[55] 18. Mac Conglinnes Vision

Cathal Finnguines Sohn, ein großer König von Munster, war freßgierig wie ein Hund und aß wie ein Gaul. Ein Freßteufel saß in ihm; Satan verschlang zugleich mit ihm sein Essen. – Aniar Mac Conglinne aus der Klostergemeinschaft im großen Athan-Muru war ein glänzender Scholar. Er begab sich von Athan-Muru auf einen Rundgang durch Irland: aus Eogans Land nach Airgialla, nach Ard-Macha, über den Fuat-Berg, über das Murthemne-Feld, nach Cremthinne, ins Roß-Gebiet, auf den Taltiu-Hügel. Er hatte einen einzigen Burschen bei sich; das war der Sohn des Grinds. Sie kamen nach Kenannos. Dort verbrachten sie die Nacht in der Steinkirche, ohne etwas zu essen zu erhalten. Am andern Tag sagte Mac Conglinne vor allem Volk: »Schülerlein, wolln wir nicht ein Wettlied singen? Sing die Strophe du aufs Brot, ich von andern guten Dingen.« »Das haben wir wirklich nötig,« antwortete der Sohn des Grinds, »da wir in dieser Gemeinschaft seit gestern Abend fasten.« Vor der nächsten Nacht[55] brachte man ihnen so viel Trank und Speise, daß zwanzig davon hätten satt werden können. – Am andern Tag gingen sie durch ganz Mide, über den Usnech-Hügel, zu Colum-Killes Eichenfeld in Nialls Land, über den Bladma-Berg, westwärts nach Ele, über den Boden von Munster, über Machire-na-Cliath ins Dedad-Röhricht. Eben zogen die Munsterleute in Scharen nach dem großen Cork in Munster, um am Festtage von Barre und Nassan zu fasten. »Ich möchte dir einen guten Rat geben, Mac Conglinne,« sagte der Sohn des Grinds, »wie wir in Cork zu essen bekommen. Wir wollen sagen, du seist ein Mann der Kunst; dann wird man nicht wagen, uns ohne Nahrung zu lassen.« »So solls geschehen,« erwiderte Mac Conglinne. – Sie traten ins Gästehaus von Cork. Darin war ein großer Hund. Der stürzte heraus und warf den Sohn des Grinds in eine Pfütze, bis Mac Conglinne hinzukam. Mönchlein, der Abt von Cork sagte: »Seht nach, ob heut abend jemand im Gästehaus ist, der gern eine Mahlzeit hätte.« Ein junger Kleriker ging hin und sah nach. »Ist irgend jemand da?« rief er hinein. »Du redest nicht wohl,« sagte der Sohn des Grinds. »Hier ist ein trefflicher Meisterdichter; den verpflegt ihr schlecht! Er wird die Kirche schelten. Denn er ist heut weit von seinem Geschlecht entfernt.« Das wurde Mönchlein von dem jungen Kleriker berichtet. »So zünde man ihnen ein Feuer an mit grünem Reisicht und bringe ihnen ein Becherchen Haferkorn!« Da sagte Mac Conglinne: »Nie eß' ich wohl, bin ich nicht dem Verhungern nah, von Corkschem Hafer ein Becherchen, das Becherchen Corkschen Hafers da!« Das erzählte der Bote Mönchlein. Der rief: »Hinaus, ihr jungen Kleriker! Bindet den Mann der Kunst! Morgen soll er gehängt werden, weil er die Kirche verspottet hat!« Da wurde Mac Conglinne ergriffen und gefesselt vor Mönchlein geführt. »Ich heiße dich nicht willkommen,« sagte Mönchlein. »Morgen wirst du für dein Schmählied gehängt.« »Gewähre mir eine Bitte, Edler,« bat Mac Conglinne, »um Barres willen, dessen Festtag heut ist.« »Welche Bitte?« »Nun,« sagte Mac Conglinne, »daß ich mich heut an Trank und Speise sättigen und in deinem Bett mit seinem Zubehör an Matratzen und Decken schlafen darf.