XL. Die Bauerntochter Helga.

[171] Árn. II S. 413/4. Nach dem Manuskripte von Þorvarður Ólafsson.


Ein schönes Bauernmädchen, namens Helga, hatte von ihrer sterbenden Mutter eine Ahle bekommen, die »Ja« sagen konnte, wenn man ihr dazu den Auftrag gab. Als eines Abends der Vater sie durchaus zwingen wollte, bei ihm zu schlafen, gab sie vor, eben noch nach dem Feuer sehen zu müssen. Wie sie draussen war, steckte sie die Ahle in die Wand und gab ihr den Auftrag, »Ja« zu sagen. Dann lief sie selbst in die dunkle Nacht hinaus. – Gegen Morgen gelangt sie tief im Walde an ein kleines, schmuckes Häuschen. Der Besitzer nennt sich Herrauður und fordert sie auf, bei ihm zu bleiben. Nach einiger Zeit wird Helga schwanger. Immer seltener kommt jetzt Herrauður abends nach Hause, und schliesslich bleibt er ganz aus. Müde vom Warten schläft Helga ein. Im Traume erscheint ihr die verstorbene Mutter und teilt ihr mit, dass Herrauður durch eine böse Riesin von ihr weggelockt sei. Die Unholdin trachte jetzt nach ihrem Leben. Deshalb solle Helga sich gleich aufmachen, ihre Schuhe verkehrt anziehen und sich in ein nahegelegenes Erdhaus flüchten. – Sowie Helga erwacht, befolgt sie die Ratschläge der Mutter. Durch eine kleine Öffnung sieht sie, wie zuerst ein Hund kommt und vergeblich ihrer Fussspur nachspürt, und wie dann eine Riesin erscheint, die sie aber auch nicht finden kann. – Nachdem die Verfolger verschwunden sind, geht Helga in den Wald hinaus. Ermüdet setzt sie sich an einem Bache nieder, an dem ein Kind gerade Wasser holt. Das Mädchen legt einen Goldring in den Wassereimer desselben. Kurze[171] Zeit nachher kommt ein Zwerg zu ihr, dankt ihr, und ladet sie in sein Haus ein. Hier gebiert sie einen schönen Knaben. Der Zwerg teilt ihr mit, Herrauður sei so verzaubert, dass er nun die Riesin heiraten wolle. Helga solle, von ihm durch ein Gewand unsichtbar gemacht, beim Hochzeitsfest zugegen sein und an zwei Abenden die Braut genau beobachten. Am dritten Abend solle sie dann den Bräutigam herbeirufen, um ihm die Riesin in ihrer wahren Gestalt zu zeigen. – Wie die Braut am Abend draussen vor der Höhle sich unbeobachtet glaubt, wird aus dem schönen Mädchen eine furchtbare Unholdin. Ihr Bruder, ein dreiköpfiger Riese, kommt mit einem grossen Kessel voll Pferde- und Menschenfleisch, und nun sättigen die beiden sich an dem Mahle. – Am dritten Abende ist auch Herrauður bei diesem Schauspiele anwesend. Er spannt ein Seil vor die Höhle, in das sich die Braut bei ihrer Rückkehr verfängt. Sie ruft ihren Bruder zur Hilfe. Wie dieser erscheint, nennt Helga den Namen des Zwerges. Sofort kommt ein Vogel herbeigeflogen, der dem Riesen die Köpfe zerschlägt, so dass er gleich tot ist. Zur gleichen Zeit ist die Braut im Seile erdrosselt. Nun erkennt Herrauður seine Verzauberung und feiert mit Helga seine Hochzeit.

Zu der Ahle, die Antwort gibt, sind die Anmerkungen in dem Märchen »vom Vater, der seine eigene Tochter verfolgt« zu vergleichen.

Die gleiche List, die Schuhe verkehrt anzulegen, gebraucht auch Joh. Friedr. Danibert in dem Märchen gleichen Namens. Köhler (Kl. Schr. S. 381) erwähnt eine Sage aus Akarnanien. Auch hier legt die Zauberin Kultschina ihre Schuhe verkehrt an, um ihre Verfolger zu täuschen, und aus dem gleichen Grunde lässt in einer indischen Erzählung (mitgeteilt von A. Schiefner »Mélanges asiatiques« 8, 168) ein Jüngling sich Schuhe machen, deren Spitzen zur Ferse gekehrt sind. Hierhin gehören auch die Hufeisen, die man den Pferden verkehrt anschlagen lässt (Kuhn: »Sagen, Märchen und Gebräuche aus Westfalen« 1,77) etc.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 171-172.
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