König Radbod und der Bauer.

[124] Im Jahre sieben hundert und siebenzig, da Radbod der zweite zu Starum König von Frisland war, wohnte zu Almenum1 ein Bauer, welcher Gjalt hieß, und sich sehr gut stand. Er hatte immer altes Heu und altes Geld in Vorrath, und er speicherte seinen Waizen und sein Korn auf, wenn es nicht genug nach seinem Sinn gelten konnte. Aber er war etwas altfränsig in seinem Thun, und hub immer am schwersten Ende des Balkens. Weil er schon ziemlich ältlich ward und nur Junggesell blieb, gingen die Bauersleute ihn immer an, sich zu verheirathen, sie sagten zu ihm, er hätte ein Hökerleben, allein er warf ihnen vor, man würde leicht mit Frauenzimmerfleisch betrogen, und daß eine böse Weibsperson ein niedriges Stück Hausrath wäre. Gleichwohl würde er heirathen, sobald er seine Leibpareille gefunden.

Nun wohnte zu Almenum auch ein alter Feuerfresser, der unter König Radbod den Utrechtern hinter den Hosen gesessen, so oft als der Bischof von Utrecht in Frisland den Meister spielen wollte, und der nach Jahren Mordens und Brennens von seinem König zu viel gekriegt, um zu sterben, und zu wenig, um zu leben. Er wohnte zu Almenum, weil es ihm unter den verwöhnten Kindern von Starum zu theuer war, und während er da mit Gärtnerei und Sparerei so ungefehr durch die Zeit kam, sah er manchmal auf seine Narben herab, ebenso wie alte Leute die Narrenstreiche ihrer Kinderjahre überdenken. Er hatte eine einzige liebe Tochter, [Keimpke war ihr Name] welche sein magres Stück Brod mit ihm theilte, eine aufgeweckte Dirne und ein spizköpfiges Ding, die accurat auf sich und keck im Haushalten war. Sie war so bös wie Ruß, und schien in ihren schneidigen Kriegslisten wol etwas nach ihrem Vater geartet zu sein. Auch konnte sie Noartsce Balke spielen, wozu sie die[125] Schlachtsiege der Frisen über Priester und Könige sang. Um es kurz zu fassen, Keimpke war der Trost und die Lust ihres Vaters in seinem hökerartigen Leben, und er hatte keinen andern Verdruß von ihr, als die Aussicht, daß sie arm und verlassen sein würde, wenn er das Haupt einmal niederlegte. – Einst kam in der Abenddämmerung eine alte Bauerfrau zu ihm, die erst ein süßes Gesprächchen hielt, und auf die lezt anfing, ihn auszuforschen, ob Gjalt-Bauer wol einmal zu seiner Tochter kommen dürfte. Der Capitain sah seltsam auf, und fühlte, daß jezt der Kneiper auf die Schienen kam, er wollte seine Tochter herzlich gern bei sich behalten, aber ihr das Brod aus dem Munde zu reißen, vermogte er auch nicht. Endlich, erwägend, daß das Glück seiner lieben Keimpke über alles gehen müßte, ging er zu ihr und sagte, Gjalt wolle sie heirathen. Sie hatte ganz und gar nichts damit im Sinn, und wollte lieber bei ihrem armen Vater bleiben, als in der Fülle wie eine reiche Bäuerin leben, aber durch viel Zurathen ihres Vaters fügte sie sich endlich darein, und in vier Wochen war Gjalt-Bauer Freier, Bräutigam und Ehemann.