« »Um des Schutzpatrons willen will ich dirs gewähren,« erwiderte Mönchlein. Nachdem sich Mac Conglinne satt gegessen und getrunken hatte, legte er sich hin und fiel in tiefen Schlaf. Da sah er im Schlaf einen Kleriker auf sich zukommen; der hatte einen weißen Mantel mit goldenem Dorn und ein langes, seidenes Hemd auf der weißen Haut und gelocktes, grauweißes Haupthaar. »Ei, du Armer,«[56] sprach er, »du schläfst gut und hast doch den Tod vor dir!« »Wer bist du?« fragte Mac Conglinne. »Muru,« antwortete er, »ich bin gekommen, dir Hilfe zu bringen.« »Was für Hilfe?« »Merke dir die folgende Vision, und erzähle sie vor Konig Cathal, so wirst du ihn von der Freßsucht heilen.« Und Muru sang die Vision; und Mac Conglinne behielt sie im Gedächtnis. – Am andern Tag wurde er zur Hinrichtung in die Versammlung der Männer von Munster geführt, wo auch Cathal und die Edeln von Munster waren. Cathal sagte aber, er lasse keinen Barden hängen; das sollten die Kleriker selber tun, weil sie sein Vergehen kennten. »Gewährt mir eine Bitte, Cathal und ihr Edeln von Munster!« bat Mac Conglinne. »Welche Bitte?« fragte Cathal. »Daß ich mich an Wasser satt trinken darf, das ich mir selber schöpfe.« Das sei dir gewährt,« sagte Cathal. Man führte ihn zur Quelle. Da legte er sich auf den Rücken, zog seinen Dorn aus dem Mantel, tauchte ihn in die Quelle und ließ so immer ein Tröpfchen von der Spitze des Dorns in seinen Mund rinnen. Das wurde Cathal berichtet. »So gewährt ihm Frist bis morgen früh,« sagte er. – Am Abend ging Cathal in das Haus Pichans, des Sohnes Maelfinns, und Mac Conglinne kam auch dahin und trat vor ihn hin. Man brachte Cathal eine Portion ausgesuchte Äpfel. Da stellte sich Mac Conglinne dem König gerade gegenüber, indem er leer kaute. »Was soll das, Mann der Kunst?« fragte Cathal. »Ich schäme mich, daß der König von Munster allein ißt.« Da schenkte ihm Cathal einen Apfel. »Man läßt nie einen allein vor Gericht,« sagte Mac Conglinne. Da gab er ihm einen zweiten Apfel. »Die Zahl der Dreieinigkeit,« sprach Mac Conglinne weiter. Da gab er ihm den dritten Apfel. »Vier Bücher des Evangeliums.« Er gab ihm den vierten. »Fünf Bücher Mose.« Er gab ihm den fünften. »Sechs Lebensalter.« Er gab ihm den sechsten. »Sieben Gaben des heiligen Geistes.« Er gab ihm den siebenten. »Acht Seligpreisungen im Evangelium.« Er gab ihm den achten. »Neun Grade der himmlischen Kirche.« Er gab ihm den neunten. »Der zehnte der der irdischen Kirche.« Er gab ihm den zehnten. »Die Zahl der Apostel nach Judas' Fehltritt.« Er gab ihm den elften. »Die zwölf Apostel des Herrn.« Er gab ihm den zwölften. »Christus, das Haupt der Apostel.« Er gab ihm den dreizehnten und rief: »Für den wären alle nicht zu viel!« indem er das Leder voll Äpfel unter die Menge ausschüttete. Da sprangen alle auf und griffen zu. – Mac Conglinne aber sagte zu Pichan Maelfinns Sohn, wenn man ihm die Zubereitung von Cathals Mahl überlasse, werde es den Leuten von Munster[57] zum Vorteil gereichen. Da wurden ihm unter Pichans Bürgschaft die Fesseln abgenommen. Er badete sich, zog ein weißes Hemd und eine weiße Schürze an und zündete vor Cathal ein Feuer von trockenem Eschenholz an ohne Rauch, ohne Dampf, ohne Funken. Oben ließ er über dem Feuer neun Öffnungen. Und man brachte ihm neun Bratspieße mit langer Spitze aus weißem Haselholz vom Wurzelstock des Haselstrauchs und vier alte Speckseiten und zwei frische Schweine. Er schnitt sie in Stücke und steckte je ein Stück frischen Speck zwischen zwei Stücke alten Speck, nachdem er sie mit Honig und mit Salz besprengt hatte. »Wer ist denn das?