[386] Dav. 177–82.
Ein äusserst dummer und leichtgläubiger König verspricht, demjenigen seine Tochter geben zu wollen, der ihm eine solche Lüge sage, dass er sie nicht glauben könne. Ein Bauernbursche, namens Loki, kommt nun als Bewerber zum Könige und erzählt folgendermassen: »Einmal war ich bei meiner Mutter in der Küche, als sie Milch zu Schaum schlug. Es wurde so viel Schaum, dass er über den Topf floss, die Küche ausfüllte und dann, alles überschwemmend, weiter rann. Es kam schliesslich so weit, dass man nirgends einen dunklen Fleck sah. Da machte ich mich auf, um den dunklen Fleck zu suchen. Endlich nach hundert Jahren sah ich etwas Dunkles. Das war eine Schaflaus. Ich ging in sie hinein und kam auf ein wundervolles grünes Gefilde. Ich eilte mich und lief lange Zeit, bis ich müde wurde. Darauf warf ich alle meine Kleider von mir, dann die Hände, hierauf den Kopf und schliesslich beide Füsse. Und nun lief ich weiter, so schnell ich nur konnte.« »Aber worauf konntest du dann noch laufen?« fragt der König. »Auf der Lüge und zwei Strohhalmen, Herr König«, gibt Loki zur[386] Antwort. »Das ist gelogen!« sagt der König, und nun bekommt der Bauernbursche die Königstochter.
Von anderer Seite wird in Island erzählt, dass der Bursche in folgender Weise zum Könige gesprochen habe: »Meine Mutter schlug die Milch so wacker zu Schaum, dass er schliesslich durch den Küchenschornstein zum Himmel reichte. Ich nahm meiner Mutter Feuerschaufel und kletterte mit ihr am Schaum in den Himmel hinauf. Dort oben trug der Erlöser Heu herauf, St. Peter brachte es auf einem Pferde heim, Maria buk Brot und gab mir einen Laib. Dann ging ich heimwärts. Am Rande des Himmels setzte ich mich und lauste mich. Aus den Läusen nahm ich alle Därme, band sie aneinander, befestigte das eine Ende am Himmel und liess mich dann nieder. Wie der Darm zu Ende war, sah ich gerade unter mir Rinder Wasser trinken. Da waren noch zehn Klafter bis zur Erde. Ich liess nun das Seil los, und weil die Rinder gerade nach mir den Kopf erhoben hatten, so fiel ich dem grössten Rind (es waren alles eure Tiere, Herr König!) ins Maul. Wie ich nun drinnen war, schien mir alles herrlich anzusehen. Ich ging im Ochsen von Zimmer zu Zimmer, bis ich endlich in das letzte Zimmer kam. Dort sassen zwölf Männer am Tische, und ihr wäret der allerletzte von ihnen, Herr König.« »Das ist gelogen!« sagt der König. »Ich bin noch nie in einem Ochsenhintern gewesen!«
Eine andere Variante dieses Märchens ist von Ólafur Davídsson nach der Erzählung von Jóhann Pétursson von Hákoti niedergeschrieben worden. Hier heisst der Bauernsohn Þorsteinn und die Königstochter Flórída. Weil der Bursche zu oft in das Königreich kommt, stellt ihm der sehr neugierige König eines Tages die Wahl, entweder durch Erzählung von solchen Neuigkeiten, die er unmöglich glauben könne, sich die Hand der Prinzessin zu verdienen, oder aber das Leben zu verlieren. Nach dem Bericht Þorsteinns schlug seine Mutter so eifrig Schaum, dass schliesslich die höchsten Gebirgsspitzen so tief unter dem Schaum lagen, wie der Boden des Meeres von der Wasseroberfläche entfernt ist. Alle Geschöpfe ertranken, ausgenommen der König und seine Leute, Þorsteinn und seine Mutter. Die letztere hält sich am Quirlschafte fest und hüpft von einer Luftblase auf die andere. – Nun kommt grosser[387] Frost, so dass aller Schaum zu schimmerndem Eis wird, auf dem Þorsteinn die weite Welt durchfährt. Schliesslich gerät er in ein grosses kohlschwarzes Gebirge, das bei näherem Zusehen sich als ein Mäusehintern erweist. Hier geht er dann von Zimmer zu Zimmer, von denen eins immer prächtiger wie das andre ist. »Das sind alles merkwürdige Begebenheiten«, meint der König. »Aber erzähle nur weiter!« »Alle diese Zimmer waren voll von Büchern in allen erdenklichen Sprachen. Das Merkwürdige war nur, dass in all' den Büchern das Vorwort stets den gleichen Inhalt hatte und mit goldnen Buchstaben geschrieben war.« »Wovon handelte denn das Vorwort«, fragt der König neugierig. »Du musst mich nicht länger in Spannung halten!« »Ja, wenn Ihr es denn durchaus wissen wollt«, sagt Þorsteinn, »so stand dort unzweifelhaft, dass Ihr, Herr König, und Euer ganzes Geschlecht Lügner und dazu so verschmitzt seiet, dass man sich sogar auf das, was ihr versprochen hättet, nicht einmal verlassen könnte.« »Das ist gelogen!« ruft der König entrüstet aus, und nun muss er wohl oder übel Þorsteinn die Prinzessin geben.
