|
[417] Árn. II 479–82. Von Frau Hólmfriður Þorvaldsdóttir in Reykjavík.
Ein Bauernsohn, namens Þorsteinn, spielt in seiner Kindheit oft mit der Königstochter Ingibjörg. Wie diese jedoch erwachsen ist, verbietet ihr der König den unpassenden Verkehr und baut ihr ein eigenes Frauenhaus. Er ist sehr stolz auf seine Tochter und verkündet, sie nur mit demjenigen verheiraten zu wollen, der einen Sack mit Worten füllen könne. Viele Königssöhne versuchen ihr Glück, werden aber beschämt heimgeschickt. – Der König hat nicht weit vom Schlosse sein Bad. An einem Samstage, als an ihm die Reihe ist, ein Bad zu nehmen, geht Þorsteinn etwas früher auch dorthin und nimmt das goldene Schachbrett seiner Eltern mit sich. Der König kommt und fordert den Bauernsohn auf fortzugehen, damit er sein Bad nehmen könne. Doch dieser antwortet:
»Hvar jeg stend um hæstan dag,
Og hefst ekki neitt ilt að,
Þar má jeg vera.«
»Dort wo ich um Mittag stehe
Und nichts Böses tue,
Dort darf ich bleiben.«
Drauf schlägt er sein Schachbrett auseinander und beginnt zu spielen. Wie der König das kostbare Goldbrett sieht, will er es durchaus besitzen. Er bittet, er droht, doch dem Bauernsohne ist es um nichts verkäuflich. Endlich erklärt er, es dem Könige überlassen zu wollen, wenn dieser seinen entblössten Hintern küsse. Der König ist empört, Þorsteinn aber geht scheinbar gleichmütig weg. Da ruft ihn der König zurück, schickt seine Diener für einen Augenblick beiseite und leistet die Kaufbedingung für das Schachbrett. Am nächsten Samstage, als ihr Gemahl gerade auf einer kurzen Reise ist, kommt die Reihe an die Königin, ihr Bad zu nehmen. Þorsteinn ist auch da, und zwar diesmal mit einer goldenen Spitzenkrone. Die Königin will diesen Schmuck durchaus haben, doch sie kann ihn nur unter der Bedingung bekommen, dass sie Þorsteinn in der folgenden Nacht bei sich schlafen lässt. Auch sie geht schliesslich auf den Handel ein. – Als wieder nach einer Woche die Königstochter Ingibjörg ihr Bad nehmen will, wird ihre Begier durch ein wundervolles Goldhalsband gereizt, das Þorsteinn in der Nähe des Bades in die Augen fallend zur[418] Schau stellt. Ihr wird die gleiche Bedingung wie der Mutter gestellt. Sie ist empört, entschliesst sich aber doch auch zu guter Letzt, um den geforderten Preis das Halsband zu erwerben. – Kurze Zeit nachher geht Þorsteinn in das Königreich als Freier um Ingibjörg. Der König sitzt in seiner Halle und hat das goldene Brettspiel vor sich stehen, die Königin ist mit der goldenen Spitzenkrone geschmückt, und die Königstochter hat das Halsband um den Hals. Der König lässt dem Bauernsohne als Antwort auf seine Bewerbung den Sack geben, den er der Bedingung gemäss mit Worten füllen soll. Þorsteinn nimmt den Sack und spricht hinein: »Jetzt ist es eine Woche her, seit Ingibjörg das goldene Halsband, das sie um den Hals trägt, von mir dafür bekam, dass ich bei ihr schlief.« Drauf weiss die Königstochter natürlich nicht, was sie vor Beschämung tun soll. Þorsteinn fahrt nun fort: »Jetzt ist ein halber Monat vorüber, seit die Königin die goldene Spitzenkrone, die sie auf dem Kopfe hat, von mir dafür bekam, dass ich bei ihr schlief, während der König nicht zu Hause war.« Nun erblasst die Königin natürlich vor Schreck und Verlegenheit. Zum dritten Male setzt der Bauernbursche den Sack an und spricht hinein: »Vor drei Wochen erhielt der König das goldene Brettspiel, das vor ihm liegt, von mir dafür, dass er mich küsste auf – – –.« Da unterbricht ihn der König ganz erschrocken und sagt: »Still, still, der Wortsack ist schon mehr wie gefüllt! Du sollst meine Tochter und dazu noch das halbe Reich bekommen, nach mir aber König werden.«
Das bei Árn. folgende Märchen (Árn. II 482–4, Von Bran-Þrúðir Benónisdóttir aus der Múlasýsla) behandelt das gleiche Thema. Der Bauernsohn heisst hier Ullarvindill. Seine Kostbarkeiten, die er unter den gleichen Bedingungen an das Königspaar und die Prinzessin verkauft, sind eine Zaubernadel, die von selbst näht, eine Zauberschere, die von selbst schneidet, und eine Axt, die von selbst die Bäume fällt. Er trifft die Prinzessin beim Nähen, die Königin beim Zuschneiden und den König im Walde beim Holzhauen. Am Tage nachher geht er mit seinen Eltern in die Königshalle. Die Mutter erkundigt sich hier laut, was er mit ihrer Zaubernadel und ihrer Zauberschere angefangen habe, während der Vater gerne wissen will,[419] was der Kaufpreis für die Zauberaxt gewesen sei. Der erschrockene König unterbricht auch hier die dritte Antwort noch zur richtigen Zeit und erklärt den Wortsack für gefüllt.
