XXXVII. Die hilfreichen Tiere.

[162] Lbs. 536 4 to. Von Páll Pálsson in Árkvörn 1863/4 nach der Erzählung der alten Frau Guðriður Eyolfsdóttir niedergeschrieben.


Ein Bauernpaar hatte einen Sohn, namens Þorsteinn, der den Eltern das Vieh hütete. Als die Bäuerin starb, verheiratete der Bauer sich wieder, doch die Stiefmutter war immer gut gegen den Knaben. Þorsteinn hütete gewöhnlich sein Vieh[162] in der Nähe eines Hügels, von dem die Sage ging, dass er bewohnt sei. – Eines Tages steht hier eine blaugekleidete Frau, die ihn auffordert, mit ihr Schach zuspielen. Þorsteinn erfüllt ihre Bitte, gewinnt aber in einem fort, so dass die Frau darüber sehr böse wird. Am andern Tage will der Knabe lieber anderswo sein Vieh hüten, doch ehe er sich's versieht, ist er wieder vor dem Hügel. Hier wartet schon die Frau in einem grünen Kleide auf ihn, und wieder spielt er den ganzen Tag mit ihr, immer gewinnend. Am dritten Tage will er nun ganz gewiss den Hügel vermeiden. Aber wie durch einen unwiderstehlichen Zauber wird er dorthin gezogen. Die Frau, in rot gekleidet, fordert ihn zum Spiele auf. Wie er bis zum Abend wiederum jedes Spiel gewinnt, wird sie so wütend, dass sie folgenden Fluch über ihn ausspricht: Er solle im Vaterhause keine Ruhe mehr finden, sondern sich gleich auf den Weg machen, um in einen Wald zu kommen. Dort würden zwölf Vögel versuchen ihn zu töten. Wenn er diesen entkäme, würden zwölf Hunde sich auf ihn stürzen, und wenn er auch ihnen entwische, so würden zwölf Rinder ihm wohl den Garaus machen. Sollte er aber trotzdem allen diesen Gefahren entrinnen, so müsse er zu ihren zwölf Schwestern gehen. Diese würden dann schon für seinen Tod sorgen. Wie Þorsteinn die Verwünschung hört, spricht er auch seinerseits einen Fluch aus: Die Unholdin solle mit dem einen Fusse in der Höhle, mit dem anderen draussen auf dem Felsen stehen. Ein Scheiterhaufen solle unter ihr angezündet werden, so dass sie halb verbrenne, halb erfriere. Wenn er in der Gefahr umkäme oder von dem Zauber sich befreie, dann solle sie ganz in den Scheiterhaufen fallen und zu kalter Kohle verbrennen. – Nun wird die Unholdin erschrocken und will gern ihren Fluch zurücknehmen, wenn auch Þorsteinn seinen Zauberspruch aufheben will. Aber der Knabe will nichts davon wissen. Er geht nun sogleich nach Hause, um seine sehr kluge Stiefmutter um Rat zu fragen. Diese stattet ihn mit Proviant und neuen Schuhen gut aus und gibt ihm für die Vögel Körner, für die Hunde Fleischstücke und für die Rinder Hafer mit. Vielleicht könne das ihm nützen. Wie die Vögel sich auf ihn stürzen wollen, wirft er ihnen die Körner hin und entflieht[163] mittlerweile. Die Vögel picken die Körner auf und rufen ihm nach, er solle sie herbeiwünschen, wenn er ihrer bedürfe. Auch die Hunde fressen die Fleischstücke und die Rinder den Hafer, und alle bieten dankbar dem Davoneilenden für den Fall der Not ihre Dienste an. – Wie er gegen Abend in die Höhle der Schwestern kommt, versteckt er sich hier so gut, dass die Riesinnen nichts von ihm merken. Am anderen Morgen gehen sie alle wieder fort, und diese Gelegenheit benutzt Þorsteinn, um die Höhle gründlich zu durchsuchen. In einer Nebenhöhle findet er ein Mädchen mit den Haaren festgebunden. Dieses erzählt, es sei eine Königstochter und sei von den Riesinnen gestohlen worden, um einen aus ihrer ungeschlachten Verwandtschaft zu heiraten. Da sie das nicht wolle, so würde sie so grausam gefangen gehalten, Þorsteinn lässt sie nun den Tag hindurch frei und bindet sie erst gegen Abend wieder fest. Dann versteckt er sich aufs neue. Wie die Riesinnen am Abend zurückkehren, sagt eine: »Der Bote bleibt lange, den unsere Schwester uns versprochen hat.« Eine andere schnüffelt und meint: »Es ist ein Mensch hier in der Höhle.« Nun tritt Þorsteinn hervor und gibt sich zu erkennen. Die Riesinnen sagen ihm schadenfroh, dass am anderen Tage eine tüchtige Arbeit seiner warte, und wenn er sie nicht lösen könne, müsse er sterben. Am folgenden Morgen, ehe sie in den Wald gehen, tragen sie ihm auf, alles Korn herauszunehmen, zu lüften und nachher wieder hereinzubringen, so dass auch nicht ein Körnlein fehle. Sowie Þorsteinn alles draussen hat, erhebt sieh ein scharfer Wind, so dass das Korn nach allen Seiten zerstreut wird. Schnell ruft der Knabe jetzt seine Vögel zu Hilfe. Diese kommen sofort, picken das Korn wieder zusammen, und Þorsteinn trägt es zur Höhle. Als am Abend die Riesinnen heimkehren, fehlt auch nicht ein Körnlein: »Du bist beim Spiele nicht allein gewesen, Bursche.« Þorsteinn antwortet: »Ich allein war dabei und kein anderer.« Am folgenden Tage soll der Knabe alle Federn aus den Betten herausnehmen und zum Lüften vor die Höhle tragen. Wie der Wind auch jetzt wieder alles zerstreut, kommen die Hunde herbei und helfen ihm. Am Abend stellen die Riesinnen dieselbe Frage, und Þorsteinn antwortet auf die gleiche Weise. Am dritten Tage[164] soll er den grössten Ochsen der Riesinnen schlachten und kochen, die Haut gerben und aus den Hörnern Löffel schnitzen. Bis zum Abend müsse alles fertig sein. Auf Þorsteinns Wunsch kommen nun die Rinder zur Hilfe herbei. Sie bringen den Ochsen gleich mit, schlachten ihn und bereiten alles so zu, wie es dem Knaben aufgetragen war. Am Abend ist dann auch die dritte Aufgabe richtig gelöst, und nun haben die Riesinnen keine Macht mehr über Þorsteinn. Sie gehen dann auch am folgenden Tage in den Wald, ohne sich weiter um den Knaben zu kümmern. Der hört, wie an der Türe eine Riesin eine andere fragt, ob der Bursche auch nicht an den Schlüssel zu der grossen Kiste könne. Doch die Schwester erklärt, dass das unmöglich sei, und so gehen sie fort. Nun löst Þorsteinn wie gewöhnlich die Königstochter. Beide durchsuchen jetzt aufs gründlichste die Höhle und finden einen Teil derselben mit Eisenstangen abgesperrt. Sie kommen hier in einen Baum, in dem viele Kisten stehen und darunter eine von besonderer Grösse. Oben hoch an der Höhlendecke sehen sie Schlüssel hängen. Sie türmen nun viele Kisten aufeinander, aber noch immer können sie nicht zu den Schlüsseln gelangen. Endlich klettert die Königstochter noch auf Þorsteinns Schultern, der schon auf der obersten Kiste steht, und nun vermag sie die Schlüssel zu ergreifen. Mit vieler Anstrengung schliessen sie nun die gewaltige Kiste auf. Drinnen finden sie ein grosses Tuch, das dreizehn Eier umwickelt, von denen eins gelb und halb verwest aussieht. Þorsteinn steckt die Eier zu sich und untersucht nun das Tuch genauer. Dasselbe ist mit Flügeln versehen, und vergilbte Buchstaben stehen darauf. Wie er anfängt, sie zu lesen, hebt der Mantel sich in die Höhe, so dass er daraus erkennt, dass dies ein Flugmantel ist. Am Abend gehen die Riesinnen nach ihrer Gewohnheit eine nach der anderen in die Höhle hinein. Einer jeden von ihnen wirft nun Þorsteinn ein Leben sei zwischen die Augen, so dass sie alle tot niederstürzen. Nun verbrennt er die Leichen, sammelt alle Schätze, die er in der Höhle finden kann, legt sie auf den Mantel und setzt sich schliesslich auch mit dem Mädchen auf ihn. Dann wünscht er sich zu den Eltern der Königstochter. Mit Windeseile fliegen sie[165] durch die Luft dorthin. Vom Königspaare werden sie aufs freudigste begrüsst, Þorsteinn wird in allen ritterlichen Künsten unterrichtet, und später heiratet er dann die Königstochter.

