CXV. Der König und der Bischof.

[404] Lbs. 444 8 vo.


Ein König hatte mehr Geld und Edelsteine, wie alle anderen Könige. Aber er war immer so traurig und so still, dass in allen Ländern darüber gesprochen wurde. Ein kluger und beredter Bischof, der das hörte, machte sich nun auf, um diesen sonderbaren König kennen zu lernen und eventuell ihn zu trösten. – – – Wie er kommt, wird er vom Könige festlich empfangen, zum Hochsitze geführt und mit Wein und Leckerbissen auf[404] das beste traktiert. Im Laufe des Gastmahles fragt nun der Bischof den König, weshalb er immer so traurig sei. Er sei doch reicher und mächtiger als alle übrigen Könige und Herrscher. Auf diese Frage legt ihm der König drei andere Fragen vor. Erstens: wieviel Zeit er brauche, um rund um die Welt zu segeln? Zweitens: wieviel Geld er wert sei, und drittens: was er in dem Augenblicke gerade denke? Der Bischof solle einen Eid schwören, nach drei Jahren wiederzukommen, um diese Fragen zu beantworten. Wenn er das nicht könne, würde er ihm den Kopf abhauen lassen. Nun wird der Bischof ebenso still und so traurig wie der König und fährt heim. Hier vergehen ihm in trüber Stimmung drei Jahre, ohne dass er eine Antwort findet. – Der Bischof hat einen Bruder, einen reichen und mächtigen Mann, der sich aber nicht schämt, seine Herde selbst zu hüten. Wie der Bischof sich nun schon zur Abreise rüstet, kommt dieser zu ihm und bittet, ihn an seiner Stelle fahren zu lassen. Sie wären einander doch so ähnlich, dass gewiss kein Fremder sie voneinander unterscheiden könne. Dankbaren Herzens willigt der Bischof schliesslich ein. Wie nun der Bruder zum Könige kommt, wird er auch für den Bischof gehalten, auf das freundlichste empfangen und zum Hochsitze geführt. Der König fragt ihn, in wieviel Zeit er die Erde umsegeln könne? Der Gast antwortet: »in den sieben Wochentagen.« Erstaunt meint der König, dass dies unmöglich sei. »Unser Herr hat die Woche in sieben Tage geteilt«, sagt der Edelmann. »Nun willst du das ändern? In den sieben Wochentagen kannst du die Erde umsegeln, doch wie viel Mal du sieben Wochentage dazu brauchst, das musst du dir selbst sagen.« Mit dieser Antwort gibt sich der König zufrieden. Auf die Frage, wie viel Geld er wert sei, meint der Gast: »neunundzwanzig Silberpfenninge.« Der König ist entrüstet, dass der Bischof ihn so gering schätzt. Doch dieser sagt gelassen: »Jesus Christus wurde um dreissig Silberpfenninge verkauft. Da wirst du, ein Mensch, mit neunundzwanzig Silberpfenningen wohl nicht zu gering geschätzt worden sein.« Nun soll der Gast sagen, was der König sich gerade denke. »Ihr denkt jetzt, ich sei der Bischof, aber ich bin nur sein Bruder.« Durch diese treffenden[405] Antworten wird der König so aufgeheitert, dass er sein ganzes Leben hindurch nun vergnügt und zufrieden ist. Er entlässt den Gast mit reichen Gaben, und auch dem Bischöfe sendet er Geschenke.

Dieser Schwank, der durch Bürgers Gedicht wohl allgemein bekannt geworden ist, hat schon eine lange Geschichte aufzuweisen und erfreute sich schon früh bei den Schwankdichtern grosser Beliebtheit. Solche Fragen, die scherzhaft beantwortet werden, finden sich schon in Strickers Pfaffe Amis, ferner werden dem Eulenspiegel derartige Fragen vom Rektor der Universität vorgelegt. (Ich zitiere hier nach Grimm III S. 236 ff.) Nach Percy (Bd. 3 S. 146 ff.) muss schon vor der bei ihm veröffentlichten altenglischen Ballade ein älteres Gedicht den gleichen Stoff behandelt haben. Die Ballade »King John and the abbot of Canterbury« sei eine verkürzte und modernisierte Form aus der Zeit Jakobs I. Hier wird erzählt, dass der König John sich über den Prunk des Abtes von Canterbury geärgert habe. In dieser Stimmung stellt er ihm die drei Fragen: erstens, wieviel er wert sei, zweitens, wie schnell er um die Welt reiten könne, und drittens, was er gerade denke. Die erste und die dritte Frage werden vom Schäfer, der an Stelle des Abtes zum Könige kommt, wie im Isländischen beantwortet. Statt der Antwort: »an den sieben Wochentagen« erklärt hier der Schäfer, dass der König mit der Sonne Schritt halten solle, dann würde er in vierundzwanzig Stunden um die Welt reiten können. Der König lacht, gibt dem Schäfer, der die angebotene Abtwürde ausschlägt, ein Gnadengehalt und schickt dem Abte seine Verzeihung.

