Die Wünsche.

[114] Es war einmal eine arme Frau, die hatte einen einzigen Sohn und der hieß Lars,1 aber er wurde allgemein nur der faule Lars genannt, denn er war so über alle Maßen faul, daß er rein nichts anderes thun wollte, als immer zu Hause in seiner Mutter Kachelofenwinkel hocken. Und wenn ihn seine Mutter bat, ihr irgend etwas zu besorgen oder einen Auftrag auszurichten, so war seine gewöhnliche Redensart: »Ja, wenn ich möchte!« Aber sonst war er seelengut und fügte sich gerne seiner Mutter – wenn er nur mochte.

Eines Tages fragte ihn die Mutter, ob er ihr nicht einen Eimer Wasser unten am Bach holen wollte. »Ja, wenn ich möchte!« sagte Lars und reckte und [115] streckte sich oftmals, bis er sich endlich entschließen konnte, den Eimer zu nehmen und damit fortzugehen.

Er kam zum Bach hinunter und tauchte den Eimer auch unter, aber es dauerte doch eine gute Weile, bis er die Schnur wieder anfassen und den Eimer heraufziehen mochte. Er that es mit einem Ruck und darüber war jetzt Einer sehr wenig erfreut; denn der Eimer stand eine Weile ruhig am Grund des Baches, so daß er leicht eine Falle oder wie ein Netz für den kleinen Fisch sein konnte, der sich in denselben hinein verirrte und nicht mehr heraushuschen konnte, als der Eimer mit einem Ruck in die Höhe ging.

Als Lars also den Eimer aus dem Bach gezogen, schwamm der kleine Fisch wie verzweifelt darin herum. Das war nun noch in jener Zeit, als die Fische noch nicht stumm waren, wenigstens nicht alle; denn der kleine Fisch begann zu reden und bat den Lars, ihn wieder in den Bach hinaus zu lassen. »Nein,« sagte Lars, »wozu denn? Bin ich schon einmal so unverhofft zu einem Fisch gekommen, so will ich ihn auch heimnehmen und ihn mir zum Abendessen braten.«

Da sagte der Fisch: »Wenn du mich nehmen und wieder in den Bach hinauslassen wirst, dann will ich dir drei Wünsche gewähren: dreimal darfst du dir etwas wünschen und es wird in Erfüllung gehen.«

[116] Ja, das ist eine andere Sache, dachte Lars und packte dann den Fisch beim Schwanze und schleuderte ihn wieder in den Bach zurück. Darauf wollte er nach Hause gehen mit seinem Eimer.

Aber jetzt war er bedeutend schwerer voll heim-, als leer zum Bach herunterzutragen und Lars kam nicht weiter als ein paar Schritte vorwärts zu der Stelle hin, wo seine Mutter zu stehen und zu waschen pflegte, und da stand ihre Waschbank und lag ihr Waschbrett. Da war Lars schon müde, drum stellte er den Eimer auf die Waschbank und setzte sich daneben rittlings über die Bank; er wollte ein wenig von der großen Anstrengung ausschnaufen.

Da fiel es ihm auf einmal ein, daß er es jetzt gleich probiren könne, ob er auch einen Nutzen habe von den drei Wünschen, die ihm der Fisch gewährt hatte; und dann wünschte er sich, daß ihn diese Waschbank überall hintragen müsse, wohin er nur wollte, über Wasser und Land. Denn dann brauchte er ja nie mehr zu gehen. Zuerst wollte er mit dem Eimer nach Hause, und sobald er sich das gewünscht hatte, erhob sich die Waschbank und segelte mit ihm und dem Eimer durch die Luft zu seiner Mutter Haus hin.

»Das war lustig,« dachte Lars, »auf diese Weise mag ich noch weiter herumreiten.« Und so ritt er weiter, [117] rittlings auf der Waschbank und vor sich den Eimer. So kam er an des Königs Schloß vorbeigeritten und da traf es sich, daß gerade des Königs Tochter, ein lachlustiges, junges Wesen, am Fenster stand; und als sie diese Luftschiffahrt sah, brach sie in ein helles Gelächter aus und rief nach ihren Hofdamen und die stimmten alle in ihr Gelächter über den »faulen Lars« ein.

Darüber ärgerte er sich und sagte ganz leise zu sich selbst: »O, daß du doch einen kleinen Buben kriegen möchtest, du Fratzenschneiderin!« Das hatte ihm jetzt die ganze Reiterei verleidet, daß er so ausgelacht wurde; er wollte nun am liebsten zu seiner Mutter heim; und augenblicklich war er mitsammt dem Eimer und allem daheim bei seiner Mutter.

