XXVII. Die rechte Braut.

[112] Árn. II S. 320–6. Nach einer Erzählung in der Dalasýsla.


Ein Königspaar hat keine Kinder. Als einst der König zur Heerfahrt auszieht, sagt er seiner Gattin, dass er sie töten würde, wenn sie bei seiner Rückkehr kein Kind hätte. Eine alte Frau hilft der Königin. Sie putzt sie schön heraus und fährt mit ihr übers Meer, bis sie zum Heerlager des Königs kommen. Wie der König hört, dass in der Nähe seines Zeltes schöne Frauen lustwandeln, lässt er sich die schönste – ohne dass er es weiss, seine eigene Frau – ins Zelt holen. Gegen Morgen nimmt die Alte die Königin heimlich von dort fort und bringt sie zum Schlosse zurück. Wie der König heimkehrt, erwartet seine Frau ein Kind. Sie gebiert ein Mädchen, das wegen seiner Schönheit Isól, die Blonde, genannt wird, und stirbt dann kurz nachher. Das Mädchen wächst nun beim Vater auf. Wie sie einst am Meeresstrande spazieren geht, entdeckt sie einen grossen Kasten und ihr scheints, als wenn ein Kind drinnen weine. Sie schleppt trotz des Protestes ihrer Dienerinnen ihren Fund nach Hause, öffnet ihn und findet drinnen einen wunderschönen kleinen Knaben. Auf dem Deckel des Kastens steht mit Goldbuchstaben geschrieben, dass das Kind Tístram genannt wäre. Auf ihre Bitte erlaubt ihr der Vater, den Knaben aufzuziehen und ihn bis zum zwölften Jahre bei sich zu behalten. – Nach einiger Zeit verheiratet sich der König mit einer schönen Frau, die er am Seestrande findet. Auf Veranlassung der neuen Königin fährt er dann fort, um seine Länder zu besuchen. Tístram, der sich mittlerweile mit Isól verlobt hat, muss ihn auf dieser Fahrt begleiten. Wenige Tage nachher kommt die Stiefmutter mit ihrer eigenen Tochter, die schwarze Isóta genannt, zur Prinzessin in ihr Frauenhaus und fordert sie samt ihren zwei Dienerinnen zu einem Spaziergange in den Wald auf. Hier werden von Mutter und Tochter Isól und ihre beiden Mägde in eine tiefe Grube gestossen und dem Hungertode preisgegeben. Mit einer Schere, die ihr noch die Mutter gegeben hatte, macht sich die Königstochter Stufen, bis sie endlich aus der Grube entkommt. Ihre beiden Mägde, Eya und Freya, sind jedoch mittlerweile Hungers gestorben. Sie[113] verändert nun ihre Kleidung und ihr Antlitz und begibt sich unerkannt an den Königshof zurück, wo sie bei der Köchin unter dem Namen Næfrakolla Aufnahme findet. In der Zwischenzeit ist der König mit Tístram zurückgekehrt, und der Jüngling fragt nach seiner Braut. Nachdem er jedoch von der Königin einen Trank bekommen hat, vergisst er vollständig die blonde Isól und ist damit einverstanden, Isóta, die Schwarze, zu heiraten. Nun werden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen. Da die Braut nicht nähen kann, so muss Næfrakolla (ein armseliges Mädchen, das nach der Aussage der Königin kürzlich in die Küche zur Aushilfe gekommen sei) für sie und Tístram die Festkleider anfertigen. In der Nacht vor der Hochzeit gebiert die schwarze Isóta heimlich ein Kind. Da sie nun nicht am Hochzeitstage mit dem Bräutigam in den Wald reiten kann, lässt die Königin Næfrakolla, bräutlich geschmückt, die Stelle ihrer Tochter einnehmen, warnt sie aber strenge, mit Tístram zu sprechen. Wie sie an einer niedergebrannten Ruine vorbeikommen, sagt die Braut:


»Áður varstu björt á fold,

Nú ertu orðin svört af mold,

Skemma mín.«


»Früher warst du strahlend auf der Erde,

Nun bist du schwarz von der Erde geworden,

mein Haus.«


Beim Anblick eines Baches entschlüpfen Næfrakolla die Worte:


»Hér rennur lækur sá,

Er Tístram og Isól bjarta

Bundu sína ást og trú.

Hann gaf mér hringinn,

Eg gaf honum glófana,

Og vel máttu muna það nú.«


»Hier läuft der Bach,

An dem Tístram und die blonde Ísol

Ihre Liebe und Treue banden.

Er gab mir den Ring,

Ich gab ihm Handschuhe –

Gut kannst du dich des nun entsinnen.«


Sie reiten weiter und kommen schliesslich an der Grube vorbei, in welche die Königin ihre Stieftochter gestürzt hatte. Nun sagt die vermeintliche Braut:


»Hér liggur Eya og Freya,

Báðar mínar skemmumeyar.

Skæri mín þeim skildi eg hjá

Og dauðum gekk svo báðum frá.«


»Hier liegt Eya und Freya,

Meine beiden Kammermädchen.

