LXXXII. Der Elbenkönig in Seley.

[310] Árn. I S. 89–93. Von Jón Bjarnason in Breiðuvík in der Múlasýsla.


Einst kann durch Unwetter erst im Herbste ein Teil der im Frühjahr gefangenen Fische von der Insel Seley heimgeholt werden. Der Knecht eines Pfarrers geht ein wenig von den andern fort, um zu sehen, ob das Meer nicht irgend etwas ans Land geworfen habe. Plötzlich wird die See so unruhig, dass die Leute, um sich vor dem Untergange zu retten, mit dem Schiffe heimwärts rudern müssen und den Knecht[310] allein auf der Insel zurücklassen. Dieser ist verzweifelt und sieht schon den sichern Tod vor Augen. Da glaubt er in der Ferne schimmernde Sterne zu erblicken, doch wie er näher geht, sind es Gebäude von wahrhaft königlicher Pracht, aus deren Fenstern Lichter erglänzen. Er hört nun, wie drinnen jemand aufgefordert wird, zu dem armen Menschen, der auf der Insel zurückgelassen war, hinauszugehen und ihn hereinzuholen, damit er draussen nicht sterbe. Ein Mädchen führt ihn ins Haus, lässt ihn seinen beschneiten Mantel ablegen und leitet ihn dann in ein mit Gold und Edelsteinen geschmücktes Zimmer, in dem viele schöne, herrlich gekleidete Frauen versammelt sind. Er begrüsst alle, und sie danken ihm freundlich. Das schönste Mädchen von allen steht nun auf und bringt ihn in ein kleines, aber prächtiges Zimmer, wo sie ihm Wein und Speisen vorsetzt und überhaupt in jeder Weise für ihn sorgt. Hier lebt er nun bis Weihnachten. In der Weihnachtsnacht kommt das Mädchen zu ihm und sagt, wenn er glaube, ihr irgendwie Dank zu schulden, so solle er das jetzt beweisen. Am folgenden Tage würde ein Tanz abgehalten und sie müsse dann bei ihrem Vater sein, um dem Feste zuzuschauen. Nun müsse er ihr heilig geloben, nicht neugierig sein und zum Fenster hinaussehen zu wollen. Er verspricht es auch feierlich. Wie er am andern Tage jedoch Gesang und Harfenschlag hört, kann er der Versuchung nicht widerstehen und wirft einen Blick hinaus. Da sieht er eine grosse Gesellschaft, die tanzt und auf allerhand Instrumenten musiziert. In ihrer Mitte sitzt ein Mann in königlichem Gewände mit der Krone auf dem Haupte. Neben ihm befinden sich zwei prächtig geschmückte Frauen, augenscheinlich die Gattin und die Tochter des Königs. In dem jungen Mädchen erkennt er sogleich seine Geliebte, und um nicht von ihr gesehen zu werden, verlässt er sofort das Fenster. Der Tanz dauert nun bis zum Abend. Nachher kommt das Mädchen schweigsamer wie gewöhnlich zu ihm und macht ihm wegen seines Wortbruches Vorwürfe. Es sei nur gut, dass ihr Vater ihn wenigstens nicht entdeckt hätte. – – Am Neujahrstage hält der König wieder einen Tanz ab, und wieder gelobt der Bursche der Königstochter, seine Neugier zu bezwingen. Es geht auch längere Zeit hindurch gut, bis er es[311] endlich nicht aushalten kann und einen Blick hinauswirft. Er sieht, dass nun alles noch viel prächtiger ist wie das erste Mal, da am Tanze sich nun auch viele Ritter beteiligen. Am Abend macht die Geliebte ihm schwere Vorwürfe, verzeiht ihm aber schliesslich. Ehe am ersten Ostertage zum dritten Male das Fest beginnt, beschwört sie ihn, diesmal wenigstens ihr treu zu sein. Denn wenn ihr Vater entdecke, dass sie einen Mann bei sich habe, so sei ihr Leben in Gefahr. Trotz dieser Warnung kann er auch jetzt nicht sich zurückhalten. Die Geliebte kommt am Abend in trüber Stimmung zu ihm und sagt, er habe sich unzuverlässiger erwiesen, wie sie je von ihm geglaubt habe – nun würde er gewiss weiter sich nicht bewähren. – – – Am letzten Wintertage sagt sie ihm, dass am andern Morgen seine Gefährten vom Festlande zur Insel kommen würden, und er solle dann mit ihnen heimfahren. Wenn es ihm irgendwie von Wert sei, dass sie ihm den Winter hindurch das Leben erhalten habe, so solle er es künftig dadurch beweisen, dass er sich öffentlich als Vater des Kindes bekenne, mit dem sie nun durch ihn schwanger sei. Denn wenn ihr Kind nicht von ihm anerkannt würde, so lasse ihr Vater sie töten. Er gelobt es ihr feierlich und verlässt sie dann am andern Morgen, nachdem er ihr noch viele Male für ihre Wohltaten gedankt hat. – – Wie seine Gefährten ihn sehen, halten sie ihn zuerst für ein Gespenst, und es bedarf langer Reden, bis sie sich überzeugt haben, dass er wirklich noch am Leben ist. – – Gegen Ende des Sommers steht auf einmal eines Sonntags, als alle in der Kirche sind, eine Wiege mit einem Kinde vor dem Altare. Über die Wiege ist eine goldgestickte Decke gebreitet, von einem Menschen ist aber nichts bei ihr zu sehen mit Ausnahme von zwei schönen Frauenhänden, die auf dem Wiegenrande liegen. Der Pfarrer erklärt, das Kind solle gewiss getauft werden, und es sei sicherlich der Vater des Kindes unter den Anwesenden. Hierbei blickt er auf seinen Knecht und meint, dass es wohl sein Kind sein würde, das ihm von der Insel Seley zugesandt worden wäre. Doch der Bursche leugnet hartnäckig und will durchaus nichts mit dem Kinde zu tun haben und verbietet dem Pfarrer, das Kind auf seinen Namen zu taufen. In demselben[312] Augenblick verschwindet die Wiege, ein lautes Schluchzen wird hörbar, und jemand scheint sich weinend aus der Kirche zu entfernen und dem Meere zuzuwandern. – – Einige Zeit darauf verfällt der Knecht in Schwermut, und sein Leben hindurch bereut er seine Treulosigkeit gegen die Tochter des Elbenkönigs von Seley.

Mehrere andere isländische Erzählungen haben den gleichen Inhalt (Árn. I S. 83–89). Es fehlt in ihnen nur die märchenhafte, ausführliche Beschreibung, wie der auf der Insel Zurückgelassene den Winter hindurch verbrachte. Sie gehen hierüber kurz hinweg, meist mit der Erwähnung, er habe bei Elben Aufnahme gefunden und habe dann im nächsten Frühjahr unter der Bedingung heimkehren dürfen, dass er seinem Kinde später die Anerkennung nicht versage. Wie er nun sein Wort nicht hält, wird er von seiner Geliebten verflucht. Er solle zum schlimmsten Walfisch werden und künftig vielen Schiffen zum Verderben gereichen. Lange Zeit lebt er unter dem Namen Rauðhöfði oder Faxi im Meere, bis endlich ein vielkundiger Pfarrer dem Unwesen ein Ende macht und ihn zwingt, immer weiter flussaufwärts zu schwimmen, bis er an der Anstrengung zu Grunde geht.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 310-313.
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