[173] 14. Der dankbare Königssohn.

[173] Einmal hatte sich ein König des Goldlandes1 im Walde verirrt und konnte, trotz alles Suchens und hin und her Streifens, den Ausweg nicht finden. Da trat ein fremder Mann zu ihm und fragte: »Was suchst du, Brüderchen, hier im dunklen Walde, wo nur wilde Thiere hausen?« Der König erwiederte: »Ich habe mich verirrt und suche den Weg nach Hause.« »Versprecht mir zum Eigenthum, was euch zuerst auf eurem Hofe entgegenkommen wird, so will ich euch den rechten Weg zeigen,« sagte der Fremde.

Der König sann eine Weile nach und erwiederte dann: »Warum soll ich wohl meinen guten Jagdhund einbüßen? Ich finde mich wohl auch noch selbst nach Hause.« Da ging der fremde Mann fort, der König aber irrte noch drei Tage im Walde umher, bis sein Speisevorrath zu Ende ging; dem rechten Wege konnte er nicht auf die Spur kommen. Da kam der Fremde zum zweiten Mal zu ihm und sagte: »Versprecht ihr mir zum Eigenthum, was euch auf eurem Hofe zuerst entgegenkommt?« Da der [174] König aber sehr halsstarrig war, wollte er auch dies Mal noch nichts versprechen. Unmuthig durchstreifte er wieder den Wald in die Kreuz und die Quer, bis er zuletzt erschöpft unter einem Baume niedersank und seine Todesstunde ge kommen glaubte. Da erschien der Fremde – es war kein anderer als der »alte Bursche« selber – zum dritten Male vor dem Könige und sagte: »Seid doch nur kein Thor! Was kann euch an einem Hunde so viel gelegen sein, daß ihr ihn nicht hingeben mögt, um euer Leben zu retten? Versprecht mir den geforderten Führerlohn, und ihr sollt eurer Noth ledig werden und am Leben bleiben.« »Mein Leben ist mehr werth, als tausend Hunde!« entgegnete der König. »Es hängt daran ein ganzes Reich mit Land und Leuten. Sei es denn, ich will dein Verlangen erfüllen, führe mich nach Hause!« Kaum hatte er das Versprechen über die Zunge gebracht, so befand er sich auch schon am Saum des Waldes und konnte in der Ferne sein Schloß sehen. Er eilte hin und das Erste, was ihm an der Pforte entgegen kam, war die Amme mit dem königlichen Säugling, der dem Vater die Arme entgegenstreckte. Der König erschrack, schalt die Amme und befahl, das Kind eiligst hinweg zu bringen. Darauf kam sein treuer Hund wedelnd angelaufen, wurde aber zum Lohn für seine Anhänglichkeit mit dem Fuße fortgestoßen. So müssen schuldlose Untergebene gar oft ausbaden, was die Oberen in tollem Wahne Verkehrtes gethan haben.

Als des Königs Zorn etwas verraucht war, ließ er sein Kind, einen schmucken Knaben, gegen die Tochter eines armen Bauern vertauschen, und so wuchs der Königssohn [175] am Herde armer Leute auf, während des Bauern Tochter in der königlichen Wiege in seidenen Kleidern schlief. Nach Jahresfrist kam der alte Bursche, um seine Forderung einzuziehen und nahm das kleine Mädchen mit sich, welches er für das echte Kind des Königs hielt, weil er von der betrügerischen Vertauschung der Kinder nichts erfahren hatte. Der König aber freute sich seiner gelungenen List, ließ ein großes Freudenmahl anrichten, und den Eltern des geraubten Kindes ansehnliche Geschenke zukommen, damit es seinem Sohne in der Hütte an Nichts fehlen möge. Den Sohn wieder zu sich zu nehmen, getraute er sich nicht, weil er fürchtete, der Betrug könnte dann heraus kommen. Die Bauernfamilie war mit dem Tausche sehr zufrieden; sie hatten einen Esser weniger am Tische und Brot und Geld im Ueberfluß.

Inzwischen war der Königssohn zum Jüngling herangewachsen, und führte im Hause seiner Pflege-Eltern ein herrliches Leben. Aber er konnte dessen doch nicht recht froh werden. Denn als er vernommen hatte, wie es gelungen war, ihn zu befreien, war er sehr unwillig darüber, daß ein armes unschuldiges Mädchen statt seiner büßen mußte, was seines Vaters Leichtsinn verschuldet hatte. Er nahm sich daher fest vor, entweder, wenn irgend möglich, das arme Mädchen frei zu machen, oder mit demselben umzukommen. Auf Kosten einer Jungfrau König zu werden, war ihm zu drückend. Eines Tages legte er heimlich die Tracht eines Bauernknechtes an, lud einen Sack Erbsen auf die Schulter und ging in jenen Wald, wo sein Vater sich vor achtzehn Jahren verirrt hatte.

[176] Im Walde fing er laut an zu jammern: »O ich Armer, wie bin ich irre gegangen! Wer wird mir den Weg aus diesem Walde zeigen? Hier ist ja weit und breit keine Menschenseele zu treffen!« Bald darauf kam ein fremder Mann mit langem grauen Barte und einem Lederbeutel am Gürtel, wie ein Tatar, grüßte freundlich und sagte: »Mir ist die Gegend hier bekannt, und ich kann euch dahin führen, wohin euch verlangt, wenn ihr mir eine gute Belohnung versprecht.« »Was kann ich armer Schlucker euch wohl versprechen,« erwiederte der schlaue Königssohn, »ich habe nichts weiter als mein junges Leben, sogar der Rock auf meinem Leibe gehört meinem Brotherrn, dem ich für Nahrung und Kleidung dienen muß.« Der Fremde bemerkte den Erbsensack auf der Schulter des Andern und sagte: »Ohne alle Habe müßt ihr doch nicht sein, ihr tragt ja da einen Sack, der recht schwer zu sein scheint.« »In dem Sacke sind Erbsen,« war die Antwort. »Meine alte Tante ist vergangene Nacht gestorben und hat nicht so viel hinterlassen, daß man den Todtenwächtern nach Landesbrauch gequollene Erbsen vorsetzen kann. Ich habe mir die Erbsen von meinem Wirthe um Gottes Lohn ausgebeten, und wollte sie eben hinbringen; um den Weg abzukürzen, schlug ich einen Waldpfad ein, der mich nun, wie ihr seht, irre geführt hat.« »Also bist du, aus deinen Reden zu schließen, eine Waise,« sagte der Fremde grinsend. »Möchtest du nicht in meinen Dienst treten, ich suche gerade einen flinken Knecht für mein kleines Hauswesen, und du gefällst mir.« »Warum nicht, wenn wir Handels einig werden, antwortete der Königssohn. Zum Knecht bin ich geboren, fremdes Brot schmeckt überall [177] bitter, da ist es mir denn ziemlich einerlei, welchem Wirth ich gehorchen muß. Welchen Jahreslohn versprecht ihr mir?« »Nun,« sagte der Fremde, »alle Tage frisches Essen, zwei Mal wöchentlich Fleisch, wenn außer Hause gearbeitet wird, Butter oder Strömlinge als Zukost, vollständige Sommer- und Winterkleidung, und außerdem noch zwei Külimit2-Theil Land zu eigener Nutznießung.« »Damit bin ich zufrieden,« sagte der schlaue Königssohn. »Die Tante können auch Andere in die Erde bringen, ich gehe mit euch.«

