VIII. Rauðiboli.

[36] Lbs. 425 8 vo. Nach einer Erzählung aus der Tungusveit im Skagafjörður.


Ein König, dessen Frau gestorben ist, verheiratet sich wieder. Seine zweite Gattin ist von seinen Ministern einst auf einer Insel in einem Zelte Harfe schlagend gefunden worden. Der Sohn des Königs heisst Ásmundur. Einst wird die Stiefmutter krank und erklärt, nur das Blut von einem roten Stiere, Rauðiboli genannt, der draussen im Walde sei, könne sie heilen, und Ásmundur allein könne dies Werk vollbringen. Wie er in den Wald kommt, schlägt der Stier ihm Blutsbrüderschaft vor. Um die Königin zu täuschen, lässt er sich von Ásmundur etwas Blut abzapfen. Die Stiefmutter ist jedoch damit nicht zufrieden. Ásmundur soll jetzt den Stier fangen, damit sie selbst zusehen kann, wie er geschlachtet wird. Der Stier ist damit einverstanden und lässt sich vom Prinzen zum Königshofe führen. Wie man ihn schlachten will, reisst er sich los und bearbeitet die Königin so lange mit seinen Hörnern, bis sie tot am Boden liegt. Nun zeigt sie sich auch in ihrer wahren Gestalt als furchtbare Unholdin. – – –

Rauðiboli läuft nun mit Ásmundur in den Wald hinein. Er bringt ihn drei Abende hintereinander jedesmal zu einem kleinen Hause. In einem jeden dieser Häuser findet er eine Rüstung, die er auf den Rat des Stieres anlegt. In der ersten Rüstung wächst ihm seine Kraft um Mannesstärke, in der zweiten um die Stärke zweier Männer, in der dritten um die Stärke[36] dreier Männer. Rauðiboli warnt seinen Blutsbruder, irgendwelche Blumen abzupflücken, die in den Gärtchen vor den Häusern wachsen. Zweimal widersteht auch Ásmundur dem Verlangen, das dritte Mal wird aber der Wunsch zu heftig, so dass er heimlich eine Blume zu sich steckt. – – Wie Rauðiboli dem Prinzen erzählt, wollen drei Riesen sich dreier Königstöchter bemächtigen. Der Vater derselben, der sich im Walde durch Nebel verirrte, hat den Unholden versprechen müssen, ihnen seine Töchter zu überliefern. Zwei der Riesen kann Ásmundur überwinden, beim dritten mangelt ihm jedoch die Kraft, da er wider das Verbot die Blume gepflückt hat. Er ruft in der Verzweiflung Rauðiboli zur Hilfe. Sowie der Riese den Namen hört, lässt er den Prinzen los und entflieht mit der Jungfrau in den Wald. – Rauðiboli schwimmt nun mit Ásmundur zu einer Insel. Hier trifft er die Königstochter Helga wieder und verabredet mit ihr, dass sie sich am Abend den Werbungen des Riesen gegenüber geneigter stellen und ihm in Aussicht auf die Hochzeit das Geheimnis ablocken soll, wie er zu töten sei. Sowie sie auf diese Weise erfahren, dass das Leben des Riesen in einem schwarzen Stiere der Unterwelt verborgen ist, ruft am anderen Morgen Rauðiboli durch sein Brüllen den Stier ans Tageslicht und tötet ihn. Ásmundur schneidet ihm das Herz aus und nimmt aus diesem das Ei, das er gegen das Haus des Riesen wirft und dadurch den Tod desselben herbeiführt. Nun kehren alle zum Vater Helgas zurück, und Ásmundur heiratet die Königstochter. In der Hochzeitsnacht schläft Rauðiboli mit zwei Hündinnen zu den Füssen des jungen Paares, und am folgenden Morgen liegt an Stelle der Tiere ein Königssohn mit seinen beiden Schwestern.

Dieser Fassung des Märchens am nächsten steht die Erzählung, die sich in Lbs. 537 4 to ohne Angabe der Herkunft findet. Hier ist der Held Sigurður ein Bauernsohn. Wie er gegen das Verbot in jedem der drei Gärten eine Blume abgepflückt hat, kommt jedesmal ein Riese heraus, mit dem er kämpfen muss, und den er nur mit Hilfe des Stieres besiegt. Drinnen sind in den drei Häusern drei Rüstungen. Die erste gibt ihm dreier Männer Stärke, die zweite die Stärke von sechs, und die dritte die Stärke von neun Männern. Aus der letzten[37] Hütte nimmt Sigurður dann noch einen Hund und eine Hündin, ein Schwert und einen Speer mit. Der Letztere hat die Zauberkraft, dass man mit ihm viermal sich etwas wünschen kann. Dieses kommt Sigurður beim Aufsuchen der Königstochter und beim Kampfe gegen den Riesen, dessen Lebensei aus dem Herzen eines Stieres erst mühsam herbeigeschafft werden muss, zu statten.

Die Erzählung von Rauðiboli, wie sie sich in Lbs. 539 4 to (ohne Angabe der Herkunft) findet, bringt nun noch ein neues Motiv hinein. Der König, der seine drei Töchter an Ungeheuer verheiraten soll, ist von diesen nicht im Walde dazu gezwungen worden, sondern als er in einem Boote auf der See war. Er beruft eine Volksversammlung und verspricht den Männern seine Töchter, die den Kampf mit dem Seeriesen wagen wollen. Der Minister des Königs, Herrauður, will die Verteidigung unternehmen. Beim Anblick des Riesen zieht er sich jedoch feige zurück, so dass die Königstöchter verloren gewesen wären, wenn nicht Ásmundur mit Rauðiboli sie beschützt hätte. Nachdem die Retter sie verlassen haben, wagt sich Herrauður wieder hervor und zwingt durch Drohungen die Königstöchter, ihn als den Befreier auszugeben. So handelt Herrauður dreimal. Schon ist er im Begriff, seine Hochzeit mit der jüngsten Königstochter zu feiern, da kommt Ásmundur mit seinem Stiere und entlarvt den Betrüger durch Vorzeigung der Riesenzungen, die er aus den Köpfen ausgeschnitten hatte.

Die vierte Erzählung (Lbs. 538 4 to ohne Angabe der Herkunft) erzählt auch von dem Betrüge des Ministers der hier Rauðrekur genannt ist. Die Einleitung des Märchens ist hier etwas anders. Nachdem Rauðiboli die Stiefmutter getötet hat, läuft er mit Sigurður in den Wald und wohnt mit ihm längere Zeit in einer Hütte. Eines Nachts träumt dem Königssohne, dass ein Mann ihn auffordere, drei Riesen zu töten, die sich dreier Königstöchter bemächtigen wollten. Die beiden älteren Riesen seien leicht zu besiegen, der jüngste sei jedoch nur zu töten, wenn er ein Rind aufsuche, das oben auf einem steilen Felsen wohne. Dieses müsse er schlachten, dann würde er in ihm eine Ente, in dieser ein Ei und darin das Herz des Riesen finden. Wenn er ihm das Ei an den Kopf würfe, so würde der Riese getötet.[38]

Die fünfte Variante (Lbs. 538 4 to) wird von »Jón Bjarnarson á Þúfum« erzählt. Hier ist nur von einer Königstochter, die aus den Händen eines Riesen befreit werden muss, die Rede. Sogleich nachdem Rauðiboli die Stiefmutter getötet hat, läuft er mit Sigurður fort, bis er zur Wohnung eines Riesen kommt, der eine Königstochter gefangen hält. Wie in dem ersten Märchen bekommt auch hier die Königstochter durch die gleiche List heraus, auf welche Weise der Riese zu töten ist. Hier ist die Sache nur etwas umständlicher dargestellt. Sigurður muss aus einer Kiste, zu der die Königstochter den Schlüssel dem Riesen abgebettelt hat, ein schwarzes, ein weisses und ein rotes Tuch nehmen, die einen schwarzen, einen weissen und einen roten Stein umwickeln. Ferner befindet sich dort ein Schwert, dessen sich der Prinz gleichfalls bemächtigen muss. Nachdem Rauðiboli durch sein Brüllen den Stier aus der Unterwelt herauf gelockt hat, muss Sigurður erst das schwarze, dann das weisse und hierauf das rote Tuch um den Kopf wickeln, um durch das Brüllen nicht taub zu werden. In dieser Zeit hat er ausserdem durch eifriges Schlagen auf den schwarzen, weissen und roten Stein zuerst Regen, dann ein Hagelwetter und schliesslich einen Feuersturm hervorgebracht, so dass alle Hochzeitsgäste des Riesen, die auf dem Wege zur Höhle waren, in dem Unwetter umkommen. Wie der Stier mit halbem Leibe sich aus der Erde erhebt, schlägt Sigurður ihm mit dem Schwerte auf die Nase. In dem gleichen Augenblicke stürzt auch der Riese tot zu Boden. – Die befreite Königstochter, die Sigurður dann heiratet, ist die Schwester von Rauðiboli.

Die letzte Variante des Märchens (Lbs. 539 4 to) ist aus der Märchensammlung von Jón Nordmann. Dieser hat, wie er angibt, das Märchen einmal in seiner Kindheit gehört. Später kommt er zu »David á Hamri í Stiflu«, der das Märchen auch einmal früher erzählt bekommen hatte, und beide setzen es nun nach der Erinnerung wieder zusammen. – – – – Der Anfang ist hier wie in den übrigen Erzählungen derselbe. Rauðiboli läuft mit Sigurður eine Woche lang durch den Wald, bis sie endlich an eine Hütte kommen. Hier zeigt er ihm ein Schwert. Mit ihm muss der Prinz dreimal an die Hüttentüre schlagen, bis ein furchtbarer Riese erscheint. Die beiden[39] kämpfen gegen ihn und töten ihn. Am folgenden Abend haben sie einen ähnlichen Kampf zu bestehen. Der dritte Riese, der nun noch übrig ist, kann nur getötet werden, wenn man sich seines Lebenseis bemächtigt, das im Herzen eines Stieres sich befindet. Sigurður umhüllt den Kopf mit einem schwarzen Tuche, und dann brüllt Rauðiboli dreimal, bis der Stier endlich erscheint. – – Nach diesen Kämpfen läuft Rauðiboli mit Sigurður drei Tage lang, bis sie in ein Königreich gelangen. Dies ist das Reich Rauðibolis, und am folgenden Morgen ist er denn auch erlöst und hat seine Menschengestalt wiederbekommen.

Zu diesem Märchen, das im Isländischen, wie die zahlreichen Varianten bezeugen, grosse Verbreitung hat, boten mir die verglichenen Märchensammlungen keinerlei Parallelen. Nur einzelne Motive oder auch die ganze Episode von der Befreiung der Königstöchter und dem Betrüge Rauðurs lassen sich in der übrigen Märchenliteratur nachweisen.

Bei Asbj. (19) »Kari Traestak« (I S. 81 ff.) will die Stiefmutter einen schwarzen Ochsen schlachten lassen, angeblich um sie von einer Krankheit zu heilen, in Wirklichkeit aber, um den einzigen Freund ihrer Stieftochter zu vernichten. Auf Vorschlag des Ochsen entflieht dann das Mädchen mit ihm. Bei Cosquin (23) »Le poirier d'or« (I S. 246 ff.) will aus dem gleichen Grunde die kranke Stiefmutter ein Schaf schlachten lassen, und in »La biche blanche« (Cosquin No. 21, I S. 232 ff.) soll für die kranke Königin eine weisse Hirschkuh getötet werden etc.