Meine Schere liess ich bei ihnen

Und ging so von den beiden Toten fort.«


Bei all diesen Reden fragt Tístram seine Braut, was sie gesagt habe, doch niemals wird ihm geantwortet. Wie er nun abends schon auf dem Lager liegt, und die schwarze Isóta zu ihm ins[114] Bett steigen will, wehrt er es ihr und will erst wissen, was sie bei der Ruine gesagt habe. Die Braut muss also zu Næfrakolla gehen und diese fragen. Wie sie Tístram die Antwort gesagt hat, will er ihre Rede vom Bache wissen und schliesslich die von der Grube. Die Braut muss trotz ihrer Erschöpfung immer wieder zu Næfrakolla laufen, um sich bei ihr zu erkundigen. Sie wird darüber so böse, dass sie das Mädchen mit den härtesten Worten anfährt. Tístram, der ihr das dritte Mal nachgegangen ist, hört, wie sie in der Wut ihren Betrug selbst aufdeckt. Als sie in die Kammer zurückkehrt, tötet er sie mit dem Schwerte und durchbohrt dann gleichfalls ihre Mutter. Næfrakolla wird nun von ihm bedroht, die Wahrheit zu gestehen. Erst mit ihrer Erzählung kehrt ihm die Erinnerung an die blonde Isól zurück, und nun vermählt er sich mit ihr. –

Dieses Märchen zeigt verschiedene Lücken, denn erstens ist nicht erwähnt, warum die blonde Isól nicht gleichfalls in der Grube verhungert, und zweitens ist auch nichts gesagt von dem Niederbrennen von Isóls Frauenhaus, trotzdem der Vers deutlich darauf anspielt.

Eine Variante dieses Themas hat Árnason (II S. 315–19) in dem Märchen von »Fertram und der blonden Isól«, von Frau Ragnheiður Eggertsdóttir auf Fitjar im Snorradal erzählt. Ich nehme diese Erzählung hier an zweiter Stelle, da sie mir noch mehr Lücken aufzuweisen scheint.

Hier ist in der Einleitung einfach gesagt, dass ein Königspaar eine Tochter, die blonde Isól genannt, besass, und dass diese mit dem Herzogssohne Fertram zusammen aufgezogen wurde und mit ihm sich verlobte. – Nachdem die Stiefmutter im Walde die drei Mädchen in die Grube gestossen hatte, setzt sie ihre Tochter, die schwarze Isól, in das Frauenhaus und gibt sie für die Königstochter aus. Auf welche Weise die blonde Isól dem Tode entkommt, dass Næfrakolla die Brautkleider für die des Nähens unkundige Braut macht, und wer überhaupt Næfrakolla ist, wird nicht erwähnt. Wie bei der Brautschmückung der Næfrakolla die Seidenärmel angelegt werden, sagt sie:


»Vel sóma ermar

Eiganda armi.«


»Gut passen die Ärmel

Dem Ann der Besitzerin.«
[115]

Beim Anziehen der Handschuhe bricht sie in die Worte aus:


»Þekta jeg fingur

Þá forðum gjörðu.«


»Ich kannte die Finger,

Die sie einst anfertigten.«


Der Spruch beim Anblick der Ruine ist ausgelassen, dagegen kommt noch ein anderer Spruch hinzu. Ihr Pferd läuft nämlich beim Rückwege den anderen voraus. Darauf sagt Næfrakolla:


»Skaktu þig, skaktu þig, Skurbeinn.

Einn muntu sofa í nótt,

Og svo mun úngi kongurinn verða.«


»Schüttl' dich, schüttl' dich, Skurbeinn.

Allein wirst du heute nacht schlafen,

Und auch der junge König wird allein bleiben.«


Wie sie heimkommen, erzählt die schwarze Isól ihrer Mutter, dass sie ihr neugeborenes Kind gegessen habe. Sie wird dafür gelobt. Nun soll sie zum Königssohne ins Schlafgemach gehen, doch erst muss sie ihm alle Reden wiederholen, die sie den Tag hindurch gesagt hat. Sie eilt, um sich zu erkundigen, nicht zu Næfrakolla, sondern zu ihrer Mutter. Wie sie dem Königssohn den letzten Spruch sagt, erklärt dieser, dass er zur Wahrheit werden solle und tötet sie, sowie die Königin.

