25. Die beiden Fremden.1

[33] Die Wormser Juden werden einst beschuldigt, bei einer Prozession ein Heiligenbild geschändet zu haben. Sofort wurden sie alle für vogelfrei erklärt, und die ganze Gemeinde sollte es mit dem Leben büssen, wenn sich der Schuldige nicht bis zu einem bestimmten Tage stellen würde.

Doch wer hätte sich dazu melden sollen? So kam denn der schreckliche Tag unter Angst und Beben heran, und alles[33] war auf den Tod gefasst. Da fand der Pförtner, als er an jenem Tag des Morgens die Judengasse2 öffnete, zwei Fremde davor, welche bekannten, das Verbrechen begangen zu haben. Das sagten sie auch den Wormser Bürgern, als diese den Schuldigen abholten. Und so starben sie unter furchtbaren Qualen, doch die Gemeinde war gerettet.

Zum ewigen Andenken an dieses Geschehnis bestimmte man, dass der beiden Fremden stets an diesem denkwürdigen Tage, dem Schluss des Pesachfestes, bei der Seelenfeier gedacht werde.

1

M N 3. o. 'orchim.

2

o. judenpforte.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 33-34.
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