LV. Der arme Bursch, der Teufel und die goldene Burg.

[246] (Aus Karasjok.)


Es war einmal ein armer Mann und ein reicher Mann, welche Nachbarn waren, und der arme war dem reichen Nachbar sehr viel schuldig. Eines Tages ruderten beide auf die See hinaus, um zu fischen. Der Reiche war von Glück begünstigt. Er hatte in kurzer Zeit sein Boot mit Fischen angefüllt und ruderte wieder an's Land. Der Arme blieb noch lange draußen auf der See, konnte aber nicht einen einzigen Fisch bekommen. Endlich mußte auch er wieder ans Land; während er aber auf der Heimfahrt begriffen war, stieß das Boot auf den Grund und gleichzeitig hörte man unter dem Boote eine Stimme, welche sprach:

»Wenn du mir dasjenige versprichst, was dein Weib unter dem Herzen trägt, sollst du ebenso reich werden wie dein Nachbar!«

Der Mann versprach es.

»Wirf nun die Angelschnur aus!« sagte die Stimme wieder.

Der Mann that dies und es biß nun sogleich ein Fisch an. Derselbe war sehr schwer, endlich aber brachte der Mann ihn doch herauf, und als sein Kopf über den Rand des Bootes kam, rollte eine Menge von Goldmünzen aus seinem Munde. Der Mann warf abermals die Schnur aus und fing sogleich einen zweiten Fisch. Dieser gab keine Goldmünzen mehr von sich, aber im Laufe einer halben[247] Fluthzeit (3 Stunden) hatte er das Boot ganz mit Fischen angefüllt; der Fischer ruderte nun ans Land und ging heim.

Als er nach Hause kam, sah er eine Menge kostbaren Gutes im Hause liegen. Er fragte seine Frau, woher all dies gekommen sei, aber dieselbe wußte keinen Bescheid. Sie hätte eine Weile geschlafen, sagte sie, und als sie erwachte, hätte sie all dies vorgefunden. Nun ging er zu seinem Nachbar und zahlte ihm seine Schuld auf einmal voll aus. Der reiche Mann wurde ängstlich und dachte, daß er das Geld gestohlen haben müsse. Er sah in allen seinen Laden nach, konnte aber nicht entdecken, daß ihm etwas fehle.

Als der Mann zu seiner Frau zurückkam, erzählte ihm diese, daß sie guter Hoffnung sei. Der Mann hatte davon keine Ahnung gehabt, aber es verhielt sich nun gleichwohl nicht anders, und als die Zeit um war, brachte sie ihren Erstgeborenen zur Welt.

Als der Knabe acht Jahre alt geworden war, schickten die Eltern ihn zu dem Geistlichen in die Schule. Er war sehr groß für sein Alter und lernte leicht. An dem Tage, wo der Knabe sein fünfzehntes Jahr vollendete, kam der Teufel in einem Boote, das wie eine grüne Feuerflamme aussah, dahergerudert, um den Knaben zu holen. Als sie das Boot daher kommen sahen, begann der Geistliche einen Brief zu schreiben, den der Knabe mit sich nehmen sollte. Hierauf ging der Knabe zum Strande hinab, dem Teufel entgegen, und als dieser zu ihm sagte: »Komm nun, mein Junge, mit mir hinaus in das Boot!« hielt der Knabe dem Teufel den Brief entgegen.

Der Teufel wagte es nicht, ihn zu ergreifen, solang er den Brief in der Hand hielt. Er kratzte sich den Kopf und war ganz böse.

»Der Henker hole den Pfaffen,« sagte der Teufel, »der schuld daran ist, daß ich den Jungen nicht mitnehmen kann! Nimm das Boot dort und fahre mit mir hinaus auf die See!«

Der Geistliche stand am Strande und sah zu.[248]

»Nimm nur das Boot und rudere mit ihm hinaus auf die See!« sagte der Geistliche.

Als sie auf die See hinausgekommen waren, erhob sich sogleich ein furchtbares Unwetter, so daß der Knabe das Boot vor dem Winde dahintreiben lassen mußte. Der Teufel wollte nun, daß der Knabe in sein Boot herüber komme; aber so oft der Teufel sich näherte, hielt ihm jener den Brief entgegen.

Hierüber wurde der Teufel endlich so erbost, daß er wieder wie eine grüne Feuerflamme dahin ging, woher er gekommen war. Der Knabe aber trieb noch weiter vor Wind und Wetter dahin.

