann nahmen sie das lebende Kind und trugen es in das Schloß.

Dort angekommen sprachen sie zu ihrer Herrin: »Euer Kind ist nicht todt, seht, es ist wieder wohl.«

Mit diesen Worten zeigten sie ihr das Kind der Panch-Phul-Ranee. Nach einiger Zeit aber, als die Ranee sich wieder nach demselben erkundigte, erzählten sie ihr die ganze Wahrheit. Sie hatte aber inzwischen den Knaben sehr lieb gewonnen, und so blieb er im Schloß und ward als ein Sohn von ihr erzogen, doch wußte sie nicht, daß er ihr eigener Enkel war.

Inzwischen ging die Maleefrau, wie sie es jeden Morgen und Abend zu thun pflegte, um Blumen zu pflücken. Diese Beschäftigung brachte sie bis an das Ende des Gartens, in die Nähe des Dschungels. Dort fand sie die, wie todt daliegende Panch-Phul-Ranee und neben ihr das todte Kind.

Die gute Frau fühlte Mitleid, rieb die kalten Hände der Ranee und hielt ihr süße Blumen zum Riechen dar, in der Hoffnung das möge sie wieder beleben. Endlich öffnete sie die[195] Augen und sagte zur Maleefrau: »Wo bin ich? Ist mein Mann noch nicht wiedergekommen und wer bist Du?«

»Meine arme Dame«, sagte die Maleefrau. »Ich weiß nicht, wo Euer Gemahl sein mag. Ich bin die Frau eines Malee und fand Euch, da ich Blumen pflückte, mit sammt Eurem kleinen, todten Knaben hier am Boden liegend. Kommt mit mir in mein Haus. Ich will für Euch sorgen.«

Panch-Phul-Ranee entgegnete: »Liebe Freundin, der Knabe hier gehört nicht mir. Meiner ist nicht todt; er war seines Vaters Ebenbild und schöner als dieses Kind. Vor ein paar Augenblicken hatte ich ihn noch auf dem Arme. Irgend Jemand muß ihn mir fortgenommen haben. War er doch stark und kräftig gebaut! Das Kleine hier ist nur ein zartes, schwaches Dingchen gewesen. Nimm mich mit Dir in Dein Haus.«

Die Maleefrau begrub das todte Kind und nahm Panch-Phul-Ranee mit sich in ihr Haus, woselbst sie vierzehn Jahre lebte. Die ganze Zeit über hörte sie nicht das Geringste von ihrem Manne oder von ihrem kleinen, verlorenen Knaben. Das Kind wuchs inzwischen im Palaste auf und wurde ein sehr schöner Jüngling. Eines Tages durchstreifte er den Garten und kam zufälliger Weise in die Maleehütte. Da saß die Panch-Phul-Ranee und sah zu, wie die Maleefrau das Essen bereitete.

Der junge Prinz erblickte sie, rief die Maleefrau und fragte sie: »Wer ist die schöne Dame in Deinem Hause, und wie ist sie zu Dir gekommen?« Sie antwortete: »Kleiner Prinz, sprich keinen Unsinn; es ist keine Dame hier.« Er sagte wieder: »Ich weiß, daß eine schöne Frau hier ist. Sah ich sie doch eben durch die offne Thür gehen.« Da erwiderte sie: »Wenn Du solche Geschichten erfindest, so reiße ich Dir die Zunge aus.« Sie dachte dabei in ihrem Sinn: »Wenn ich ihn nicht bange mache, so erzählt er das, was er gesehen hat, im Schloß,[196] und dann kommen sie am Ende und holen mir die arme Panch-Phul-Ranee fort.« Während dieser Unterhaltung, schlich die Ranee leise aus dem inneren Gemache, um die Beiden zu beobachten und unbemerkt zuzuhören. Kaum aber sah sie den Prinzen, so entfuhr ihr der Ausruf: »O, wie sehr gleicht er meinem Manne! Dieselben Augen, dieselben Gesichtszüge und derselbe fürstliche Anstand. Ist es möglich? Kann es mein Sohn sein? So alt wie er, wäre jetzt gerade mein Sohn, wenn er noch lebte!«

Der junge Prinz hörte ihre Worte und fragte die Maleefrau, was sie hiermit meinen könne. Die antwortete ihm: »Die Frau, welche Du sahst, und die jetzt eben sprach, hat vor vierzehn Jahren ihr Kind verloren. Und nun sagt sie, Du glichest ihrem Sohne, und glaubt, Du wärest es am Ende wirklich. Das ist ja aber unmöglich. Wissen wir doch alle, daß Du der Sohn unsrer Ranee bist!«