Der alte Bursche schien mit diesem vortheilhaften Handel sehr zufrieden zu sein, er drehte sich wie ein Kreisel auf einem Fuße herum, und trällerte so laut, daß der Wald davon wiederhallte. Alsdann machte er sich mit seinem neuen Knechte auf den Weg, wobei er bemüht war, die Zeit durch angenehme Plaudereien zu verkürzen, ohne zu bemerken, daß sein Gefährte, je nach zehn und fünfzehn Schritten immer eine Erbse aus dem Sack fallen ließ. Ihr Nachtlager hielten die Wanderer im Walde unter einer breiten Fichte, und setzten am andern Morgen ihre Reise fort. Als die Sonne schon hoch stand, gelangten sie an einen großen Stein. Hier machte der Alte Halt, spähte überall scharf umher, pfiff in den Wald hinein und stampfte dann mit dem Hacken des linken Fußes dreimal gegen den Boden. Plötzlich that sich unter dem Stein eine geheime Pforte auf, und es wurde ein Eingang sichtbar, [178] welcher der Mündung einer Höhle glich. Jetzt faßte der alte Bursche den Königssohn beim Arm und befahl in strengem Tone: »Folge mir!«

Dicke Finsterniß umgab sie hier, doch kam es dem Königssohne vor, als ob ihr Weg immer weiter in die Tiefe führe. Nach einer guten Weile zeigte sich wieder ein Schimmer, aber das Licht war weder dem der Sonne, noch dem des Mondes zu vergleichen. Scheu erhob der Königssohn den Blick, aber er sah weder einen Himmel noch eine Sonne; nur eine leuchtende Nebelwolke schwebte über ihnen und schien diese neue Welt zu bedecken, in der Alles ein fremdartiges Gepräge trug. Erde und Wasser, Bäume und Kräuter, Thiere und Vögel, Alles erschien anders, als er es früher gesehen hatte. Was ihn aber am meisten befremdete, war die wunderbare Stille ringsum; nirgends war eine Stimme oder ein Geräusch zu vernehmen. Alles war still wie im Grabe; nicht einmal seine eigenen Schritte verursachten ein Geräusch. Man sah wohl hie und da einen Vogel auf dem Aste sitzen mit lang gerecktem Halse und aufgeblähter Kehle, als ob ein Laut heraus komme, aber das Ohr vernahm ihn nicht. Die Hunde sperrten die Mäuler auf, wie zum Bellen, die Ochsen hoben, wie sie pflegen, den Kopf in die Höhe, als ob sie brüllten, aber weder Gebell noch Gebrüll wurde hörbar. Das Wasser floß ohne zu rauschen über die Kiesel des flachen Grundes, der Wind bog die Wipfel des Waldes, ohne daß man ein Säuseln hörte, Fliege und Käfer flogen ohne zu summen. Der alte Bursche sprach kein Wort, und wenn sein Gefährte zuweilen zu sprechen [179] versuchte, so fühlte er gleich, daß ihm die Stimme im Munde erstarb.3

So waren sie, wer weiß wie lange, in dieser unheimlichen stillen Welt dahin gezogen, die Angst schnürte dem Königssohne das Herz zu und sträubte sein Haar wie Borsten empor, Schauerfrost schüttelte seine Glieder – als endlich, o Wonne! das erste Geräusch sein lauschendes Ohr traf, und dieses Schattenleben zu einem wirklichen zu machen schien. Es kam ihm vor, als ob eine große – Roßherde sich durch Moorgrund durcharbeitete. Nun that auch der alte Bursche seinen Mund auf und sagte, indem er sich die Lippen leckte: »Der Breikessel siedet, man erwartet uns zu Hause!« Wieder waren sie eine Weile weiter gegangen, als der Königssohn das Dröhnen einer Sägemühle zu hören glaubte, in der mindestens ein Paar Dutzend Sägen zu arbeiten schienen, der Wirth aber sagte: »Die alte Großmutter schläft schon, sie schnarcht.«

Sie erreichten dann den Gipfel eines Hügels, und der Königssohn entdeckte in einiger Entfernung den Hof seines Wirthes; der Gebäude waren so viele, daß man das Ganze eher für ein Dorf oder eine kleine Vorstadt hätte halten können, als für die Wohnung eines Besitzers. Endlich kamen sie an, und fanden an der Pforte ein leeres [180] Hundehäuschen. »Krieche hinein,« herrschte der Wirth, »und verhalte dich ruhig, bis ich mit der Großmutter deinetwegen gesprochen habe. Sie ist, wie die alten Leute fast alle, sehr eigensinnig, und duldet keinen Fremden im Hause.« Der Königssohn kroch zitternd in's Hundehäuschen und begann schon seine Ueberkühnheit, die ihn in diese Klemme gebracht hatte, zu bereuen.

Erst nach einer Weile kam der Wirth wieder, rief ihn aus seinem Schlupfwinkel heraus und sagte mit verdrießlichem Gesicht: »Merke dir jetzt genau unsere Hausordnung und hüte dich, dagegen zu verstoßen, sonst könnte es dir hier recht schlecht gehen:


Augen, Ohren halte offen,

Mundes Pforte stets verriegelt!