Endlich kam er zu einem Lande, welches er gar nicht kannte; aber dicht am Strande lag eine Königsburg, welche wie Gold glänzte. Der Knabe ging durch das Thor, über welchem sich die Inschrift in Goldbuchstaben befand, und gelangte in die Küche. Das Küchenmädchen verbat ihm laut zu sprechen, weil die Herrin drinnen schlafe. Aber der Bursch ging doch weiter und kam in die nächste Kammer. Das Kammermädchen verbot ihm ebenfalls laut zu sprechen, weil die Herrin im nächsten Zimmer liege und schlafe. Aber der Bursche ging trotzdem weiter, bis hinein zur Hausfrau selbst, und sah, daß sie noch schöner war als das Küchen- und als das Kammermädchen. Sie sprachen hierauf eine Weile mit einander, und es dauerte nicht lange, so wurden sie einig, daß sie einander heirathen wollten. Der Bursch sagte jedoch, er müsse, bevor dies geschehen könne, seinen Vater und seinen Pflegevater, den Geistlichen, besuchen. »Wenn ich nur wüßte«, fügte er hinzu, »wie ich reisen muß, um sie wieder aufzufinden.«

»Das hat keine Noth,« sagte die Braut. »Hier an meinem Finger habe ich einen Ring, der die Eigenschaft hat, daß man sich damit erwünschen kann, was man will und wohin man will!«

Der Bursch nahm den Ring von dem Finger seiner Braut, steckte ihn an seine eigene Hand und wünschte sich zu seinem Vater und Pflegevater, dem Geistlichen, zurück. Augenblicklich war er dort. Er erzähte ihnen nun Alles, was er erlebt hatte, von[249] der Zeit an, da er sie verlassen hatte; aber Niemand wollte ihm glauben. Er zeigte ihnen den Ring, den er an dem Finger hatte, aber sie wollten ihm auch jetzt noch nicht glauben. Spät am Abend, als sie bei dem Geistlichen genachtmahlt hatten, konnte der Bursch sich nicht länger zurückhalten, obschon seine Braut es ihm strenge verboten und gesagt hatte: »Du darfst mich nicht dahin wünschen, wo du mit den Deinigen bist!« Er wollte durchaus die Zauberkraft das Ringes zeigen und sagte:

»Es möge nun das Küchenmädchen kommen und den Tisch abräumen!«

Sogleich erschien das Küchenmädchen von der goldenen Burg, nahm den Teller weg, der vor dem Burschen stand, und verschwand wieder.

Als es Zeit war, zu Bette zu gehen, sagte der Bursch wieder:

»Es möge nun das Kammermädchen kommen und mein Bett machen!«

Sogleich erschien das Kammermädchen und machte das Bett. Der Bursch ging zu Bett und wünschte:

»Es möge nun meine Braut kommen, um an meiner Seite zu ruhen!«

Sogleich erschien auch die Braut; sie nahm den Burschen um den Hals und küßte ihn. Aber gleichzeitig zog sie auch den Ring von seinem Finger, ging wieder hinaus und Niemand sah sie wieder. Der Bursch begann sich bald so mächtig nach seiner Braut zu sehnen, daß er seinen Vater und Pflegevater verließ und sich auf die Wanderung begab, um die goldene Burg wieder aufzufinden. Zuerst kam er zum König der Fische:

»Guten Tag, Väterchen!« sagte der Bursch, »du kannst mir wohl keine Auskunft geben, wo die goldene Burg liegt?«

»Nein, ich weiß keinen Bescheid«, sagte der König der Fische; »aber ich will alle meine Fische zusammenrufen, vielleicht weiß einer von ihnen Bescheid!«[250]

Er pfiff alle seine Fische zusammen, aber keiner von ihnen konnte über die goldene Burg Auskunft geben. Es war jedoch der Seewolf1 noch nicht gekommen; endlich kam auch der.

»Weshalb kommst du so spät?« fragte der König.

»Der Fischotter hatte mich erwischt«, sagte der Seewolf; »deshalb wurde ich aufgehalten; ich bin ihm nur mit genauer Noth ausgekommen!«

Aber auch der Seewolf konnte über die goldene Burg keine Auskunft geben. So zog denn der Bursch weiter und kam zum König der Vögel.

»Guten Tag, altes Väterchen!« sagte der Bursch, »kannst du mir keine Auskunft über die goldene Burg geben?«

»Nein«, sagte der König der Vögel, »ich weiß keinen Bescheid, ich will aber die Vögel zusammenrufen!«

Hierauf pfiff er die Vögel zusammen, aber keiner wußte etwas über die goldene Burg zu berichten. Der Schwan kam zuletzt. Er hatte Eier gelegt, und Menschen hatten bei seinem Neste eine Schlinge angebracht, in der er hängen geblieben war. Mit genauer Noth hatte er sich losmachen können. Aber als er endlich kam, wußte auch er nichts über die goldene Burg zu berichten.