Anfangs schneite es nichts als Rosen und Lefkoien bei Bauer Gjalt, aber als die Flitterwochen um waren, begann er am Beutel zu merken, daß solche weiße Pferde eine Menge Streu nöthig hätten. Die Hände standen ihr durchaus nicht danach, die Butter zu behandeln, auch wollte sie die Haushaltung im ff haben, nun da es viel zu schaffen gab, und weil der Bauer stets mit einer knauserigen alten Jungfer Haus gehalten hatte, jammerte er tagtäglich: »Was kostet das! Was kostet das!« Dennoch konnte er das tragen, und Keimpke war so ehrerbietig gegen ihn und wußte ihn so zu nehmen, daß er zulezt nicht viel mehr über die Kosten klagte. Aber Keimpke war hübsch, für Gjalt viel zu hübsch, um kein Schalksauge zu haben auf ein paar junge Straßenscheurer, welche bei ihm wol 'mal einkuckten und über die Flur waren, wenn er im Felde war. Sie war gleichwol so unschuldig wie der weiße Schnee, allein seine Eifersucht, die aus allem Verdacht schöpfte, ward von Tage zu Tage grimmiger, so daß er sie, die er in seinem Herzen sonst lieb hatte, endlich durch Prügel zwingen wollte, eine andre Mannsperson, wenn er weg wäre, nicht einmal freundlich anzulächeln. »Wenn ich sie Morgens etwas[126] knüffle, dachte er bei sich selbst, dann wird sie den ganzen Tag an dem Schäkern der jungen Kerle keinen Gefallen haben, und Abends werd' ich sie mit Streicheln und Kosen wol wieder gut kriegen.«

Als ihm dies in den Kopf fuhr, kam er grade vom Felde nach Hause zum Essen, und so wie er den lezten Bissen verschluckt hatte, stand er auf wie ein rasender Kerl und gab ihr eine Ohrfeige, daß ihr das Feuer aus den Augen sprüzte. Die Arme konnte anfangs [so erschrocken war sie!] kein Wort mucken und keine Thräne aus den Augen kriegen, als sie aber ein wenig zu sich selbst gekommen war, brach sie in Klag- und Jammergeschrei aus. »Ach Gott! sagte sie, daß unser Vater mich an diesen Büttel geben mußte! Hatten wir denn kein Stück trocknes Brod mit einander? War unsre friedliche Armuth nicht thausendmal besser, als das Leben mit einem reichen Frauenprügler? Mutter, Mutter! stäken Sie das Haupt aus dem Grabe herauf, das Herz würde Ihnen brechen über Ihre unglückliche Tochter!« So klagte und schrie Keimpke, aber sie hatte die Wanne2 weg, und Bauer Gjalt kriegte seinen Willen, denn sie war den ganzen Tag für keinen zu sprechen. Des Abends, als er nach Hause kam, war sein erstes Werk, der Frau Abbitte zu thun. Er sagte ihr, der Teufel hätte es ihm eingegeben, aber er würde es nie wiederthun, und er bat sie mit einem so trübseligen Gesicht um Vergebung, daß das gütige Weibchen es nicht länger ertragen konnte. Sie gab ihm die Hand der Freundschaft und ein Mäulchen dazu, und nachdem sie Süßmilchbrei gegessen hatten, krochen sie mit einander hinter die Bettrizen, als ob den Tag nichts vorgefallen wäre.

Das hatte der Flegel so herrlich ausgeführt, daß er dachte, morgen von demselben Laken einen Anzug. Des folgenden Morgens hatte er nicht sobald das Frühstück verzehrt, als er den Spathen auf die Schulter nahm, und beim Weggehen seiner Frau einen Schlag versezte, daß sie gegen die Mauer anflog. Wäre sie vom Wetter geschlagen worden, hätte sie nicht seltsamer aufsehen können. »Welch ein falscher Bube ist das![127] dachte sie bei sich selbst. Aber der Kerbstock ist eisern, Kerl, und ich werde dich fühlen lassen, daß eine Frisin, die den ersten bösen Streich auszugleichen weiß, auch Verstand hat, den zweiten zu vergelten.«