Da trat die Panch-Phul-Ranee selbst aus dem Hause und sagte zu ihm: »Junger Prinz, wie ich Dich sah, da konnte ich nicht unterlassen auszurufen, wie ähnlich Du meinem verlorenen Manne seiest. Ja, so müßte mein Sohn aussehen, lebte er noch. Vierzehn Jahre sind es her, seit ich sie beide verlor.«

Sie theilte ihm mit, daß sie eine vornehme Prinzessin gewesen sei, daß sie sich mit ihrem Manne auf der Heimreise befunden und daß unterwegs, im Dschungel, noch ehe sie die halbe Strecke zurückgelegt, ihr kleiner Knabe geboren sei. Ihr Mann sei fortgegangen, um für sie und das Kind Obdach, Feuer und Nahrung zu suchen, sei aber nie zurückgekehrt. Da sei sie ohnmächtig geworden. Während dem habe ihr wahrscheinlich irgend jemand das Kleine gestohlen und ein todtes dafür hingelegt. Die Maleefrau habe sich ihrer freundlich angenommen, und seitdem habe[197] sie in deren Hause gelebt. Ihre Geschichte war zu Ende und sie weinte bitterlich.

Der Prinz aber sprach zu ihr: »Sei guten Muthes, ich will mir Mühe geben, Deinen Mann und Dein Kind aufzufinden. Wer weiß, vielleicht bin ich Dein Sohn, schöne Dame.« Eiligst ging er nach Hause und sprach zur Ranee, seiner Pflegemutter: »Bist Du meine rechte Mutter? Sprich die Wahrheit! Ich muß sie wissen noch ehe die Sonne untergeht.« »Warum thust Du solche thörichte Fragen?« entgegnete sie. »Behandelte ich Dich nicht wie mein eigen Kind?« »Ja«, sagte er. »Doch sag mir die volle Wahrheit, bin ich Dein rechtes Kind, oder gehöre ich jemanden anders, und bin ich nur von Dir angenommen? Sage mir das, oder ich tödte mich.«

Mit diesen Worten zog er sein Schwert. »Laß das, laß das«, rief sie. »Ich will Dir die ganze Wahrheit sagen. Am Tage vor Deiner Geburt starb mein kleiner Knabe. Meine Diener wollten ihn am Ende des Schloßgartens begraben, da fanden sie dort eine Frau, die schien todt und ein lebendes Kind saß neben ihr. Du bist jenes Kind. Man brachte Dich in den Palast; ich nahm Dich an Kindesstatt an. Das todte Kind aber blieb bei der Frau liegen.« »Was wurde aus meiner Mutter?« fragte er. »Das weiß ich nicht«, entgegnete die Ranee. »Denn als ich zwei Tage später am selben Ort nachsehen ließ, war so wohl sie, wie auch das todte Kind verschwunden. Seitdem hörte ich nichts von ihr.« –

Nach diesen Worten sagte der junge Prinz: »Im Hause des Ober-Malee wohnt eine sehr schöne Dame, welche von der Maleefrau vor vierzehn Jahren im Dschungel gefunden ist. Das ist meine Mutter ohne Zweifel. Empfange sie noch in dieser nämlichen Stunde aufs ehrenvollste. Das ist der einzige Ersatz, den man ihr jetzt bieten kann.«[198]

Der Ranee war es recht, und der Prinz begab sich selbst zu seiner Mutter, um sie in den Palast zu führen. Er nahm ein großes Gefolge mit sich, auch eine schöne mit Teppichen belegte Sänfte, um sie darin hintragen zu lassen, außerdem viel kostbare Kleider und manche Juwelen, nebst Geschenken für die gute Maleefrau.

Als Panch-Phul-Ranee mit ihres Sohnes Gaben geschmückt ihm in der Maleehütte entgegen trat, sagte alles Volk, es habe noch nie eine so fürstlich aussehende Königin gesehen. Sie gefiel den Augen so sehr, wie Gold und klarer Krystall. Sie glich dem zarten durchsichtigen Perlmutter. Ja, so schön, so anmuthig, so zart erschien Panch-Phul-Ranee.

Ihr Sohn führte sie in vollem Pompe zum Palaste und wandte alles auf, um sie zu ehren und nun lebte sie eine Zeit lang froh und glücklich mit ihnen und alle liebten sie.