« fragte Cathal. »Einer, der zu kochen versteht,« antwortete Pichan. »Ist es nicht der Barde?« »Ja, der ist's.« »Er kocht gut,« sagte Cathal, »er soll mir schnell mein Essen bereiten.« »Gewähre mir eine Bitte, Edler!« sagte Mac Conglinne zu Cathal. »Welche Bitte?« »Daß kein anderer im Haus sprechen darf, bis ich dir ein Traumgesicht, das ich letzte Nacht gehabt habe, zu Ende erzählt habe.« »Es sei dir gewährt. Erzähle schnell! Und wer ein Wort spricht, wird morgen mit dir gehängt werden.« Da erzählte Mac Conglinne: »Als ich in meinem schönen Prachtbett lag, Cathal, – das hatte Pfosten aus Silberbronze, die oberen Enden vergoldet, Seitenbretter aus Bronze, eine Unterlage von frischen Binsen, eine rote Flaum-Matratze, ein flaumiges Kopfkissen –, da hörte ich eine Stimme zu mir dringen: ›Steh auf, armer Mac Conglinnel!‹ Ich gab keine Antwort. Das ist natürlich; mein Bett war so warm, mein Leib so behaglich, mein Schlaf so fest. Da sprach sie wieder: ›Achtung, Achtung, Mac Conglinne, vor der Sauce, daß sie dich nicht mitreißt in den Fluß der Brühe! Flieh, sonst ertränkt sie dich!‹ Da sprang ich leicht und gewandt auf, so schnell, daß sich keine Mücke auf mein Gesicht hätte setzen können, und sah einen Kerl auf mich zukommen. ›Schön!‹ sagte er zu mir. ›Schön!‹ gab ich ihm zur Antwort. ›Wer bist du, armer Wicht?‹ fragte der Kerl. ›Ein armer Scholar,‹ erwiderte ich, ›der Heilung sucht von Heißhunger, von Eßgier und von unerträglichem Durst.‹ ›Armer Wicht, hier findest du einen, der dir den Weg weisen wird zum Altar von Nierenfett, der westlich von der Kirche liegt, bei der du dich befindest, am Paß der Brühe im Gebiet der Frühesser, gerade vor der Einsiedelei des Arzt-Wahrsagers.‹ ›Wie heißt du?‹ fragte ich. ›Ich?‹ fragte er. ›Ja, du.‹ ›Schmutzrülpser, Sohn des Durchfalls, aus dem Geschlecht Ulgabs des Furchtlosen spricht mit dir und wird dir den Weg weisen.‹ Wie er so sprach, machte ich mich auf den Weg gradaus und[58] schnell entschlossen, eifrig und energisch, wie sich der Fuchs über sein Fressen macht oder der Hirsch übers Weizenfeld oder das Bäuerlein über die Königin. Und wir überstiegen den Butterberg und sahen am Rande eines Sees ein kleines, saftiges Boot aus Rinderfett liegen, seine Haut aus Talg, sein Ruder aus Dick-und-Dünn des Ebers, sein Hinterteil aus Schinken, sein Bug aus Eierrahm, seine Bänke aus altem Speck, sein Ruderpflock aus Mark, seine Wasserschaufel aus Formkäse; so sah das Boot aus, in das wir stiegen. Wir ruderten über den See von Frischmilch, über die Untiefen von Sauermilch, durch die Sturmflut von Buttermilch, durch die Spritzer der Brühe, an den Dickmilchinseln vorbei zu den Quark-Klippen, zu den Molken-Inseln, über den Seekies von Honigseim und stießen ans Land zwischen der Butter-Mündung, dem Quark-Berg und dem Milch-See an der saftigen Grenze der Frühesser am Eingang zur Einsiedelei des Arzt-Wahrsagers.« Und Mac Conglinne sang:


