CXII. Das Märchen vom Barbiere.

[396] Lbs. 538. 4 to. Von Snorri Jónsson auf Norður-Reykir im Mosfellssveit erzählt.


In Deutschland lebte ein armer Barbier, der eine sehr schöne Frau hatte. Viele Leute bewarben sich um ihre Gunst, unter ihnen vor allem ein Mönch. Er kam jedesmal sie aufzusuchen, wenn er sicher war, den Mann nicht zu Hause zu treffen. – – Einstmals ertappt ihn jedoch der Barbier, der wider Vermuten früher heimkehrt, in zärtlicher Vereinigung mit seiner Frau. Er tötet ihn sogleich und bringt dann die Leiche am Abend, als alles dunkel ist, zu einer Mühle und stellt sie so auf, als wenn der Mönch im Begriffe sei, in die Mühle einzubrechen. Der Müller erwacht in der Nacht, sieht den vermeintlichen Dieb und schlägt auf ihn aus Leibeskräften. Wie er entdeckt, dass der Mann tot ist, bekommt er einen grossen Schrecken. Er nimmt nun die Leiche und schleppt sie in das Haus des Barbiers, um sie auf dessen Schwelle heimlich niederzulegen. Der Barbier, der dies alles beobachtet hat, geht nun mit dem toten Mönche zu einem Schneiderladen und legt ihn mit halbem Leibe ins Fenster, als wenn er Tuch stehlen wolle. Auch der Schneider schlägt den Dieb tot und entledigt sich der Leiche auf demselben Wege. Bei einem Schuhmacher, den der Barbier nun mit der Leiche aufsucht, spielt sich der gleiche Vorgang ab. Nun zieht der Barbier mit dem Toten zur Kirche und legt ihn an den Stufen des[396] Altars nieder. Am folgenden Morgen wird die Leiche des Mönches dort gefunden, und alle glauben, dass er um seiner Frömmigkeit willen eines so plötzlichen und heiligen Todes gestorben sei. Der Barbier sucht jedoch den Müller, Schneider und Schuhmacher heimlich auf und lässt sich von einem jeden von ihnen sein Schweigen über ihren Mord mit tausend Goldpfennigen bezahlen. – –

Dieser Schwank, den der isländische Erzähler nach Deutschland verlegt, ist wahrscheinlich durch eine der so beliebten deutschen Schwanksammlungen einst nach Island gekommen. Das genaue Vorbild unserer Erzählung kann ich nicht nachweisen, in den zur Vergleichung herangezogenen Sammlungen gibt es jedoch eine Anzahl von Märchen, die den gleichen Stoff, wenn auch in etwas veränderter Ausführung, behandeln. Ich beginne mit der Geschichte des »Schneiders und des Buckligen« aus 1001 Nacht (1. Bd. II S. 1 ff.). Ein Schneider und seine Frau laden eines Tages einen buckligen Spassmacher zum Abendessen zu sich ein. Zum Scherze steckt hier die Frau ihrem Gaste ein grosses Stück Fisch in den Mund und hält ihm den Mund zu, damit er es auf einmal herunterschlucke. Eine dicke Gräte legt sich ihm jedoch quer vor den Schlund, so dass er erstickt. Um sich der Leiche zu entledigen, bringt das Ehepaar sie zu einem jüdischen Arzte. Sie stellen den Mann so auf, dass der Arzt ihn die Treppe hinunterstösst. Auch er will nicht als Mörder gelten und trägt deshalb die Leiche ins Haus des Oberküchenmeisters vom Sultan. Dieser hält den Mann im Dunkeln für einen Dieb und schlägt ihn mit einem Hammer, so dass er umfällt. Um dem Gerichte zu entgehen, schleppt er die Leiche zum Markte, wo er sie an einen Laden anlehnt. Ein betrunkener christlicher Kaufmann vermutet, dass dieser Bucklige der Mann sei, der ihm schon zu Beginn der Nacht seinen Turban gestohlen habe. Er schlägt auf ihn los und ruft noch die Wächter zur Hilfe. Wie man ihn bei der Leiche findet, hält man ihn für einen Mörder. Gleich am folgenden Morgen soll er zur Strafe gehenkt werden, doch vor seiner Hinrichtung kommt einer nach dem anderen der Beteiligten und will die Schuld des Mordes auf sich nehmen. Sie werden nun alle[397] vor den Sultan geführt, da der Bucklige dessen Spassmacher war. Nachdem jeder der Beteiligten eine merkwürdige Geschichte aus seinem Leben erzählt hat, wird von einem herbeigerufenen Barbier, der der vermeintlichen Leiche die Gräte aus dem Halse zieht, der Bucklige wieder ins Leben zurückgerufen.

