27.
Knocksheogowna oder Der Berg des Elfen-Kalbes.

[45] In Tipperary befindet sich ein Hügel von sehr auffallender Gestalt. Seine Spitze sieht aus wie eine conische Nachtmütze, die man nachlässig auf den Kopf gesetzt hat. Dieser Platz diente von jeher den Elfen zum Aufenthalte und man kann es ihnen daher nicht verargen, daß es ihnen keine große Freude machte, als sie sahen, wie er allmälig bebaut und bewohnt wurde. Das Brüllen des herumlaufenden Viehes beleidigte ihre zarten Ohren und der kahlgefressene Boden behagte ihren feinen Füßen auch nicht. Deshalb beschloß die Elfenkönigin, die Eindringlinge zu vertreiben, und dies that[45] sie in folgender Weise. Wenn die Heerde schlief und der Hirt den Sternenhimmel träumend betrachtete, erschien sie ihm in allen denkbaren Schauergestalten. Sie kam als Pferd mit Adlersflügeln und Drachenschwanz und spie verheerende Funken nach allen Seiten. Dann erschien sie wieder als Affe mit Entenfüßen und Pfauenschwanz und dann wieder als lahmer Zwerg mit einem Ochsenkopf. Man könnte einen ganzen Tag lang erzählen, wenn man alle ihre verschiedenen Gestalten beschreiben wollte.

Der arme Hirte bedeckte sein Gesicht und rief alle Heiligen um Hilfe an. Aber das half auch rein gar nichts, denn jeden Abend kamen die schrecklichen Gestalten wieder und heulten und lärmten wo möglich noch schlimmer. Und was das Schlimmste war, er konnte sein Gesicht nie von ihnen abwenden und es schien, als zwinge ihn eine unsichtbare Macht dazu. Sein Haar stand dann gewöhnlich zu Berge und seine Zähne fielen ihm beinahe aus infolge des beständigen Klapperns. Das Vieh lief wie verrückt umher und alle Augenblicke brach eins ein Bein oder verlor sein Leben in einer Grube.

Der Eigenthümer des Platzes war ganz rathlos und zuletzt blieb ihm, wenn er kein blutarmer Mann werden wollte, nichts Anderes übrig, als seine Stelle zu verlassen.

Als er nun eines Tages traurig auf der Landstraße einherschritt, begegnete ihm Larry Hoolahan, welcher der beste Flötenspieler in ganz Irland war. Er war ein furchtloser Geselle und nahm es, wenn er einen guten Schluck gethan hatte, mit dem Teufel auf.

»Was fehlt dir?« fragte dieser ihn, »du siehst ja aus, als ob du gehängt werden solltest!«

Der Bauer erzählte ihm in kurzen Worten sein Unglück.

»Wenn's weiter nichts ist,« sagte Larry, »da kann dir leicht geholfen werden. Wenn auch so viele Elfen auf Knocksheogowna sind wie Kartoffeln in ganz Irland, ich werde schon mit ihnen fertig werden!«

»Wenn du dein Wort hältst und mir eine Woche mein Vieh auf dem Berge hütest, so sollst du so lange bei mir zu essen haben, bis sich die Sonne so klein wie ein Talglicht gebrannt hat.«

Damit waren sie handelseinig. Larry ging mit dem Bauern nach Hause und hütete am Abend das Vieh auf dem Berge.

Er setzte sich ruhig auf einen großen Stein, drehte dem Winde[46] den Rücken und blies ein lustiges Stücklein auf seiner Flöte. Bald darauf kam auch das Elfenheer und eine sagte zur Königin: »Da sitzt schon wieder ein verwegener Hirte, geh' hin und laß ihn deine Macht fühlen!« Als Larry aufsah, bemerkte er zwischen sich und dem Monde eine große schwarze Katze stehen, deren Miauen dem Klappern einer nahen Mühle glich. Allmälig ward sie so groß, daß sie mit ihrem Rücken den Himmel berührte; auch hob sie die Beine auf, als ob sie tanzen wollte.

»Tanze nur zu,« rief Larry, »ich will gerne spielen!« Und er spielte lustig weiter.

Da die Königin sah, daß er sich nicht fürchtete, zog sie andere Saiten auf und verwandelte sich in ein milchweißes Kalb und näherte sich ihm in der Hoffnung, ihm so eher etwas anhaben zu können. Larry legte seine Flöte weg und sprang ihm auf den Rücken und im nächsten Augenblicke war das Kalb mit ihm an dem Ufer des Shannon-Flusses, das mehr als zehn Meilen entfernt war.

»Das war kein übler Sprung für ein Kalb,« sagte Larry, als es ihn zu Boden warf.

Die Elfenkönigin sah ihn verwundert an und verwandelte sich in ihre eigentliche Gestalt. »Du bist ein kühner Mann,« sagte sie; »soll ich dich wieder zurücktragen?«

»Wenn du es willst,« erwiderte Larry. Darauf nahm sie wieder die Kalbsgestalt an und war gleich darnach wieder auf dem Knocksheogowna.

Dort erschien sie wieder als Königin und sprach: »Da du so großen Muth gezeigt hast, so sollst du mit deiner Heerde nie mehr weder von mir noch von meinem Volke belästigt werden und wenn ich dir sonst einmal einen Gefallen thun kann, so brauchst du dich nur an mich zu wenden!«

Darnach verschwand sie und ließ sich nie mehr sehen. Dem lustigen Larry gebrach's nun an nichts mehr; er aß und trank bei bei dem Bauern so viel ihm schmeckte und Abends setzte er sich auf den Hügel und spielte nach Herzenslust.[47]

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 45-48.
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