Während das Weibchen darüber nachsann, sah sie zwei Junker auf weißen Pferden vor der Thür stehen, welche ins Haus kamen, und im Namen des Königs Radbod um etwas Essen und Trinken fragten. Keimpke, die sehr splendid war, tischte tüchtig auf, und während die Junker mit Lust aßen und tranken, fragte sie dieselben, wo die Reise hinsollte. »Hör, sagten sie, Bäuerin, es sieht böse aus. Prinzes Bauk, die Tochter unsres Königs, hat vorgestern Schellfisch gegessen, und weil das Mädel etwas vorlaut ist, ist ihr eine Gräte im Halse sizen geblieben, womit alle Meister3 von Stawern schon herumgemordet haben, welche aber kein einziger herauskriegen kann. Die Prinzeß hat nun in zweimal vier und zwanzig Stunden nichts gethan als würgen, weder naß noch trocken ist über ihre Lippen gekommen, und sie hat keinen Schlaf in den Augen gehabt. Der König sizt wie ein verwaister Mensch bei ihrem Bette, er hat uns auf's Land geschickt, um einen Doctor zu suchen, und wenn's uns hier misglückt, dann gehen wir starr nach Dockum hin.« »Wolan, das trifft sich schön, sagte Keimpke, hier zu Almenum ist euer Mann. Kein klügerer Pisbeseher in ganz Frisland.« Die Junker standen beide plözlich vom Stuhl auf und sprachen, meine liebe Frau! das ist doch gewiß Scherz von Ihnen. – »Nein, wirklich so, sagte sie, aber es ist ein Mann ganz für sich, dieser Doctor. Er will nicht doctern, oder er muß mit Prügel dazu gezwungen werden.« Wenn's anders nichts ist, versezten die Junker, dafür laß uns sorgen. Wir werden ihn wol vettern. Zeig ihn uns nur. – Da that Keimpke die Hausthür auf und sagte zu ihnen: »Der dort mit der Egge ganz vorn auf dem Stück Ackerland steht, der ist's, aber das sag' ich euch noch einmal, ihr kriegt ihn nicht anders mit, als durch Gewalt.« Die Junker, welche zwei schlanke Kerle waren, nahmen deshalb jeder einen großen Knüppel in die Hand,[128] und gingen grade auf Gjalt-Bauer zu. »Edler freier Frise, guten Morgen! sprachen sie zu ihm, wir haben Ihnen guten Tag zu sagen von unserm König, und der läßt Sie bitten, zu ihm zu kommen.« Warum? fragte Gjalt erschrocken. »Um seine Tochter, Prinzes Bauk, zu curiren,« sagten sie. Der Bauer antwortete, er könnte gut misten und eggen, und wenn der König ihn dazu nöthig hätte, stände er alle Stunden des Tages bereit, aber doctern, das hätte er nie gelernt. Die beiden Junker sahen einander an und sprachen: »Mit süßen Worten können wir hier nichts gewinnen. Doch wir haben ander Remede, Kerl!« und miteins stämmten sie sich an und gerbten ihm die Beine so hart als sie konnten. Das kam Gjalt gewaltig neu vor, und er rief Wraek4, daß ein freier Frise so geschlagen würde. »Ja, ja, sagten die Junker, wer nicht hören will, muß fühlen. Willst du mit, oder nicht?« und sogleich war es schon wieder hau auf. Gjalt, welcher fühlte, daß zwei gegen einen nicht das rechte war, gab bald nach, wollen oder nicht wollen, er mußte mit. Sie spannten das Pferd von der Egge ab, und sezten Gjalt darauf, und wiewol es ein laufsüchtiges Thier war und lange nicht aufrichtig, geißelten sie es doch mit Peitschen um die Beine, daß sie wie der leibhafte Teufel nach Stawern flogen.