Einen Traum hab ich erblickt,

Wunderbarlich! Ich erzähls

Hier vor jedermann.

Ganz von Talg lag da ein Boot

In dem Hafen des milchigen Sees

Über lieblichem Naß.

In das Kriegsboot stiegen wir,

Heldenhaft war unsre Fahrt

Über die Wogen der Flut;

Tauchten unsere Ruder ein

Durch die Enge des Meeresstrands,

Wühlten auf des Meeres Frucht,

Honiggleichen Kies.

Trafen eine schöne Burg,

Ihre Wälle aus Eierrahm

Drüben über dem See.

Frische Butter die Brücke davor

Und der Steinwall Weizenmehl,

Pallisaden aus Speck.

Stattlich war es ausgeführt,

Jenes edle, mächtige Haus,

Das ich jetzt betrat:

Seine Tür aus Trockenfleisch,[59]

Seine Schwelle pures Brot,

Dickmilch seine Wand.

Glatte Pfeiler aus altem Käs,

Säulen auch aus saftigem Speck,

Wechselnd nach der Reih,

Prächtige Stützen aus altem Rahm,

Weiße Pfosten aus richtigem Quark

Trägen jenes Haus.

Hinten drin ein Quell von Wein,

Rinnen mit Bier und Malzgebräu,

Schmackhaft jeder Trunk,

Milde Bierwürz auch, ein Meer,

Neben dem Brunnen von Sauermilch,

Der es mitten durchströmt.

Fleischbrühsuppe bildet den See,

Überdeckt von flüssigem Schmalz,

Zwischen Haus und Meer.

Und ein Zaun von Butter umläuft,

Oben mit weißem Fett gekrönt,

Draußen den Wall im Feld.

Apfelbäume duften gereiht,

Purpurgeränderte Blüten, ein Wald,

Zwischen Haus und Berg.

Hoch ragt dort ein Gehölz von Lauch

Und von Zwiebeln und gelber Rüb

Westlich hinter dem Haus.

Die Bewohner hochgeehrt,

Männer rot und wohlgenährt,

Um das Feuer im Haus.

Sieben Bänder und Ketten am Hals

Aus Kaldaunen oder aus Käs

Trägt dort jedermann.

Sah den Herrn des Hauses auch

Mit dem Talar aus Rinderfett

Und sein stattlich Weib,

Sah den tüchtigen Truchseß auch

An des hohen Kessels Rand

Gabelschulternd stehn.

Cathal, Sohn des Finnguinne,[60]

Trefflicher, den hoch ergötzt

Wohlerzählte Mähr,

Groß war einer Stunde Tat,

Wohl wert, daß man sie erzählt;

Die gewundne Fahrt des Boots

Über des Milchsees Meer.