Der Prinz ließ sich eines Tages wieder ihre ganze Lebensgeschichte von Anfang an erzählen und alles, was sie von seines Vaters Leben wußte. Und dann sprach er zu ihr: »Traure nicht länger über meines Vaters Schicksal. Ich will Boten in alle Länder senden, die sollen ihn suchen. Wer weiß, ob es ihnen nicht schließlich gelingt, ihn zu finden.«

Nun durchstreiften seine Diener das ganze Königreich, und alle Nachbarländer. Sie gingen nach dem Norden, dem Süden, dem Osten und Westen. Den Rajah aber fanden sie nicht.

Nachdem sie so vier Jahre lang vergebens geforscht hatten, und kein Hoffnungsstrahl Nachrichten über ihn einzuziehen, sich fand, trat Panch-Phul-Ranee's Sohn zu seiner Mutter und sprach: »Mutter, überall habe ich meinen Vater suchen lassen, aber es fand sich keine Spur von ihm. Wüßte ich nur die Richtung, die er einschlug, als er von Dir ging, so gäbe diese uns möglicher Weise einen Faden in die Hand. Aber leider,[199] wird das nicht angehen Wißt Ihr denn gar nicht mehr, welchen Weg er, als er Euch verließ, zu nehmen beabsichtigte?« Sie antwortete: »Dein Vater ging mit den Worten fort: Ich will Nahrung für uns beide holen und Feuer, um Essen darauf zu kochen; auch erforschen, in welchem Lande wir uns befinden. Fürchte Dich nicht, ich komme bald wieder. Weiter sagte er nichts, und dann ging er fort und ich sah ihn nie wieder.«

»Ihr waret also an dem Eingang des Gartens? Welche Richtung schlug er ein?« – »Er ging dorthin zu jenem kleinen nahgelegenen Dorfe, in dem die Gaukler wohnen«, sagte die Ranee. »Ich glaube, er wollte diese Leute um etwas Essen bitten. Hätte er das aber gethan, so wäre er nach einer kleinen Weile zurückgekehrt!«

»Meine süße Herzensmutter, glaubst Du, daß Du meinen Vater wiedererkennen würdest, wenn Du ihn sähest?« fragte der Prinz. »Ja«, antwortete sie. »Wie«, rief er, »Du hast ihn ja achtzehn Jahre nicht gesehen! Aber wenn ihn Krankheit, Alter und Entbehrungen nun fast ganz verändert hätten?« »Trotz allem«, erwiderte sie, »würde ich ihn überall und in jeder Verkleidung wiedererkennen. Jeder seiner Züge hat sich in mein Herz eingegraben!«

»Dann wollen wir alle Leute kommen lassen, die in der von Dir angegebenen Richtung wohnen. Möglich, daß sie ihn bis zu diesem Tage aufgehalten haben. Es wäre natürlich nur ein Zufall; wir haben ja aber keine bessere Hoffnung.«

Nun sandten Panch-Phul-Ranee und ihr Sohn Boten in das Dorf, die sagten dort an, daß die ganze Gauklerbande diesen Nachmittag vor den Palast kommen solle. – Keine Seele dürfe zurückbleiben! Zur Belustigung der Schloßbewohner sollten die Tänzer tanzen und die Beschwörer ihre Kunststücke ausführen.[200]

Die Leute kamen. Die Nautschmädchen fingen an zu tanzen, liefen hierhin und dahin, schwangen sich herum, schwebten auf und nieder und drehten sich im Kreise. Die Beschwörer murmelten ihre Zauberformeln, und alle belustigten die Zuschauer auf ihre Weise. Und unter ihnen befand sich auch ein seltsamer, zerlumpter Mann, der schlug die Trommel. Kaum hatte die Panch-Phul-Ranee den erblickt, so rief sie: »Mein Sohn, das ist Dein Vater.« »Mutter!« sagte er, »der elende Mann, der die Trommel schlägt?« »Der nämliche«, entgegnete sie.

Der Prinz sagte nun zu seinen Dienern: »Haltet mir den Mann dort.« Und als der Rajah vor ihnen stand, da war er so verändert, daß ihn nicht einmal seine eigene Mutter erkannte, – Niemand that es, – nur seine Frau. Achtzehn Jahre lang hatte er unter dem Nautschvolke verlebt! Sein Haar war rauh, sein Bart nicht zurecht gemacht, sein Gesicht mager, abgezehrt, sonnenverbrannt und voller Runzeln. Er trug einen Nasenring und schwere Ohrringe, wie sie die Nautsch-Leute tragen. Sein Anzug bestand aus rauhem, grobem Cumlee,6 keine Spur seines ehemaligen Aussehens war noch vorhanden. Man fragte ihn, ob er sich nicht erinnere, daß er früher ein Rajah gewesen sei und einst eine Reise in das Panch-Phul-Raneeland unternommen habe. Er aber sagte: »nein, er wisse nichts von alle dem, er könne nur die Trommel schlagen.

