CXXIII. Hvekkur.

[432] Bjarn. S. 92–100. Vom Realstudent Kristján Guðnason nach der Erzählung von Guðríður Jónsdóttir auf Grænavatn.


Ein Bauernpaar hat drei Söhne, von denen die beiden älteren viel beim Vater gelten, während der jüngste, Þorsteinn mit Namen, als ein Dümmling angesehen wird. Drei Jahre hintereinander kommen dem Bauern jährlich im Herbste eine Anzahl Schafe weg, nach denen im ersten Jahre sich der älteste Sohn, im folgenden Jahre der zweite Sohn auf die Suche begeben hat; doch weder von den Jünglingen noch von den Schafen hat man jemals wieder etwas gesehen. Im dritten Jahre will nun Þorsteinn den vermissten Schafen nachforschen. Nach langer Wanderung gelangt er in einem tiefen Tale zu einer kleinen Bauernhütte. Wie er an die Türe klopft, kommt ein alter Mann von sehr unangenehmem Äussern heraus. Er nennt sich auf Befragen karlinn illi (d.h. der böse Alte), und Þorsteinn legt sich hierauf den Namen Hvekkur (Schalk) zu.[432] Der Bauernbursche bittet nun den Alten um Gastfreundschaft für den Winter, und dieser will ihn denn auch unter folgenden Bedingungen aufnehmen: Erstens muss er den Winter hindurch das Vieh hüten, und zwar muss er dazu eben so früh aufstehn wie der Hund und nicht eher abends wieder heimkommen, bis dem Hunde es gefällt. Zweitens muss er mit dem Hunde aus dem gleichen Topfe essen und drittens sofort sich auf die Suche machen, sowie er das Miauen der Katze hört. Derjenige jedoch, der gesteht, dass er mit dem andern unzufrieden sei, darf von dem andern getötet werden. Auf diese Bedingungen geht Þorsteinn ein und wird nun ins Zimmer geführt, in dem Frau und Tochter des Wirtes sich befinden. Am Abend wird für den Knecht und den Hund ein Trog auf den Boden gesetzt. Wie Þorsteinn im besten Essen ist, hört er das Miauen der Katze und muss nun fortgehen, um das Tier zu suchen. Er forscht allenthalben, kann es jedoch nicht finden. Bei seiner Rückkehr ins Zimmer hat der Hund mittlerweile den ganzen Trog leer, gefressen. In der Nacht, als die Alten schlafen, kommt das junge Mädchen an sein Bett. Sie bringt ihm etwas zu essen und spricht ihm ihr Bedauern aus, dass er ihrem Vater in die Hände gefallen sei. Dieser hätte auf diese Weise seine beiden Brüder schon zu Tode gehungert und würde es mit ihm wohl gleichfalls so weit bringen. Das Miauen, das ihn vom Essen immer abhalten würde, käme von keiner Katze, sondern von den alten Eltern des Bauern, die dieser absichtlich langsam zu Tode hungere. Hvekkur lässt sich nun von dem Mädchen ein Licht geben und zum Zimmer der Alten führen. Er findet sie vor Alter und Hunger in einem elenden Zustande und braucht nicht viel Mühe, um sie zu ersticken. Dann legt er sich ruhig schlafen. Am folgenden Morgen weckt ihn der Bauer schon sehr früh, da der Hund schon aufgestanden sei. Wie er nun mit dem Hunde das volle Mahl einnimmt, ohne vom Miauen der Katze weggerufen zu werden, macht der Bauer ein seltsames Gesicht, sagt aber nichts. Þorsteinn hütet nun das Vieh, unter dem sich auch alle vermissten Schafe seiner Eltern befinden. Bei der Heimkehr am Abend erwartet der Alte seinen neuen Knecht schon in der Türe und fragt ihn, ob er seine Eitern getötet habe. »Gewiss«, sagt dieser. »Oder[433] hast da vielleicht etwas dagegen?« Nach einiger Zeit ist es dem Burschen langweilig, mit dem Hunde immer so spät abends heimkehren zu müssen. Er bindet ihm deshalb einen Schuhbändel immer fester um den Hals. Zuerst kehrt der Hund, dem das unbehaglich ist, abends früher heim wie gewöhnlich, dann verliert er die Lust zum Fressen, und schliesslich stirbt er. Wie am Abend der Knecht nach Hause kommt, fragt ihn der Alte: »Hast du meinen Hund getötet, Hvekkur?« »Freilich«, sagt Þorsteinn, »oder hast du vielleicht etwas dagegen?« Nun kann Þorsteinn seine Mahlzeit immer allein verzehren und braucht auch nicht länger, wie es ihm gerade gefällt, mit dem Vieh täglich draussen zu sein. Zur Frühjahrszeit bemerkt der Bauer, dass seine Tochteraugen scheinlich guter Hoffnung ist. Er fragt nun den Knecht, ob er daran schuld sei? »Gewiss«, sagt dieser, »oder hast du vielleicht etwas dagegen?« Auch jetzt behauptet der Alte noch, es sei ihm ganz recht, nur müsse infolgedessen bald die Hochzeit gefeiert werden. Þorsteinn ist damit einverstanden und baut auf den Wunsch des Alten einen grossen Festsaal, in dem die Hochzeitsgäste empfangen werden sollen. Während nun der Bauer fortgegangen ist, um seine Freunde zur Hochzeit zu bitten, sammelt Þorsteinn eine Menge Brennholz und legt es sich zum Gebrauche zurecht. Nun kommen von allen Seiten die Gäste angeritten, alle ebenso ungeschlacht und scheusslich wie der Bauer selbst. Dieser fordert seinen Schwiegersohn auf, freundliche Augen auf die Gäste zu werfen, und Þorsteinn geht drauf zu den Pferden der Fremden und sticht ihnen allen ein Auge aus. Mit diesen kehrt er zum Hochzeitsmahle zurück und wirft auf jeden eines dieser Augen. Rot vor Zorn springt der Alte auf und fragt ihn, woher er diese Augen genommen habe. »Ich stach sie natürlich aus den Augen der Pferde, die unsern Gästen gehören, denn anderswo konnte ich für sie nicht genügend Augen bekommen. Oder hast du vielleicht etwas dagegen?« »Ja, gewiss habe ich etwas dagegen«, bricht, nun der Alte los. »Zuerst tötetest du meine Eltern, dann meinen Hund, hierauf schwängertest du meine Tochter, jetzt stichst du den Pferden der Gäste die Augen aus, und zu guter Letzt wirst du mich selbst noch töten.« Auf diese Rede hin stürzt[434] sich Þorsteinn auf den Alten und ringt mit ihm, bis er ihm das Rückgrat gebrochen hat. Dann eilt er aus dem Festsaal, verschliesst die Türe und verbrennt drinnen alle Hochzeitsgäste, mit Ausnahme von der Frau und der Tochter des Bauern, die auf seinen Wink schon vorher den Saal verlassen hatten. Reich an Kostbarkeiten und Vieh kehrt er mit den beiden Frauen dann zu seinen Eltern zurück und feiert hier mit der Tochter des Bauern seine Hochzeit.