»Dann kamen wir weiter auf das Rahmkäs-Pflaster, ins Talg-Gebüsch, auf den Altspeck-Acker. Da umringte uns ein dunkler Schmalznebel, daß wir Himmel und Erde nicht erkennen konnten, noch den Ort, auf den wir zugehen sollten. Und ich stieß mit dem Rücken an einen Grabpfeiler aus Quark, daß er mir beinahe die Schädelknochen zerschmettert hätte. Ich streckte meine Hand vorwärts, um mich aufzurichten, und fuhr bis an den Ellbogen zwischen Ballen frischer Butter. Da sah ich Spiegelei, den Burschen des Arzt-Wahrsagers, in einem See voll frischer Milch fischen mit einem Angelhaken aus Mark, einer Leine aus Schmalz und einer Rute aus Talg. Das eine Mal zog er einen Lachs von altem Speck heraus, das andere Mal fing er einen Lachs von Rinderfett. Er hatte einen großen Knüttel von gesottener Braunwurst in der Hand; damit gab er ihnen einen Streich, daß sie zu seinen Füßen auf dem Schiffsdeck von Quark zappelten. ›Woher kommst du, armer Wicht?‹ fragte der Bursche. ›Von fern, von nah,‹ erwiderte ich. ›Wohin willst du?‹ ›Nach der Einsiedelei.‹ ›Armer Wicht,‹ sagte er, ›du kennst den Weg nicht. Heut abend kannst du die Einsiedelei nicht erreichen. Sondern lagere dich zwischen dem Butterberg und dem Milchtrunk-See, den Butterberg vor dir, den Formkäs-Berg hinter dir, am Fuße des Rahmbaums auf dem Grab von Rundschüssel in der Einsenkung von Weizenfeld. Sende Boten zu den Häuptlingen der Stämme der Speise, daß sie dich in Schutz nehmen gegen die Schwerwogen der Saucigen, damit diese dich nicht ertränken; sie sollen kommen und ihnen zu Trotz dich in Obhut nehmen, da du der erste mit Menschenantlitz bist auf der Insel, die du erreicht hast.‹ Ich bezog das angegebene Lager, und das war keine Nacht in Dornen bei der Fülle der Milchspeisen. – Früh am andern Tag stand ich auf, ging zur nahen Schmalzquelle und wusch mir die Hände und glättete mein Haar; dann ging ich nach der andern Seite zur Sauermilchquelle und trank dreißig Männerschlücke daraus, um mein Herz für die Reise zu stärken. Dann machte ich mich auf Weg und Wanderung. – Da begegnete ich Beccuot der[61] Milden Brühigen, der Tochter Betans des Starkessers, der Großmutter der Stämme der Speise; sie ritt auf einem Klepper von Talg, der hatte zwei runde Augen aus Dickmilch und einen siebenzackigen Zügel aus gutem, weißem Salz; sie trug einen Talar aus Rinderfett, einen Gürtel aus Fischrogen, auf dem Haupte ein Kopftuch von Magenschwarte, um den Hals ein Kugelhalsband, das aus siebenmalzwanzig und sieben Kugeln aus dem Mark von Mugdorna-Schweinen bestand. Die Königin begrüßte mich und fragte mich aus, wohin mich mein Weg führe. ›Zur Einsiedelei,‹ antwortete ich. ›Du bist nicht weit davon. Doch wird es dir nicht schaden, alle laute Rede zu vermeiden, bevor du die Regel der Ehrwürdigen kennst, die in der Klause wohnen.‹ – Die Klause lag in einem Tal zwischen dem Butterberg und dem Milchtrunk-See im Gebiet der Frühesser. Sie war umgeben von vier Pfahlzäunen aus altem Speck ohne Häutchen, ohne Schwarte, und oben auf jedem Pfahl das Fett eines ausgesuchten Ebers. Sie hatte eine Vorhalle von Käse, eine Tür von Quark, Barren von Schweinefett, Türringe von Talg, einen Bolzen von Wurst, einen Türklopfer von Butter. Ich pochte mit dem Butterklopfer an die Quarktür, bis die zwei Pförtner, Leerbauch, Sohn von O'Essen, und Mulba, Sohn von Gurgel, heraustraten, indem sie einen Schmalznebel um sich verbreiteten. Mit solcher Wucht ergriffen sie über die Fettbarren weg die Talgringe, daß sie nicht nötig hatten, den Wurstbolzen zu öffnen. Ich aber entschlüpfte zwischen Wandgeflecht und Türpfosten. Dann sah ich einen Kleriker eine Glocke aus Metil schlagen; der glänzendweiße Stift, der als Klöppel diente, war aus siebzehn Wagschalen Sachsensalz geformt. Und ich sah den Steinweg, der von einem Klerikerhaus zum andern führte; der war so gebildet, daß sich ein in Butter gebackenes, mit Feinsalz und Honig besprengtes Weizenbrot an das andere reihte. Und ich sah die Bretterkirche: Bretter aus den Speckseiten siebenjähriger Eber bildeten die Wandung der