CXIV. Die mehrere Male begrabene Leiche.

[401] Árn. 540/1. Nach der Erzählung einer Frau auf Seltjarnarnes.


Einem reichen Pfarrer, der nichtsdestoweniger furchtbar geizig ist, stirbt seine Mutter. Sein blutarmer Küster hat schon lange eine Wut auf den Geistlichen und beschliesst, sich jetzt an ihm zu rächen. Wie die Leiche in die Kirche gesetzt ist, um nachher begraben zu werden, nimmt er sie in der Nacht mit Hilfe seines erwachsenen Sohnes auf und bringt sie in die Vorratskammer, in der der Pfarrer seine getrockneten Fische zu verwahren pflegte. Mit Entsetzen sieht der Pfarrer am anderen Morgen, dass seine tote Mutter augenscheinlich an seinen Vorräten sich gütlich tut und gerade ein Stück Fisch in der Hand hält. Da er zu ihren Lebenszeiten die alte Frau aus Geiz immer hat hungern lassen, schlägt ihm das Gewissen. Deshalb eilt er in der Not zum Küster und erzählt ihm, seine Mutter sei zum »Wiedergänger« (eine bestimmte Art Gespenst) geworden. Er biete ihm den ganzen Vorrat von Fisch an, wenn er die Tote so gut begraben wolle, dass sie nicht mehr umgehen könne. Nach einigem Sträuben geht der Küster auf den Vorschlag ein und begräbt nun die Leiche im Beisein des Pfarrers. Wer beschreibt aber dessen Schreck, als er am folgenden Morgen beim Eintritt in die Buttervorratskammer seine tote Mutter wiederum erblickt, diesmal mit dem Verspeisen von Butter beschäftigt! Auch jetzt muss der anfänglich sich weigernde Küster die Leiche aufs neue begraben, damit sie nun sicher zur Ruhe komme. Zum Lohne für diese Arbeit erhält er dann den ganzen Buttervorrat. Doch die alte Frau kann augenscheinlich noch, keine Ruhe finden, denn am dritten Tage trifft sie der entsetzte Pfarrer auf dem Kornspeicher mit dem Kornmasse in der Hand. Nach vielem Bitten lässt sich schliesslich der Küster erweichen, das gesamte Korn vom Speicher an sich zu nehmen und dafür die Mutter seines Pfarrers zum dritten Male zu begraben. – Am folgenden Tage hat der Pfarrer auf einer jungen Stute einen Ausritt zu machen. Wie er sich umschaut, sieht er seine tote Mutter festlich geschmückt auf einem jungen Hengste reiten. Dieser läuft, was er kann, um die Stute zu erreichen, und je mehr der Pfarrer[402] sein Pferd antreibt, um so schnell wie möglich vor dem Spuk beim Küster eine Zuflucht zu finden, desto eifriger eilt der schnaubende und wiehernde Hengst mit der Leiche hinter ihm her. Nun fleht der Pfarrer seinen Küster an, ihn doch um Gotteswillen von der Leiche zu befreien. Lange ist dieser gegen alle Bitten taub, doch endlich verspricht er seine Hilfe gegen ein mit Geld beladenes Pferd. Gern ist der Pfarrer zu diesem Opfer bereit, und nun wird vom Küster die Leiche so tief vergraben, dass die alte Frau seitdem nie wieder sich sehen liess. Der Pfarrer hielt aber für alle Zeiten den Küster, der ihm aus solchen Nöten geholfen hatte, in hohen Ehren.

Auch auf den Fær-öern ist ein ähnlicher Schwank bekannt (Fær. 23 »Skálkurin« S. 332 ff.). Hier werden einem reichen Manne seine Ochsen gestohlen, ohne dass er den Dieb zu entdecken vermag. Er schöpft Argwohn gegen seinen armen Nachbarn, bei dem seit einiger Zeit ein unbekannter Mann wohnt. Um Gewissheit zu bekommen, überredet er seine Frau, sich in einer Kiste, mit reichlichen Vorräten versehen, zu verstecken. Diese Kiste bringt er dann zum Nachbar und bittet diesen, sie ihm für kurze Zeit, da er verreisen müsse, zu verwahren. Der Fremde – in Wahrheit ein Strolch, den der arme Mann vom Galgen losgekauft hatte, und der nun zum Dank für seine Wirte die Ochsen stahl – misstraut dieser Kiste und öffnet sie deshalb eines Nachts. Wie er die Bäuerin drinnen findet, erschlägt er sie, wäscht ihr dann das Blut wieder ab und stopft ihr so viel Brot und Käse wie nur eben möglich in den Mund. Dann schliesst er die Kiste, so dass niemand sehen kann, dass sie inzwischen geöffnet worden war. Als nach einigen Tagen der reiche Nachbar seine Kiste zurückholt und in ihr seine Frau als Leiche wiederfindet, vermutet er, dass sie durch ihre Gier beim Essen erstickt sei. »Das habe ich mir schon früher gedacht, dass Brot und Käse sie einmal töten würden«, meint er bei diesem Anblick. Wie die Tote begraben ist, holt sie der Dieb in der Nacht heimlich wieder heraus und setzt sie an den Rauchfang, nachdem er ihren Mund mit Wurst vollgestopft hat. Erschreckt läuft der Bauer zu seinem armen Nachbar und bittet ihn, die Leiche doch zu begraben. Dieser kommt dem Verlangen nach, aber trotzdem findet der Bauer[403] am nächsten Morgen seine Frau in der Nähe seines Bettes mit einem Stück Schweinefleisch im Munde. Wie der Arme sie wiederum begraben soll, tut er es nur unter der Bedingung, dass der reiche Nachbar ihm seine Mühe teuer bezahlt. Damit ist dieser gerne einverstanden. Nun atmen die Leute auf, denn am dritten Morgen ist die Leiche im Hause nicht mehr zu sehen, sie scheint also Ruhe gefunden zu haben. Doch entsetzt stürzt nach einer Weile ein Mädchen, das etwas im Keller zu besorgen hatte, wieder herauf und verkündet, dass die Leiche an einem Bierfasse sitzt und sich Bier in den Mund laufen lässt. Ganz verzweifelt eilt der Bauer zum dritten Male zu seinem Nachbar und fleht ihn um Hilfe an. Doch jetzt will es dieser nur noch tun, wenn der Reiche mit ihm das Gehöft tauscht. In der Not muss der Bauer auf dieses Verlangen eingehen, und seit dieser Zeit hat die tote Frau tatsächlich Ruhe gefunden.

Der Beginn von Cosquins Märchen (LXXX »Jean le pauvre et Jean le riche« S. 333 ff.) stimmt gleichfalls mit dieser Erzählung überein, denn dort gräbt der arme Mann die tote Mutter auch heimlich wieder aus und bringt sie zu seinem reichen Bruder. Dieser bietet erschreckt dann seinem Bruder viel Geld an, wenn er ihn von der Leiche befreie.

Weitere Nachweise zu diesem augenscheinlich selteneren Märchen finden sich bei Cosquin und Köhler-Bolte (Kl. Schr. S. 190).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 401-404.
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