XXI. Ganti á Hólnum.

[81] Lbs. 538 4 to. Von Lárús Friðriksson auf Miklabae erzählt.


Ein Königspaar hatte einen Sohn und eine Tochter, Haraldur und Helga. Mit ihnen wuchs ein Pflegebruder auf, namens Sigurður. Im nächsten Königreiche war eine Prinzessin, die Ingibjörg hiess. Als sie erwachsen war, und viele Freier kamen, forderte sie von jedem, ihr ein Rätsel aufzugeben. Wenn sie es nicht raten könne, wolle sie ihn heiraten. Aber wenn sie es riet, dann würde er getötet. Viele junge Prinzen waren ihr nun schon zum Opfer gefallen. Da macht sich nun auch Haraldur auf in Begleitung seines Pflegebruders, um sein Glück bei der Königstochter zu versuchen. Sie reiten lange, bis sie endlich ermüdet zum Mahle sich niedersetzen. Nicht weit von ihrem Ruheplatze steht ein übel aussehender Strolch. Haraldur bittet ihn, während des Essens ihnen die Pferde zu verwahren. Wie sie wieder aufbrechen wollen, bietet sich ihnen der Strolch als Pferdeknecht an – – er heisse »Ganti á Hólnum«. Da sie keinen andern Diener haben, sind sie mit dem Vorschlage einverstanden. Gegen Abend fragt Ganti die beiden, ob sie auch wüssten, wo sie die Nacht zubringen würden. Diese verneinen es. Darauf erzählt ihnen der Bursche, drei Zauberinnen würden sie einladen, in ihre Hütte zu kommen. Zur Schlafenszeit würden die Schwestern bei ihnen schlafen wollen, und das sollten sie unter der Bedingung annehmen, dass jede von ihnen einen Schluck aus dem Glase trinke, das Ganti bei sich habe. Dann würden die Zauberinnen in einen tiefen Schlaf fallen und erst am andern Morgen erwachen. Zum Abschied würden sie ihnen einen Apfel reichen und sie dringend bitten, ihn sogleich zu essen. Aber das dürften sie nicht tun, denn der Apfel sei vergiftet. Sie sollten ihn aber in elf Teile teilen und die Stücke sorgfältig aufheben. – – Alles trifft nun so ein, wie Ganti es vorausgesagt hat. Nachdem sie eine Weile schon von den Schwestern weggeritten sind, sehen sie sich von elf Wölfen verfolgt. Auf den Vorschlag Gantis wirft Haraldur die elf Äpfelstücke ihnen zu. Die Wölfe verschlingen sie und sind sogleich tot. Nun schneiden sie aus jedem Wolf ein Stückchen[82] Fleisch und reiten weiter. Nach einer Weile kommen elf Drachen hinter ihnen her. Diesen werfen sie die elf Fleischstücke in den Rachen, und auch die Drachen stürzen gleich tot zu Boden. Aus einem der Drachen schneiden sie nun drei kleine Stückchen. Gegen Abend fragt Ganti wiederum die Freunde, wo sie Nachtquartier finden würden und gibt ihnen auch jetzt genau an, was sie zu tun haben. Drei Riesen bitten sie zu Gast. Im Laufe des Gespräches erzählt ihnen Haraldur, dass er um die Königstochter des nächsten Reiches zu werben gedenke. Die Riesen sehen bedeutungsvoll einander an und fragen, ob er denn nicht wegen des Rätsels Angst habe. »O nein«, meint Haraldur vertrauensselig. »Ich habe bei mir drei Fleischstückchen, denen die Kraft innewohnt, dass jeder, der sie isst, die Prinzessin bekommen muss«. Mit diesen Worten nimmt er die Fleischstückchen heraus und zeigt sie ihnen. Sowie die Riesen sie sehen, stürzt sich jeder von ihnen auf eins los, verschlingt es und fällt tot zu Boden. Nun bringen die drei behaglich die Nacht in der Hütte zu und gedenken am folgenden Morgen ins Königreich zu kommen. Ehe sie dorthin gelangen, rat Ganti dem Königssohn, er solle innerhalb der Burg um einen Stall für seine Pferde bitten. Dann fragt er ihn, welches Rätsel er der Prinzessin aufgeben wolle. Haraldur sagt es ihm, doch Ganti erklärt, das würde sie sofort raten. Er solle ihr lieber folgendes Rätsel aufgeben; »Eine Gartenfrucht tötete elf grosse Hunde, die toten grossen Hunde erschlugen elf Drachen, und ein toter Drache vernichtete drei Riesen«. – – Haraldur folgt nun wie bisher dem Rat Gantis. Als die Königstochter das Rätsel hört, kann sie es nicht raten und bittet um Frist bis zum nächsten Tage. Spät am Abend schickt sie dann ihre nächstbeste Hofdame, schön gekleidet, mit allerlei Leckerbissen zu Ganti in den Pferdestall, um diesem die Lösung abzuschmeicheln. Ganti tut, als wenn er dazu eventuell bereit wäre, isst aber vorläufig erst schweigend alle Leckerbissen. Dann bedingt er sich aus, dass sich die Hofdame all ihrer Kleider entledige. Und als diese endlich notgedrungen darauf eingeht, verhaut er sie furchtbar und sendet sie so zur Königstochter zurück. Am anderen Morgen bittet Ingibjörg um noch eine Nacht Frist. Sie sendet nun ihre[83] erste Hofdame zu Ganti, doch auch dieser ergeht es nicht besser. Nun erhält die Prinzessin noch einmal eine Nacht Bedenkzeit. Auf den Vorschlag von Ganti verkleidet sich jetzt Haraldur als Pferdejunge und handelt der Prinzessin gegenüber, die jetzt selbst in den Stall kommt, genau so wie Ganti – nur dass er sie noch gründlicher durchhaut, so dass sie kaum in ihr Gemach zurückkehren kann. Am folgenden Tage wird die Hochzeit gefeiert. Sigurður freit zugleich um die erste Hofdame. Doch diese erklärt ihn nur heiraten zu wollen, wenn er ihr ein gleichfalls unlösbares Rätsel aufgäbe. Auch hier hilft Ganti. Auf seinen Vorschlag sagt Sigurður: »Drei Gänse flogen, schön gefiedert, von Hause, aber kamen gepflückt heim«. Die Hofdame weiss nun genau die Lösung, schämt sich aber sie zu sagen. Denn sie will natürlich nicht eingestehen, dass auch sie im Pferdestalle war. So wird nun also eine Doppelhochzeit gefeiert. – Ganti darf zum Lohne für seine Dienste zu den Füssen des jungen Königspaares schlafen. Am andern Morgen liegt dort an Stelle des Strolches ein wunderschöner Prinz. Nun reiten alle heim, und Ganti heiratet die Königstochter Helga.

