VII. Snati-Snati.

[31] Árn. II 360–7. Von Branþrúður Benónisdóttir aus der Múlasýsla erzählt.


Ein Königssohn, namens Hringur, ist nichts weniger als tapfer oder gewandt. Einst verfolgt er auf der Jagd eine Hirschkuh, die einen Goldring um den Hörnern hat. Er kommt mit seinen Genossen in so dichten Nebel, dass sie alle voneinander getrennt werden. Hringur gelangt schliesslich in eine Waldlichtung nicht weit vom Meere. Hier sieht er eine Frau sitzen und eine Tonne neben ihr stehen. Wie er auf dem Boden einen wundervollen Goldring erblickt, erwacht in ihm der Wunsch, diesen zu besitzen. Die Frau errät seine Gedanken und fordert ihn auf, sich den King aus der Tonne zu holen. Je tiefer jedoch Hringur sich in die Tonne neigt, desto mehr entschwindet ihm der Ring. Wie er endlich mit dem halben Leib schon in der Tonne ist, stösst die Frau ihn kopfüber hinein, legt den Deckel fest auf und rollt die Tonne ins Meer. Nach langer Zeit wird die Tonne wieder ans Land geworfen, und es gelingt dem Königssohne, aus ihr zu entkommen. Wie er gerade die fremde Gegend zaghaft durchforscht[31] und entdeckt, dass er auf einer Insel sich befindet, sieht er einen Riesen sich nähern. Der steht erst verwundert vor ihm still, nimmt ihn dann auf und trägt ihn vorsichtig zur Höhle, um ihn dort seiner Frau zur Gesellschaft zu geben. Die beiden Alten sind sogleich sehr gut gegen ihn und tun ihm zu Liebe, was sie nur können. Der Riese zeigt ihm im Laufe der Zeit auch alle seine Schätze, nur der Eintritt in die Küche wird ihm verboten. Hringur wird neugierig und will erfahren, was dort verborgen ist. Zweimal lässt er sich durch seine Feigheit zurückschrecken, das dritte Mal wagt er sich so weit, ins Zimmer ganz hineinzuschauen. Er sieht nur einen Hund, der in einem fort zu ihm sagt »wähle du mich, Königssohn Hringur!« – – – Nach einiger Zeit will der Riese ihn zum Festlande wieder hinüberrudern, denn er und sein Weib hätten jetzt nur noch kurze Zeit zu leben. Hringur solle sich aus der Behausung irgend etwas als Eigentum auswählen. Die Worte des Hundes fallen ihm da ein, und so wünscht er das zu bekommen, was in der Küche sich befindet. Der Riese hält zwar nur ungern sein Wort, geht aber doch, um den Hund zu holen, der nun freudig um den vor ihm ganz erschrockenen Königssohn herumspringt. – Nachdem Hringur mit seinem Hunde eine Weile landeinwärts gezogen ist, beginnt dieser mit ihm zu sprechen. Er nennt sich Snati-Snati und bittet seinen Herrn, in dem Königreiche, in das sie jetzt kämen, beim Herrscher um Gastfreundschaft für den Winter nachzusuchen. Er solle dann auch sehen, dass sie beide zusammen ein Zimmerchen bekämen. Hringur folgt dem Rate seines Hundes. Bald steht der Königssohn beim König in gutem Ansehen, so dass dessen Minister Rauður auf ihn neidisch wird. Er schlägt dem Könige vor, dass er mit dem neuen Gaste um die Wette einen Tag hindurch Bäume fällen wolle. Dann könne man daraus doch beurteilen, ob der Jüngling auch tüchtig sei. Auf den Rat des Hundes lässt sich Hringur zwei Äxte geben, und nun hackt Snati-Snati mit ihm um die Wette. Wie der König am Abend kommt, ist das vom Gaste geleistete Tagewerk um mehr als die Hälfte grösser wie das des Ministers. Auf den Vorschlag von Rauður soll Hringur die beiden wilden Stiere draussen im Walde töten,[32] ihnen die Haut abziehen und diese dem König mitsamt den Hörnern am Abend bringen. Snati-Snati tötet den grösseren Stier zuerst und überwindet dann den kleineren Stier, der den Königssohn schon zu Boden geworfen hatte. Dann ist es hauptsächlich auch das Werk des Hundes, den Tieren die Haut abzuziehen und alles noch abends bis vor das Schloss zu bringen. Nach dieser Heldentat, die Hringur