27. Papst und Jude.1

[35] Zu Mainz lebte einst ein frommer Mann, namens Meister Simon der Grosse2. Der hatte in seinem Hause drei grosse Spiegel3 hängen, in denen konnte er alles sehen, was geschehen ist und was geschehen soll. Auch sah man auf seinem Grabe4 zu seinen Häupten einen Quellbrunnen hervorsprudeln.

Diesem Meister Simon wurde einst von einer Dienstmagd5 sein Söhnchen Elchonon entführt und getauft. Elchonon wurde Geistlicher und stieg höher und immer höher, bis er schliesslich gar Papst6 wurde. Als solcher zeigte er sich den Juden günstig, wie keiner seiner Vorgänger. Er zog auch welche von ihnen an seinen Hof, besonders gern aber spielte er mit Juden Schach7.

Eines Tages, da ihn wieder die Sehnsucht nach seinem alten Vater quälte, erliess Elchonon an dem Bischof von Mainz den Befehl, die dortigen Juden zu vertreiben. Die Juden sandten deshalb, so hatte es ja Elchonon richtig vorausgesehen, an den Papst eine Abordnung, zu der auch der alte Meister Simon gehörte. Der Papst nahm die Gesandtschaft sehr freundlich auf und lud Meister Simon zu einer Partie Schach ein. Wie erstaunte der aber, als der Papst da vor ihm einen seltenen Zug that den er seinem Elchonon einst gezeigt hatte! Und nun liess dieser seine Kardinäle und sonstige Anwesende hinausgehen und gab sich seinem Vater zu erkennen8.

Die Juden kehrten natürlich mit den besten Geleitsbriefen nach Mainz zurück, und der Befehl des Bischofs wurde aufgehoben.

Später besuchte Elchonon seine alten Eltern.

1

Maa. 188. H. I, 22. A L 523. – Aehnlich lautet die noch heut im Volke lebendige Ueberlieferung von der Erbauung der »Reb Eisek [chathan] Reb Jekeles-Schul« (vgl. Grünbaum 428) in Krakau. R. Eis., ein armer Pfandleiher, hatte eine Aufwärterin, deren Kind er hin und wieder beschenkte. Nach vielen Jahren träumte er einst, es liege in Wien unter einer Brücke ein grosser Schatz vergraben. Am nächsten Morgen reist R. Eis. sogleich nach Wien und begiebt sich an die Stelle, wo der Schatz liegen sollte. Doch alles Graben und Suchen bleibt erfolglos. Nach einiger Zeit träumt aber R. Eis. wieder dreimal in einer Nacht von jenem Schatze. Er lässt sich auch diesmal die Reise nicht verdriessen und spricht, wie er das erste Mal gethan, beim Vorsteher der Wiener Gemeinde vor. Der wundert sich nicht wenig, R. Eis. schon wieder in Wien zu sehen. Aber als ihm nun gar R. Eis. seinen Traum erzählt, da will er seinen Ohren nicht trauen. In derselben Nacht hatte er selbst nämlich einen Traum, dass auf dem Hofe eines gewissen R. Eis. in Krakau ein reicher Schatz zu finden sei. »Das bin ich ja selbst«, ruft R. Eis. ganz ausser sich vor Freude. Er reist nach Haus und findet wirklich den Schatz auf seinem Hofe. Zum Danke beschliesst er sogleich, ein Gotteshaus zu bauen. Da es hierzu der Erlaubnis des Papstes bedurfte, reist er nach Rom. Kaum erblickt ihn aber der Papst – es war kein anderer, als der Sohn jener Aufwärterin –, als er auch sogleich seinen einstigen Wohlthäter in ihm erkennt. Und wie nun R. Eis. ihm seine Ehrerbietung bezeigen will, schliesst er ihn in seine Arme und giebt sich ihm zu erkennen. R. Eis. erhält in goldenen Lettern die päpstliche Erlaubnis, »alles und überall zu bauen.« Die »Schul«, die nach ihm benannt ist, wird auf's kostbarste erbaut, statt des Mörtels sogar Eiweiss genommen. – Die Juden haben also wie eine Königslegende (über Schaul Wahl [s], [der übrigens in dem Ahnensaal im Briefsteller Seeb Wolf Kohns neben R. Eisek eine Stelle gefunden] König von Polen, s. Bernsteins »Vögele der Maggid« 74 f., über Walsch: Perles 138) so auch ihre Papstsage. Vgl. Güdemann, Erz. u, 79.

2

Vgl. Schem hag. Eine andere Sage von R. Simon: Hirschs Jeschurun II, Frkf. a.M. 1856, S. 117 (abweichend vom Seder ha-doroth).

3

Ueber Elias Zauberspiegel s. Jahrb. f. jüd. Gesch. I, 117 f. Vgl. Roskoff I, 349 u. »Schneewittchen«. Die japanischen Zauberspiegel zeigen, wenn starkes Licht darauf fällt, Gravirungen auf der Rückseite. Ueber Erdspiegel s. Horst, Dämonomagie I, 276 f.

4

o. aus sein qebher auf dem beth chajjim. – Wunder an Grabsteinen: oben N. 7 Anm. 7. Frankl, Nach Jerusalem I, 210 berichtet über zwei sagenumwobene Grabsteine in Konstantinopel. (Vgl. Gr. II. 80: »Mit diesem Stein [im Wasichenwald] hat es die wunderbare Bewandtniss, dass man ihn zwar aufheben, und mit der Hand in die Höhle reichen, niemals aber den Stein ganz von der Stelle wegbringen kann.«) – Eine Sehenswürdigkeit des Friedhofes zu Hannover ist ein Grabstein, von einem Baume durchwachsen.

5

o. schabbothgoje.

6

o. apfior, vgl. Berliner, Juden i. Rom II, 2 S. 193.

7

o. schâchzabel, vgl. Tristan 2219 n. sonst. – Salomo als Schachspieler: H. 1, 41.

8

Der Erkennungsszene I M. 45, 1 nachgebildet.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 35.
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