In den zur Vergleichung hinzugezogenen Märchensammlungen findet sich das in der Hauptsache gleiche Märchen noch bei Grimm und Zingerle. Köhler (Kl. Schr. S. 218 u. 321) erwähnt dieses Märchen auch bei der Besprechung der gälischen Märchen von Campbell und der Volksmärchen aus Venetien von Widter und Wolf. Dort finden sich denn auch noch weitere Literaturnachweise. Bei Grimm (22) »das Rätsel« (S. 94 ff.), reist ein Königssohn mit einem Diener in die Welt hinaus. Nach dem ersten Nachtquartier bekommt er von der Wirtin, einer Hexe, einen Gifttrank. Einige Tropfen von diesem töten das Pferd. Den Raben, der von dem gefallenen Tiere frisst, nimmt der Diener mit sich und lässt ihn in einem Wirtshause zum Abendessen zubereiten. Zwölf Räuber essen von der Speise und fallen sogleich tot zu Boden. Der übermütigen Königstochter wird nun das Rätsel aufgegeben: »Einer schlug Keinen und schlug doch Zwölfe«. Zwei Nächte hintereinander schickt die Prinzessin ihre Magd, um durch Behorchung der Träume die Lösung zu erfahren. In der dritten Nacht kommt sie selber. Den Mägden[84] hat in den vorhergehenden Nächten der Diener die Mäntel genommen und sie mit Ruten zur Tür hinausgejagt. Der Königstochter antwortet nun der Freier selbst, sagt ihr, scheinbar im Traum redend, die Lösung, behält dann aber ihren Mantel. Als die Königstochter am anderen Morgen die Lösung weiss, bringt er die drei Mäntel hervor, so dass die List der Königstochter entdeckt wird. – – – Das Märchen bei Zingerle (1) »die drei Haben« (S. 436 ff.), hat in der Figur des klugen Ratgebers eine Gestalt ähnlich dem isländischen »Ganti á Hólnum«, nur dass der treue Diener nicht in irgend einer Verzauberung sich befindet. Das Rätsel lautet: »Eins tötet Drei, Drei töten Zwölf«. Die Königin bittet sich zwar auch drei Tage Bedenkzeit aus, aber von ihrem Versuche, durch List die Lösung zu erfahren, wird in dem Tiroler Märchen nichts erzählt. – – – Das zweite Rätsel, das im Isländischen durch Ganti der Hofdame der Königin aufgegeben wird, wird bei Campbell und Widter und Wolf dem Vater der Braut oder der Braut selbst zum Beweise der durch List erfahrenen Lösung aufgegeben.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 81-85.
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