zugeschrieben wird, wird nun Hringur so geehrt, dass er stets neben dem Könige sitzen muss. – Nun soll der Königssohn dem Könige die drei Kostbarkeiten wiederschaffen, die vor einem Jahre ihm abhanden kamen, das Goldgewand, das Goldbrettspiel und das Leuchtgold. Wenn er das fertig bringt, so darf er zum Lohne die Königstochter heiraten. Auch jetzt weiss Snati-Snati Rat. Hringur muss sich eine möglichst grosse Menge Salz verschaffen. Dann wandern die beiden fort, bis sie an einen steilen Berg gelangen. Hringur hält sich am Schwänze des Hundes fest und kommt schliesslich mit vieler Mühe auf den Gipfel. Nach einer Weile gelangen sie an eine Höhle. Sie schauen durch ein Fenster hinein und sehen drinnen vier schlafende Riesen und über dem Feuer einen grossen Topf voll Grütze hängen. In diesen hinein muss Hringur all das mitgenommene Salz schütten. Nachdem die Riesen erwacht sind, beginnen sie zu essen, doch nach der stark gesalzenen Grütze kann die Alte, die grösste Unholdin von allen, es vor Durst bald nicht mehr aushalten. Sie bittet ihre Tochter, ihr Wasser zu holen. Doch diese will nur unter der Bedingung gehen, dass sie das Leuchtgold geliehen bekomme. Nach langem Sträuben erhält sie endlich ihren Willen. Draussen ertränken sie die beiden im Wasser und nehmen das Leuchtgold fort. Wie das Mädchen zu lange bleibt, schickt die Alte ihren Sohn, der aber auch nur dann geht, wenn man ihm während der Zeit das Goldgewand leiht. Der Bursche wird auf die gleiche Weise getötet. Nun soll der Mann gehen, aber auch er verlangt für den Weg das goldene Brettspiel. Nachdem auch er im Teiche ertränkt wurde, kommt er sogleich noch einmal als Wiedergänger (eine Art Gespenst) und muss aufs neue nach hartem Kampf überwunden werden. Nun gilt es die Alte, die schlimmste Hexe, die es gibt, zu besiegen. Da keine Waffe an ihr haftet, so soll sie drinnen in der Höhle[33] auf den Vorschlag von Snati-Snati durch kochende Grütze und glühendes Eisen getötet werden. Wie sie den Hund sieht, sagt sie: »Bist du gekommen, Königssohn Hringur? Du wirst gewiss schon meinen Mann und meine Kinder aus dem Wege geräumt haben.« Beide greifen sie nun gemäss der Verabredung an, und endlich kommt sie dann auch zu Tode. Nun werden alle Leichen verbrannt und die besten Schätze aus der Höhle mitgenommen. – Wie der König sein Goldgewand, das Brettspiel und das Leuchtgold wiederbekommt, wird sogleich seine Tochter mit Hringur verlobt. Abends bittet der Hund seinen Herrn, ihn eine Weile in seinem Bett schlafen zu lassen und so lange mit seinem Lager sich zu begnügen. Hringur ist damit einverstanden. In dieser Zeit versucht Rauður, den Königssohn zu töten, doch Snati-Snati beisst ihm die rechte Hand ab, die nun mit dem blossen Schwerte in Hringurs Bette liegen bleibt. Rauður kommt klagend zum Könige und erklärt, dass ihm ohne alle Veranlassung sein künftiger Schwiegersohn die rechte Hand abgeschlagen habe. Statt aller Verteidigung führt Hringur den König an sein Bett, wo die Hand mit dem blossen Schwerte ein deutlicher Beweis der Schuld Rauðurs ist. Der Minister wird gehängt, und der Königssohn hält Hochzeit mit der Prinzessin. In der Brautnacht darf Snati-Snati zu den Füssen des Paares liegen. Am anderen Morgen ist aus dem Hunde ein schöner Königssohn, namens Hringur, geworden. Die Stiefmutter hatte ihn verzaubert und ihm gesagt, dass er nicht eher erlöst werden könne, bis ein Königssohn des gleichen Namens in der Brautnacht ihn zu seinen Füssen schlafen lasse. Die Hindin mit dem goldenen Ringe um den Hörnern, die Frau am Seestrand, sowie die bösartige Riesin in der Höhle seien immer seine Stiefmutter gewesen, die um jeden Preis seine Erlösung habe verhindern wollen.