Auch zu diesem Märchen sind mir in den verglichenen Sammlungen keine Parallelen bekannt. In den Arbeiten, die der Held mit Hilfe der dankbaren Tiere löst, stimmt diese Erzählung mit dem Märchen von »Litill, Tritill und die Vögel« überein. Auch dort handelt es sich um das Lüften der Bettfedern und das Schlachten und Zubereiten des Ochsen.

Über die Natur der Frau an dem Hügel ist man zuerst nicht klar. Man könnte sie fast für eine Elbin halten, da in den isländischen Volkssagen oft von einer Elbenfrau die Rede ist, die aus einem Hügel heraustritt – nur die Verwünschung und die Verwandtschaft lassen erkennen, dass auch sie zu den Riesen gehört. –

Der Fluch Þorsteinns findet sich schon in den Fornaldrasögur in der Erzählung von »Illugi Gríðarfóstri«. Als Signý von ihrer Stiefmutter verwünscht wird, zur menschenmordenden Riesin zu werden, spricht sie ihrerseits den Fluch aus, die Unholdin möge mit dem einen Fusse auf ihrem Frauenhause, mit dem andern Fusse auf der Königshalle stehen. Knechte sollten Tag und Nacht unter ihr einen Scheiterhaufen brennend erhalten, damit sie unten verbrenne und oben erfriere. Sowie ihr (d.h. Signýs) Zauber gelöst sei, dann erst solle sie in den Scheiterhaufen fallen und sterben.

Benfey (I S. 194) behandelt ausführlich die Märchen von den dankbaren Tieren, die sich in den Sammlungen aller Völker fast vorfinden. Hier im Isländischen ist der ursprüngliche Gedanke schon verwischt, denn den Tieren wird vom Helden Nahrung vorgeworfen, um sie von der Verfolgung abzuhalten – die Dankbarkeit ist daher schlecht motiviert. In ähnlicher Weise schützt sich im »Grimsborken« (Asbj. I S. 183 ff.) der junge Bursche vor Vögeln und wilden Tieren. Hier besteht aber die Dankbarkeit der Tiere einzig darin, dass sie sich um den von ihnen vorher Angegriffenen gar nicht mehr kümmern.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 162-166.
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