Kirche; die Pfosten waren von altem Käse, die Ziegel von Talg, die Dachspitzen von Schweinefett; der Altar von Nierenfett stand in der Osthälfte. Da sah ich den Oberkleriker, den Oberwahrsager, aus dem Haus vor der Kirche kommen mit einer Krone von siebenundzwanzig weißen Butterballen auf dem Kopf und über der Krone siebzehn Reife aus Lauchbüscheln. Er ritt auf einem Gaul von altem Speck mit Hufen von Gelbrüben, mit einer Mähne von Meerfarren, mit einem Schwanz von Schinken; mit den duftenden, reifen, braun-purpurnen Schlehen aus seinen Nüstern hätte man sieben[62] Stadtwagen füllen können. Er hielt eine Geißel in der Hand, an der siebenmalzwanzig und sieben Würste hingen. Wenn er sie auf den Gaul fallen ließ, floß so viel Milch aus jeder Wurst, daß ein Priester mit bloßem Brot auf Tag und Nacht davon satt geworden wäre; und wenn er kräftig zuschlug, ließ der Gaul bei jedem Hieb Käse und Butterballen fallen. Und der Kleriker selber hatte einen Talar von Rinderfett, eine Spange von Rotmus, ein Hemd von zartem Schweinefett, einen Gürtel von Rogen, glänzendweißes Haupthaar von Rahm, eine Nase von Honig, der stetsfort über seine glatten Lippen von altem Speck floß, ein Kredenzbrett von weichem Metil auf der Brust mit einem Henkel von braungesottener Wurst, in der Hand einen Krummstab von weichgekochtem Seetang. Wenn er den Stab auf die Erde stieß, brachen sieben Bäche aus seiner Spitze hervor, von denen jeder eine Mühle Tag und Nacht hätte treiben können, und die waren lauter Brühe. Er hatte Hosen von Suppengemüse an den Beinen und Schuhe aus Schinken; auf dem rechten war der Raub von Cualnge und der Palast von Da-Derga, auf dem linken die Werbung um Etainn und die Werbung um Emer zu sehen. O du heiliger Sohn des Studiums, wie groß war seine Weisheit und sein weites Wissen über dem Apfel seines Halses und auf der Spitze seiner Zunge! ›Bete für mich, Kleriker!‹ sagte ich zu ihm. Da sprach er: ›Gute Speise behüte dich, armer Wicht! Guter Schluck bewahre dich! Alter Speck schütze dich! Woher kommst du, armer Wicht?‹ ›Ich komme von fern her, Edler, um von der schweren Krankheit, die mich begleitet, geheilt zu werden.‹ ›Welche Krankheit?‹ fragte der Arzt-Wahrsager. ›Freßsucht mit allen ihren Teilen: großer Durst nach Getränke, Fleischsaft und Fettbrühe; Heißhunger mit Hundegier und Pferdeappetit.‹ ›Du armer Wicht, was du zur Sättigung brauchst, ist nicht mehr, als was auf dieser Insel ein Kind von einem Monat verzehren würde, und was es hier immer fände, bis es zerfällt. Dein Bedürfnis, Speise zu vertilgen, ist gering. Es hieße den Hund auf einen Hasen hetzen, den Packsattel auf ein Fohlen legen, den Fuchs mit einem Stock jagen, dem Blödsinnigen Geschichten erzählen, dem Echo zurufen, eine alte Wackelfrau küssen, dem Tauben vorsingen, einem tollen eifersüchtigen Weib ein Geheimnis sagen, den Bach mit der Hand stauen, auf einer Ente reiten, den Pfeil gegen den Stein schießen, den Rauch in der Faust fangen, Sand mit einem Weidenzweig binden, einen alten Schädel einschlagen, aus Eibenwurzeln Honig ernten, Korn im Teufelsofen trocknen, Butter in der Hundestreu suchen, Wolle auf der[63] Geiß suchen, ein durchlöchertes Haus möblieren, du armer Mac Conglinne, das hieße dein Unterfangen, die Speise auf dieser Insel zu mindern; denn Hunger hat deine Därme zusammengeschnürt. Wenn du aber dennoch ein Unbehagen in dir verspürst, so will ich dir eine Kur angeben.‹ ›Was für eine Kur?‹ fragte ich. ›Iß heute abend da, wo du übernachtest, nichts. Steh morgen früh auf. Laß dir ein Feuer anzünden aus trockenem, gutem Brennholz von dem astigen Baum, auf dem die Fohlen auf der Höhe des Vorbergs ihren Mist ablegen. Laß nördlich vom Feuer ein Gewand ausspreiten. Eine flinke, weißzahnige, weißhandige, vollbusige, schönschenklige Frau gebe dir dreimal neun Bissen von süßer, wohlschmeckender Kost, jeder Bissen so groß wie das Ei des Waldhuhns. Und zu jedem Bissen gebe sie dir dreimal neun Schluck Milch. Fühlst du dann noch eine Krankheit – außer Durchfall – so komm zu mir, daß ich dich heile.‹