In Paulis Schwanksammlung (LV S. 46/7) soll der Abt dem Edelmanne, der sein Vogt ist, folgende drei Fragen beantworten: erstens, wie hoch er ihn schätze, zweitens, wo es mitten auf der Erde sei, und drittens, wie weit Glück und Unglück voneinander seien. Der Sauhirte sagt an Stelle des Abtes, dass er den Edelmann auf achtundzwanzig Pfenninge schätze. Christus wurde für dreissig Pfenninge verkauft, der Kaiser gelte seiner Meinung nach neunundzwanzig, da könne er den Edelmann doch nur auf achtundzwanzig Pfenninge schätzen. Mitten auf der Erde stünde die Kirche seines Klosters[406] – wenn der Herr das nicht glauben wolle, so möge er nachmessen. Glück und Unglück seien auch nur eine Nacht auseinander. Denn gestern sei er ein Sauhirte gewesen, und heute sei er ein Abt. Zum Lohne für seinen Mutterwitz wird der Hirte zum Abt ernannt.

Im norwegischen Märchen (Asbj. 86 »Præsten og Klokkeren« S. 126 ff.) ist ein Pfarrer so stolz, dass er nicht einmal dem Könige aus dem Wege fahren will. Zur Strafe soll er nun zum Königsschlosse kommen, um drei Fragen zu beantworten. Dem Küster, der an Stelle des Pfarrers kommt, werden folgende Fragen vorgelegt: »Wie weit ist es von Osten nach Westen? Eine Tagereise. Wie viel ist der König wert? Neunundzwanzig Silberpfenninge. Was denkt der König im Augenblicke? Er denkt, der Küster sei der Pfarrer und ist doch nur der Küster.«

Bei Müllenh. (CCVIII S. 153) beantwortet der Müller, über dessen Türe geschrieben steht: »Ich lebe ohne Sorgen«, drei Fragen, die der König an ihn stellt. Zum ersten, was der König gerade denkt. Er denkt, der Müller kommt. Zum anderen, wie schwer der Mond ist. Höchstens ein Viertel – wenn der König es nicht glaubt, soll er selber nachwiegen. Zum dritten, wie tief das Wasser ist. Einen Steinwurf. Der König lacht über die Antworten und meint, wenn der Müller mit allem so schnell fertig sei, dann sei es kein Wunder, dass er keine Sorgen habe.

»Das kluge Hirtenbüblein« des deutschen Märchens (Grimm 152 II S. 209 ff.) beantwortet in eigener Sache die drei Fragen des Königs. Denn dieser hat ihm versprochen, es für den Fall, dass es richtig antworte, an Kindesstatt anzunehmen. Die Fragen lauten: »wieviel Tropfen Wasser sind im Weltmeere? Wie viel Sterne stehen am Himmel? Wie viele Sekunden hat die Ewigkeit?« Das kluge: Hirtenbüblein stellt vor der Beantwortung dieser unmöglichen Fragen drei ebenso unmögliche Forderungen auf und wird hierauf vom Könige wie sein eigenes Kind gehalten.

Köhler bespricht diesen Schwank bei dem französischen Volksmärchen von Moncaut (Kl. Schr. S. 82), dem gälischen Märchen von Campbell (a.a.O. S. 267) und den Schwänken Nasr-eddins (a.a.O. S. 492 ff.). Ferner sind Grimms Anmerkungen[407] im dritten Bande (S. 236) zu vergleichen, ebenso auch Pröhle »Gottfried August Bürger« (S. 115 ff.). Die reichsten Literaturnachweise gibt Oesterley in der Stuttgarter Ausgabe von »Schimpf und Ernst« (S. 479).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 404-408.
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