Zwei Parallelen zu diesem Märchen, die untereinander viel Gemeinsames haben, finden sich in der norwegischen und in der schweizerischen Märchensammlung. Bei Asbj. (96 »Gjæte Kongens Harer« II S. 190 ff.) hilft Askelad einer alten Frau aus der Klemme und erhält von ihr eine Wunderpfeife. Durch diese Pfeife ist er im stände, des Königs Hasen zu hüten und sie jeden Abend vollzählig heimzubringen, hiemit also die Bedingung zu erfüllen, die an die Hand der Prinzessin geknüpft ist. Das Stubenmädchen, dann die Prinzessin und schliesslich die Königin kaufen ihm die Pfeife für Geld und Küsse ab. Da diese Pfeife jedoch die Eigenschaft hat, immer wieder zu ihrem ersten Besitzer zurückzukehren, sind alle diese Bemühungen vergeblich. Nun will der König sein Heil versuchen. Er muss auch Geld für die Pfeife zahlen und dazu noch Askelads weissen Ochsen küssen. Askelad soll nun zur Strafe getötet werden, wenn er nicht die grosse Braukufe so volllügen kann, dass sie überfliesst. Er erzählt nun, was sich alles mit ihm am Hofe des Königs zugetragen hat. Als er berichten will, dass der König für die Pfeife den weissen Ochsen küsste, unterbricht ihn dieser und erklärt die Braukufe für gefüllt.
Auch das Schweizer Märchen (Sut. 45 »Der Figesack« S. 133 ff.) erzählt von einer Wunderpfeife, die den Freier der Prinzessin befähigt, des Königs Hasen zu hüten. Zuerst kauft ihm eine Magd vom Königshofe für einen Kufe einen Hasen ab (er entspringt ihr jedoch beim Ton der Pfeife), und dann kommt der König als Jäger verkleidet in der gleichen Absicht. Ihm will der Bursche einen Hasen überlassen, wenn er einen störrischen Esel einen Berg hinauftreibt. Der Sack mit Wahrheiten wird von dem Könige für gefüllt erklärt, wie der Freier sich anschickt, sein Erlebnis mit dem Könige öffentlich zu erzählen.
Ein dänisches Märchen (Kamp. XI »Smeden, der blev Præst«) berichtet von einer ähnlichen List, die ein Schmied anwandte, um als Pfarrer den Bischof durch seine Predigt zufriedenzustellen. Er weiss es einzurichten, dass am Abend vorher der[420] Bischof an der schönen Haushälterin des vermeintlichen Pfarrers Gefallen findet und gegen sie zärtlich wird, nachdem er sich mehrmals vorher davon überzeugt hatte, dass der Hausherr fest eingeschlafen war. Wie nun der Schmied als Pfarrer diesen bischöflichen Handel, den er am Abend heimlich beobachtet hatte, in der Predigt seiner Gemeinde augenscheinlich erzählen will, unterbricht ihn der Bischof und erklärt sich durch die bisher gehörte Predigt völlig befriedigt.
Sutermeister bringt zu seinem Schweizer Märchen noch einige Literaturangaben in den Anmerkungen S. 226.
Buchempfehlung
Der Erzähler findet das Tagebuch seines Urgroßvaters, der sich als Arzt im böhmischen Hinterland niedergelassen hatte und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch begann, dieses Tagebuch zu schreiben. Stifter arbeitete gut zwei Jahrzehnte an dieser Erzählung, die er sein »Lieblingskind« nannte.
156 Seiten, 6.80 Euro