Der Kleriker sang sein Paternoster über mich und hing mir ein Evangelienbuch um den Hals; das bestand aus dem Schulterstück einer alten Speckseite ohne Häutchen, ohne Schwarte und hatte einen Henkel aus gesottener Braunwurst und Ecken aus Schweinefett. Und er sprach: ›Der glatte, saftige Speck behüte dich! Der feste, gelbliche Rahm behüte dich! Das Näpfchen, aus dem man die Kinder päppelt, behüte dich! Das mächtige Fett der Hämmel behüte dich! Der König, der diese Kuchen gesegnet hat, bewahre dich vor jedem Gefährchen! Er behüte dich! Er schütze dich!‹ Da machte ich mich auf zu den Häuptlingen der Stämme der Speise: zu Hand-auf-alles, dem puren Brot; zur gebrochenen Stirn, dem Eierrahm; zu Schlaf-nach-dem-Ende, der Kaldaune; zu den Leckerbissen-des-Palasts, den frischen Schweinen; zum Gefolge-des-Herbstes, den reifen Beeren; zum Vogel-auf-dem-Kreuz, dem Salz; zum Gefangenen-der-Fasten, dem Dünnquark; zur Sehnsucht-der-Unbemannten, der Frischmilch; zur Sehnsucht-der-alten-Weiber, dem Schweinefett; zum Haus der-zwei-Flächen, dem Brei; zu Breithand-dem-Weichen-Brühigen; zur Schwester-der-Priester, der Kohlsuppe; zu den Sternen-des-Palasts, den Hühnereiern; zu Nimm-aus-dem-Busen, dem Nußkern; zum Festgetriebe, dem duftenden Apfel; zum Fest-der-Gurgel, dem Spiegelei; zum Hinterchen-der-Königin, der Gelbrübe; zum Schlaftrunk, dem Met-und-Quark; zum Königsessen, dem Rinderfett; zu den vierundzwanzig schönen Fettaugen, die dich richtig anblicken; zu Bouillon, Lauch, Quark, Hammelfleisch, Eberfleisch, frischem Schwein, dickem Darm, dünnem Darm, dicker Milch, dünner Milch, Milch, die beim Einschlürfen[64] das Kauen erträgt, wie der Schimmel den Reiter, die gröhlt wie ein französischer Widder, wenn sie dir durch die Kehle rinnt, so daß der erste Schluck zum letzten Schluck sagt: ›Schlückchen, Drückchen, komm her und mach kehrt; kam ich, so geh ich; bei der Schreibtafel aus Speck und bei dem Kredenzbrett aus Schweinefett, das der Kleriker auf der Brust trug! bin ich auch hier, so bleib ich nicht hier; kommst du runter, muß ich rauf!‹ Das sind die Häuptlinge des Stammes der Speise.« – Damit bog Mac Conglinne seinen Arm, in dem er zwei Bratspieße mit dem gerösteten Speck hielt, und führte sie langsam gegen den Mund des Königs hin; der wollte Speck und Spieß verschlucken. Da zuckte er sie auf Armlänge zurück; und der Freßteufel sprang aus Cathals Kehle an den Bratspieß und vom Bratspieß in die Kehle des Burschen des Priesters von Cork, der beim Kessel mitten im Hause stand, und aus der Kehle des Burschen an denselben Spieß zurück. Rasch legte Mac Conglinne den Spieß in die glühenden Kohlen und stülpte den Kessel des Palastes darüber. Der König wurde in ein Schlafgemach getragen, das große Haus ausgeräumt und in Brand gesteckt. Und der Teufel stieß drei Schreie aus. – Am andern Tag stand der König auf und bedurfte zu seiner Sättigung nicht mehr als ein Kind im ersten Monat. »Dankst du mir's nicht, Edler, daß ich dich von der Freßsucht geheilt habe?« fragte Mac Conglinne. »Dankst du mir's nicht,« erwiderte Cathal, »daß ich dich heut nicht hängen lasse? Und das Amt, das du angetreten hast, das Zerlegen meiner Speise, soll dir auf immer gehören; dazu meine Rüstung, der Ring an meinem Arm, der Rock auf meinem Leib und Anspruch auf hundert Stück Vieh.« »Ei, Cathal,« sagte Mönchlein, »so entziehst du mir den Mann, der ein Schmählied auf die Kirche gesungen hat?« »So soll's nicht zugehen,« erwiderte Mac Conglinne, »sondern laßt die Richter vortreten. Lege du einen Einsatz von hundert Kühen in Cathals Hand, und ich will gleichfalls hundert einlegen; dann sollen die Richter sprechen, wem von uns der Ehrenpreis gebührt.« Die Richter sagten aus, Mac Conglinne habe Anspruch auf Buße und Ehrenpreis; denn er habe gar kein Schmählied verfaßt, sondern nur gesagt, er werde den Corkschen Hafer nicht essen. »Buße und Ehrenpreis fordere ich nicht,« sagte Mac Conglinne, »aber den Kapuzenmantel, der in deiner Zelle hängt.« »Du sollst ihn haben und meinen Segen dazu,« sagte Mönchlein.

So wurde Cathal Finnguines Sohn von der Freßsucht geheilt und kam Mac Conglinne zu Rang und Würden.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 55-65.
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