Rumm didel dumm, Rumm didel dumm, Dumm, Dumm! Er glaube, er habe da sein ganzes Leben lang die Trommel geschlagen.«

Da wurden die Nautsch-Leute auf den Befehl des jungen Prinzen ins Gefängniß geworfen. Sie sollten dort so lange bleiben, bis sie gestehen würden, wie sie es angefangen hätten,[201] seinen Vater in diesen beklagenswerthen Zustand zu versetzen. Dann ließ er die weisesten Aerzte des Königreiches rufen und sprach zu diesen: »Bietet Alles auf, um die Gesundheit dieses Rajah wiederherzustellen. Er hat sein Gedächtniß sowohl wie seinen Verstand verloren.

Seht zu, ob ihr nicht die Ursache erforschen könnt, wodurch dies Unglück entstanden ist.« Die Aerzte sprachen: »Man hat ihm jedenfalls ein Zaubermittel gereicht, und das hat seinen Verstand und sein Gedächtniß gestört. Wir wollen alles thun, was in unserer Macht steht, um den Einfluß desselben wieder aufzuheben.«

So geschah es. Ihre Bemühungen waren von so gutem Erfolg gekrönt, daß der Rajah binnen kurzer Zeit seine ehemalige Geisteskraft zurückerhielt. Und in Folge ihrer vorzüglichen Pflege bekam er aufs Neue Gesundheit und Stärke, und er ward so wohl, wie ehemals.

Da erfuhr er zu seiner Ueberraschung, daß er, Panch-Phul-Ranee und ihr Sohn die ganze Zeit über in seinem väterlichen Reiche gelebt habe. Sein Vater freute sich sehr über sein Erscheinen und war nicht länger unfreundlich mit ihm, sondern behandelte ihn wie einen heißgeliebten, langverlornen Sohn. Das Glück seiner Mutter überstieg alle Grenzen, und sie sprach zu ihm: »Wir haben Dich jetzt wieder, nun reise nie mehr von uns. Dein Weib und Dein Sohn sind hier. Verlebe auch Du Deine übrigen Lebenstage mit uns.« Er aber erwiderte: »Ich habe noch eine Frau; die Tochter eines Holzschuhmachers, die hat mir durch ihre Güte die Fremde zur Heimath gemacht. Daselbst sind auch meine achtundneunzig sprechenden Papageien, die mir viel werth sind. Erlaubt mir, daß ich die erst hole.«

»Gut«, antwortete man ihm: »Mache schnell und komm bald zurück.« Nun bestieg er die zwei hölzernen Papageien, die[202] ihn vor achtzehn Jahren aus dem Panch-Phul-Raneelande hergetragen, und die inzwischen in dem Dschungel, nicht weit vom Schlosse, gelebt hatten, und also reiste er in das Land, in dem seine erste Frau wohnte und holte sie mit sammt den achtundneunzig zurückgebliebenen Papageien in das Reich seines Vaters.

Sprach sein Vater zu ihm: »Streite Dich nach meinem Tode nicht mit Deinem Halbbruder.« Derselbe war aber der Sohn von der Lieblingsfrau des alten Rajah. »Ich liebe Euch beide zärtlich, und will jedem von Euch mein halbes Königreich geben.« Er theilte das Königreich in zwei Theile, gab die eine Hälfte dem Gemahl der Panch-Phul-Ranee, dem Sohn seiner ersten Frau, und die andere Hälfte dem ältesten Sohne seiner zweiten, oder liebsten Frau.

Nicht lange nach diesem Ereignisse, sagte Panch-Phul-Ranee zu ihrem Manne: »Ich möchte vor meinem Tode meinen Vater und meine Mutter noch einmal sehen. Erlaube mir sie zu besuchen.« Er antwortete: »Das sollst Du. Und mein Sohn und ich wollen Dich begleiten.« Nun rief er vier hölzerne Papageien, zwei, um sich und die Ranee zu tragen und zwei für ihren Sohn.

Der junge Prinz setzte sich auf die Fügel des einen Paares und auf den Flügeln des andern saßen seine Eltern. Dann erhoben sich die Vögel in die Luft und die Papageien trugen sie, wie sie in früheren Zeiten den Rajah allein getragen hatten, hoch und immer höher empor, weiter und immer weiter über das rothe Meer und über die sieben Seen, bis sie das Panch-Phul-Raneeland erreicht hatten.