Auf den Faer-oern wird ein Märchen erzählt, das mit dem isländischen Märchen in allen Hauptzügen übereinstimmt (Faer. 42) »Snati« (S. 408 ff.). Ein Bursche wird von einem Riesen verschont, um ihm das Haus in Ordnung zu halten. Nur eine Stube darf er nicht betreten. Doch drinnen regt sich immer ein lebendes Wesen, kratzt an der Tür und ruft:[34] »wähl' mich!« Der Bursche ist zu bange, die verbotene Tür aufzuschliessen, vom sterbenden Riesen, der ihm einen Wunsch gewährt, wünscht er sich jedoch das, was in dem verbotenen Zimmer ist. Ein schwarzer Hund springt heraus. Dieser nennt sich Snati und veranlasst seinen Herrn, mit ihm in ein Königreich zu gehen, aus dem der Königssohn verschwunden ist, in dem ein Rosenstrauch und alle Schlüssel vermisst werden, und wo die Kühe jeden Morgen keine Milch haben. Der Jüngling arbeitet nun bei den Kohlenbrennern. Mit Hilfe seines Hundes haut er mehr Bäume nieder wie alle übrigen. Der Kohlenmeister wird neidisch auf ihn und sagt dem Könige, dass der Fremde sich gerühmt habe, alles Vermisste wiederschaffen zu können. – – Auf den Rat Snatis lässt er sich einen grossen Sack voll Salz geben. Durch den Rauchfang wirft er einer Riesenfamilie unbemerkt Salz in die Milch, die die Alte wie gewöhnlich von den Kühen des Königs gestohlen hat. Bei ihnen befindet sich auch der vermisste Rosenstrauch, und sie unterhalten sich auch darüber, wo die Schlüssel vom Königshofe versteckt sind. Nach der Mahlzeit machen sich erst die Tochter, dann die Frau und dann der Mann auf, um Wasser zu holen. Bei dieser Gelegenheit werden alle drei getötet. – – – Wie der Jüngling die Königstochter heiratet, liegt Snati in der Brautnacht zu den Füssen des Paares. Als der Kohlenmeister kommt, um den Bräutigam zu töten, beisst Snati ihm den Kopf ab und erscheint nun als der verlorene Königssohn.

Die Aufgabe des Helden, das Goldgewand, das Goldbrettspiel und das Leuchtgold wiederzuholen, erinnert an das Märchen »die drei Kostbarkeiten des Königs«. Auch dort wird durch den Rauchfang Salz in die Speise geschüttet, so dass die Riesen sich nach einander aufmachen, um Wasser zu holen. Das gleiche Motiv findet sich auf den Faer-oern noch einmal in dem Märchen »Øskudólgur« (Faer. 14e S. 288 ff.) und in Griechenland bei Hahn in einer Variante (II S. 181).

Die List, jemanden etwas in einer tiefen Kiste oder Tonne suchen zu lassen und auf diesem Wege sich seiner zu bemächtigen, ist ein schon sehr altes Motiv in dem Märchen. Der sagenhafte Schmied Völundr lässt die beiden Söhne des[35] Königs, die er töten will, in einer Kiste Gold und Edelsteine schauen (Völundarkviða Str. 23). Die böse Stiefmutter in dem Märchen »von den Königskindern in der Höhle der Riesin« lässt nach der einen Fassung die Kinder gleichfalls in einer Kiste nachschauen, was drinnen ist. Wie sie sich tief hineinbücken, schliesst sie die Beiden in der Kiste ein. Durch die gleiche List bemächtigt sich das sterbende Mädchen, das den Geliebten keiner anderen gönnen will, ihres Bräutigams (Gering S. 171).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 31-36.
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