Der König saß mit dem Gemüth voll und den Thränen in den Augen vor dem Bette seiner lieben Tochter, als die beiden Junker mit Gjalt-Bauer ins Schloß traten und ein schroffes Wort von ihrem seltnen Doctor thaten. Sofort ließ der König seine Tochter sich vor Gjalt niedersezen, und sagte zu ihm, er müßte sie curiren, er hätte nur die Wahl, wie er am liebsten wollte, mit Gutem oder mit Bösem. Darauf rief der Bauer alle Heiligen aus dem Himmel zu Zeugen an, daß er grade so viel Verstand von Doctern hätte, als die Kaze. Der König sagte nichts, sondern blinzelte zwei schrötigen Kerlen, die hinter dem Bauer standen, zu, und diese gerbten ihm so unbarmherzig mit Bullenpeseln den Rücken, daß er ausheulte: »Gnade, Gnade! Ich werde sie curiren, ich werde sie[129] curiren!« – Da saß nun Prinzes Bauk vor ihm, so bleich wie ein Weißfisch, und den Mund weit offen, wo sie mit dem Finger hineinwies, um ihm den Fleck ihrer Qual zu bezeichnen. Bauer Gjalt sah sie an und war noch beängter als sie selbst, prügeln oder curiren war hier sein Looß und seine Bestimmung. Jezt dachte er bei sich selbst: »Die Gräthe sizt ihr nicht im Magen, sondern im Halse, wenn ich sie einmal ins Lachen bringen könnte, wer weiß, ob nicht die Gräthe von selbst herausflöge.« Das kam ihm nicht übel vor, er ersuchte den König, ein großes Feuer im Saal anlegen und ihn denn einen Augenblick mit der Prinzes allein lassen zu wollen. Sobald als sie alle mit einander weg waren und das Feuer brannte, kleidete sich Bauer Gjalt bis auf das Hemd aus, und ging vor dem Heerd liegen so lang als er gewachsen war. Nachdem er hier eine Zeit strahlrecht wie ein Todter gelegen war, sprang er auf einmal wie ein Frosch vom Boden auf so groß als er war, und taumelte siebzehn Schüsse überkopf durch den ganzen Saal. Als dies fertig war, fing er an sich zu schaben, als wenn er kräzig wäre, er scheuerte und krazte die harte Haut mit seinen schwarzen krummen Nägeln, und machte solche tolle Gebeerden, daß die Prinzes mit all ihrer Pein zulezt in Lachen ausplazte, und ihr unter der Erschütterung die Gräthe zur Kehle herausflog. Gjalt streifte flink seine Kleider wieder an, und rann mit der Gräthe zum König, welcher nicht wußte, was für Gutes er ihm für eine solche große Tüchtigkeit erweisen sollte. Der König wollte ihn dann herzlich gern zum Schloßdoctor behalten, allein es war mit Gjalt-Bauer immer: »Großen Dank für mich!« Die Kühe müßten auf die andre Weide gebracht, die andern Rinder ständen noch im Felde und müßten noch weggethan werden, o er hatte hunderterlei Dinge, die ihn alle unumgänglich nöthig nach Hause riefen. Der König, der gesehen hatte, wie scheu er vor Prügel war, rief dieselben zwei Mannsleute, die ihm eben Schmiere gegeben hatten, doch sobald als diese sich einstellten, gab er die Schlacht auf der Stelle verloren, und versprach, nicht allein auf einige Tage, sondern sein ganzes Leben hindurch, wenn es dem König belieben sollte, in Stawern zu bleiben. Er sah nichtsdestoweniger für einen Königsdoctor etwas gröblig aus, denn sie hatten ihn nur so in seinem[130] Arbeitshabit vom Lande aufgefischt. Darum ward ihm die Müze abgenommen, sein Röckel von grobem Tuch ausgezogen, der Bart geschoren, das Haar frisirt, und als er so vom Kopf zur Zehe aufgepuzt war, ward ihm ein rother Sammetmantel um die Schultern gehängt. Da saß er nun so hübsch wie Pus5, aber sein Herz war in der Heerdsecke bei seiner Keimpke, und es ging ihm schon im Kopf herum, durch welche Rize er sich aus diesem königlichen Hundeloch herauswinden sollte.

Unglücklicherweise ward das Genesen der Prinzes Haus bei Haus erzählt, so daß es augenblicklich wie ein Lauffeuer durch die Stadt war, und binnen einer halben Stunde standen vier und zwanzig Kranken vor der Pforte des Schlosses, welche von allen Meistern und Teufelbannern zu Stawern aufgegeben waren. Der König, dieses Völkchen erblickend, und ein wenig stolz darauf, daß er einen Wunderdoctor im Schloß hätte, befahl Bauer Gjalt, ihnen allen zu helfen. »Vier und zwanzig aufgegebenen Kranken helfen? sprach der Bauer mit einem schweren Seufzer. Jezt, König, wenn Gott es nicht thut, ich kann's nicht thun.« »Komm, antwortete der König, dann müssen Sie's erst einmal überlegen mit den beiden Professoren, die Ihnen vor kurzem das Recept für meine Tochter auf den Rücken geschrieben haben.« Aber Gjalt-Bauer hatte nicht sobald ein Schemchen von den beiden rauhen Kerlen gesehen, als er bebte wie ein Hündchen, und gelobte, er würde alles curiren, was der König ihm vorlegte, gleichviel ob Lahme, Blinde, oder Stumme.