Eine zweite Variante dieses Märchens, die einige Lücken, die auch die vorhergehende Variante gelassen hat, ausfüllt, teilt Árn. (II S. 321–24) in einer Anmerkung mit. Hiernach ist Tístram der Sohn des Königs, und die blonde Isól wird in einem Kästchen am Seestrande gefunden und mit dem jungen Prinzen auferzogen. Vor ihrem Tode gibt die Mutter Tístrams Isól einen Zaubergürtel, durch den sie immer vor dein Hungertode geschützt ist, ferner eine Schere und einen Goldring. Nachdem die Stiefmutter die blonde Isól in die Grube gestürzt; hat, brennt sie deren Frauenhaus nieder und sagt, die Königstochter sei mit ihren Dienerinnen in den Flammen umgekommen. Wie Tístram über diese Nachricht traurig ist, gibt sie ihm einen Vergessenheitstrank, so dass er gleich nachher einwilligt, ihre Tochter zu heiraten. Von dem Kleidernähen der Næfrakolla oder der Niederkunft der schwarzen Isóta ist hier nicht die Rede. Es wird gesagt, dass nach der damaligen Sitte der Bräutigam vor der Hochzeit drei Tage hindurch in den Wald geritten sei, und dass die Königin ihm da die Næfrakolla zur[116] Begleitung gegeben habe, weil ihr diese am wenigsten gefährlich erschienen sei. Der Betrug kommt nun dadurch heraus, dass der Königssohn beim Hochzeitsmahle Næfrakolla in den Saal rufen und sie hier alle ihre Reden öffentlich wiederholen lässt.

Wenn man bei einer grossen Anzahl von Märchen, die in ihren Varianten bedeutende Verschiedenheit zeigen, wohl annehmen darf, dass sie einst dem Märchenschatze verschiedener Völker entnommen wurden, so ist bei der vorliegenden Erzählung wohl unzweifelhaft, dass von dieser Familie nur ein einziges Märchen in Island verbreitet war. Die mündliche Überlieferung ist aber leicht etwas lückenhaft und lässt gern einzelne weniger wichtig scheinende Züge aus, wodurch dann später einige Episoden in der Erzählung unmotiviert oder unklar werden. So ist es hier mit den Geschenken, die die Mutter ihrer Tochter auf dem Totenbette gab, und die dieser später das Leben retten. Ferner mit dem Niederbrennen des Frauenhauses, um den vorgeblichen Tod der Braut und ihrer Dienerinnen zu motivieren, dann mit dem Vergessenheitstrank, so dass der Bräutigam die Tochter der Stiefmutter heiratet, und schliesslich dann die mit der Befreiung der Prinzessin und ihrem unerkannten Auftreten am Königshofe, wo sie die Hochzeitskleider zu nähen bekommt.

Die Parallele zu unserm isländischen Märchen findet sich bei Grimm, resp. Müllenhoff, in der Erzählung von der »Jungfrau Maleen« (V S. 391 ff.). Grimm nennt es zwar in seiner Anmerkung (III S. 262) ein durch Gehalt und Vollständigkeit ausgezeichnetes Märchen, ich möchte jedoch der isländischen Überlieferung, wenn man alle drei Varianten berücksichtigt, als der vollständigeren Erzählung den Vorzug geben. Im deutschen Märchen wird die Braut, die wider den Willen des Vaters an dem Jugendgeliebten festhält, sieben Jahre in einem Turme gefangen gehalten. Mittlerweile wird das Reich des Vaters zerstört, ohne dass der Bräutigam der Jungfrau Maleen sich um das Schicksal seiner Braut bekümmert hätte. Er nimmt einfach an, sie sei noch im Turme oder sei schon tot, und willigt ein, sich zu verheiraten. Diese Gleichgültigkeit des Bräutigams wird im Isländischen viel besser motiviert. Dort ist die Jungfrau angeblich in ihrem Turme verbrannt, und[117] durch den Vergessenheitstrank denkt der Prinz nicht mehr an seinen Verlust. Auch die Stellvertretung der Braut, weil sie mit einem Kinde niederkommt, erscheint mir besser im Sinne eines Märchens motiviert, wie die Hässlichkeit der Braut, die ja doch vorher schon den Leuten bekannt gewesen sein muss, und die sich doch nicht weiter hätte verbergen lassen. Die Verse, die Næfrakolla beim Anziehen der Kleider, die sie selbst nähte, beim Vorbeireiten an der Quelle, wo sie einst ihrem Bräutigam Treue geschworen hatte, beim Anblick der Ruine und der tiefen Grube zu sich selber spricht, sind eher zu verstehen, wie die Rede der Jungfrau Maleen an den Brennesselbusch, den Kirchensteg und die Kirchentüre. Die durch diese Verse langsam wiederkehrende Erinnerung und die Erkennung der rechten Braut lässt sich im Deutschen ebenso wie im Isländischen nur dadurch erklären, dass dem Bräutigam durch einen Vergessenheitstrank (oder durch einen Kuss) die Erinnerung an seine Braut abhanden kam. Diesen Trank muss er dann aber von einer Persönlichkeit bekommen haben, die seine Heirat mit der Jungfrau Maleen verhindern und mit der falschen Braut befördern wollte. Es fehlt aber die Einführung dieser Figur und die Erzählung, in welchem Verhältnis die falsche Braut zur Jungfrau Maleen steht, vollständig im deutschen Märchen. – – – – Grimm erwähnt noch Parallelen dieses Märchens im Schwedischen bei Cavallius und im Dänischen bei Molbeck. Leider waren mir beide Sammlungen zur Vergleichung nicht zugänglich.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 112-118.
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