Eine ähnliche Erzählung bringen drei altfranzösische Fabliaux (ich muss hier wiederum nach von der Hagen, »Gesamtabenteuer« III S. LIII ff. zitieren), die alle drei an Stelle eines Buckligen einen Geistlichen gesetzt haben, in diesem Zuge also schon in Übereinstimmung mit unserer isländischen Erzählung. –

Im norwegischen Märchen (Asbj. 88, »Klokkeren i Bygden vor« II S. 141 ff.) ist die Hauptperson ein Küster. Er wird bei der Frau des Nachbarn vom Gatten überrascht und von ihm getötet. Um den Mord zu verheimlichen, wird er auf ein Pferd gebunden. Die Wächter halten ihn für einen Heudieb und erschiessen ihn. Sie stecken nun den toten Küster einem Diebe in seinen Sack. Dieser entledigt sich der Leiche, indem er sie in einem Gasthause auf die Treppe setzt. Ein Betrunkener ärgert sich, dass der Mann auf der Treppe keine Antwort gibt. Er wirft ihn daher die Treppe hinunter, so dass er das Genick bricht. Nun wird der Tote auf den Brunnenrand gesetzt. Er fällt hinein und wird am andern Morgen als Ertrunkener herausgezogen. Man entdeckt, dass der Küster noch eine Reihe anderer tötlicher Wunden aufweist, und die Wahrheit kommt an den Tag. – – Der Liebhaber der Frau ist bei Schneller (58, »Wie einer fünfmal ist umgebracht worden« S. 168 ff.) kein Geistlicher, aber er zieht bei Gelegenheit seines Besuches ein geistliches Gewand an und wird deshalb von all seinen Mördern für einen Kuraten gehalten. Nachdem der Gatte ihn getötet hat, bindet er ihn auf einen Esel, der zuerst mit ihm auf einen Acker läuft, wo der Besitzer desselben ihn erschiesst. Dann eilt der erschrockene Esel auf den Marktplatz mitten in Tongeschirre hinein, und in der Wut tötet der Geschirrhändler die Leiche mit einem Kieselsteine. Er lehnt den Mann nun von innen an die Kirchentüre, so dass der Messner am Morgen[398] ihn zu Boden stösst. Nachdem er der Leiche ein Chorhemd angezogen hat, stellt er sie an den Altar. Einige Knaben, die frühmorgens zur Messe dienen wollen, ziehen nach einigem Warten den scheinbar schlafenden Geistlichen von hinten, um ihn zu wecken. Da poltert der Tote die Stufen hinab, und die Knaben laufen als Mörder des Kuraten entsetzt von dannen. –

Das lothringische Märchen (Cosquin 80, »Jean le pauvre et Jean le riche« II S. 333 ff.) ist nur ein Fragment. Im Beginne stimmt es in der Erzählung von der wieder ausgegrabenen Leiche mit unserem nächstfolgenden Märchen (Nr. CXIV) überein. Dann wird diese Leiche als Obstdieb vom Gartenbesitzer zu Boden geworfen und hierauf von einer Geschirrhändlerin mit einem Steine getötet. Danach bricht die Erzählung ab. Bei Köhler (Kl. Schr. S. 65) und bei Cosquin in seinen Anmerkungen werden noch weitere Nachweise zu diesem Märchen gegeben.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 396-399.
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