Panch-Phul-Ranee's Vater sah sie durch die Luft daherkommen und sich einer Sternschnuppe gleich dahinbewegen. Von[203] Neugier getrieben, sandte er viele Edelleute und vornehme Offiziere ab, die sollten sie begrüßen.

Die Edelleute gingen ihnen entgegen und riefen aus: »Wer bist Du großer Rajah, der Du in solch prächtigem königlichen Staate so schnellen Fluges durch die Luft daher geflogen kommst? Gieb uns Antwort, damit wir dieselbe unsrem Rajah bringen könnten.«

Der Rajah antwortete: »Geht und sagt Eurem Herrn, Panch-Phul-Ranee's Gemahl komme, um seinen Schwiegervater zu besuchen.« Sie überbrachten die Nachricht dem Könige, der aber sprach: »Das begreife ich nicht! Ist doch der Mann der Panch-Phul-Ranee schon lange todt. Vor zwanzig Jahren fiel er auf die Eisenlanzen und starb. Wir wollen dem großen Rajah aber doch entgegen gehen, um zu erfahren, wer er denn eigentlich ist.« Und nun erhob er sich mit seinem ganzen Gefolge um die Ankommenden zu bewillkommen. In eben dem Augenblicke ließen sich die Papageien vor der Schloßpforte nieder. Die Panch-Phul-Ranee nahm ihren Sohn an die eine und ihren Mann an die andere Hand. So ging sie ihrem Vater entgegen und sprach: »Vater ich bin gekommen, um Dich wieder zu sehen. Dies ist mein Mann, der todt war, und dieser Knabe ist mein Sohn.« Das ganze Land erschallte vom Jubel als die Kunde von Panch-Phul-Ranees glücklicher Rückkehr laut ward, und das Volk sagte: »Unsre Prinzessin ist die schönste Prinzessin der Welt, ihr Gemahl ist eben so hübsch wie sie, und ihr Sohn ist ein prächtiger Jüngling. Sie sollen bei uns bleiben, hier wohnen und über uns herrschen.« –

Nachdem sie sich etwas ausgeruht hatten, erzählte Panch-Phul-Ranee ihrem Vater und ihrer Mutter die Geschichte ihrer Abenteuer, von der Zeit an, da sie mit ihrem Manne allein im Dschungel gelassen war. Als er der alte Rajah alles vernommen, sagte er zu seinem Schwiegersohne: »Du mußt uns nie[204] wieder verlassen. Siehe, ich habe ja außer Dir keinen Sohn. Du und Dein Sohn Ihr sollt nach mir herrschen. Ja, ich will Euch jetzt schon das ganze Königreich geben, wenn Ihr nur bei uns bleiben wollt. Ich selbst bin alt und müde und habe es satt, das Land zu regieren.«

Aber der Rajah antwortete: »Ich muß noch einmal in mein Vaterland zurückkehren, dann will ich bei Euch bleiben, so lange ich lebe.«

Er ließ Panch-Phul-Ranee und ihren Sohn bei dem alten Königspaare, bestieg seine Papageien und flog in sein väterliches Reich. Dort angekommen sagte er zu seiner Mutter: »Mutter mein Schwiegervater hat mir ein Königreich geschenkt, das ist zehntausend Mal größer als dieses. Daher bin ich zurückgekehrt, um Dir Adieu zu sagen und meine erste Frau zu holen; dann muß ich wieder fort. Ich habe versprochen in jenem Lande zu wohnen.« Sie antwortete: »Gut, es sei, – denn, wenn Du Dich irgend wo glücklich fühlst, bin ich auch glücklich.«

Dann sprach er zu seinem Halbbruder: »Mein Bruder, mein Schwiegervater gab mir das Panch-Phul-Raneeland. Das ist weit von hier, daßhalb nimm Du die Hälfte des Königreiches, die ich von meinem Vater erbte.« Dann sagte er seinem Bruder Lebewohl, ritt auf den zwei hölzernen Papageien mit sammt der Holzschuhmacherstochter und den anderen Papageien durch die Luft in das Panch-Phul-Raneeland und dort verlebte er, seine zwei Frauen und sein Sohn ihre Tage hinnieden in Glück und Freude.

1

Vier oder fünf Schillinge.

2

Der Gott Mahadeo ist eine Fleischwerdung des Zerstörers Siva. Die Göttin Parbuttee ist seine Frau.

3

Hause.

4

o mein Kind.

5

Kind!

6

grobes Wollenzeug.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 174-205.
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