Nachdem die vier und zwanzig Kranken in den Saal gebracht worden waren, ordinirte Gjalt den Feueranmacher des Schlosses, ein Feuer von hundert und funfzig langen Scheiten6 anzulegen, und als das tüchtig im Brennen war, ersuchte er König Radbod, ihn mit diesem Häufchen noch einmal allein zu lassen. Der König ging aus dem Saal, und blieb im Angesicht der Thür stehen. Sobald als Gjalt-Bauer allein war, ließ er die Kranken alle zusammen sich in einen Kreis um den Heerd stellen, und während die Lohe von diesem hohen Feuer in den Schornstein[131] hinaufflog, redete er sie mit diesen Worten an. »Freunde! Es wird heute schwer für mich halten, eine solche Menge Menschen in einem Augenblick zu curiren. Ich weiß nur einen einzigen Schlag drein zu thun, nemlich, den allersiechsten aus euch herauszunehmen, und den auf dem Feuer zu verbrennen. Wenn sein Leichnam da zu Pulver verzehrt ist, dann will ich einen Löffelvoll von seiner Asche in einen Schluck oder zwei Bier rühren, und dies die andern drei und zwanzig einnehmen lassen. Es ist ein starkes Mittel, allein es ist probatum, und ich wette meinen Kopf darauf, daß es euch allen helfen wird.« – Als er diesen Ausspruch gethan hatte, sagten die Kranken kein einziges Wort, sie sahen einander an, als wollten sie fragen, wer denn der schlimmste von ihnen wäre, denn unter dem ganzen Trupp war nicht ein einziger, der für König Radbods Geld bekennen wollte, daß er die schlimmste Qual von ihnen allen hätte. Inzwischen begann Bauer Gjalt sie von Ende an mit großem Anstand zu fragen, und redete den Kranken, der in der Heerdsecke stand, allererst an. Wie kommst du so in die Suppe? sagte er, wie ist deine Farbe verdächtig. Du bist ein Auszehrender, Mensch! Der kalte Schweiß steht dir tropfenweise auf der Stirn. – »Ja, aber Doctor, das ... das ... sagte der Kranke, das rührt eigentlich von dem Feuer her. Wenn's Ihnen so gefällig wäre, wollte ich wol einmal eben aus dem Saal, um Athem zu schöpfen.« Er ging zum Saal hinaus, und als der König ihn fragte, wie's ihm ergangen, sagte er, er wäre von Grund aus genesen, und er kam nie wieder. – Jezt kam Gjalt zu dem zweiten Kranken, und da er den eine Zeit in die Augen geblickt hatte, schüttelte er gewaltig mit dem Kopfe und sprach zu ihm, Ich weiß nicht, Bursche, ich weiß nicht, ob's mit dir wol geht. Du siehst mir so gelbbleich und verfröstelt aus, daß das Endergebniß wol der Tod sein wird. Mich dünkte ... – »Was dünkt Sie, Doctor? fragte der Mann zitternd, daß ich brennen müßte?« – Allerdings, versezte Gjalt-Bauer, du bist doch sicher so schlaff wie eine Garnwinde, und die Beinchen wollen dich nicht länger tragen. – »Der Gang ist sonst noch so schlimm nicht, Doctor, sagte der Mann, wollen Sie einmal sehen, wie ich laufen kann?« Und damit huschte er zum Saal hinaus, und rühmte sich dessen vor dem[132] König, daß er bereits so gesund wie ein Fisch wäre und auch nicht wiederzukommen brauchte. – Da kam Gjalt-Bauer bei dem dritten und sprach zu ihm: Laß mich deinen Puls einmal fühlen. Du bist wassersüchtig, Kerlchen! Stecke die Zunge einmal aus. Pfui, Mensch! welch 'ne schwarze Kruste. Kamerad, du riechst nach dem Grabscheit. Mich däucht, wenn wir dich 'mal eben auf dem Feuer brieten, die Pein ist bald über, und so wäre den andern ein und zwanzig Menschen auch geholfen. – »Ja, aber, Doctor, stammelte und schluckte der Mann, so schlimm ist's noch nicht. Ich werde mich auf's beste wehren.« – Hoho! sagte Gjalt, bist du nicht krank? Was thust du denn hier? Kommst du hier, um den Doctor des Königs zum Besten zu haben? Lümmel! scheer dich aus meinen Augen, oder ich werde dich ...! Der auch schon mit Einem Berst zur Thür hinaus, und als der König ihn fragte, wie es gegangen wäre, rief er: »Klar7, wahrhaftig! Klar wie ein Klößchen.« Das ging eben so mit dem vierten, mit dem fünften, bis zum vier und zwanzigsten, alle mit einander mit Kugelsgewalt aus dem Saal, daß sie den König fast unter die Füße rannten. Um es kurz zu fassen, es war kein einziger da, der Lust hatte, sich für seinen Nachbar zu Asche verbrennen zu lassen, und sie alle einer nach dem andern nahmen reißaus, weil ihnen vor dem großen Feuer von langen Scheiten wie vor dem leibhaften Teufel schauderte.

