XXXVIII. Vom Königssohne, der seine Schwester erlöst.

[166] Lbs. 533 4 to.


Einer neugeborenen Königstochter sollen drei Völur gute Gaben schenken, aber niemand darf während dieser Zeit bei ihr im Zimmer sein. Der junge Prinz Sigurður horcht jedoch heimlich an der Türe und hört, dass die erste, eine blaugekleidete Frau, seiner Schwester Schönheit, Klugheit etc. zu eigen gibt. Wie sie zur Türe hinaustritt, sieht sie den Knaben und sagt, sie wolle ihm nichts auferlegen, das überliesse sie ihrer Schwester, die nach ihr käme. Die zweite Völva, in grüner Kleidung, sagt dasselbe. Nun kommt das Geschenk der dritten, die in rotem Gewände schrecklich anzusehen ist. Sie legt auf die Königstochter den Fluch, stumm zu sein, bis das Schwert eines benachbarten Riesen unter ihre Zunge gelegt würde. Diesen Fluch habe sie ihrem horchenden Bruder zu verdanken. – Sigurður duldet es nun nicht mehr daheim, da er das Unglück seiner Schwester verschuldete. Er will sich nun aufmachen, um das Schwert zu holen. Seine Pflegemutter gibt ihm drei Goldringe mit und drei Knäuel, das eine blau, das zweite grün und das dritte rot. Diese sollen ihm den Weg zeigen. Das blaue Knäuel führt ihn zu einer Höhle, aus der eine blaugekleidete Riesin tritt. Sie nimmt ihn für die Nacht auf und bringt ihm am Morgen eine Schale mit Wasser zum Waschen – nachher wolle sie ihn töten. Sigurður legt einen Goldring ins Waschwasser. Die Riesin wird durch die Gabe besänftigt und bietet sogar ihre Hilfe an, wenn er in Not sei. Sie heisst Loðgreip. Bei der zweiten und dritten Riesin ergeht es ihm auf die gleiche Weise. Diese nennen sich Járngreip und Lángintrjóna. Nun kommt Sigurður zur Höhle des Riesen. Er trifft dessen Tochter, ein hochgewachsenes Mädchen, daheim und bittet sie um Hilfe, das Schwert zu erlangen. Als gegen Abend der Riese erwartet wird, macht das Mädchen ihn zum Floh und nimmt ihn mit sich. Am anderen Tage geht der Riese wieder zur Jagd, diesmal ohne sein Schwert mit sich zu nehmen. Sigurður ergreift es und eilt fort. Unterwegs begegnet ihm der Riese mit einer grossen Schar von Freunden. In der Angst ruft der Prinz[167] Loðgreip, Járngreip und Lángintrjóna zu Hilfe. Diese kommen auch gleich in Gestalt von Drachen und stehen Sigurður bei, den Riesen und seine Schar zu erschlagen. Durch das Schwert gewinnt die Königstochter die Sprache wieder. Sigurður heiratet zum Dank die Riesentochter aus der Hohle.

In der gleichen Sammlung der Landesbibliothek findet sich noch ein kleines Märchen, das mit der vorhergehenden Erzählung Vieles gemeinsam hat. Hier wird die Königstöchter von einem Riesen gestohlen, als sie mit ihrem Bruder Sigurður im Garten beim Spielen eingeschlafen waren. Die gute Stiefmutter gibt dem Prinzen, der die Schwester erlösen will, drei Goldringe. Durch diese gewinnt er die Freundschaft von drei Riesinnen, Skinnbrók, Skinnskálm und Skinnhetta genannt. Die letztere macht ihn zu einem kleinen Kinde, das von der Riesentochter gefunden wird, als sie hinausgeht, um Wäsche zu waschen. Sie nimmt den Knaben mit nach Hause und will ihn für sich aufziehen, um ihn später zu heiraten, trotzdem der Vater ihn lieber getötet hätte. Sigurður lässt sich von seiner Beschützerin alle Kostbarkeiten der Höhle zeigen, schliesslich öffnet sie ihm auf seine Bitte auch eine Nebenhöhle, in der seine Schwester an den Haaren aufgehängt ist. Sie erfährt diese harte Behandlung, weil sie sich weigert, einen Sohn des Riesen zu heiraten. Am folgenden Tage geht der Riese mit seiner Tochter in den Wald, um Brennholz zu sammeln. Da Sigurður das Gefängnis seiner Schwester nicht öffnen kann, so ruft er Skinnbrók, Skinnskálm und Skinnhetta herbei. Diese kommen denn auch, befreien die Königstochter und helfen Sigurður im Kampfe gegen den zurückkehrenden Riesen und seine Tochter. Sigurður kommt dann gerade noch zur rechten Zeit nach Hause, um seine Stiefmutter, der man an dem Verschwinden der Königskinder schuld gegeben hatte, vor dem Scheiterhaufen zu retten.

Irgend welche neue Motive sind in diesem Märchen nicht enthalten. Die weisen Frauen hatten wir schon im Märchen »vom Fluch der Patin« etc., in blauer, grüner und roter Kleidung erschien auch im vorhergehenden Märchen die Frau, die mit Þorsteinn Schach spielte, die Episode mit den Riesinnen, die durch Goldringe besänftigt werden, findet sich[168] auch in einer Variante des »Pferdes Gullskó«. Auch dort kommt der junge Held zur Rettung seiner Stiefmutter eben noch zur rechten Zeit.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 166-169.
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