Lars erzählte aber seiner Mutter nichts von dem Fisch, denn er freute sich gar nicht über seinen ersten Wunsch, der ihm ja nur Spott eingetragen, wie er meinte. An den andern Wunsch hatte er gar nicht weiter daran gedacht. Mit seinem dritten Wunsch wolle er jetzt noch so lange zurückhalten, bis er älter geworden und besser zur Vernunft gekommen wäre, dachte er.

Es liegt auf der flachen Hand, daß Lars bei seinem zweiten Wunsch an nichts dachte und nur seinem augenblicklichen Aerger Luft machen wollte; und niemand [118] hatte es gehört. Aber der Prinzessin passirte eine andere Geschichte, denn nach neun Monaten gebar sie einen hübschen bausbackigen Jungen. Darüber wurde der König, ihr Vater, sehr böse und wollte durchaus von ihr wissen, wer der Vater dieses Kindes sei. Aber das konnte ihm die Prinzessin nicht sagen, denn sie ahnte selbst nicht, wie sie dazu kam und wußte von gar nichts. Da wurden Boten an die weisesten Männer des Landes ausgesandt und diese gaben den Rath, man solle die Sache ganz geheim halten, bis der Knabe drei Jahre alt geworden wäre. Dann sollten alle Mannsleute des ganzen Reiches zusammengerufen und in Reihen aufgestellt und an dem Kinde der Prinzessin, das mit einem goldenen Apfel in der Hand dastehen müsse, vorbeigeführt werden. Dann würde es gewiß zutreffen, daß der, dem das Kind den Apfel gebe, auch des Kindes Vater sei.

Diesen Rath befolgte der König und drei Jahre lang blieb alles ruhig und stille. Als aber diese Zeit um war, ging die Botschaft durch das ganze Land, daß sich alles, was männlichen Geschlechtes sei, hoch und nieder, vor dem Schlosse des Königs an einem bestimmten Tag einfinden müßte; und es entstand da eine überaus große Versammlung. Die Mannsleute wurden in Reihen aufgestellt und an der Schloßtreppe, auf der der Knabe mit dem goldenen Apfel stand, vorbeigeführt.[119] – Alle waren nun an ihm vorbeigezogen, einzeln Mann für Mann, vom ersten bis zum letzten; aber der kleine Knabe stand noch da und hatte seinen Apfel keinem von diesen gegeben.

Da ließ der König ausrufen, wenn irgend ein Mann zu Hause geblieben sei, so müsse er sich auf der Stelle melden oder es solle ihm das Leben kosten. Da sagte einer der Rottenmeister, daß ihm allerdings eine arme Frau bekannt sei, welche einen faulen Sohn zu Hause habe, der nicht gekommen sei, aber das hätte ja doch nichts zu bedeuten. Aber der König befahl, er müsse kommen so gut wie jeder andere. Es wurde ein Bote nach ihm ausgeschickt, der ihn holen sollte, und da mußte sich der faule Lars mehr eilen, als er es je in seinem Leben gethan. Und sobald ihn der Kleine zu sehen bekam, ging er gleich auf ihn zu und gab ihm seinen goldenen Apfel.

Was der König vorher noch nicht zornig war, das wurde er jetzt, als er sah, was der Vater des Sohnes der Prinzessin für ein Kerl war. Da befahl er seiner Tochter augenblicklich sein Reich zu verlassen und ihm nicht mehr unter die Augen zu kommen, denn er wollte nichts mehr wissen von ihr. Sie mußte auch ihr Kind mitnehmen; und jetzt konnte der faule Lars für alle beide sorgen.

[120] So mußte sie also mit dem faulen Lars gehen und er mußte sich ihrer und des Kindes annehmen. Er setzte sie nun mit dem Knaben neben sich auf die Waschbank seiner Mutter und wünschte sich aus dem Reiche und den Landen des Königs hinaus. Und sogleich segelte die Bank mit allen dreien davon.

Als die Prinzessin selbst auf so sonderbare Weise reiten mußte, erinnerte sie sich wohl, daß sie Lars schon früher einmal gesehen, aber wie sie zu diesem Kind gekommen und wie Lars der Vater desselben sein sollte, das war ihr ein Räthsel, und drum fragte sie Lars, ob er ihr dieses lösen könne. Da erzählte er ihr von den drei Wünschen, die ihm gewährt worden waren. Das erste, was er sich wünschte, war nun dieses sonderbare Reitpferd, über das sie so gelacht, als er das erste mal darauf ritt, – das ihm aber jetzt doch recht gut zu statten kam. Sein zweiter Wunsch waren die Worte, die er im Zorn ausgesprochen, als sie ihn so ausgelacht hatte. Und auf diese Weise war nun sowohl er als sie zu dem Kinde gekommen.