Der Bursch zog wieder weiter auf seiner Wanderung und wußte selbst nicht, wohin er kommen würde. Während er so dahin ging, stieß er auf zwei Riesenknaben, die sich eben schlugen. Er trat zu denselben hin und fragte:

»Weshalb schlagt ihr euch denn? Es scheint, als ob ihr Brüder wäret; aber wenn es der Fall ist, weshalb schlagt ihr euch denn?«

»Ja, wir sind Brüder«, sagten die Beiden, »und wir schlagen uns wegen eines Mantels und eines Paars Schuhe, die wir von unserem Vater geerbt haben.«[251]

Der Bursch, welcher pfiffig und gut erzogen war, fragte was denn so Besonderes an den Schuhen und dem Mantel sei.

Ja, die Schuhe seien von der Art, daß man, wenn man sie an den Füßen habe, mit einem einzigen Hüpfer dahin kommen könne, wohin man wolle, und der Mantel habe die Eigenschaft, daß man unsichtbar werde, wenn man ihn trage.

»Ah, leiht mir Beides für einen Augenblick«, bat der Bursch, »damit ich versuchen kann, ob es wahr ist oder nicht!«

Die Riesenknaben wollten ihr Erbe nicht gerne dem Burschen anvertrauen, den sie ja gar nicht kannten, ließen sich aber schließlich doch überreden, da der Bursch versprach, daß er nur ein ganz kleines Stückchen weit hüpfen wolle, nur so weit, damit er einen Versuch machen könne. Der Bursch hatte jedoch Schuh und Mantel kaum angelegt, als er auch schon mit einem Sprung bis zur goldenen Burg hüpfte. Hier sah er ein großes vergoldetes Schiff im Hafen liegen. Bald erfuhr er auch, daß es ein Königssohn sei, dem das Schiff gehöre, und daß der Königssohn gekommen sei, um die Eigenthümerin der goldenen Burg zu freien.

Der Bursch ging unsichtbar in die Königsburg hinein und sah und hörte, wie der Königssohn um seine Braut freite. Er hielt sich jedoch verborgen, bis es Zeit war, schlafen zu gehen. Als seine Braut zu Bette ging, legte der Königssohn sich an ihre Seite.

Wie er nun aber seine Braut küssen wollte, versetzte ihm der Bursch einen Fußtritt auf den Mund. Der Königssohn konnte nicht begreifen, was ein solches Benehmen zu bedeuten habe. Er versuchte es nochmals; allein er bekam abermals einen Stoß von dem harten Riesenschuh, den der Bursch an den Beinen hatte.

»Weshalb gibst du mir einen Fußtritt?« fragte der Königssohn, ganz entsetzt über die unzarte Aufführung seiner Braut.[252]

»Ich gebe dir doch keinen Fußtritt?« sagte die Königstochter; aber der Bursch, der hinter der Braut lag, lachte im Stillen und versetzte dem Königssohne gleich noch einen Tritt, so daß derselbe erbittert auf und davon lief und zu seinem vergoldeten Schiffe eilte. Er habe von dieser Werbung mehr als genug, fand er, und segelte wieder nach Hause.

Der Bursch stand ebenfalls auf und ging hinaus, aber nur, um seine Riesentracht abzulegen. Hierauf kam er wieder herein und begann mit der Königstochter zu sprechen.

»Was war das für ein fremder Mann, der hier war, während ich fort gewesen?« fragte der Bursch.

»Es war ein Königssohn, der mich freien kam!« sagte die Braut.

»Nun, weshalb hast du ihn nicht genommen?«

»Ja, ich würde ihn schon genommen haben«, sagte die Königstochter, »aber er bekam Furcht vor mir!«

»Weshalb bekam er denn Furcht vor dir?«

»Ich weiß nicht, was es war; aber während wir nebeneinander lagen, behauptete er, daß ich ihm, statt ihn zu küssen, einen Fußtritt auf den Mund gegeben hätte. Er sprang voll Zorn auf und lief davon und ich wollte ihm nicht nachgehen; denn ich wußte, daß ich ihm nicht das Geringste zu Leide gethan habe.«

Hierauf begannen sie wieder ihr altes Liebesgespräch; es wurde Hochzeit gehalten und der Bursch wurde der Hausherr über die goldene Königsburg.

1

Anarrhichas lupus.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 246-253.
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