III. Die Wichteln und die weise Marjun in Örđavík.

[2] Die Wichteln [vættrar] sind klein, hübsch von Aussehen, gute Geister, welche in den Häusern bei guten Leuten leben und während ihres Aufenthaltes geniessen diese Glück und werden von ihnen unterstützt, so dass alles gut geht in dem Hause, wo Wichteln sind; glücklich ist der Freund der Wichteln, denn ihm können weder Trolle noch Huldern noch jemand lebender unter der Erde oder auf der Erde schaden.

Marjun in Örđavík war vom Norden von Kollafjord [Dorf] nach Suđuroy gekommen und soll eines der zaubergewaltigsten Weiber gewesen sein, die hier im Gedächtnis behalten worden sind; sie war die klügste und tüchtigste Frau in jeder Richtung. Sie war überaus reich und besass eine Menge von Rindern und Schafen und allen Herrlichkeiten – kein Wunder! – die Wichteln wohnten bei ihr. Sie hatte auf ihrem Hofe einen blöden Jungen, welchen sie dazu hielt, dass er die Schafe im Sommer aus dem bebauten Land wegtriebe, wenn sie in die Einhegung hinein kamen; aber dieser Wechselbalg konnte nichts anderes verrichten, als eben dieses. In den Lebtagen Marjuns kamen Vikinger aus den Südlanden, Türken, um die Föroyer zu verheeren. Sie kamen auch nach Suđu roy, alles zu plündern und verwüsten in jenen südlichen Ansiedlungen, wie sie im Norden gethan hatten. Nun sieht sie Marjun von den Höhen herab südwärts gegen Örđavík kommen. Aber sie fürchtete sich nicht wie jene, welche vor ihnen in das Gebirge flohen und sich in Höhlen und Löchern versteckten und schwarzes Tuch vorhängten; – nein, Marjun sandte den Wechselbalg mit dem Wachthunde ins Feld hinaus und sagte ihm, er solle diese Männer aus dem Feld vertreiben. Er dachte an keine Gefahr, der Arme, und ging darum unerschrocken und munter auszuführen, was ihm die Bäuerin befahl, so wie er gewohnt war. Als er nun gegen die Räuber mit seinem kleinen Hunde gelaufen kam, als ob das nichts anderes wäre als einige scheue Schafe, die immer davonliefen, wenn er mit dem Hunde kam, stand die erfahrene Hausmutter an der Hauswand und winkte mit der Hand gegen die Türken. Als sie sehen, dass ein Krüppel von einem Jungen ihnen so kühn mit einem kleinen Hunde entgegen kommt und ein altes Weib so ruhig an der Hauswand steht, werden sie bestürzt und denken bei sich, dass diese beiden doch nicht so schwach sein könnten, als sie gering an Zahl schienen, sondern im Verborgenen das haben müssten, um sich zu wehren, was ihnen teuer zu stehen kommen könnte. So wird erzählt, dass sie nicht länger südwärts auf der Insel vorzudringen wagten, sondern geradenwegs nach Hvalbö umkehrten. Von hier nahmen sie zwei Mädchen mit sich, welche mit Marjun verwandt waren; und als sie das hörte, sagte sie, ehe ihr Blut kalt würde (d.i. ehe das siebente Geschlecht von ihr gestorben wäre) sollte das gerächt werden und dieses[3] Türkenvolk unter einen König aus einem anderen Reiche zu stehen kommen.

Marjun in Örđavík hatte gutes Glück mit sich in allem, was sie anfing, und alles fügte sich ihr wohl; und das kam davon, dass die guten Wichteln bei ihr im Grossstall wohnten. Aber sie vergass auch nicht einen Kübel mit Milch für sie hinzustellen, so oft die Kuhmägde die Kühe gemolken hatten. Die Wichteln belohnten sie für ihre Wohlthaten: – nie war Mangel an Milch, wenn die Kühe gemolken wurden, solange sich die Wichteln im Grossstalle aufhielten; keine Krankheit kam über die Rinder und Schafe, solange sie dort waren. Nicht brauchten die Viehmägde im Stalle nächtelang zu sitzen, wenn eine Kuh kalben sollte; kalbte sie da in der Nacht, so lag das Kalb am Morgen nicht in der Abzugsrinne, obwohl niemand zugegen war, sondern wenn die Kuhmagd kam, stand das Kalb am Stand mit einem Seidenbande gebunden zwischen den Vorderbeinen der Kuh, so dass sie es lecken konnte. Die Dirne, welche in den Stall kam, um die Kühe zu warten, musste da stracks das Kalb vom Seidenbande lösen und dieses auf den Querbalken legen, und von dort nahmen es dann die Wichteln wieder zu sich. Marjun war daher gut gegen die Wichteln, welche ihr soviel Nutzen brachten, und sie versicherte ihrem ältesten Sohne oft und häufig hoch und teuer, dass er das wissen solle, wenn er den Hof als Bauer nach ihr übernehme, dass es gut sei, Wichteln zu behausen, und ihnen solle er immer Aufenthalt geben, und lege er den grossen Kuhstall nieder und breche ihn ab, so werde das ihm und den andern zum Schaden gereichen. Marjun starb, und der Sohn, der nun Bauer auf Örđavík wurde, gab nichts darauf, wovor ihn die Mutter gewarnt hatte, und legte den grossen Kuhstall nieder. Aber da flüchteten die Wichteln, wünschten böses über ihn und alle seine Verwandten, welche in Örđavík waren – jähen Todes sollten sie alle sterben. Am selben Tage, da sich dieses zutrug, kam ein Mann aus Vág nordwärts über die Insel gegangen; als er zur Mannaskarđ [Pass] kam, begegnete er einem winzig kleinen Weib, welches vom Passe herabkam, zwei winzig kleine Kinder jedes an einer Hand führend, und das dritte hatte sie am Rücken; als er bei ihnen vorbeiging, hörte er diese Frau sagen: »Gerächt soll werden, dass wir fliehen mussten«. Und es wurde gerächt; eines Abends, als die drei Brüder ausfuhren, um südlich vom Lande im Fjorde zu angeln, brach ein Wirbel unterhalb Tjaldarvíkshólm hervor und stürzte das Boot um, so dass alle untergingen, die im Boote waren. Marjun hatte auch drei Töchter, welche in Örđavík waren; sie starben kurz danach an einer tödlichen Landseuche, welche dort im Platze umging. Alles das war Rache von den Wichteln, welche aus Örđavík geflohen waren.

Quelle:
Jiriczek, Otto L.: Færöerische Märchen und Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 2 (1892) 1-24, 142-165, Berlin: A. Asher & Co, S. 2-4.
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