Ohne Weigerung gehorche,

Hege, wie du willst, Gedanken,

Rede nimmer, wenn gefragt nicht.«


Als der Königssohn über die Schwelle trat, erblickte er ein junges Mädchen von großer Schönheit, mit braunen Augen und lockigem Haar. Er dachte in seinem Sinne: »Wenn der Alte solcher Töchter viele hätte, so möchte ich gern sein Eidam werden! Das Mädchen ist ganz nach meinem Geschmack.« Die schöne Maid ordnete nun, ohne ein Wort zu sprechen, den Tisch, trug die Speisen auf und nahm dann bescheiden ihren Sitz am Herde ein, als ob sie den fremden Mann gar nicht bemerkt hätte. Sie nahm Garn und Nadeln und fing an, ihren Strumpf zu stricken. Der Wirth setzte sich allein zu Tisch, und lud weder Knecht noch Magd dazu, auch die alte Großmutter war nirgends zu sehen. Des alten Burschen Appetit war [181] grenzenlos; binnen Kurzem machte er reine Bahn mit Allem, was er auf dem Tische fand, und davon hätten doch wenigstens ein Dutzend Menschen satt werden können. Nachdem er endlich seinen Kinnladen Ruhe gegönnt hatte, sagte er zur Jungfrau: »Kehre jetzt aus, was auf dem Boden der Kessel und Grapen ist, und sättiget euch mit den Resten, die Knochen aber werfet dem Hunde vor.«4

Der Königssohn verzog wohl den Mund über das angekündigte Kesselbodenkehrichtsmahl, welches er mit dem hübschen Mädchen und dem Hunde zusammen verzehren sollte. Aber bald erheiterte sich sein Gesicht wieder, als er fand, daß die Reste ein ganz leckeres Mahl auf den Tisch lieferten. Während des Essens sah er unverwandt das Mädchen verstohlener Weise an, und hätte wer weiß wie viel darum gegeben, wenn er einige Worte mit ihr hätte sprechen dürfen. Aber sobald er nur den Mund zum Sprechen öffnen wollte, begegnete ihm der flehende Blick des Mädchens, der zu sagen schien: »Schweige!« So ließ denn der Jüngling seine Augen reden, und gab dieser stummen Sprache durch seinen guten Appetit Nachdruck, denn die Jungfrau hatte ja doch die Speisen bereitet, und es mußte ihr angenehm sein, wenn der Gast brav zulangte und ihre Küche nicht verschmähte. Der Alte hatte sich auf der Ofenbank ausgestreckt und machte [182] seinem vollen Magen dermaßen Luft, daß die Wände davon dröhnten.

Nach der Abend-Mahlzeit sagte der Alte zum Königssohn: »Zwei Tage kannst du von der langen Reise ausruhen, und dich im Hause umsehen. Uebermorgen Abend aber mußt du zu mir kommen, damit ich dir die Arbeit für den folgenden Tag anweisen kann; denn mein Gesinde muß immer früher bei der Arbeit sein, als ich selber aufstehe. Das Mädchen wird dir deine Schlafstätte zeigen.« Der Königssohn nahm einen Ansatz zum Sprechen, aber o weh! der alte Bursche fuhr wie ein Donnerwetter auf ihn los und schrie: »Du Hund von einem Knecht! Wenn du die Hausordnung übertrittst, so kannst du ohne Weiteres um einen Kopf kürzer gemacht werden. Halt das Maul und jetzt scher' dich zur Ruhe!«

Das Mädchen winkte ihm, mitzukommen, schloß dann eine Thür auf und bedeutete ihn, hineinzutreten. Der Königssohn glaubte eine Thräne in dem Auge des Mädchens quillen zu sehen und wäre gar zu gern noch auf der Schwelle stehen geblieben, aber er fürchtete den Alten und wagte nicht länger zu zögern. »Das schöne Mädchen kann doch unmöglich seine Tochter sein,« dachte der Königssohn, »denn sie hat ein gutes Herz. Sie ist am Ende gar dasselbe arme Mädchen, welches statt meiner hierhergethan wurde, und um dessen willen ich das tolle Wagstück unternahm.« Es dauerte lange, ehe er den Schlaf auf seinem Lager fand, und dann ließen ihm bange Träume keine Ruhe; er träumte von allerlei Gefahr, die ihn umstrickte, und überall war es die Gestalt der schönen Jungfrau, die ihm zu Hülfe eilte.

[183] Als er am andern Morgen erwachte, war sein erster Gedanke, daß er Alles thun wolle, was er der Schönen an den Augen absehen könnte. Er fand das fleißige Mädchen schon bei der Arbeit, half ihr Wasser aus dem Brunnen heraufwinden und in's Haus tragen, Holz spalten, das Feuer unter den Grapen schüren, und ging ihr bei allen andern Arbeiten zur Hand. Nachmittags trat er hinaus, um seine neue Wohnstätte näher in Augenschein zu nehmen, und wunderte sich sehr, daß er die alte Großmutter nirgends zu Gesicht bekam. Im Stalle fand er ein weißes Pferd,5 im Pfahlland eine schwarze Kuh mit einem weißköpfigen Kalbe, in andern verschlossenen Ställen glaubte er Gänse, Enten, Hühner und anderes Fasel zu hören. Frühstück und Mittagsessen waren eben so schmackhaft gewesen, als Abends zuvor, und er hätte mit seiner Lage ganz zufrieden sein können, wenn es ihm nicht so sehr schwer geworden wäre, dem Mädchen gegenüber seine Zunge im Zaume zu halten. Am Abend des zweiten Tages ging er zum Wirth, um die Arbeit für den kommenden Tag zu erfahren.

Der Alte sagte: »Für morgen will ich dir eine leichte Arbeit geben. Nimm die Sense zur Hand, mähe so viel Gras, als das weiße Pferd zu seinem Tagesfutter braucht, [184] und miste den Stall aus. Wenn ich hin käme und die Krippe leer oder auf der Diele Mist fände, so könnte es dir bitterbös bekommen. Hüte dich davor!«

Der Königssohn war ganz vergnügt, denn er dachte in seinem Sinn: »Mit dem Bischen Arbeit komme ich schon zu Gange; wenn ich auch bis jetzt weder Pflug noch Sense geführt habe, so sah ich doch oft, wie leicht die Landleute mit diesen Werkzeugen umgehen, und Kraft genug habe ich.« Als er sich eben auf's Lager hinstrecken wollte, kam das Mädchen leise hereingeschlichen, und fragte ihn mit gedämpfter Stimme: »Was für eine Arbeit hast du bekommen?« »Morgen« – erwiederte der Königssohn – »habe ich eine leichte Arbeit; ich soll für das weiße Pferd Futtergras mähen und den Stall säubern, das ist Alles.« »Ach du unglückseliges Geschöpf!« seufzte das Mädchen: »wie könntest du die Arbeit vollbringen? Das weiße Pferd, des Wirthes Großmutter, ist ein unersättliches Geschöpf, welchem zwanzig Mäher kaum das tägliche Futter liefern könnten, und andere zwanzig hätten vom Morgen bis Abend zu thun, den Mist aus dem Stalle zu führen. Wie würdest du denn allein mit Beidem zu Stande kommen? Merke auf meinen Rath und befolge ihn genau. Wenn du dem Pferde einige Schooß voll Gras in die Krippe geschüttet hast, so mußt du aus Weidenreisern einen starken Reif flechten, und aus festem Holze einen Keil schnitzen, und zwar so, daß das Pferd sieht, was du thust. Es wird dich sogleich fragen, wozu die Dinge dienen sollen, und dann mußt du ihm also antworten: Mit diesem Reifen binde ich dir das Maul fest, wenn du mehr fressen wolltest, als ich dir hinschütte, [185] und mit diesem Pflock werde ich dir den After verkeilen, wenn du mehr solltest fallen lassen, als ich Lust hätte fortzuschaffen.« Nachdem das Mädchen dies gesprochen, schlich es auf den Zehen eben so leise wieder hinaus, wie es gekommen war, ohne dem Jüngling Zeit zum Dank zu lassen. Er prägte sich des Mädchens Worte ein, wiederholte sich Alles noch einmal, um nichts zu vergessen, und legte sich dann schlafen.

