2. Die drei Waffenschmiede.1

[6] Vor alten Zeiten2 lebten in der Stadt Worms am Rheine drei wackere Brüder, Riesen von Ansehen. Die betrieben das edle Schmiedehandwerk. Da kam3 eines Tages von ungefähr ein greulicher Lindwurm4 vor die Stadt, der hatte einen so giftigen Atem, dass alles, was sein Hauch berührte, verdorren musste, und einen Rachen, dass er den grössten Ochsen lebendig verschlingen konnte. Er that den armen Bürgern grossen Schaden5. Denn wo er nur konnte, riss er mit seinem gewaltigen Ringelleibe die Häuser um und verschlang er Menschen und Tiere6.

Doch wenn man ihm täglich einen Menschen zur Speise von der Mauer herunterwerfen wollte, dann versprach er, die anderen alle zu verschonen. Dass sich keiner freiwillig dem Lindwurm ausliefern wollte, kann man sich wohl denken. Da bestimmte denn die Königin, welche nach dem Tode ihres Gemahls die Stadt Worms beherrschte, dass sie alle das Los ziehen wollten. Auf wen es falle, der solle dem Wurm vorgeworfen werden. Als nun die guten Wormser sahen, dass selbst die Königin für das Wohl der Stadt ihr Leben lassen wollte, gingen sie darauf ein und Tag für Tag erhielt der Lindwurm sein unglückliches Opfer und des Klagens und Weinens war kein Ende.

Doppelt gross aber wurde das Leid der Wormser, als das Los einstens auf die Königin selbst gefallen war. Schon wollte sie auch ihr Versprechen halten und sich dem Lindwurm ausliefern lassen. Da wurde dem argen Wurm ein Schnippchen geschlagen.

Unsere drei Waffenschmiede hatten sich nämlich einen Panzer geschmiedet, aus festem Stahl und über und über mit langen scharfen Messern bedeckt. Wen von ihnen das Los treffen würde, der sollte diesen Panzer anlegen und, sobald ihn der Wurm verschlungen, mit den spitzen, scharfen Messern ihm den Leib aufschlitzen.

Kaum hatte nun der eine der Brüder von dem Unglück der Königin gehört, da trat er vor sie hin und sprach: »Edle Frau Königin, ich will für dich das Leben wagen. Nur musst du mir versprechen, mein Ehgemahl zu werden, wenn ich lebendig zurückkomme.« Die Königin willigte mit Freuden ein, und kaum hatte der Wurm den tapferen Schmied in seinem Rachen, da lag er auch schon mit gespaltenem Leib in seinem Blute.

Wie gross war der Jubel der Wormser, als sie den Helden[7] gerettet und das böse Ungetüm verendet sahen! Nun atmete alles auf nach der langen Angst und Plage. Der mutige Schmied wurde der Ehegemahl der Königin und Beherrscher der Stadt und beide freuten sich noch lange ihres Glückes.

Zum ewigen Andenken aber erhielt die Stadt damals nach dem greulichen Wurm den Namen Worms und von dem wackeren Schmied einen Schlüssel zum Wappen. Und die führt sie noch heute.

1

MN 14. Aehnliche Drachengeschichten bei Schw. 80 (Schw. 29,92 bespricht die Sage von Perseus und St. Georg, an den ein Siegel bei Levy, Siegel und Gemmen, Bresl. 1869. Taf. III und das Schiffszeichen der Thebaner erinnert) u. Benf. I, 752 f. Die Wundergläubigkeit der Wormser persiflirt die Anekdote: das Wormser nes (Wunder). Ein Mann will goumel benschen (für Rettung aus Gefahr danken, vgl. Perles 129), weil seiner Frau eines seiner Hemden von der Wäscheleine heruntergefallen. Welchen Schaden hätte er also nehmen können, wenn er darin gesteckt hätte! Vgl. Mitt. 63 n. 4.

2

o. j Ma'ase warum die stadt Worms heisst.

3

o. war gekommen zu fliehen.

4

o. lintwurm aus der midbar (Wüste).

5

o. alls was er hot gekrogen, hot er chorubh (zu schanden) gemacht.

6

o. behemouth ein geschlunden.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 6-8.
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