Die List der Königstochter, sich dem Riesen geneigt zu stellen, um auf diese Weise zu erfahren, wie er zu töten ist, findet sich noch in dem isländischen Märchen »von dem Königssohne, der durch Riesinnen geraubt war.« Auch bei Köhler (Kl. Schr. S. 158) und bei Asbj. (S. 177) gebraucht die Frau gleichfalls diese List, um zu erfahren, wo das Herz des Riesen zu finden ist. Zu der versteckten Seele des Riesen bringt Köhler (Kl. Schr. S. 159 ff.) zahlreiche Nachweise, ebenso auch Cosquin (I S. 173 ff.). Von den hier zur Vergleichung hinzugezogenen Märchensammlungen ist bei Gonz. (16 I S. 103 ff.) das Ei, das den Geist des Vaters verscheucht (siehe Köhlers[40] Anm. II S. 216), in einer Taube und diese in einem Kaninchen. Grundtv. erzählt in dem Märchen »Troldens Datter« (I S. 36 ff.), dass das Herz des Riesen in einem Fische sich befindet, in dem Märchen »Skomagerdrengen« (II S. 148 ff.) ist es in einem Ei, dieses in einer Ente, die Ente in einem Hasen, der Hase in einem Drachen und der Drache in einem See. Bei Asbj. (36) »Om Risen, som ikke havde noget Hjerte paa sig« (S. 177 ff.) muss der Held, der den Riesen töten will, zu einer Insel fahren. Dort steht eine Kirche, in dieser ist ein Brunnen, in ihm schwimmt eine Ente, und in ihr ist das Ei, das das Herz des Riesen enthält. Ähnlich bei Müllenhoff (VII) »Vom Mann ohne Herz« (S. 404 ff.), nur nicht so kompliziert. Es fliegt in einer Kirche, die in einsamer Gegend sich befindet, ein Vogel herum, und in ihm ist das Herz des Alten. In dem Märchen »The sea-maiden« (Jac. II S. 144 ff.) liegt eine Insel in einem See. Auf ihr lebt eine weissfüssige Hindin, in dieser ist eine Forelle, und in ihr ist das Lebensei der Meerfrau verborgen. Bei Cosquin (Les dons des trois animaux I S. 166 ff.) wird das Leben des Riesen zerstört, wenn ein siebenköpfiges Ungeheuer getötet ist und aus dessen letztem Kopfe zwei Eier genommen und dem Riesen ins Gesicht geworfen werden. Dass die Riesen ihre Seele in einem Ei verborgen haben und nicht eher sterben können, bis das Ei zerbrochen ist, ist ein Zug, der uns noch verschiedentlich in den isländischen Märchen begegnen wird z.B. in dem Märchen von dem »Königssohn, der durch Riesinnen geraubt wird« etc.

Zu dem dreimaligen Brüllen des Stieres, um den anderen Stier aus der Unterwelt heraufzulocken, ist Asbj. (37) »Grimsborken« (S. 183 ff.) zu vergleichen. Hier wiehert das Zauberpferd dreimal, bis das andere Pferd zum Kampfe aus der Unterwelt herbeikommt.

Dem Schlagen auf den schwarzen, weissen und roten Stein, wodurch Regen, Hagelwetter und ein Feuersturm hervorgebracht werden, entspricht in einer Variante des Märchens vom »Königssohne, der durch Riesinnen geraubt wird« der Hut mit dem weissen, gelben und roten Rande.

Die Episode von den drei Königstöchtern, die infolge eines Versprechens ihres Vaters drei Riesen ausgeliefert werden sollen,[41] und die dann von einem ihnen Unbekannten befreit werden, durch Drohungen eines Feiglings jedoch gezwungen sind, ihren wahren Retter zu verschweigen, ist ein Märchen, das in der internationalen Märchenlitteratur entweder in Verbindung mit dem Motiv von den dankbaren Tieren oder in Verbindung mit den Zwillingsbrüdern oder in der Geschichte eines männlichen Aschenbrödels zu finden ist. Diese Erzählung gehörte wohl nicht ursprünglich in das Märchen von Rauðiboli, sondern kam nur infolge des dreimaligen Kampfes mit Riesen hinein. Die Legitimation des wahren Riesentöters durch die Zungen findet sich in all diesen Märchen (Strap. II) 10. Nacht, 3. Fabel (S. 242 ff.), Bas. I 1. Tag, 7. Märchen (S. 90 ff.), Gonz. (I 40 S. 272 ff. und 44, S. 299 ff.), Hahn (II 70 S. 49 ff.), Jac. II (S. 121 ff., S. 144 ff.), Schott (10 S. 135 ff.), Cosquin (I 5 S. 74 ff.), K. und Schw. (10 S. 337 ff.), Grundtv. (I 8 S. 80 ff.), Faer. (15 S. 291 ff.). Köhler (Kl. Schr. S. 399) macht auch auf Peleus in der griechischen Sage (Apollodor 3, 313) und Tristan aufmerksam. Weitere Literatur findet sich auch noch in Köhlers Anmerkungen zu dem sizilianischen Märchen (II S. 230) und bei Cosquin (I S. 74 ff).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 36-42.
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