Früh am andern Morgen machte er sich an die Arbeit. Er ließ die Sense wacker im Grase tanzen und hatte zu seiner Freude nach kurzer Zeit so viel gemäht, daß er einige Schooß voll zusammenharken konnte. Als er dem Pferde den ersten Schooß voll hingeworfen hatte, und gleich darauf mit dem zweiten Schooß voll in den Stall trat, fand er zu seinem Schrecken die Krippe schon leer, und über ein halbes Fuder Mist auf der Diele. Jetzt sah er ein, daß er ohne des Mädchens klugen Rath verloren gewesen wäre, und beschloß, denselben sogleich zu benutzen. Er begann den Reifen zu flechten: das Pferd wandte den Kopf nach ihm hin und fragte verwundert: »Söhnchen, was willst du mit diesem Reifen machen?« »Gar nichts,« entgegnete der Königssohn, »ich flechte ihn nur, um dir die Kinnladen damit fest zu klemmen, falls es dir in den Sinn käme, mehr zu fressen, als ich Lust habe dir aufzuschütten.« Das weiße Pferd seufzte tief auf und hielt augenblicklich mit Kauen inne.

Der Jüngling reinigte jetzt den Stall, und dann machte er sich daran, den Keil zu schnitzen. »Was willst du mit diesem Keil machen?« fragte das Pferd wieder. »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich mache ihn nur [186] fertig, um ihn im Nothfalle als Spunt für die Ausleerungspforte zu gebrauchen, damit dir das Futter nicht zu rasch durch die Knochen schießt.« Das Pferd sah ihn wieder seufzend an, und hatte ihn sicher verstanden, denn als Mittag längst vorüber war, hatte das weiße Pferd noch Futter in der Krippe, und die Diele war rein geblieben. Da kam der Wirth, um nachzusehen, und als er Alles in bester Ordnung fand, fragte er etwas erstaunt: »Bist du selber so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« Der schlaue Königssohn erwiederte schnell: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte warf unwillig die Lippen auf und verließ brummend den Stall; der Königssohn aber freute sich, daß Alles gelungen war.

Am Abend sagte der Wirth: »Morgen hast du keine eigentliche Arbeit, da aber die Magd manches Andere im Hause zu besorgen hat, so mußt du unsere schwarze Kuh melken. Hüte dich aber, daß keine Milch im Euter zurückbleibt. Fände ich das, so könnte es dir das Leben kosten.« Der Königssohn dachte, als er hinausging: »wenn dahinter nicht etwa wieder eine Tücke steckt, so kann mir die Arbeit nicht schwer werden; ich habe, Gottlob, starke Finger, und will die Zitzen schon so pressen, daß kein Tropfen Milch darin bleiben soll.« Als er sich eben zur Ruhe legen wollte, kam das Mädchen wieder zu ihm und fragte: »Was für eine Arbeit hast du morgen?« »Morgen habe ich Gesellentag« – antwortete der Königssohn. »Ich bin morgen den ganzen Tag frei, und habe nichts weiter zu thun, als die schwarze Kuh zu melken, so daß kein Tropfen Milch im Euter zurückbleibt.« »O du unglückseliges [187] Geschöpf! wie wolltest du das zu Stande bringen,« sagte das Mädchen seufzend. »Du mußt wissen, lieber unbekannter Jüngling, daß, wenn du auch vom Morgen bis zum Abend ununterbrochen melken würdest, du doch nimmer das Euter der schwarzen Kuh leeren könntest; die Milch strömt gleich einer Wasserader ununterbrochen. Ich sehe wohl, daß der Alte dich verderben will. Aber sei unbesorgt, so lange ich am Leben bin, soll dir kein Haar gekrümmt werden. Achte auf meinen Rath und befolge ihn pünktlich, so wirst du der Gefahr entgehen. Wenn du zum Melken gehst, so nimm einen Topf voll glühender Kohlen und eine Schmiedezange mit. Im Stalle lege die Zange in die Kohlen und blase diese zu heller Flamme an. Wenn die schwarze Kuh dich dann fragt, weßhalb du das thust, so antworte ich, was ich dir jetzt in's Ohr sagen werde.« Das Mädchen flüsterte ihm einige Worte in's Ohr, und schlich dann auf den Zehen, wie sie gekommen war, aus dem Zimmer. Der Königssohn legte sich schlafen.

Kaum strahlte die Morgenröthe am Himmel, als er sich schon von seinem Lager erhob, den Melkkübel in die eine und den Kohlentopf in die andere Hand nahm und in den Stall ging. Er machte Alles so, wie das Mädchen am Abend zuvor angegeben hatte. Befremdet sah die schwarze Kuh, seinem Treiben eine Weile zu, dann fragte sie: »Was machst du da, Söhnchen?« »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich will die Zange nur rothglühend machen, weil manche Kuh die niederträchtige Gewohnheit hat, nach dem Melken noch Milch im Euter zu behalten, und da ist kein besserer Rath, als ihr die Zitzen mit einer [188] glühenden Zange zusammenzukneifen, damit sich die Milch nicht unnütz in's Euter ergieße.« Die schwarze Kuh seufzte tief auf und sah den Melkenden scheu an. Der Königssohn nahm den Kübel, melkte das Euter aus, und als er es nach einer Weile wieder anzog, fand er nicht einen Tropfen Milch. Später kam der Wirth in den Stall, zog und drückte wiederholt an den Zitzen, fand aber keine Milch, und fragte mit böser Miene: »Bist du selbst so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« Der Königssohn antwortete: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte ging aufgebracht fort.