Diese Erzählung, die auf den ersten Blick eine echt isländische Útilegumannasaga (d.h. eine Geschichte von Waldmännern) zu sein scheint, behandelt einen Stoff, der in der internationalen Märchenliteratur grosser Verbreitung sich erfreut.

Das Thema ist kurz skizziert folgendes: Ein Herr macht mit seinem Diener den Vertrag, dass derjenige, der zuerst mit dem andern unzufrieden ist, oder wer zuerst zornig wird oder über das Engagement Reue empfindet etc., von dem andern eine bestimmte Strafe sich gefallen lassen muss. Nun fallen von drei Brüdern die beiden älteren bei diesem Vertrage herein und kommen entweder geschunden oder geblendet nach Hause, oder werden auch, wie die Abmachung in unserm Märchen lautet, von dem Herrn getötet. Der jüngste bringt jedoch seinerseits den Herrn so weit, dass er nun selber die Strafe erleiden muss und für immer seine Bosheit heimgezahlt bekommt. In dieser Form kann ich dieses Märchen noch in folgenden Sammlungen nachweisen: 1001 Nacht (»Die drei Prinzen von China« 8. Bd. XXIV S. 89 ff.), Hahn (11 »Die Wette der drei Brüder mit dem Bartlosen« S. 118 ff. und 34, »Bakala« S. 219 ff.), Schott (22 »Bakâla« S. 223 ff.), Cosquin (XXXVI »Jean et Pierre« II S. 47 ff.) und Jac. II (»Jack and his master« S. 182 ff). Weitere Literatur verzeichnet Köhler noch bei der Besprechung der schottischen Märchensammlung von Campbell (Kl. Schr. S. 262/3) und der bretonischen Märchensammlung von Luzel (Kl. Schr. S. 149 ff). Ferner gibt Cosquin in seinen Anmerkungen reiche Literaturnachweise zu diesem Märchen.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 432-435.
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