Die zweite Version dieses Märchens, wo der Lügner vorgibt, in den Himmel gekommen zu sein und von hier aus sich wieder zur Erde herabgelassen zu haben, findet sich in den hierhin gehörigen Märchen am meisten erzählt.
Bei Hahn (39 »Lügenmärchen« I S. 242 ff.) erzählt der Freier, der durch grobe Lügen die schöne Tochter eines Lügners bekommen kann, er habe zur Hochzeit seiner Mutter eine Laus und einen Floh ausgebalgt und in das Lausfell eine Last Mehl und in den Flohschlauch eine Last Wein getan, weil ihm vorher der Mehlsack und der Weinschlauch gestohlen worden seien. Da er aber auch gerne den Herrgott zur Hochzeit seiner Mutter eingeladen hätte, so habe er seinen Hahn bestiegen, um auf ihm zum Himmel zu reiten. Wie er übers Meer geschwommen sei, habe er eine Wassermelone gefunden und habe in ihr während des Aufschneidens sein Messer verloren. Er sei also in die Melone hinein geschlüpft, um es zu suchen. Aber trotzdem ein Derwisch, den er in der Melone angetroffen habe, ihm habe suchen helfen, sei das Messer doch nicht gefunden worden, und noch vorgestern seien ihm in der[388] Melone vier Lasten Wolle versunken. Der Herrgott, der zu stolz gewesen sei, selber zu kommen, habe zur Hochzeit seinen Sohn geschickt. Auf dem Rückweg zur Hochzeit habe er dann ein goldenes Buch gefunden und darin habe immer dasselbe gestanden. »Was denn?« fragt der Lügner neugierig. »Drin stand, dass du mir deine Tochter zur Frau geben sollst!« Da lachte der Alte, und die Hochzeit wurde gefeiert.
Grimm bringt im dritten Bande zu der Lügen-Erzählung »Der himmlische Dreschflegel« (112 II S. 101 ff.) eine Variante aus dem Münsterischen, die noch besser wie das von ihm in die Sammlung aufgenommene Märchen mit unserm isländischen Lügenmärchen zusammenzustellen ist. Ein König verspricht seine Tochter dem, der am besten zu lügen versteht. Ein armer Bauernbursche erzählt, dass ein Kohlkopf im Garten bis zum Himmel gewachsen sei. Nun habe er sich die himmlische Herrlichkeit auch einmal ansehen wollen und sei darum hinaufgestiegen. Gerade habe er ins offene Himmelstor hineinspringen wollen, da sei es ihm vor der Nase zugeschlagen worden, worauf er in den Wolken hängen geblieben sei. Ein Strick, an dem er sich nun habe herunterlassen wollen, sei auf der Hälfte des Weges gebrochen. Er sei nun gefallen und zwar gerade in einen Kieselstein. Doch bald habe er sich besonnen, sei nach Hause gelaufen, um ein Beil zu holen, und habe sich dann losgehauen. »Das heilst aufgeschnitten«, sagt der König. Und da er den Bauern nicht gern zum Schwiegersohn haben will, muss er sich mit schweren Geldopfern von ihm wieder loskaufen.