Als der Königssohn sich am Abend beim Wirth nach seiner Arbeit erkundigte, sagte dieser: »Ich habe noch ein Schoberchen Heu auf der Wiese stehen, das ich bei trockener Witterung unter Dach bringen möchte. Führe mir morgen das Heu ein, aber hüte dich, daß nicht das Mindeste zurückbleibt, sonst könntest du dein Leben einbüßen.« Der Königssohn verließ vergnügt das Zimmer und dachte: »Heu führen ist keine große Arbeit, ich habe weiter keine Mühe, als aufzuladen, das Pferd muß ziehen. Ich werde die Großmutter dieses Wirths nicht schonen.« Abends kam das Mädchen wieder zu ihm geschlichen, und fragte ihn nach seiner Arbeit für morgen. Der Königssohn sagte lachend: »Hier lerne ich alle Arten von Bauernarbeit, morgen soll ich ein Schoberchen Heu einführen, und nur darauf achten, daß nicht das Mindeste zurückbleibt; das ist mein ganzes Tagewerk.« »Ach du unglückseliges Geschöpf,« seufzte das Mädchen: »wie könntest du das vollbringen? Wolltest du auch mit allen Leuten eines noch [189] so großen Gebiets eine ganze Woche lang Heu führen, so würdest du doch dieses Schoberchen nicht fortschaffen. Was von oben her weggenommen wird, das wächst vom Grunde auf wieder nach. Merke wohl, was ich dir sage: du mußt morgen vor Tagesanbruch aufstehen, das weiße Pferd aus dem Stalle ziehen, und einige starke Stricke mitnehmen. Dann geh an den Heuschober, lege die Stricke herum, und schirre das Pferd an die Stricke. Wenn du damit fertig bist, so klettere auf den Schober hinauf, und fang' an zu zählen: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs und so weiter. Das Pferd wird dich sogleich fragen, was du da zählst, dann mußt du antworten, was ich dir in's Ohr sage.« Das Mädchen flüsterte ihm das Geheimniß zu, und verließ das Zimmer; der Königssohn wußte nichts Besseres zu thun, als zu Bette zu gehen.

Als er den andern Morgen erwachte, fiel ihm sogleich des Mädchens guter Rath von gestern ein; er nahm starke Stricke, eilte in den Stall, führte das weiße Pferd heraus, schwang sich darauf und ritt zum Heuschober, der aber mindestens an funfzig Fuder hielt, also kein »Schoberchen« zu nennen war. Der Königssohn that Alles, was ihm das Mädchen geheißen hatte, und als er endlich, oben auf dem Heuschober sitzend, bis zwanzig gezählt hatte, fragte das weiße Pferd verwundert: »Was zählst du da, Söhnchen?« »Gar nichts,« war die Antwort. »Ich machte mir nur den Spaß, die Wolfsherde dort am Walde zu zählen, aber es sind ihrer so viel, daß ich nicht damit fertig werde.« Kaum hatte er das Wort »Wolfsherde« heraus, als auch das weiße Pferd wie der Wind davon schoß, so daß es in einigen Augenblicken mit [190] dem Schober zu Hause war. Des Wirths Erstaunen war nicht gering, als er nach dem Frühstück hinauskam, und das Tagewerk des Knechts schon gethan fand. »Bist du selber so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« fragte der Alte, worauf der Königssohn erwiederte: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Der Alte ging kopfschüttelnd und fluchend von dannen.

In der Abenddämmerung ging der Königssohn wieder zu ihm, nach seiner Arbeit zu fragen. Der Wirth sagte: »Morgen mußt du mir das weißköpfige Kalb auf die Weide führen, doch hüte dich, daß es sich nicht verläuft, sonst könntest du leicht dein Leben einbüßen.« Der Königssohn dachte bei sich: »mancher zehnjährige Bauerbursch muß eine ganze Herde hüten, da kann mir doch die Hut eines einzigen Kalbes nicht schwer werden.« Als er sich eben schlafen legen wollte, kam das Mädchen wieder in seine Kammer geschlichen und fragte, was für eine Arbeit er morgen habe. »Morgen habe ich Faullenzerarbeit,« sagte der Königssohn, »ich soll mit dem weißköpfigen Kalbe auf die Weide gehen.« »O du unglückseliges Geschöpf,« seufzte das Mädchen: »damit wirst du wohl nimmer durchkommen. Du mußt wissen, daß dieses Kalb eine solche Rennwuth hat, daß es an einem Tage dreimal um die Welt laufen könnte. Merke dir genau, was ich dir jetzt sagen will. Nimm diesen Seidenfaden, binde das eine Ende an das linke Vorderbein des Kalbes, und das andere Ende an den kleinen Zeh deines linken Fußes, dann wird das Kalb keinen Schritt von deiner Seite weichen, gleichviel ob du gehst, stehst oder liegst.« [191] Darauf ging das Mädchen fort, und der Königssohn legte sich schlafen, aber es ärgerte ihn, daß er wieder vergessen hatte, für den guten Rath zu danken.

Den andern Morgen that er pünktlich, was ihm das gute Mädchen vorgeschrieben hatte, und führte das Kalb an dem seidenen Faden auf die Weide, wo es, wie ein treues Hündlein, keinen Schritt von seiner Seite wich. Bei Sonnenuntergang führte er es wieder in den Stall, als ihm der Wirth auch schon entgegenkam und mit zornfunkelndem Blick fragte: »Bist du selber so klug, oder hast du kluge Rathgeber?« Der Königssohn erwiederte: »Ich habe Niemand, als meinen schwachen Kopf und einen mächtigen Gott im Himmel.« Wieder ging der Alte wüthend davon, und der Königssohn glaubte nun darüber im Reinen zu sein, daß die Nennung des göttlichen Namens den alten Burschen jedesmal in Harnisch brachte.

Spät Abends ging er wieder zum Wirth, um dessen Befehle für den folgenden Tag einzuholen. Der Wirth gab ihm ein Säckchen mit Gerste und sagte: »Morgen hast du einen Feiertag und kannst ausschlafen, aber dafür mußt du dich heute Nacht brav rühren. Säe mir sogleich diese Gerste aus, sie wird rasch wachsen und reifen; dann schneidest du sie, drischst sie und windigest sie, so daß du sie mälzen und mahlen kannst. Aus dem erhaltenen Malzmehl mußt du mir Bier brauen, und morgen früh, wenn ich erwache, mir eine Kanne frischen Biers zum Morgentrunk bringen. Hab' Acht, daß meine Befehle genau befolgt werden, sonst könntest du leicht das Leben einbüßen.«

Niedergeschlagen, mit sorgenschwerem Herzen verließ der Königssohn das Gemach, blieb draußen stehen und [192] weinte bitterlich. Er sprach zu sich selbst: »Die heutige Nacht ist meine letzte, solch' eine Arbeit kann kein Sterblicher vollbringen, und ebensowenig kann mir des klugen Mädchens Rath hier helfen. O ich unglückseliges Geschöpf! warum habe ich leichtsinnig das Königsschloß verlassen und mich in Gefahren verstrickt. Nicht einmal den Sternen des Himmels kann ich mein bitteres Leid klagen, denn hier sieht man weder Himmel noch Sterne, doch haben wir einen Gott, der überall ist.« Als er mit seinem Gerstensäcklein dastand, öffnete sich die Hausthür und das liebe Mädchen trat zu ihm heraus. Sie fragte, was ihn so betrübe, und der Jüngling antwortete mit Thränen in den Augen: »Ach, meine letzte Stunde ist gekommen, wir müssen auf immer scheiden. Vernimm denn noch Alles, ehe ich scheide: ich bin eines mächtigen Königs einziger Sohn, dem der Vater einst ein großes Reich hinterlassen sollte; aber nun ist Alles hin, Glück und Hoffnung.« Dann erzählte er ihr unter häufigen Thränen, was für eine Arbeit der Wirth ihm für die Nacht aufgegeben habe, aber es verdroß ihn, zu sehen, daß das Mädchen sich aus seiner Betrübniß nicht viel machte. Als er endlich seinen langen Bericht geschlossen hatte, sagte die Jungfrau lachend: »Heute Nacht kannst du denn, mein lieber Königs sohn, ganz ruhig schlafen, und morgen den ganzen Tag feiern. Merke genau auf meinen Rath und verschmähe ihn nicht, weil er aus dem Munde einer niedrig geborenen Magd kommt. Nimm diesen kleinen Schlüssel, er schließt den dritten Faselstall auf, worin des Alten dienende Geister wohnen. Wirf den Gerstensack in den Stall und schärfe ihnen Wort für Wort den Befehl ein, den dir der Wirth [193] für die Nacht gegeben hat; füge aber hinzu: Wenn ihr ein Haar breit von meiner Vorschrift abweicht, so müßt ihr allesammt sterben; solltet ihr aber Hülfe brauchen, so wird heut' Nacht die Thür des siebenten Stalles offen stehen, in welchem des Wirths mächtigste Geister wohnen.«

Der Königssohn richtete Alles nach Vorschrift aus, und legte sich schlafen. Als er am folgenden Morgen aufwachte und in der Brauküche nachsah, fand er die Bierkufen in voller Gährung, so daß der Schaum über den Rand floß. Er kostete das Bier, füllte dann eine große Kanne mit dem schäumenden Trank an, und brachte sie dem Wirthe, der sich eben auf seinem Lager aufrichtete. Aber statt des erwarteten Dankes sagte der Wirth ungehalten: »Das kommt nicht aus deinem Kopfe! Ich merke, du hast gute Freunde und Rathgeber gefunden. Schon gut, heut' Abend wollen wir weiter sprechen.«

Am Abend sagte der Alte: »Morgen habe ich dir keine Arbeit aufzutragen, du mußt nur, wenn ich er wache, vor mein Bett treten, und mir zum Gruße die Hand reichen.« Der Königssohn spottete innerlich über des Alten wunderliche Grille, und lachend setzte er das Mädchen davon in Kenntniß. Dieses aber wurde sehr ernst und sagte: »Wahre deine Haut! Der Alte will dich morgen früh auffressen. Nur Eins kann dich retten. Du mußt eine eiserne Schaufel im Ofen rothglühend machen, und ihm statt deiner Hand das glühende Eisen zum Morgengruß darbieten.«6 Damit eilte sie davon, und der Königssohn [194] ging zu Bette. Am Morgen hatte er die Schaufel schon rothglühend gemacht, ehe noch der alte Bursche aufwachte. Endlich hörte er ihn rufen: »Fauler Knecht, wo bleibst du? komm' und grüße!« Als darauf der Königssohn mit der glühenden Schaufel eintrat, rief der Alte ihm mit kläglicher Stimme zu: »Ich bin heute sehr krank und kann deine Hand nicht fassen. Aber komm' heute Abend wieder, damit ich dir meine Befehle geben kann.«

Der Königssohn schlenderte nun den ganzen Tag umher, und ging dann am Abend zum Wirth, um sich von ihm die Arbeit für den folgenden Tag auftragen zu lassen. Der Wirth war sehr freundlich und sagte schmunzelnd: »Ich bin mit dir sehr zufrieden! komm Morgen früh mit dem Mädchen zu mir, ich weiß, daß ihr euch schon längst lieb habt, und will euch als Mann und Frau zusammengeben!«

Der Königssohn hätte vor Freude jauchzen und in die Höhe springen mögen, aber glücklicher Weise fiel ihm noch zu rechter Zeit die strenge Hausordnung ein, deßhalb blieb er ruhig. Als er vor Schlafengehen der Geliebten von seinem Glücke erzählte und von ihr eine gleiche Freude erwartete, sah er zu seinem großen Erstaunen, daß das Mädchen vor Schrecken bleich wurde wie eine getünchte Wand, und ihr die Zunge wie gelähmt war. Als sie sich wieder erholt hatte, sagte sie: »Der alte Bursche ist dahinter gekommen, daß ich deine Rathgeberin gewesen bin, und will uns Beide verderben. Wir müssen noch diese Nacht die Flucht ergreifen, sonst sind wir verloren. Nimm ein Beil, geh' in den Stall und schlage dem weißköpfigen Kalbe mit einem kräftigen Hiebe den Kopf ab,[195] mit einem zweiten Hiebe spalte den Schädel entzwei. Im Hirn des Kalbes findest du ein glänzend rothes Knäulchen, das bringe mir, Alles was sonst nöthig ist, werde ich selbst besorgen.« Der Königssohn dachte: »lieber tödte ich ein unschuldiges Kalb, als daß ich mich selbst und das liebe Mädchen umbringen lasse; gelingt uns die Flucht, so sehe ich meine Heimath wieder. Die Erbsen, welche ich ausstreute, müssen jetzt aufgegangen sein, so daß wir den Weg nicht verfehlen werden.«

Darauf ging er in den Stall. Die Kuh lag neben dem Kalbe hingestreckt, und beide schliefen so fest, daß sie ihn nicht kommen hörten. Als er aber dem Kalbe den Kopf abhieb, stöhnte die Kuh so schauerlich, als hätte sie einen schweren Traum. Rasch führte er den zweiten Hieb, der den Schädel spaltete. Siehe! da wurde der Stall plötzlich hell, wie am Tage. Das rothe Knäulchen fiel aus dem Gehirn heraus und leuchtete wie eine kleine Sonne. Der Königssohn wickelte das Knäulchen behutsam in ein Tuch und steckte es in seinen Busen. Es war ein Glück, daß die Kuh nicht aufwachte, sonst hätte sie angefangen zu brüllen, und dadurch hätte auch der Wirth geweckt werden können.

An der Pforte fand der Königssohn das Mädchen schon reisefertig, ein Bündelchen am Arme. »Wo ist dein Knäulchen?« fragte sie. »Hier!« antwortete der Jüngling, und gab es ihr. »Wir müssen schnell fliehen!« sagte sie, und wickelte einen kleinen Theil des Knäulchens aus dem Tuche heraus, damit der leuchtende Schein gleich einer Laterne das nächtliche Dunkel ihres Pfades erhelle. Die Erbsen waren, wie der Königssohn vermuthet hatte, alle [196] aufgegangen, so daß sie sicher waren, den Weg nicht zu verfehlen. Unterwegs erzählte ihm die Jungfrau, daß sie einmal ein Gespräch zwischen dem Alten und seiner Großmutter belauscht und daraus erfahren habe, daß sie eine Königstochter sei, welche der alte Bursche ihren Eltern mit List abgenommen habe. Der Königssohn wußte freilich die Sache besser, schwieg aber und war nur von Herzen froh, daß es ihm gelungen war, das arme Mädchen zu befreien. So mochten die Wanderer eine gute Strecke zurückgelegt haben, als es begann zu tagen.

Der alte Bursche erwachte erst spät am Morgen und rieb sich lange die Augen, bis der Schlaf abfiel, dann weidete er sich im Voraus an dem Gedanken, daß er die Beiden bald verzehren würde. Nachdem er ziemlich lange auf sie gewartet hatte, sagte er für sich: »Sie sind wohl noch nicht mit ihrem Hochzeitsstaat fertig!« Als ihm aber das Warten doch zu lange dauerte, rief er: »Knecht und Magd, he! wo bleibt ihr?« Fluchend und schreiend wiederholte er den Ruf noch einige Mal, aber weder Knecht noch Magd ließen sich sehen. Endlich kletterte er zornig aus dem Bette und ging die Säumigen zu suchen. Aber er fand das Haus menschenleer, und bemerkte auch, daß diese Nacht die Lagerstätten unberührt geblieben waren. Jetzt stürzte er in den Stall ... als er hier das Kalb getödtet und das Zauberknäulchen entwendet fand, begriff er Alles. Er fluchte, daß Alles schwarz wurde, öffnete rasch den dritten Geisterstall und schickte seine Gehülfen aus, die Entflohenen zu suchen. »Bringt sie mir, wie ihr sie findet, ich muß ihrer habhaft werden!« So sprach der alte Bursche und seine Geister stoben wie der Wind davon.

[197] Die Flüchtlinge befanden sich gerade auf einer großen Fläche, als das Mädchen den Schritt anhielt und sagte: »Es ist nicht Alles, wie es sein sollte. Das Knäulchen bewegt sich in meiner Hand, gewiß werden wir verfolgt!« Als sie hinter sich sahen, erblickten sie eine schwarze Wolke, welche mit großer Geschwindigkeit näher kam. Das Mädchen drehte das Knäulchen dreimal in der Hand um und sprach:


»Höre Knäulchen, höre Knäulchen!

Würde gern alsbald zum Bächlein,

Mein Gefährte auch zum Fischlein!«


Augenblicklich waren beide verwandelt. Das Mädchen floß als Bächlein dahin, und der Königssohn schwamm als Fischlein im Wasser. Die Geister sausten vorüber, kehrten nach einer Weile um, und flogen wieder heim, aber Bächlein und Fischlein ließen sie unangetastet. Sobald die Verfolger fort waren, verwandelte sich das Bächlein wieder in ein Mädchen und machte das Fischlein zum Jüngling, und dann setzten sie in menschlicher Gestalt ihre Reise fort.

Als die Geister müde und mit leeren Händen zurückkehrten, fragte sie der alte Bursche, ob ihnen denn beim Suchen nichts Besonderes aufgefallen wäre? »Gar nichts!« war die Antwort: »nur ein Bächlein floß in der Ebene, und ein einziges Fischlein schwamm darin.« Wüthend brüllte der Alte: »Schafsköpfe! Das waren sie ja, das waren sie ja!« Schnell riß er die Thüren des fünften Stalles auf, ließ die Geister heraus und befahl ihnen, des Bächleins Wasser auszutrinken und das Fischlein zu fangen. Die Geister stoben wie der Wind von dannen.

[198] Unsere Wanderer näherten sich eben dem Saum eines Waldes, da blieb das Mädchen stehen und sagte: »Es ist nicht Alles, wie es sein soll. Das Knäulchen bewegt sich wieder in meiner Hand.« Als sie sich umsahen, erblickten sie abermals eine Wolke am Himmel, dunkler als die erste und mit rothen Rändern. »Das sind unsere Verfolger!« rief die Jungfrau und drehte das Knäulchen dreimal in der Hand um, indem sie sprach:


»Höre Knäulchen, höre Knäulchen!

Wandele uns alle Beide:

Mich zum wilden Rosenstrauche,

Ihn zur Blüthe an dem Strauche.«


Augenblicklich waren sie verwandelt. Aus dem Mädchen ward ein wilder Rosenstrauch, und der Jüngling hing als Rose am Stock. Sausend zogen die Geister über ihnen hin und kehrten erst nach einer guten Weile wieder um; da sie weder Bächlein noch Fischlein gefunden hatten, kümmerten sie sich nicht um den Rosenstrauch. Sobald die Verfolger vorüber waren, verwandelten sich Strauch und Blume wieder in Mädchen und Jüngling, welche nach der kurzen Ruhe rasch weiter eilten.

»Habt ihr sie gefunden?« fragte der Alte, als er seine Gesellen keuchend wiederkehren sah. »Nein,« antwortete der Anführer der Geister: »wir fanden weder Bächlein noch Fischlein in der Ebene.« »Habt ihr denn sonst nichts Besonderes unterwegs gesehen?« fuhr der Alte auf. Der Anführer antwortete: »Dicht am Saume des Waldes stand ein wilder Rosenstrauch, an dem eine Rose hing.« »Schafsköpfe!« schrie der Alte, »das waren sie ja, das waren sie ja!« Er schloß darauf den siebenten Stall auf [199] und schickte seine mächtigsten Geister aus, sie zu suchen. »Bringt sie mir, wie ihr sie findet, todt oder lebendig! ich muß ihrer habhaft werden. Reißt den verfluchten Rosenstrauch mit den Wurzeln heraus, und nehmt Alles mit, was euch Befremdliches aufstößt.« Wie der Sturmwind flogen die Geister davon.

Die Flüchtlinge ruhten eben im Schatten eines Waldes aus, und stärkten die ermüdeten Glieder durch Speise und Trank. Plötzlich rief das Mädchen: »Alles ist nicht, wie es sein soll; das Knäulchen will mit Gewalt aus meinem Busen. Gewiß verfolgt man uns wieder, und die Gefahr ist nahe, aber der Wald verbirgt uns unsere Feinde noch.« Dann nahm sie das Knäulchen aus dem Busen, drehte es dreimal in der Hand herum und sprach:


»Höre Knäulchen, höre Knäulchen!

Mache mich alsbald zum Lüftchen,

Den Gefährten mein zum Mücklein!«


Augenblicklich waren beide verwandelt. Das Mädchen löste sich in Luft auf, der Königssohn aber schwebte darin als Mücklein. Die mächtige Geisterschaar brauste wie ein Sturm über sie hin, und kehrte nach einiger Zeit wieder um, weil sie weder einen Rosenstrauch noch sonst etwas Befremdliches gefunden hatten. Aber kaum waren die Geister vorüber, so verwandelte der Lufthauch sich wieder in das Mädchen, und machte aus der Mücke den Jüngling. »Jetzt müssen wir eilen,« rief das Holdchen, »bevor der Alte selber kommt zu suchen – der wird uns in jeder Verwandlung erkennen.«

Sie liefen nun eine gute Strecke vorwärts, bis sie den dunklen Gang erreichten, in welchem sie bei dem hellen [200] Schein des Knäulchens ungehindert emporstiegen. Erschöpft und athemlos kamen sie endlich an den großen Stein. Hier wurde das Knäulchen wiederum dreimal gedreht, wobei die kluge Jungfrau sprach:


»Höre Knäulchen, höre Knäulchen!

Laß den Stein empor sich heben,

Eine Pforte sich bereiten!«


Augenblicklich hob sich der Stein weg, und sie waren glücklich wieder auf der Erde. »Gott sei Dank!« rief das Mädchen aus: »wir sind gerettet. Hier hat der alte Bursche keine Macht mehr über uns, und vor seiner List wollen wir uns hüten. Aber jetzt, Freund, müssen wir uns trennen! Du gehst zu deinen Eltern, und ich will die meinigen aufsuchen.« – »Mit nichten,« erwiederte der Königssohn: »ich kann mich nicht mehr von dir trennen, du mußt mit mir kommen und mein Weib werden. Du hast Leidenstage mit mir ertragen, darum ist es billig, daß du nun auch Freudentage mit mir theilst.« Zwar sträubte sich das Mädchen Anfangs, aber endlich ging sie doch mit dem Jüngling.

Im Walde trafen sie einen Holzhacker, von dem sie erfuhren, daß im Schlosse, wie im ganzen Lande, große Trauer herrsche über das unbegreifliche Verschwinden des Königssohnes, von dem seit Jahren jede Spur verloren sei. Mit Hülfe des Zauberknäulchens schaffte das Mädchen dem heimkehrenden Sohne seine früheren Kleider wieder, damit er vor seinem Vater erscheinen könne. Sie selbst aber blieb einstweilen in einer Bauernhütte zurück, bis der Königssohn Alles mit seinem Vater besprochen hätte.

[201] Aber der alte König war noch vor dem Eintreffen seines Sohnes dahin geschieden: der Kummer über den Verlust des einzigen Sohnes hatte sein Ende beschleunigt. Noch auf seinem Todbette hatte er sein leichtsinniges Versprechen und seinen Betrug bereut, daß er dem alten Burschen ein armes unschuldiges Mädchen überlieferte, wofür Gott ihn durch den Verlust des Sohnes gezüchtigt habe. Der Königssohn beweinte, wie es einem guten Sohne geziemt, den Tod seines Vaters und ließ ihn mit großen Ehren bestatten. Dann trauerte er drei Tage, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen. Am vierten Morgen aber zeigte er sich dem Volke als neuer Herrscher, versammelte seine Räthe und theilte ihnen mit, was für wunderbare Dinge er in des alten Burschen Behausung gesehen und ertragen habe, vergaß auch nicht zu erzählen, wie die kluge Jungfrau seine Lebensretterin geworden.

Da riefen die Räthe wie aus einem Munde: »Sie muß eure Gemahlin und unsere Herrscherin werden!«

Als der junge König sich nun aufmachte, um seine Braut einzuholen, erstaunte er sehr, als ihm die Jungfrau in königlicher Pracht entgegenkam. Mit Hülfe des Zauberknäulchens hatte sie sich alles Nöthige verschafft, weßhalb auch das ganze Land glaubte, daß sie die Tochter eines unermeßlich reichen Königs und aus fernen Landen gekommen sei. Darauf wurde die Hochzeit ausgerichtet, welche vier Wochen dauerte, und sie lebten darnach glücklich und zufrieden noch manches liebe Jahr.

1

Ist wohl identisch mit dem mythischen Kungla-Lande. S.d. Anm. 2, S. 102, zum Märchen 8, vom Schlaukopf. L. Die in den Verhandlungen der gelehrten ehstn. Gesellschaft zu Dorpat abgedruckte Kreutzwaldsche Uebersetzung des Märchens vom dankbaren Königssohn ist verglichen worden; der ehstnische Text hat in der helsingforser Sammlung verschiedene Zusätze erhalten. Uebersetzungen anderer ehstnischer Märchen haben mir nicht vorgelegen.

2

Külimit ist ein Getreidemaß von verschiedener Größe. Das Revalsche Loof von drei Külimit ist etwas weniger als ein viertel Scheffel Preußisch. L.

3

Die Grundzüge dieser phantasievollen Schilderung finden sich im Kalewipoëg X, 378 ff. vgl. mit XIII, 491 ff. Auch dort scheinen auf der Straße zur Wohnung des höllischen Geistes weder Sonne, noch Mond und Sterne – nur von den Fackeln zu beiden Seiten des Höllenthors geht ein trüber Schimmer aus, der die Ankommenden leitet. L.

4

Reminiscenz aus dem Kalewipoëg XIII, 401 ff., wo dem Kalewsohn über den in der Eingangshöhle zur Hölle kochenden Kessel Auskunft ertheilt wird. Erst kostet der Gehörnte, dann die alte Mutter, dann kom men Hund und Katze dran, in den Rest theilen sich Köche und Knechte. L.

5

Die eine der in der Unterwelt gefangen gehaltenen drei Schwestern erzählt dem Kalewsohn, daß des Gehörnten Base die Höllenhündin, seine Großmutter die weiße Mähre sei. Kalewipoëg XIV, 428. – Auf einem weißen Rosse sitzt der Kalewsohn als Höllenwächter, ibid. XX, 1005. Vgl. eine von Rußwurm über Kalews Tod mitgetheilte Sage. Rußwurm, Sagen aus Hapsal u.s.w. Reval 1861. S. 9–10. L.

In Beziehung auf das weiße Pferd bemerkt Neus zu der Sage von Issi teggi (Selbst gethan) im illustrirten Revalschen Almanach für 1856, daß das weiße Pferd in heidnischer Zeit, wie bei andern Völkern, so auch wohl bei den Ehsten, für besonders heilig galt und daher seit Einführung des Christenthums für besonders teuflisch.

6

Vgl. das Glühendmachen der künstlichen Hand und das Darreichen derselben an die Hexe im Pfortenriegel, in dem Märchen von Schnellfuß, Flinkhand und Scharfauge, S. 54. L.

Quelle:
Kreutzwald, Friedrich Reinhold: Ehstnische Märchen. Halle: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1869, S. 173-202.
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