»Aber deinen dritten Wunsch hast du doch noch?« fragte die Prinzessin schnell. Ja, sagte Lars, er habe damit warten wollen, bis er zu mehr Verstand komme. »Dazu bist du schon gekommen, wenn du es mir überlässest zu wünschen,« sagte die Prinzessin und beeilte sich, [121] ihre Schürze mit kleinen Steinchen voll zu füllen und sagte dann wieder zu Lars, daß er sich als drittes gerade so viele Wünsche, als Steine in ihrer Schürze seien, wünschen solle. Das wünschte sich Lars denn auch; und nun hatten sie so viele Wünsche frei, daß sie fürs erste nicht zu fürchten brauchten, daß sie ihnen ausgingen.

Da machten sie miteinander aus, daß die Prinzessin immer zuerst und dann er wünschen solle; damit der Wunsch auch in Erfüllung gehen konnte, so halfen sie einander gegenseitig. Zuerst wünschten sie sich ein Schloß, das viel schöner sein sollte, als das ihres Vaters, mit einem schönen Garten drum herum, der auch viel größer und hübscher sein mußte, als der ihres Vaters. Darauf wünschten sie sich alles, was zu einer richtigen und wohlbesetzten Tafel nothwendig war, also sowohl Speisen als Wein. Dazu wünschten sie sich, daß der König mit seinem ganzen Hofstaat zu diesem Gastmahl, das jetzt angerichtet war, kommen möchte.

Alles geschah, wie sie es wünschten; und der König kam mit seinem Hofstaat dahergefahren und begab sich ins Schloß und an die Tafel und war nahe daran, Mund und Nase über all' diese Pracht und Herrlichkeit zu verlieren. Der Schwiegersohn war nicht zu verachten; das war ja ganz ein anderer Mann als der, für den [122] er ihn vorher angeschaut. Und jetzt herrschte auf einmal die dickste Freundschaft zwischen ihnen.

Während sich nun alle von der Tafel erhoben, wünschten die Prinzessin und ihr Mann alles Silbergeschirr und die Gabeln, die auf dem Tisch lagen, in die Tasche des Königs, und zugleich sagte die Prinzessin: »Man sollte zwar nicht glauben, daß sich hier Diebe befänden, aber trotzdem kann man leicht sehen, daß jetzt auf einmal alles Silberzeug verschwunden ist.« Darauf sagte der König, es wäre doch schändlich, wenn sich solche Leute in seinem Gefolge aufhielten. Dann befahl er, daß jeder vortreten solle und einer nach dem andern seine Taschen umwenden und durchsuchen lassen müsse. Das geschah nun auch, aber es wurde nichts gefunden, bis schließlich die Reihe an ihn selbst kam und er seine Taschen umwenden mußte: und da fiel alles Silberzeug heraus.

Der König stand ganz entsetzt und beschämt da und sagte, daß er es gar nicht begreifen könne, wie das zugegangen sein müsse. Da ergriff die Prinzessin das Wort und sagte: »Ebenso wenig konnte ich begreifen, wie ich zu dem Kinde gekommen. Aber das eine hat die gleiche Ursache wie das andere und alles miteinander kommt von den Wünschen her. Aber ich bin jetzt recht glücklich und zufrieden mit meinem [123] »faulen Lars« und wünsche mir mein Lebtage keinen andern bessern Mann.«

Jetzt erkannte ihn der König feierlichst als seinen rechten Schwiegersohn an, der nach seinem Tode das Reich und die ganze Herrlichkeit erben sollte. Aber das nahmen ihm viele Große des Reichs übel und waren sehr mißgestimmt darüber, daß so ein »Bettelbube« einmal über sie regieren sollte. Deshalb wünschten die Prinzessin und Prinz Lars, als sich die Gesellschaft verabschiedete, daß den Großen die Nasen so lang wachsen sollten, daß sie sie kaum ertragen könnten. Dieser Wunsch ging in Erfüllung und als diese feinen Herren vom Festmahl nach Hause kamen und aus ihren Wagen steigen wollten, waren ihre Nasen so lang geworden, daß sie darüber stolperten, hinfielen und die Beine brachen.

Fußnoten

1 Lars = Laurenz

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen [1]. Leipzig: Joh. Barth, 1878, S. 114-124.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon