10.

[179] Die von L. hatten nie eine Schnecke gesehen. Ein Weib war einmal auf dem Berge und sah unter einer Zunder eine Schnecke, welche gerade die Hörner ausstreckte. Voll Schrecken lief sie heim und erzählte dem Gemeindevorsteher, was sie gesehen. Dieser war auch nicht wenig erschrocken, aber er fasste sich und schickte sogleich einen Mann nach Trient, um einen Säbel zu kaufen, welcher dreihundert Gulden kosten müsse; unterdessen aber liess er das Dorf Tag und Nacht von allen Seiten bewachen. Als der Mann mit dem Säbel[179] kam, versammelte der Gemeindevorsteher alle Männer und sprach: »Ich will mich nicht der Todesgefahr aussetzen; wer es aber wagen und hingehen will, soll eine grosse Summe Geldes erhalten.« Da entschlossen sich zwei der muthigsten, nahmen den Säbel und stiegen auf den Berg. Dort fanden sie eine Schnecke, welche am Rande eines fast durchnagten Blattes sass. Als sie schon den Streich führen wollten, fiel die Schnecke vom Blatte. Sie aber glaubten, die Schnecke wolle sie angreifen und rannten in blinder Angst so, dass sie über eine Felsenwand herabstürzten und sich zu Tode fielen. –

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 179-180.
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