Bei K. und Sch. (12 »Von der Königstochter, die den heiraten will, welcher ihr etwas erzählt, was sie nicht glaubt« S. 353 ff.) will die Prinzessin selber von ihrem Freier die gröbsten Lügen hören. Wer die Aufgabe nicht erfüllen kann, wird um einen Kopf kürzer gemacht. Nachdem schon viele ihr Leben verloren hatten, will auch ein alter Invalide sein Glück versuchen. Auf seinen Wanderungen, so erzählt er, sei er auch zum Himmel gekommen. Wie er wieder zur Erde habe zurückkehren wollen, habe er den Weg nicht finden können. Darauf habe ein Häckselschneider auf Befragen ihm eine Klappe geöffnet und ihm gesagt, dass es da hinunterginge. Doch er habe sich aus[389] Furcht vor Hals- und Beinbruch nicht getraut, da hinunter zu springen. Auf den Vorschlag des Häckselschneiders habe er aus einem, schon geschnittenen grossen, grossen Berg Häcksel, der so fein wie Staub gewesen sei, ein Seil gedreht und habe an diesem sich heruntergelassen. Aber als er am Ende des Seils angelangt war, sei er noch lange nicht auf der Erde gewesen. Da habe er das Seil oben abgeschnitten, habe es herumgedreht und habe sich noch einmal von dort, bis wohin er schon gerutscht gewesen sei, weiter zur Erde hinuntergelassen. Doch noch immer sei er weit von der Erde entfernt gewesen, und so habe er es mit Springen versucht. Von dem gewaltigen Sprung sei er bis zu den Armen in die Erde gesunken. Nach langer, langer Zeit habe ersieh, als ein Fuchs vorbei gekommen sei, an dessen Schwanz gehängt. Da der Fuchs vor Schreck einen Ungeheuern Satz gemacht habe, sei er nicht nur aus der Erde herausgeflogen, sondern nachher noch zehn Klafter weit in den Leib des Fuchses hinein. Drinnen sei er nach längerem Spaziergang in eine grosse Stadt gekommen, und in einer Kirche dort habe dann ein Prediger ganz rührend und herzzerreissend gepredigt. – »Was denn?« fragt die Prinzessin verwundert. »Er predigte, du, Königstochter, wärest eine Metze.« – »Das ist nicht wahr«, platzt die Prinzessin heraus, und nun muss sie den Invaliden zum Mann nehmen.
Im norwegischen Märchen (Asbj. 39 »Askeladden, som fik Prindsessen til at løgste sig« S. 203 ff.) lügen Askelad und die Prinzessin um die Wette. Was immer auch die Prinzessin an Lügen vorbringt, weiss Askelad sie dennoch zu übertrumpfen. Er erzählt schliesslich von einem wunderbaren Pferde, dessen Rücken später aus einem Fichtenbusch bestanden hätte. Diese Fichte sei bis zum Himmel gewachsen, und an ihr sei er in den Himmel hinaufgeklettert. Dort oben habe die Jungfrau Maria gerade ein Bürstenseil aus Fleischsuppe gesponnen und habe ihn an einem Seil wieder hinuntergelassen, gerade in einen Fuchsbau hinein. Hier habe seine Mutter und der Prinzessin Vater Schuhe geflickt. Bei der Gelegenheit habe dann seine Mutter den König so gehauen, dass der Grind ihm davon geflogen sei. »Das lügst du«, sagt die Prinzessin, »mein Vater ist niemals in seinem Leben grindköpfig gewesen.«[390]
Bertel Munk, der Lügner des dänischen Märchens (Kamp IX S. 100 ff.), ist auch an einem Kornhalme in den Himmel geklettert. Oben hat er St. Peter Buchweizengrütze mahlen sehen, und von Buchweizenspreu hat er sich dann ein Seil gedreht, um wieder herunter zu kommen. Da das Seil noch zu kurz war, habe er sich fallen lassen müssen und sei in den Auswurf eines Fuchses gekommen. Das sei aber eine grosse Kirche gewesen. Drinnen vor dem Altare habe sein Vater gestanden und habe gepredigt, draussen vor der Kirche habe des Königs Vater um Almosen gebettelt. »Das ist denn doch eine verdammte Lüge!« ruft der König wütend aus. Darauf bleibt ihm nichts übrig, als Bertel Munk seine Tochter zu geben. – – –
Bei Müllenh. (CCIX S. 153 ff.) kann ein Dieb sich vom Galgen befreien, wenn er dem Amtmann eine aufrichtige Lüge zu sagen vermag. Er erzählt nun von einem alten Weibe, das ein Buchweizenkorn gepflanzt und an diesem zum Himmel hinaufgestiegen sei. »Sie ging durch den Himmel«, so berichtet der Dieb, »und ging durch die Hölle, sah mancherlei Freude und mancherlei Pein, sah da auch den Teufel, der hatte dem Herrn Amtmann seine alte Mutter auf dem Schiebkarren.« – »Kerl«, rief der Amtmann, »das ist nicht wahr!« – »Verzeihung, Herr Amtmann«, antwortete er, »das ist eine aufrichtige Lüge.« – Weitere Literatur zu diesem Märchen findet sich bei Köhler (Kl. Schr. I.S. 372).
In der kecken Spielmannspoesie, die in lateinischen Gedichten des 10. und 11. Jahrhunderts uns noch erhalten ist, wird uns schon von einem Könige erzählt, der nur demjenigen seine Tochter geben will, den er selbst als Lügner anerkennen müsse. Ein Schwabe behauptet schliesslich am Schlüsse seiner Lügengeschichte, er habe in dem Schwänze eines Hasen einen Brief gefunden des Inhaltes, dass der König sein Leibeigner sei. Da der König das für eine Lüge erklärt, muss er ihn als Schwiegersohn anerkennen. Diese alte Form der Erzählung stimmt einigermassen mit der dritten isländischen Version des Lügenmärchens überein.
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