König Radbod stand, als wenn er vor den Kopf geschlagen wäre, daß ein simpler Bauer so viele kranken Leute mit den seltensten Qualen in einem Augenblick Zeit curiren könnte. Er wußte auch nicht was für Gutes er ihm erweisen sollte, aber Gjalt bestand darauf, daß er großnöthig wäre zu Hause, und erbat sich nichts andres als die Freiheit, nach Almenum zu seiner Keimpke zu gehen. »Nun, sagte der König, darum daß du es bist, werd' ich's einwilligen, sofern du sogleich kommest, wenn ich dich heraufentbiete, ohne daß wir genöthigt sind, den Knüppel zu brauchen.« Das versprach Gjalt, und damit nahm er Abschied vom König, der ihm ein Gespann schöne Pferde und so viel Geld mitgab, als[133] er mit Schicklichkeit bergen konnte. So ging Gjalt als ein Bauer aus Almenum, und überlistet von seiner Frau, kam er als ein berühmter Doctor wieder. Er hatte jezt nach seinem Sinn zu viel in der Welt, um selbst in Wind und Wetter Feldarbeit zu thun, darum überließ er das Außenwerk an zwei Knechte, und arbeitete selbst etwas für sich zu Hause. Ein Weibchen, die er im Herzen lieb hatte, schlug er nie wieder, weil er selbst gefühlt hatte, wie Prügel schmeckte. Er lebte in großem Frieden und Freundschaft mit ihr, und kriegte ein paar hübsche Kinder mit ihr, welche die Stüze und Ehre seiner alten Tage waren, und ihn empfinden ließen, wie viel glücklicher ein Ehemann ist, als ein alter Junggesell.

1

Ein Dorf bei Harlingen, wo einst die wichtigsten Landesurkunden der Frisen aufbewahrt gewesen sein sollen.

2

Ein Kleidungsstück verheiratheter Frisinnen, so genannt wegen der Aehnlichkeit mit einer Wanne.

3

Aerzte und Schulmeister, besonders jene, werden vorzugsweise Meister genannt, oder, wie es auf Westfrisisch heißt, Master.

4

Der alte frisische Rache-Ruf bei Todtschlägen, als Einleitungsformel zur Blutsühne.

5

Der frisische Name für Käzel, Käzchen.

6

Natürlich in den noch jezt in Westfrisland sich findenden ungeheuer großen Kaminen.

7

Echtdeutsch für fertig.

Quelle:
Clement, Knut Jungbohn: Der Lappenkorb von Gabe Schneider aus Westfrisland, mit Zuthaten aus Nord-Frisland.. Leipzig: 1846, S. 124-134.
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